Kanzler empfängt Ministerpräsidenten von Estland
Gerade in schwierigen Zeiten seien gute Freunde und verlässliche Partner wichtig, so Kanzler Scholz beim Besuch des estnischen Ministerpräsidenten Michal. „Estland und Deutschland sind genau das: Enge Freunde und seit nunmehr 20 Jahren verlässliche Partner in der Europäischen Union und in der NATO.“
8 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Freitag, 20. Dezember 2024
Bundeskanzler Olaf Scholz und Estlands Regierungschef Kristen Michal haben sich über die weiterhin sehr angespannte Sicherheitslage im Baltikum, an der Ostflanke der NATO, ausgetauscht. Auf den furchtbaren russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine habe man entschlossen reagiert, so Scholz. Als Freunde und NATO-Partner gelte es, gemeinsam die Sicherheit Europas und jeden Quadratzentimeter des Bündnisgebietes zu verteidigen. Michal wurde bei seinem Antrittsbesuch im Bundeskanzleramt mit militärischen Ehren empfangen.
Das Wichtigste in Kürze:
- Deutschland engagiert sich: Zur Stärkung der NATO-Ostflanke stationiert Deutschland ab 2025 dauerhaft eine Brigade der Bundeswehr in Litauen. „Wir tun das, um die Sicherheit für das gesamte Baltikum zu erhöhen“ , sagte Kanzler Scholz. Zudem leiste die deutsche Luftwaffe innerhalb des „Air Policing“ regelmäßig einen konkreten Beitrag für die Sicherheit im Luftraum über Estland. Denn: „Die Sicherheit unserer Verbündeten ist unsere Sicherheit.“
- Gemeinsam an der Seite der Ukraine: Europa müsse selbst in die eigene Sicherheit und Verteidigung investieren und damit für ein souveränes und resilientes Europa in einer unruhigen Welt sorgen. Gegenüber Präsident Selenskyj habe er neulich in Kyjiw klargemacht: „Ihr könnt euch auf uns verlassen. Wir werden in unserer Unterstützung nicht nachlassen“, so der Kanzler. Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen, daher wolle man die Ukraine zusätzlich militärisch unterstützen – insbesondere im Bereich der Luftverteidigung und der Artillerie-Munition. Mit Blick auf das Ziel, einen fairen, nachhaltigen und belastbaren Frieden für die Ukraine zu erreichen, rief Scholz auch die EU-Mitgliedstaaten zu weiteren Anstrengungen auf.
- Wirtschaftliches Potenzial nutzen: Scholz kündigte an, die bilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit vor allem bei digitalen Technologien und erneuerbaren Energien noch zu verstärken. Gerade in Fragen der Digitalisierung könne Estland ein Vorbild für Deutschland und seine Verwaltung sein. Mit Blick auf die Energiewende wolle man die großen Potenziale von Offshore-Windenergie gemeinsam ausschöpfen. Zur Absicherung der zentralen Wirtschaftsbereiche in Europa hob der Kanzler zudem die europäische Förderung von E-Autos und die Stärkung der europäischen Stahlproduktion hervor.
Sehen Sie hier die Pressestatements im Video:
Lesen Sie hier die Mitschrift der Statements:
(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)
Bundeskanzler Olaf Scholz:
Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren! Lieber Kristen, ich möchte mich für deinen Antrittsbesuch als Ministerpräsident in Berlin sehr herzlich bedanken und heiße dich hier sehr willkommen. Wir haben uns gestern und vorgestern schon in Brüssel gesehen und ausführlich miteinander gesprochen. Wir sind mit der Flugbereitschaft sogar zusammen nach Berlin geflogen. Insofern haben wir wirklich eine lange Zeit für einen gemeinsamen Austausch gehabt, sehr gut. Gerade in schwierigen Zeiten, in denen sich die Welt ganz offensichtlich befindet, sind gute Freunde und verlässliche Partner wichtig. Estland und Deutschland sind genau das, enge Freunde und seit nunmehr 20 Jahren verlässliche Partner in der Europäischen Union und in der NATO. Das wollen und das werden wir fortsetzen.
Die Sicherheitslage im Baltikum, an der Ostflanke der NATO, ist nach wie vor sehr angespannt. Der furchtbare russische Angriffskrieg auf die Ukraine wirkt sich auf die gesamte Sicherheitsarchitektur Europas aus. Darauf haben wir entschlossen reagiert. Als Freunde und NATO-Partner stehen wir einander bei. Gemeinsam verteidigen wir die Sicherheit Europas und jeden Quadratzentimeter des Bündnisgebiets.
Zur Stärkung der NATO-Ostflanke stationiert Deutschland vom kommenden Jahren an auf Dauer eine Brigade der Bundeswehr in Litauen. Wir tun dies, um die Sicherheit für das gesamte Baltikum zu erhöhen. Die deutsche Luftwaffe leistet zudem im Rahmen des Air Policing regelmäßig einen konkreten Beitrag für die Sicherheit im Luftraum über Estland.
Aus Gesprächen mit unseren Soldatinnen und Soldaten weiß ich, wie dankbar sie für die Gastfreundschaft sind. Dafür möchte ich mich auch an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal bedanken. Lieben Dank!
All das Engagement zeigt deutlich: Deutschland ist bereit, seinen Beitrag für die Sicherheit Europas und für die Sicherheit der NATO-Verbündeten zu leisten. Die Sicherheit unserer Verbündeten ist auch unsere Sicherheit. – Klar ist: Als Europäerinnen und Europäer müssen wir in unsere eigene Sicherheit und Verteidigung investieren, für ein souveränes und resilientes Europa in einer unruhiger werdenden Welt. Gemeinsam stehen wir deshalb auch an der Seite der Ukraine, die sich seit nunmehr mehr als tausend Tagen tapfer und unerschütterlich gegen den russischen Angriff verteidigt und gegen die russische Aggression wehrt.
Bei meinem Besuch kürzlich in Kyjiw habe ich Präsident Selenskyj gegenüber klargemacht: Ihr könnt euch auf uns verlassen. Wir werden in unserer Unterstützung nicht nachlassen. – Auch bei unseren Treffen gestern in Brüssel habe ich das Wolodymyr noch einmal versichert. Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Es braucht einen fairen, nachhaltigen und belastbaren Frieden für die Ukraine. Nichts darf auf der Suche nach Frieden über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden werden.
Wir beide haben auch diskutiert, wie wir die Ukraine zusätzlich militärisch unterstützen können, insbesondere im Bereich der Luftverteidigung und der Artilleriemunition. Es braucht alles in allem weitere Anstrengungen möglichst vieler EU-Staaten. Dazu möchte ich hier auch noch einmal aufrufen.
Neben der Sicherheitspolitik hat uns natürlich auch die Frage der wirtschaftlichen Beziehung zwischen unseren beiden Ländern bewegt. Wir wollen insbesondere bei digitalen Technologien und erneuerbaren Energien noch enger miteinander arbeiten. Gerade in Fragen der Digitalisierung kann Estland ein Vorbild für Deutschland und seine Verwaltung sein; auch das muss hier gesagt werden. Die großen Potenziale von Offshore-Windenergie wollen wir ebenfalls gemeinsam ausschöpfen. Die Energiewende ist der Schlüssel dafür, unsere Klimaziele zu erreichen, unseren Energiebedarf zu decken und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu schaffen.
Wichtig ist auch, dass wir zentrale Wirtschaftsbereiche in Europa absichern. Lassen Sie mich zwei konkrete Branchen herausgreifen, für die ich mir Fortschritte erwarte:
Erstens: die Automobilindustrie. – Aus meiner Sicht braucht es eine europäische Förderung von E-Autos, damit wir den wichtigen Umstieg von Verbrenner- zu Elektrofahrzeugen hinbekommen. Das ist sinnvoller, als sich etwa in einen Handelskrieg mit anderen Ländern zu begeben.
Zweitens: die Stahlbranche. – Sie muss unterstützt werden. Ich habe mich deshalb auch in Brüssel für einen europäischen Stahlgipfel ausgesprochen. Stahl ist von geostrategischer Bedeutung. Er wird unser industrielles Bild noch sehr, sehr lange und – das sage ich voraus – noch viele Jahrhunderte prägen. Er kann auch wiederverwertet werden, aber es muss deshalb auch so sein, dass Stahlproduktion eine zentrale Rolle in unseren Ländern spielt. Deshalb müssen wir auch über Maßnahmen gegen Dumpingstahl reden.
Lieber Kristen, soviel von mir und nochmals vielen Dank für den Besuch hier in Berlin und für die nun wirklich stundenlangen gemeinsamen Gespräche!
Ministerpräsident Kristen Michal:
Lieber Olaf, sehr geehrte Journalisten, es ist mir eine große Ehre, dass ich noch vor Weihnachten in Berlin sein kann. Deutschland ist ein sehr wichtiger Partner für Estland, auch wirtschaftlich gesehen. Wir sind sehr dankbar für Deutschlands Beitrag zur Sicherheit der baltischen Länder. Mit Olaf hatten wir heute und auch gestern ein sehr inhaltsreiches Gespräch darüber, wie unsere gute Zusammenarbeit und unsere Beziehungen noch zu verbessern seien. Vielen Dank Olaf für diese warmen Worte!
In diesem Jahr haben wir in Estland 20 Jahre seit dem Beitritt zur EU und NATO gefeiert. Ein sehr starkes und einheitliches Europa ist für uns ein wichtiger Fokus. Wir wissen, wie wichtig Freunde und Partner in Europa sind, auf die wir uns verlassen können. Entgegen dem, was Russland gehofft hat, sind wir alle gegenüber dem Angriffskrieg einheitlich geblieben. Sie kämpfen nicht nur für ihren Frieden und ihre Freiheit, sondern für uns alle. Denn dieser Krieg wird die Sicherheitsarchitektur in ganz Europa für eine lange Zeit vorbestimmen.
Russland bombardiert täglich ukrainische Städte und ukrainische Infrastruktur und verbreitet Angst, und das nur deswegen, weil die Ukraine den Wunsch hatte, zu den europäischen und transatlantischen Familien zu gehören. Das sind also wichtige Schritte, die wir jetzt vornehmen müssen, um der Ukraine in eine bessere Position zu verhelfen. In den Gesprächen muss Ukraine eine wichtige Rolle spielen; denn bis jetzt hat Russland seine Ziele noch nicht geändert.
Wir müssen fortschreiten und unsere militärische Hilfe an die Ukraine vergrößern. Estland unterstützt die Ukraine jährlich mit 0,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und dazu rufen wir auch andere Länder auf. Wir möchten schärfere Sanktionen beschließen, und auch die militärische Stärke von Putin muss geschwächt werden. Sehr wichtig ist auch, das „shadow fleeting“ von russischer Seite zu reduzieren. Wichtig ist auch, dass man aus den Lektionen lernt; denn Fehler im Sicherheitsbereich führen dazu, dass wir uns selber schwächen. Wir brauchen ein klares Datum, zu dem die Ukraine in die NATO kommen kann.
Mit Blick auf die Zukunft reicht ein NATO-Beitrag von zwei Prozent heutzutage nicht aus, und ich hoffe, dass wir beim nächsten Gipfeltreffen entsprechende Ziele vereinbaren werden. Größere Beiträge würden auch ein positives Signal an die USA senden, dass Europa ein wichtiger Partner ist und dass wir Sicherheit sehr ernst nehmen.
Die Stärke Europas darf auch nicht unterschätzt werden. Wie gesagt sind wir wirtschaftlich eine sehr prosperierende Region, und wir können auch in unserer Militärindustrie neue Arbeitsstellen schaffen und dadurch unserer Wirtschaft helfen. Die Industrieentwicklung in der Sicherheitsindustrie, die Olaf auch erwähnt hat, ist für Estland auch in der längerfristigen Haushaltsführung als Ziel fest verankert.
Zum Schluss komme ich zu unseren bilateralen Beziehungen. Ich bin froh, dass wir uns nicht nur auf der EU- und NATO-Ebene gut verstehen, sondern auch in anderen Bereichen. Zum Beispiel wurde vor einem Jahr wurde in Tallinn ein Cyber-Defense-Zentrum für die Ukraine geschaffen. Deutschland hat bisher in der Ukraine zusammen mit Estland auch sehr viel beigetragen. Wir freuen uns über die sehr guten Beziehungen. Der deutsche Markt bietet für uns sehr gute Möglichkeiten, und umgekehrt hoffen auch wir, dass mehr deutsche Unternehmen nach Estland kommen. Wir hoffen, dass sich unsere Kooperation auch in innovativer Weise weiterentwickeln wird.
Ich wünsche Ihnen allen eine schöne Vorweihnachtszeit!