Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim World Health Summit und Grand Challenges Meeting am 16. Oktober 2018 in Berlin

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Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, liebe Erna Solberg,

sehr geehrter Herr Generaldirektor Tedros,

sehr geehrter, lieber Bill Gates,

sehr geehrter Herr Professor Ganten,

liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten,

lieber Kollege Gerd Müller,

meine Damen und Herren,

Gesundheit – wer wünscht sich das nicht? Kaum ein anderes Thema bewegt uns Menschen mehr, eben weil es jeden von uns betrifft und weil es auch darüber entscheidet, ob wir unsere Lebenspläne verwirklichen können oder nicht. Gesund bleiben oder gesund werden, ist aber nicht nur ein individuelles Thema. Es liegt nicht nur in der Verantwortung des Einzelnen. Gesundheit ist auch eine Gemeinschaftsaufgabe, eine globale Aufgabe.

Wir alle wissen, welch verheerende Folgen vor allem übertragbare Krankheiten haben können – zuallererst in menschlicher Hinsicht, aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Denn Krankheiten und Epidemien machen nicht vor Ländergrenzen halt, sie stellen nicht nur einzelne Gesundheitssysteme auf die Probe, sondern können die Sicherheit und Entwicklung ganzer Regionen gefährden. Deshalb ist hier mit Recht auch darauf hingewiesen worden, welchen Einfluss das dritte Ziel der Agenda 2030 auf viele der anderen Ziele hat.

Aus dieser Tatsache ergibt sich, dass auch die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung nicht an Landesgrenzen haltmacht, sondern eine gemeinsame Verantwortung ist. Sie, die Sie heute Abend hier sind, stehen ja genau dafür, diese Verantwortung wahrnehmen zu wollen. Aber wie machen wir das richtig? Das ist die zentrale Frage, der sich sowohl der Welt-Gesundheitsgipfel als auch das Grand Challenges Meeting der Bill & Melinda Gates Stiftung widmen. Dafür, dass es gelungen ist, beide Foren miteinander zu verbinden, bin ich sehr dankbar, denn das stärkt die Schlagkraft der globalen Gesundheitspolitik.

Dies ist schon der zehnte Welt-Gesundheitsgipfel, der hier in Berlin stattfindet. Lieber Herr Professor Ganten, Sie haben den Gipfel 2009 ins Leben gerufen, und zwar anlässlich des 300. Jahrestags der Gründung der Berliner Charité. Der Name Charité – Barmherzigkeit – gibt die gemeinwohlorientierte Leitlinie vor, der öffentlichen Gesundheit zu dienen. Der Welt-Gesundheitsgipfel knüpft an diese Tradition an. Er führt Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammen, um gemeinsame und in sich schlüssige Strategien für die Welt zu entwickeln. Ich persönlich habe das von Anfang an für eine großartige Idee gehalten und bin deshalb gerne Schirmherrin dieser Gipfeltreffen geworden.

Weil globale Fragen globale Antworten erfordern – von reicheren Ländern ebenso wie von weniger wohlhabenden Ländern –, müssen wir alle gemeinsam daran arbeiten, wirksame Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln. Wir haben davon heute Abend schon gehört. Wir brauchen effiziente Gesundheits- und Versorgungssysteme. Wir müssen Pandemien genauso wie Resistenzen gegenüber Antibiotika vorbeugen. Wir müssen insgesamt eine gesunde Umwelt fördern – saubere Luft, sauberes Wasser – und auf eine ausreichende Ernährung hinwirken. Das heißt also: Es braucht Zusammenarbeit.

Lieber Bill Gates, Sie leben das seit vielen Jahren vor. Sie suchen den Schulterschluss mit Regierungen und Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation oder mit Stiftungen wie dem Wellcome Trust. Ich danke Ihnen herzlich dafür. Sie kämpfen unermüdlich für ein besseres Leben der ärmsten Menschen.

Wir in Deutschland fühlen uns ebenfalls diesem Ziel verpflichtet. Wir haben unser Engagement unter anderem in der Forschung für globale Gesundheit erheblich gesteigert – und das nicht nur finanziell: Wir haben dieses wichtige Thema auch immer wieder auf die internationale Tagesordnung gebracht – sei es etwa im Format der G7 oder der G20; und zwar ganz besonders dann, als Deutschland Gastgeber des G7-Treffens wie auch des G20-Treffens sein durfte.

Ein besonderes Anliegen ist mir auch das gemeinsame Vorgehen gegen vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten. Wir müssen gemeinsam gegen die großen Drei kämpfen – also gegen HIV, Malaria und Tuberkulose. Dass das gelingt, wurde hier ja schon anhand praktischer Beispiele dargelegt. Impfstoffe müssen entwickelt werden, um Epidemien vorbeugen zu können. Und wir müssen Resistenzen gegen Antibiotika eindämmen, da wir nicht einfach darauf hoffen können, dass überall immer wieder neue Antibiotika entwickelt werden.

Deutschland wird zur Erreichung dieser Ziele unter anderem seine Mittel für die Antibiotika-Forschung auf 500 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre steigern. Ich glaube, dass auch andere Länder ihr Engagement verstärken werden. Dabei kommt es aber auch darauf an, dass wir vernetzt arbeiten und wirklich darauf achten, dass nicht alle die gleichen Schwerpunkte setzen, sondern dass wir das gesamte Feld abdecken.

Um die Erforschung antimikrobieller Resistenzen voranzutreiben, haben wir mit vielen G20-Partnern, der Bill & Melinda Gates Stiftung und dem Wellcome Trust den Global AMR Research and Development Hub ins Leben gerufen. Lieber Herr Tedros, die WHO hat die Arbeit des Hubs beratend und richtungsweisend begleitet. Ganz herzlichen Dank dafür.

Wir alle spüren aber, dass im Augenblick das Prinzip des Multilateralismus verstärkt auf dem Prüfstand und unter Druck steht. Doch gerade auch in Gesundheitsfragen zeigt sich der Wert der multilateralen Zusammenarbeit. Deshalb wünsche ich mir, dass dies hier nicht nur ein Forum von Spezialisten ist, sondern dass hier auch ein kräftiges Signal dafür ausgesendet wird, dass Multilateralismus eine Win-win-Situation für alle auf der Welt bedeutet.

Wir haben es ja 2014 bei der Ebola-Epidemie gesehen. Damals starben über 11.000 Menschen in Westafrika. Weder die nationalen noch die internationalen Systeme waren auf einen solchen Krisenfall ausreichend vorbereitet. Wir haben das als Weckruf verstanden; und es war ein Weckruf. Heute können wir sagen, dass es beachtliche Fortschritte gibt. So konnte der Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo im Frühjahr relativ schnell eingedämmt werden – auch und gerade, weil die Abläufe innerhalb der WHO sehr viel besser koordiniert waren. Ich hoffe, das gilt auch bei den jetzt noch anstehenden Aufgaben.

Die neuen Mechanismen haben gegriffen. Dabei hat der Contingency Fund for Emergencies, den auch Deutschland unterstützt, seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt. Genauso sollte das auch beim Ausbruch neuer Krankheitsfälle sein. Ich möchte daher an alle, die in der Region Verantwortung tragen, appellieren, dass den Hilfskräften ungehinderter Zugang gewährt wird, damit sich Krankheiten nicht weiter ausbreiten, und dass Strukturen geschaffen werden, die zu Transparenz ermutigen. Es nützt im Falle eines Krankheitsausbruchs nichts, etwas zu verschweigen. Vielmehr brauchen wir volle Transparenz.

Deshalb möchte ich noch einmal WHO-Generaldirektor Tedros für seine Reformanstrengungen und den Aufbau klarer Notfallstrukturen ganz herzlich danken. Sie sorgen hierfür auch aus eigener Erfahrung Ihrer früheren Tätigkeit. Danke dafür. Wir werden Sie auf Ihrem Weg begleiten.

Meine Damen und Herren, es ist schon sehr viel gewonnen, wenn wir Epidemien eindämmen können. Aber begnügen dürfen wir uns damit natürlich nicht. Gesundheit insgesamt ist wesentliche Voraussetzung für Wohlergehen, Wohlstand und ein würdevolles Leben – kurzum: für all das, worauf die Agenda 2030 mit ihren 17 Agenda-Zielen ausgerichtet ist. Jede Investition in das Gesundheitssystem ist eine Investition in die Menschen, in eine stabile Bevölkerungsentwicklung und in eine Perspektive für Menschen.

Ich freue mich, dass ich gemeinsam mit Erna Solberg und mit dem Staatspräsidenten Ghanas, Nana Akufo-Addo, Erfolg hatte, als wir Generaldirektor Tedros gebeten haben, gemeinsam mit allen relevanten Akteuren einen Aktionsplan zur Umsetzung des Agenda-Ziels Gesundheit zu entwickeln. Die erste Version liegt auf dem Tisch; schon allein für die letzte Seite mit den zehn Unterschriften bedurfte es einer Kraftanstrengung. Dank an alle für die Zusammenarbeit.

Wir werden nun Indikatoren für eine Bestandsaufnahme im Jahr 2023 entwickeln. Wir werden die Zivilgesellschaften einbinden. Deutschland wirbt dafür, dass sich Organisationen, verschiedene Akteure und auch Staaten klar zum Fahrplan bekennen und bei der Umsetzung zusammenarbeiten. Denn die Zeit drängt.

Meine Damen und Herren, „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet“ – so heißt es in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen. Ein gesundes Leben darf eben nicht vom jeweiligen Geburts- oder Wohnort abhängen. Wo auch immer auf der Welt – es ist eine Frage der Menschlichkeit, sich auf ein funktionierendes Gesundheitssystem verlassen zu können. Das ist eine fordernde Menschheitsaufgabe. Es ist allerhöchste Zeit, dass wir uns der Lösung dieser Menschheitsaufgabe aus der Menschenrechtserklärung zielgerichtet widmen.

Diese Tagung – davon bin ich überzeugt – wird ihren Beitrag dazu leisten, dass es vorangeht. Es gibt noch viel zu tun, aber wenn wir alle anpacken, dann haben wir eine gute Chance, das Agenda-Ziel bis 2030 zu erreichen.

Herzlichen Dank.