Rede von Kulturstaatsministerin Grütters beim Berliner Buchhändlerclub zum Thema "Die deutsche Politik und die Buchbranche"

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Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Grütters beim Berliner Buchhändlerclub zum Thema "Die deutsche Politik und die Buchbranche"

Insbesondere mit Blick auf aktuelle Entwicklungen im Urheberrecht will Kulturstaatsministerin Grütters auch künftig den rechtlichen Rahmen für Verlage verbessern. Auch bei steuerrechtlichen Regelungen wie bei der Markmacht des Internets sagte Grütters Unterstützung zu. Dabei seien Verlage verdienstvollerweise als kulturelle Vermittler mehr als Wirtschaftsunternehmen. Entscheidend für die Zukunft sei, "dass man auch im digitalen Zeitalter von kreativer Arbeit leben kann und Investitionen in geistige Werke sich weiterhin lohnen".

Montag, 26. September 2016 in Berlin

Wir alle wissen, was passiert, wenn man Hunden den Futternapf immer wieder mit einer Klingel ankündigt: Irgendwann braucht es kein Futter mehr, um den Speichelfluss in Gang zu setzen - ein Klingeln reicht. Iwan Pawlow, der Entdecker des nach ihm benannten Pawlowschen Reflexes, wäre heute 167 Jahre alt geworden. Das ist hier insofern der Erwähnung wert, als auch die öffentliche Debatte um die Zukunft der Buchbranche, an die wir heute anknüpfen wollen, nicht frei von Pawlowschen Reflexen ist: Es braucht jedenfalls keine schlechten Zahlen, um kulturpessimistische Szenarien vom Niedergang des Buches, der Lesekultur und des stationären Buchhandels heraufzubeschwören. Oft reicht schon das Stichwort "Digitalisierung", um die Zukunft der Buchbranche in düsteren Farben zu malen.

Ob zu Recht oder zu Unrecht und inwieweit die Politik darauf Einfluss hat, darüber werden wir heute Abend diskutieren. Vielen Dank für die Einladung in den Berliner Fernsehturm, lieber Herr Dr. Palm! Nirgendwo in Berlin sieht man weiter - und besser - als von hier, und wenn die Wahl dieses besonderen Ortes ein Plädoyer für politische und unternehmerische Weitsicht sein soll, dann ist das hiermit schon mal angekommen.

Mit unternehmerischer Weitsicht tut sich die Berliner Verlagsszene ja ohnehin schon länger hervor. "Der Laden läuft" - hieß es dazu vor einigen Monaten trocken im Feuilleton der taz, die hier in der Hauptstadt der Autoren und der größten Verlagsstadt Deutschlands besonders kreative Ideen und Strategien für das digitale Zeitalter ausgemacht hat - in Verlagen, die mit Enthusiasmus neue Themen entdecken, Experimente wagen, Nischen besetzen und den Nerv ihre Zielgruppe treffen, aber auch in Buchhandlungen, die ihren Kunden mit vielfältigen Angeboten Lust auf Lesen machen. Darüber werden wir heute sicherlich noch diskutieren. Ich bin gespannt, was Sie aus Ihrem Arbeitsalltag berichten. 

Fest steht: Wir haben in Deutschland - nach den USA und China - den drittgrößten Buchmarkt und eine der lebendigsten und facettenreichsten Verlagslandschaften der Welt, die es wert ist, geschützt und verteidigt zu werden. Bei der Gesamtzahl der Veröffentlichungen gehören wir zur Spitzengruppe, bei der Titel-Zahl pro Kopf zu den Top Ten weltweit. Und viele unserer Autorinnen und Autoren machen dem Ruf Deutschlands als Land der Dichter und Denker alle Ehre. All das ist nicht zuletzt auch das Verdienst der Verlegerinnen und Verleger. Sie sind es, die das unternehmerische Risiko einer Publikation tragen. Sie sind es, die die Vorfinanzierung ebenso wie die Kosten für Herstellung und Vertrieb übernehmen. Sie sind es, die Talente entdecken und gewinnen. Sie sind es, die für die Qualität einer Publikation bürgen. Sie sind es, die sich für Werke und für Autorinnen und Autoren engagieren, von deren Gewicht und Bedeutung sie überzeugt sind. Sie sind es, die auf diese Weise sicherstellen, dass es auch abseits der Bestsellerlisten Aufmerksamkeit gibt für lesenswerte Bücher: für außergewöhnliche Geschichten, für ungehörte - und unerhörte - Stimmen, für neue Perspektiven. In diesem Sinne sind Verlage eben nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern auch kulturelle Vermittler - dem Kulturgut Buch verbunden, nicht allein dem Wirtschaftsgut Buch verpflichtet.

Die Wertschätzung und die Förderung dieser Vielfalt und Freiheit sind Teil unseres Demokratieverständnisses, allein schon deshalb, weil Bücher zur freien Meinungsbildung und zu einer aufgeklärten, kritischen Öffentlichkeit beitragen, aber auch, weil Demokratie - wie Jean Paul das schon vor 200 Jahren so treffend formuliert hat - "ohne ein paar Widersprechkünstler […] undenkbar [ist]." Wir brauchen die Künstler und Intellektuellen, die Querdenker und Freigeister, deren Werke wir in vielen Verlagsprogrammen finden! Sie sind der Stachel im Fleisch unserer Gesellschaft, der verhindert, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Phantasielosigkeit und politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern. Sie schauen hin, wo andere wegsehen, und oft schreiben sie an gegen Gleichgültigkeit, Verdrängung und emotionale Abgestumpftheit. Gerade jetzt, angesichts hunderttausender Menschen, die ihre Heimat in Kriegs- und Krisenregionen verlassen haben in der Hoffnung, im friedens- und wohlstandsverwöhnten Europa Zuflucht zu finden, ist die Sensibilität für menschliches Leid und existenzielle Not auch und besonders in den Demokratien Europas ganz offensichtlich nötiger denn je. Literatur kann denen eine Stimme geben, die sonst kein Gehör finden. Sie kann uns nötigen, die Perspektive zu wechseln und die Welt aus anderen Augen zu sehen. Deshalb werde ich in meinem Haus - so ist es geplant, und dafür ist auch ein entsprechendes Budget vorgesehen - ab 2017 einen neuen Förderschwerpunkt "Literatur" setzen. 

Vor allem aber ist es mein, ist es unser gemeinsames Anliegen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verlage wie für die Autoren stimmen - oder um es noch einmal bildlich auszudrücken: dass wir einen fruchtbaren Boden haben, in dem verlegerische Vielfalt und literarische Freiheit auch in Zukunft gedeihen können. Dafür setze ich mich im Interesse der Verlage und der Autoren ein, auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene - zum Beispiel mit der Verteidigung der Buchpreisbindung, die dafür sorgt, dass Bücher auch künftig anders behandelt werden als bloße Handelsobjekte, als Gartenmöbel oder Zahnpasta. Die im Februar vom Kabinett beschlossene und am 1. September in Kraft getretene Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes dehnt die bisher nur für gedruckte Bücher festgeschriebene Preisbindung ausdrücklich auch auf E-Books aus und erfasst jetzt auch grenzüberschreitende Verkäufe nach Deutschland. Außerdem tritt die Bundesregierung auf meine Initiative hin im Rahmen der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP nachdrücklich dafür ein, dass das Abkommen keine Bestimmungen enthält, die die kulturelle Vielfalt beeinträchtigen. Die Zusicherung von Handelskommissarin Malmström, "auf keinen Fall" werde über die Buchpreisbindung verhandelt, ist für uns alle ein wichtiger Etappensieg.

Meine Unterstützung hat die Buchbranche auch bei der Verbesserung der steuerrechtlichen Rahmenbedingungen. Mit der Einführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Hörbücher sind wir in dieser Legislaturperiode schon ein gutes Stück vorangekommen. Komplizierter ist es, ihn auch für E-Books und E-Paper einzuführen. Wie Sie sicherlich wissen, bedarf es dafür einer Änderung des europäischen Umsatzsteuerrechts, der alle EU-Mitgliedstaaten zustimmen müssen. Dafür setzt sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene ein, und ich werbe auch in bilateralen Gesprächen immer wieder dafür. Allerdings gibt es Widerstände in einigen Mitgliedstaaten. Umso erfreulicher ist es, dass Kommissionspräsident Juncker sich ausdrücklich für die Einführung des ermäßigten Satzes ausgesprochen hat. Jetzt ist die Kommission am Zug. Sie hat im April angekündigt, noch 2016 einen Regelungsvorschlag zur Reform der Mehrwertsteuer für den grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr vorlegen zu wollen. 

Ein weiteres Thema für einen engen Schulterschluss zwischen Politik und Buchbranche ist der Kampf gegen die Marktmacht großer Internetkonzerne wie Amazon. Dazu habe ich beispielsweise den Deutschen Buchhandlungspreis ins Leben gerufen, der Anfang Oktober zum zweiten Mal vergeben wird. Kompetente Buchhändlerinnen und Buchhändler weisen Wege durch die weite Welt der Bücher: Sie raten zu oder ab, machen neugierig auf weniger bekannte Bücher und Autoren, wecken und stärken die Lesebegeisterung und leisten so einen wichtigen Beitrag zur literarischen und kulturellen Vielfalt. Ihre kulturelle Vermittlertätigkeit ist wichtiger denn je in Zeiten, in denen die Konzentration auf dem Buchmarkt und die Konkurrenz des Online-Handels voranschreiten und der unternehmerische Spielraum für kleinere Buchhandlungen schrumpft.

Wie können die Buchhandlungen vor Ort sich gegen die Konkurrenz im Internet erfolgreich behaupten? Letztlich ist es das Kaufverhalten der Kunden, das darüber entscheidet, wie der klassische Buchhandel künftig fortbesteht. Um das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit für die Bedeutung dieser "geistigen Tankstellen", dieser kulturellen Begegnungsorte in unseren Städten zu schärfen, vergibt der Bund den Deutschen Buchhandlungspreis - ausgestattet mit rund einer Million Euro, analog zu den anderen Branchenpreisen meines Hauses, dem Kinoprogrammpreis im Filmbereich und dem APPLAUS  im Musikbereich. 

Für die Zukunft der Buchbranche, meine Damen und Herren, kommt es nicht zuletzt auch ganz entscheidend darauf an, dass man auch im digitalen Zeitalter von kreativer Arbeit leben kann und Investitionen in geistige Werke sich weiterhin lohnen. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reform des Urhebervertragsrechts soll die Position des Urhebers stärken und Kreativen eine angemessene Vergütung ermöglichen. Um diesen politischen Auftrag umzusetzen, hat die Bundesregierung im März einen Gesetzentwurf zur Überarbeitung des Urhebervertragsrechts beschlossen. Mit dem Regierungsentwurf ist, denke ich, jetzt ein Schritt getan, um die urhebervertragsrechtliche Position der Kreativen gegenüber dem Status quo zu verbessern und zugleich eine stabile Grundlage für die wirtschaftliche Betätigung der Verwerter und Produzenten kreativer Leistungen zu bewahren, die wiederum der kulturellen und medialen Vielfalt und damit auch den Urhebern zugutekommt. Bei allen Kontroversen im Detail ist mir wichtig, dass wir insgesamt einen konstruktiven, kooperativen Ansatz verfolgen. Wir dürfen das übergeordnete gemeinsame Interesse von Kreativen und Verwertern nicht aus den Augen verlieren, die ja geradezu symbiotisch aufeinander angewiesen sind und letztlich im selben Boot sitzen. Sie müssen sich zum Beispiel nicht nur dem Problem der Internetpiraterie gemeinsam stellen, sondern auch den Herausforderungen, die durch Angebote von Online-Plattformen großer und marktmächtiger Internetkonzerne und Intermediäre entstehen.

Deshalb sehe ich das BGH-Urteil zur Verteilungspraxis der VG-WORT im April und seine Folgen mit Sorge. Die bisherige, bewährte Praxis der gemeinsamen Wahrnehmung der Rechte von Autoren und Verlagen in der VG WORT war wie ein Dünger für eine vielfältige Verlagslandschaft. Sie ermöglichte die Querfinanzierung zwischen Bestsellern und publizistischen Wagnissen und ebnete noch unbekannten Autoren den Weg in ein Verlagsprogramm und in den Buchhandel. Aus diesen Gründen habe ich mich bereits im Februar zusammen mit dem für das Urheberrecht federführenden Kollegen Maas an EU-Kommissar Oettinger gewandt und für eine rechtssichere Lösung auf europäischer Ebene geworben, mit der die gemeinsame Rechtewahrnehmung von Autoren und Verlegern in einer Verwertungsgesellschaft auch in Zukunft möglich bleibt. Mit Erfolg! Im Zuge der überfälligen Anpassung des EU-Urheberrechts an die Herausforderungen der digitalen Welt hat die EU-Kommission - neben zahlreichen konkreten Regelungsvorschlägen zum Urheberrecht im Rahmen ihrer Strategie für den digitalen Binnenmarkt - sich nun auch dem drängenden Problem der Verlegerbeteiligung zugewandt und einen Lösungsvorschlag vorgelegt. Künftig soll es den Mitgliedstaaten der EU ausdrücklich gestattet sein, eine Verlegerbeteiligung vorzusehen. Das ist ein sehr positives Signal und ein wichtiger erster Schritt - gerade auch für die aktuelle Diskussion in Deutschland. Die jüngsten besorgniserregenden Entwicklungen bei der VG Wort zeigen ja noch einmal die Brisanz des Themas. Partikularinteressen werden hier teilweise über die bewährte gemeinsame Rechtewahrnehmung durch Verleger und Urheber gesetzt und drohen nun die VG Wort zu beschädigen. Diese Initiative ging aber offenbar nicht von den hauptsächlich betroffenen Buchautoren aus. In dieser Situation kommen die EU-Vorschläge auch zur Verlegerbeteiligung gerade zur richtigen Zeit. Ich werde mich im Rahmen der sicherlich intensiven Diskussionen über die Vorschläge der Kommission für ausgewogene Lösungen im Sinne der Kultur und der kulturellen Vielfalt einsetzen, die mir, der leidenschaftlichen Vielleserin, nicht nur ein politisches, sondern auch ein ganz persönliches Herzensanliegen ist.

Wie auch immer die Zukunft der Buchbranche aussehen wird, meine Damen und Herren: Ich wünsche dem Kulturgut Buch, dass es weiterhin Verlegerinnen und Verleger, Buchhändlerinnen und Buchhändler gibt, die mit Freude und Leidenschaft ihr Ding machen und ihre Unabhängigkeit verteidigen: vor ökonomischen Abhängigkeiten, vor falschen Kompromissen aus vermeintlichen Sachzwängen heraus  und nicht zuletzt vor der Versuchung, sich allzu bereitwillig dem Massengeschmack zu unterwerfen. Denn ich bin überzeugt: Mit Verlagen und Buchhandlungen, die etwas wagen (und die dank guter politischer Rahmenbedingungen auch etwas wagen können), müssen wir uns um die Zukunft der Branche keine Sorgen machen. Denn dann gilt auch im digitalen Zeitalter, was Klaus Wagenbach, Bezug nehmend auf den Wagenbach-Autor Peter Brückner, in seiner Rede zum 50-jährigen Verlagsjubiläum gesagt hat: "Wer das Nichtstun ebenso wie die Arbeit scheut, findet leicht zum Buch."