Rede von Bundeskanzlerin Merkel anlässlich der BDA-Mitgliederversammlung

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Sehr geehrter Herr Dulger,
sehr geehrter Herr Kramer,
meine Damen und Herren,

ich möchte mich für die Einladung bedanken, auch wenn der Arbeitgebertag in der klassischen Form aus pandemischen Gründen in diesem Jahr ausfallen muss. Dass wir uns aber wenigstens in dieser Form zusammenfinden können, ist doch auch sehr schön.

Es gibt auch einen Anlass, aus dem ich gerne dabei bin. Sie, lieber Herr Kramer, haben sich entschieden, das Amt des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände nach sieben Jahren heute an Ihren Nachfolger Rainer Dulger zu übergeben, also Monate vor dem eigentlichen Ende Ihrer Amtsperiode im nächsten Herbst. Sie haben sich dazu entschieden, weil Sie möchten, dass Ihr Nachfolger nicht erst in sein Amt kommt, wenn im nächsten Jahr ein neuer Deutscher Bundestag gewählt und eine neue Bundesregierung gebildet wird, sondern mit ausreichend zeitlichem Vorlauf.

Deshalb, lieber Herr Kramer, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Ihnen von Herzen für Ihr Engagement zu danken. Sie sind ein Mann der klaren Worte, der sich zugleich auf Zwischentöne versteht. Damit waren Sie ein überaus geschätzter Gesprächspartner ‑ nicht nur für mich und die Bundesregierung, sondern auch für die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerseite.

Einem norddeutschen Sprichwort zufolge kommt der Wind immer von vorn. Als Bremerhavener kennen Sie Gegenwind und wissen damit umzugehen ‑ selbstverständlich auch mit dem Gegenwind vonseiten der Gewerkschaften. Das liegt in der Natur der Sache, wenn man Arbeitgeberpräsident ist. Das verlangt immer wieder Standfestigkeit, aber im Sinne des Gemeinwohls auch Kompromissfähigkeit. Und beides haben Sie immer wieder gezeigt. Das gelingt ihnen deshalb so gut, weil Sie auf Argumente und auf Ausgleich setzen.

Das hat sich bewährt - zum Beispiel bei der Mindestvergütung für Auszubildende, die Sie mit den Gewerkschaften ausgehandelt und bei Ihren Mitgliedern durchgesetzt haben. Denn Sie waren überzeugt, dass diese Kompromisslösung trotz aller Vorbehalte letztlich die duale Ausbildung stärkt. Ich denke genauso.

Mindestens genauso rau war der Gegenwind beim Thema Tarifeinheit. Die BDA und andere hatten jahrelang gefordert, Tarifkollisionen innerhalb eines Betriebs gesetzlich aufzulösen. Die Aufgabe war nicht einfach, weil ja auch hohe verfassungsrechtliche Hürden zu überwinden waren. Aber letztlich konnten wir mit dem Tarifeinheitsgesetz 2015 ein tragfähiges Ergebnis erzielen ‑ und zwar gerade auch dank der Beharrlichkeit und Unterstützung von Ihnen, lieber Herr Kramer.

Manchem Gegenwind ‑ im wahrsten Sinn des Wortes ‑ haben Sie aber nicht nur als Arbeitgeberpräsident getrotzt, sondern auch als Seenotretter. Immer wieder sind Sie, wie ich weiß, auch selbst als Mannschaftsmitglied auf einem Rettungsschiff im Einsatz, zeitweise auch im Mittelmeer bei der Rettung von Flüchtlingen. Das ist sicher ein wesentlicher Grund dafür, dass Sie die menschliche Tragödie gerade auch der Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer nicht kalt lässt, im Gegenteil. Als im Jahr 2015 viele Menschen Zuflucht in Europa und besonders in Deutschland suchten, haben Sie entscheidend mit dazu beigetragen, dass viele Unternehmen geflüchteten Menschen Perspektiven bieten konnten und sie umgekehrt auch für sich wertvolle Mitarbeiter gewonnen haben. Dieses Engagement endete nicht etwa 2015, sondern es trägt bis heute. Dafür ‑ das will ich ausdrücklich sagen ‑ bin ich sehr, sehr dankbar; natürlich auch dafür, dass dies die Unterstützung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände fand und findet.

Meine Damen und Herren, auch jetzt befinden wir uns wieder in einer Bewährungsprobe, die es zu bestehen gilt. Die Coronavirus-Pandemie mit ihren vielfältigen medizinischen, wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Folgen trifft uns alle ‑ im Berufs- genauso wie im Privatleben, in Deutschland, Europa und auch weltweit. Das Wichtigste derzeit ist, die Ausbreitung des Virus einzudämmen und die Zahl der Neuansteckungen deutlich zu senken. Damit können wir auch dafür sorgen, dass unser Gesundheitssystem nicht überfordert wird und die intensivmedizinischen Kapazitäten ausreichen.

Dazu waren und sind tiefgreifende Maßnahmen unumgänglich. Würden wir warten, bis die Intensivstationen voll belegt sind, dann wäre es definitiv zu spät. Deshalb werden wir auch auf absehbare Zeit noch mit Einschränkungen leben müssen, wie wir sie gestern auch wieder im Kreis der Regierungschefinnen und -chefs des Bundes und der Länder für die nächste Zeit beschlossen haben. Das ist ja auch der Grund dafür, dass ich heute etwas später gekommen bin, weil ich noch im Deutschen Bundestag war.

Ich will ausdrücklich hervorheben, dass es ermutigend ist, dass es in den letzten Wochen gelungen ist, die zuvor dramatisch exponentielle Infektionsdynamik zu stoppen, und dass wir zu einer Seitwärtsbewegung gekommen sind. Aber das reicht eben nicht aus. Wir können von einer Trendumkehr leider noch nicht sprechen. Die müssen wir aber erreichen, wenn wir wieder eine Rückverfolgbarkeit der Infektionsketten erreichen wollen. Und das ist im Übrigen auch im wirtschaftlichen Interesse. Es gibt Studien, die sehr schön belegen, dass Kontrolle über das Infektionsgeschehen auch der beste Pfad der Wirtschaft durch eine solche Krise ist.

Es geht eben nicht nur um Gesundheit oder Wirtschaft, Gesundheit oder Soziales, Gesundheit oder Bildung. Das ist manchmal in der öffentlichen Diskussion ein Missverständnis. Es geht jeweils um beides. Denn was dem Ziel dient, eine Überlastung unseres Gesundheitssystems zu vermeiden, das dient am Ende auch der Wirtschaft, der Kultur oder der Bildung in unserer Gesellschaft.

Für uns ist das Offenhalten von Schulen und Kitas ‑ so irgend möglich ‑ auch weiter ein Schwerpunkt. Ich denke, das ist auch für die Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft von besonderer Bedeutung. Aber deshalb müssen wir an anderer Stelle Einschnitte machen; denn es geht immer um die Summe der Kontakte. Deshalb bin ich allen sehr dankbar, die ‑ wo immer möglich ‑ bereit sind, ihren Arbeitsplatz nach Hause zu verlegen. Ich danke den Arbeitgebern, die sich hierbei flexibel zeigen und auch die nötige Infrastruktur zur Verfügung stellen.

Ich weiß natürlich auch, dass unsere Wirtschaft gleichwohl schwer unter den Folgen der Pandemie leidet; Herr Dulger hat das eben auch gesagt. Das gilt auch für viele Unternehmen, die eigentlich gesund sind und jetzt in diesem Krisenjahr völlig unverschuldet schwer geprüft werden. Das heißt, solche Unternehmen brauchen Unterstützung. Wir bieten diese Unterstützung an: mit umfassenden und bei Bedarf angepassten Hilfsmaßnahmen. Im Zusammenhang mit solchen Hilfsprogrammen spürt man, wie kompliziert und vielfältig die Welt ist und wie wenig es sozusagen ausreicht, nur eine Lösung zu haben.

Mit den Novemberhilfen unterstützen wir Unternehmen, Freiberufler und Selbständige über die schwierigen Wintermonate hinweg. Wir leisten Zuschüsse von bis zu 75 Prozent des durchschnittlichen Wochenumsatzes im November des Vorjahres 2019. Für Soloselbständige und neu gegründete Unternehmen gelten flexible Sonderregelungen. Außerdem arbeiten wir mit den Ländern an einer Verlängerung der Überbrückungshilfen.

So wichtig die akute Krisenbewältigung ist, so wichtig ist natürlich auch ein Blick darüber hinaus auf die nächsten Jahre. Sie, Herr Dulger, haben das ja auch schon angeschnitten. Denn es ist natürlich vollkommen klar, dass wir unsere Wirtschaft und unser Gemeinwesen nicht dauerhaft allein über günstige Kredite und Zuschüsse am Laufen halten können.

Wenn wir unseren Wohlstand und unser Sozialsystem auf hohem Niveau halten wollen, dann brauchen wir wettbewerbsfähige Unternehmen. Das berührt auch die Frage, ob es ein Recht auf Homeoffice braucht, oder das Vorhaben, ein Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen. Ich sage ganz ausdrücklich: hierzu müssen weitere Gespräche geführt werden, damit es gelingt, Lösungen zu finden, die der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht schaden.

Außerdem müssen wir immer auch die Kostenseite der Unternehmen beachten. So ist natürlich ‑ Sie haben es auch angesprochen ‑ die Stabilisierung der Sozialabgaben seit jeher ein wichtiges Anliegen der BDA. Ich würde sagen: das ist es auch zu Recht. Es ist auch ein Anliegen, das ich stets geteilt und unterstützt habe.

Deshalb freue ich mich, dass es seit Ihrem Amtsantritt vor sieben Jahren, Herr Kramer, durchgängig gelungen ist, die Beitragssätze zur Sozialversicherung unter 40 Prozent zu halten. Das war nicht immer so. Das ist ein wichtiger Erfolg, der angesichts der demografischen Entwicklung unseres Landes alles andere als selbstverständlich war und ist und natürlich nur durch eine sehr hohe Zahl an Menschen, die in Arbeit waren, möglich war. Es ist notwendig, die soziale Sicherung weiter auf die Veränderungen unserer Altersstruktur einzustellen und dabei immer auch die gesellschaftliche Bedeutung dieses Themas zu beachten.

Das gilt natürlich ganz besonders mit Blick auf die Rentenversicherung. Zum einen dürfen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Beitragszahler nicht überlastet werden. Zum anderen müssen die Rentnerinnen und Rentner für ihre Lebensleistung auch mit einer angemessenen Alterssicherung rechnen können. Darüber, wie das im Zuge des demografischen Wandels gelingen kann, werden noch intensive Diskussionen geführt werden. Die Ergebnisse, die dabei bisher erzielt worden sind oder noch erzielt werden, berühren zweifellos auch die Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Man darf das nicht falsch einschätzen: Die Sensibilität ‑ wie geht es mir im Alter, wenn ich vielleicht auf Unterstützung und Hilfe angewiesen bin ‑ ist da sehr, sehr hoch.

Zu den Säulen der Sozialen Marktwirtschaft zählt natürlich auch die Tarifautonomie. Es hat sich über Jahrzehnte hinweg bewährt, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber über die Gestaltung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen verhandeln. Es hat sich bewährt, weil die Tarifpartner die Befindlichkeiten der Branchen viel besser als die Politik kennen. Damit können sie eben auch viel besser einschätzen, wie die Balance zwischen angemessener Entlohnung und dem Erfordernis, Beschäftigung nicht zu gefährden, gewahrt wird.

Dieser Aufgabe haben Sie, Herr Kramer, sich mit ganzer Leidenschaft gewidmet. Sie haben dabei neben spezifischen Arbeitgeberinteressen immer wieder auch die Entwicklung unseres Landes insgesamt in den Blick genommen. Es ist genau diese Haltung, die ich zum Anlass nehmen möchte, Ihnen noch einmal von Herzen für die offene, natürlich auch kritische, aber immer auch konstruktive Zusammenarbeit zu danken. An der Spitze der Arbeitgeberverbände waren gewiss auch Ihre Erfahrungen als Familienunternehmer und Nordmetall-Präsident wichtig und hilfreich. Und Ihnen als Nachfolger, lieber Herr Dulger, werden ganz sicher auch Ihre Erfahrungen als Familienunternehmer und Gesamtmetall-Präsident für Ihr neues Amt zugutekommen. Das klingt nach Kontinuität; und das ist gerade jetzt, in dieser schwierigen Zeit, gewiss kein schlechtes Vorzeichen. Deshalb wünsche ich Ihnen für Ihre neuen Aufgaben als Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Erfolg und alles erdenklich Gute. Auf unsere Zusammenarbeit freue ich mich.

Damit bedanke ich mich auch für die Möglichkeit, hier das Wort zu ergreifen.