Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Eröffnung der James-Simon-Galerie am 12. Juli 2019 in Berlin

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Sehr geehrter Herr Professor Parzinger,
sehr geehrter Herr Professor Eissenhauer,
sehr geehrter Herr Chipperfield,
sehr geehrter Herr Simon,
liebe Familie Simon,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten,
Herr Regierender Bürgermeister,
Herr Ministerpräsident Haseloff,
Frau Staatsministerin Grütters,
meine Damen und Herren,

Zeitreisen zu unternehmen scheint ja eine sehr menschliche Sehnsucht zu sein – in andere Zeiten einzutauchen, neue Welten zu ergründen, der Fantasie freien Lauf zu lassen. Dass Zeitreisen keine Utopie sein müssen, beweist die Berliner Museumsinsel. 6.000 Jahre Kunst und Kultur spiegeln sich in den Sammlungen ihrer fünf Häuser wider: von Geräten aus der Altsteinzeit bis hin zu Werken französischer Impressionisten. Die Museumsinsel ist ein Universalmuseum der Menschheitsgeschichte. Sie birgt Sammlungen von Weltrang und bildet selbst ein einzigartiges architektonisches Gesamtkunstwerk mit fünf Solitären, eröffnet in den hundert Jahren zwischen 1830 und 1930. So zeigte sich Berlin hier zwischen Spree und Kupfergraben einst von seiner schönsten Seite.

Doch der Zweite Weltkrieg und auch 40 Jahre DDR hinterließen auch hier ihre Spuren. 1999 wurde dann ein Masterplan mit dem Ziel beschlossen, die im selben Jahr als UNESCO-Welterbe anerkannte Museumsinsel in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Das dauert natürlich seine Zeit. Die Sanierung ist ein Generationenprojekt. Allen Schwierigkeiten zum Trotz kommt es dennoch voran. Die Alte Nationalgalerie und das Bode-Museum sind bereits saniert. Vor rund zehn Jahren, im Oktober 2009, durfte ich bei der Eröffnung des Neuen Museums mit dabei sein. Den einst prachtvollen, aber stark zerstörten Bau von Friedrich August Stüler hat David Chipperfield behutsam wiederhergestellt und kongenial ergänzt. Bis aber das Pergamonmuseum um den vierten Flügel erweitert und komplett saniert sein wird, werden wohl noch etliche Jahre vergehen. Zudem stehen noch grundlegende Sanierungsarbeiten am Alten Museum aus.

Die fünf Häuser der Museumsinsel folgen der Tradition antiker Sakralarchitektur. Säulen, Portiken und Dreiecksgiebel verweisen auf griechische Tempel als Vorbilder. Das entsprach dem romantischen Ideal des 19. Jahrhunderts, wonach Ausstellungshäuser Orte erhabener Kontemplation sein sollten. Heute sehen wir das Museum – ohne die Ästhetik der Ausstellungsstücke und Bauten zu verkennen – etwas pragmatischer und etwas profaner: eher als Ort der Wissensvermittlung, der Bildung und auch der Kommunikation. Dazu gehört, dass wir uns die Möglichkeit schaffen, aus neuen Ansichten neue Einsichten zu gewinnen und dass wir unsere in der Welt des Wandels so wichtige Fähigkeit stärken, die notwendigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, um eine gute Zukunft zu gestalten, wenn wir mit unserem Geschichts- und Weltbild offen auch für kontroverse Deutungen und Debatten sind.

Die Zeitreise durch die Sammlungen der Museumsinsel kann auch vermitteln, wie viel uns Menschen über Jahrhunderte und über Ländergrenzen hinweg verbindet. Wir stellen fest, dass uns weit mehr verbindet, als uns trennt. So ist die Museumsinsel nicht nur ein Ort, an dem wir von Kulturen und Geschichtsläufen erfahren, sondern an dem wir uns auch heutiger gegenseitiger Abhängigkeiten auf unserer Welt bewusst werden können. Das ist in seiner Bedeutung für unser Zusammenleben gar nicht hoch genug zu schätzen. Denn wie verführerisch und zugleich fatal ist es doch, die Augen vor der Komplexität globaler Wechselwirkungen zu verschließen und sich lieber ein eigenes, überschaubares Weltbild zu schaffen.

Wir erleben derzeit ja weltweit, dass im öffentlichen Diskurs immer mehr das Eigeninteresse oder das, was dafür gehalten wird, als das Maß der Dinge angesehen wird. Darunter leiden die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Kompromiss. Abgrenzung, Ausgrenzung, Abschottung sind die Folge. Auf einem solchen Nährboden wachsen Missverständnisse, Vorurteile, Feindbilder. Das lehrt uns die Geschichte. Und sie lehrt uns zugleich, dass sich Kulturen, Ethnien und Staaten schon seit Jahrtausenden im gegenseitigen Austausch entwickelt haben.

Die Museumsinsel ist ein Ort, an dem Vergangenheit und Zukunft zusammen gedacht werden können. Sie findet heute – beinahe 200 Jahre nach Baubeginn des Alten Museums – mit der neuen James-Simon-Galerie ihren baulichen Abschluss. David Chipperfield hat mit diesem Neubau bewiesen, dass er den großen Vorbildern auf der Museumsinsel mit einem eigenständigen Entwurf auf Augenhöhe begegnen kann. Schinkel, Stüler, Ernst von Ihne, Alfred Messel, David Chipperfield – eine, wie ich finde, sehr beachtliche Liste des Who is who der Museumsbaukunst.

Besonders freue ich mich, dass mit dem neuen Eingangsgebäude an den großen Berliner James Simon erinnert wird. Der erfolgreiche Unternehmer und preußische Patriot zeichnete sich auch als Mäzen aus. Die Staatlichen Museen verdanken ihm Schenkungen von unermesslichem Wert. Ich nenne nur die Renaissance-Sammlung, die Spätmittelalter-Sammlung sowie die berühmte Nofretete-Büste. Außerdem war er – das ist hier auch schon angeklungen – ein sozialer Wohltäter, der Hilfs- und Wohltätigkeitsorganisationen, Krankenhäusern und Volksbädern große Summen spendete. Das allerdings ist nur lückenhaft dokumentiert, weil Simon keinen Wert darauf legte, sich hiermit öffentlich zu profilieren. „Dankbarkeit ist eine Last, die man niemandem aufbürden sollte“, soll er einmal gesagt haben. Dieser Satz passt jedenfalls zu ihm als Mensch, der seinen Wohlstand als Verpflichtung zu sozialer Verantwortung verstand.

Daher freut es mich sehr, seinen Enkel Tim Simon und weitere Familienmitglieder hier begrüßen zu dürfen. Auch von meiner Seite sage ich Ihnen ein ganz herzliches Willkommen – nicht nur hier und heute, sondern auch deshalb, weil Sie wieder in Berlin zu Hause sind.

Der heutige Tag ist also nicht nur ein Festtag für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Vielmehr ehren wir auch eine Persönlichkeit, die viel zu lange beinahe vergessen schien. Nun aber bleibt sein Name, James Simon, mit diesem Bauwerk fest verbunden, das uns den Zugang zu den ansehnlichen Sammlungen der Staatlichen Museen gewährt.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist eine Institution mit Tradition, die Hüterin eines reichen kulturellen Erbes. Traditionspflege darf aber nicht im Blick zurück erstarren, sie muss vielmehr nach vorn gerichtet und offen für Weiterentwicklung sein. Deshalb war es richtig, die altehrwürdigen Bestandsgebäude der Museumsinsel um einen modern gestalteten Neubau zu ergänzen, der eine große Leichtigkeit ausstrahlt und damit so einladend wirkt. Ebenso begrüße ich, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beschlossen hat, sich einer Evaluierung durch den Wissenschaftsrat zu unterziehen. Ich glaube, auch hierin liegt eine große Chance, denn stetige Modernisierung ist die beste Form der Traditionspflege.

Meine Damen und Herren, der preußische Staatsmann und Gelehrte Wilhelm von Humboldt, der die Fertigstellung des Alten Museums noch erlebte, war der Überzeugung: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“ In diesem Sinne lässt uns die Berliner Museumsinsel der Zukunft zuversichtlich entgegensehen. Allen, die dazu beigetragen haben, dass wir die heutige Eröffnung feiern können – den Architekten und Bauleuten sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bauverwaltung und der Stiftung –, danke ich sehr herzlich. Ich bin auch stolz darauf, dass aus meinem Wahlkreis, von der Insel Rügen, eine Metallbaufirma aus Lauterbach dabei war. Man sieht also: Viele haben einen Anteil daran. Da den meisten Rügen nur in Zusammenhang mit Urlaub bekannt ist, wollte ich doch darauf hinweisen, dass Rügen auch an solchen wichtigen Gebäuden mitwirken kann.

Für die Zukunft sind wir immer noch auf das Spekulieren, Hoffen und Wünschen angewiesen. Ich will es beim Wünschen belassen und wünsche der James-Simon-Galerie und der Museumsinsel für die Zukunft viele und im besten Sinne neugierige Besucherinnen und Besucher aus aller Welt. Morgen wird das bunte Treiben ja losgehen.

Herzlichen Dank, dass ich hier dabei sein durfte.