Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zum Antrag „Zur kulturpolitischen Aufarbeitung unseres kolonialen Erbes“ im Deutschen Bundestag

Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters zum Antrag „Zur kulturpolitischen Aufarbeitung unseres kolonialen Erbes“ im Deutschen Bundestag

„Es bleibt unsere moralische Verantwortung, Unrecht und Ungerechtigkeit ans Licht zu holen und unsere koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten“, erklärte Kulturstaatsministerin Grütters in ihrer Rede im Deutschen Bundestag. Anlass war eine Debatte um die Aufarbeitung des kolonialen Erbes Deutschlands.

Freitag, 26. Februar 2021

„Man sagt, wenn ein Mensch stirbt, ist es, als würde eine ganze Bibliothek in Flammen aufgehen. Ich weiß nun, dass ich nur wenige der geheimen Bücher meines Vaters gelesen habe, bevor das Feuer sie verschlang (…).“ Diese Worte stammen aus dem ebenso erschütternden wie lehrreichen Roman „Alle außer mir“, in dem Francesca Melandri mit der verdrängten Geschichte eines Familienvaters die verdrängte Kolonialgeschichte Italiens erzählt.

Verdrängt und vergessen war das blutige Erbe der Kolonialzeit lange – viel zu lange! – auch in Deutschland. Doch es bleibt unsere moralische Verantwortung, Unrecht und Ungerechtigkeit ans Licht zu holen und unsere koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten, nicht zuletzt auch kulturpolitisch. Dazu hat sich die Bundesregierung mit dem Koalitionsvertrag klipp und klar bekannt; dafür habe ich bei der BKM ein eigenes Referat zur Aufarbeitung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten und einen eigenen Haushaltstitel eingerichtet, auch um zu zeigen, dass wir noch ganz am Beginn stehen, dass es um eine Aufgabe geht, die uns noch lange beschäftigen wird. Ich bin froh, dass wir uns über die Bedeutung dieses Themas über fast alle Fraktionsgrenzen hinweg einig sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Anträge, die wir heute beraten, nehme ich gerne zum Anlass, Sie über einige der bisherigen Aktivitäten zu unterrichten.

In den „Ersten Eckpunkten zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ haben Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände 2019 Ziele und Schwerpunkte festgelegt. Für die Umsetzung haben wir eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet. Provenienzforschung, Digitalisierung und Restitution: Das sind ihre zentralen Handlungsfelder, übrigens immer unter Beteiligung der Herkunftsstaaten und -gesellschaften. Darüber hinaus habe ich Mittel bereitgestellt, damit das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste Provenienzforschung zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten fördern kann. 2020 hat außerdem die „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland“ ihre Arbeit aufgenommen: eine ganz wichtige Einrichtung, damit Menschen aus den Herkunftsgesellschaften wissen, an wen sie sich im komplizierten Geflecht des deutschen Föderalismus wenden müssen, wenn sie Auskunft benötigen.

Voraussetzung kulturpolitischer Aufarbeitung ist, dass alle Museen ihre Bestände erforschen – und zwar proaktiv, nicht erst bei Rückführungsersuchen! Wir brauchen hier größtmögliche Transparenz. Deshalb hat der Deutsche Museumsbund mit Unterstützung aus meinem Kulturetat einen „Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ erarbeitet und gerade in der vergangenen Woche eine Aktualisierung veröffentlicht.

Auch zahlreiche von der BKM geförderte Einrichtungen – etwa das Deutsche Historische Museum (DHM) – tragen natürlich schon lange zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit bei. Die Kulturstiftung des Bundes arbeitet dabei mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammen. Auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz stellt sich in zahlreichen Projekten ihrer historischen Verantwortung, unterstützt von der BKM – insbesondere mit zusätzlichen Stellen für die Provenienzforschung. 

Für die Digitalisierung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten habe ich 2020 mit Ländern und Kommunen eine Strategie erarbeitet, die einen zentralen Zugang zu einschlägigen Beständen aus deutschen Museen und Einrichtungen vorsieht. Derzeit werden Einrichtungen für die Pilotphase ausgewählt. Und – das ist jetzt neu: Für den Ausbau der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) – sie übernimmt die Umsetzung – stehen bei der BKM bis zu 1,4 Millionen Euro für 2021/2022 zur Verfügung. BKM übernimmt damit auch den Länderanteil, was nicht unbedingt Schule machen sollte, aber hier der Bedeutung der Sache geschuldet ist.

Voran geht es auch beim Handlungsschwerpunkt Restitution. Das DHM hat die Rückgabe der Cape Cross Säule beschlossen und vorbereitet; sie ist nicht mehr in Deutschland. Die SPK  hat gerade ein großes Forschungsprojekt zu menschlichen Überresten in Ostafrika abgeschlossen und wird Rückführungen mit den Herkunftsländern besprechen. Auf unseren BKM-Vorschlag hin bereitet die Bund-Länder-AG  eine deutschlandweite Abfrage zu menschlichen Überresten vor, damit wir sie in angemessener und sensibler Weise auch zurückführen können.

Auch im Humboldt Forum wird die Aufarbeitung des Kolonialismus natürlich eine wichtige Rolle, allerdings nicht allein – das wird manchmal enggeführt. Die Dauerausstellung wird – auch hier – in enger Kooperation mit den Herkunftsgesellschaften erarbeitet. Sie konnten das am Tag der offenen Tür erleben. Alle in der Sammlung des Ethnologischen Museums befindlichen Benin-Bronzen sind mittlerweile digital erfasst und veröffentlicht. Mögliche Kooperationen bis hin zu Rückführungen werden im partnerschaftlichen Dialog mit der nigerianischen Seite besprochen, unter anderem in der Benin-Dialog-Group.

Francesca Melandri, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat bei den Recherchen für ihren eingangs zitierten Roman über die koloniale Vergangenheit noch mit hochbetagten Zeitzeugen sprechen können. „Als ich jung war“, sagte ihr einer von ihnen, „habe ich gegen dein Volk gekämpft, und heute kommst du zu mir nach Hause, um mir zuzuhören. Welch ein Glückstag! Nächsten Sonntag nach der Messe werde ich allen davon erzählen.“ Meine Hoffnung ist, dass Aufklärung und Aufarbeitung – größtmögliche Transparenz bei Beständen aus kolonialen Kontexten und Offenheit gegenüber möglichen Rückführungen – auch bei uns in Deutschland den Weg bereiten für das Glück der Verständigung und der Versöhnung mit den Nachkommen der von Deutschen unterdrückten und ihrer kulturellen Schätze beraubten Menschen. Dafür werde ich mich weiterhin stark machen. Ich danke allen, die mich dabei unterstützen!