Rede von Bundeskanzler Scholz beim Civil 7 Summit 2022 am 5. Mai 2022

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Sehr geehrter Herr Mogge,
sehr geehrte Frau Strasser,
sehr geehrte Frau Reyes,
sehr geehrter Herr Alemayehu,
sehr geehrte Damen und Herren,

das ist heute der Auftakt und eine Premiere.
Denn es ist das erste von sieben Treffen mit den unterschiedlichen Engagementgruppen, mit denen wir den Gipfel der G7-Staats- und Regierungschefs in Elmau Ende Juni vorbereiten.

Eines möchte ich noch vorweg stellen: Die deutsche G7-Präsidentschaft bleibt den globalen Herausforderungen verpflichtet, die der krieg in der Ukraine noch verschärft hat.

„Fortschritt für eine gerechte Welt“ – das ist unser Anspruch. Erreichen werden wir dieses Ziel nur gemeinsam.

Darum sind auch zum G7-Gipfel in Elmau neben Vertreterinnen und Vertretern von internationalen Organisationen, eine Reihe von weiteren Staats- und Regierungschefs eingeladen.

Und darum haben wir uns auch ganz bewusst für diesen „Outreach“ zu Ihnen, unseren Partnern der Zivilgesellschaft, als eine zentrale Säule unserer Präsidentschaft entschieden.

Wir wollen deutlich machen: Die G7 sind weit mehr als ein Zusammenschluss westlicher Industrienationen. Sie ist eine starke globale Allianz, die von freiheitlich demokratischen Werten und Zielen getragen wird.

Mit Blick auf die großen globalen Herausforderungen tun wir alles dafür, dass diese Allianz keine Risse bekommt.

Deshalb bin ich froh, dass der erste G7-Outreach-Gipfel mit Ihnen, den Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaften, stattfindet.

Denn – und das ist mein erster Punkt: Demokratie braucht eine lebendige Zivilgesellschaft. Es braucht Sie! Gerade in diesen Zeiten.

Seit mehr als zwei Monaten tobt in der Ukraine ein furchtbarer Krieg. Kein Tag vergeht, an dem uns nicht neue, schreckliche Bilder und Meldungen aus Mariupol, Butscha und anderen Orten in der Ukraine erreichen.

Das ist unerträglich. Und deshalb stehen die G7 heute so geschlossen wie selten zuvor.

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat zu einer beispiellos engen Abstimmung geführt. Weil wir spüren, was uns über Grenzen hinweg verbindet – Freiheit, Recht und Demokratie.

Diese Werte müssen verteidigt und durchgesetzt werden gegen Unterdrückung, Unrecht und Diktatur.

Das gilt für Regierungen.
Das gilt für die Bürgerinnen und Bürger unserer Länder.
Und es gilt für die Organisationen der Zivilgesellschaft, die Sie vertreten.

Ihre Expertise, Ihr Rat und Ihre Erfahrung sind heute mehr gefragt denn je. Gerade auch weil wir beobachten, wie weltweit Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliches Engagement eingeschränkt werden – nicht nur in Russland, sondern auch andernorts in der Welt.

Von „shrinking spaces“ ist die Rede – besonders in autoritär-regierten Staaten.

Dagegen wollen wir auch in der deutschen G7-Präsidentschaft ein deutlich sichtbares Zeichen setzen.

Deshalb stärken wir Schutzprogramme für Menschenrechtsverteidiger, Wissenschaftlerinnen, Journalisten und Künstlerinnen.

Und deshalb stärken wir auch Rechenschafts-Mechanismen und die internationale Strafgerichtsbarkeit – nicht zuletzt in der Ukraine.

Zweitens: Zivilgesellschaftliches Engagement kann Grenzen überwinden – zwischen Einzelnen, zwischen gesellschaftlichen Gruppen und über Landesgrenzen hinweg.

Allein bei uns in Deutschland engagieren sich rund 30 Millionen Bürgerinnen und Bürger auf vielfältige Art und Weise, vielen von ihnen ehrenamtlich.

Es sind Männer, Frauen, Jung und Alt – Bürgerinnen und Bürger mit ganz unterschiedlichem Hintergrund.
Sie bringen sich ein. Packen an, wo es nötig ist.

Dieses Engagement verbindet. Es verbindet Menschen und Organisationen über grenzen hinweg.

Wir sehen das aktuell an der Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine.

Ich habe mir das selbst in Berlin-Tegel angeschaut: Viele Bürgerinnen und Bürger helfen in Initiativen und Ankunftszentren.

Ich bin unglaublich beeindruckt von der Solidarität und Professionalität der hunderttausenden haupt- und ehrenamtlichen Unterstützerinnen und Unterstützer, die in diesen Wochen über sich hinauswachsen.

Aber vor allem auch von den Organisationen, die dieses Engagement bündeln, koordinieren und in vernünftige Bahnen lenken.

Es sind oft international vernetzte Organisationen wie Ihre, mit Expertinnen und Experten und langjähriger Erfahrung vor Ort:
Sie ermöglichen grenzüberschreitende Hilfe und Unterstützung in den Krisengebieten – besonders humanitäre Hilfe und medizinische Versorgung, teils unter extrem widrigen Umständen.
Sie dokumentieren Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen. Und oft sind sie auch diejenigen, die zuverlässig über die Zustände vor Ort informieren können.

Beispielsweise zeigen die Bilder aus Butscha oder Mariupol, wie wichtig die Arbeit von Fotografen und Reportern für die Berichterstattung ist – gerade, wenn Informationen ungefiltert und ohne Einordnung über die sozialen Medien verbreitet werden.

Dieser Einsatz im Namen der Pressefreiheit und in der Abwehr von Desinformation erfordert Mut und große interkulturelle Kompetenz. Das ist auch dringend nötig!

Für die G7 heißt das auch, dass wir uns in Bezug auf Desinformationskampagnen noch intensiver austauschen und unsere Reaktionen koordinieren.

Mein dritter Punkt ist: Die großen globalen Herausforderungen müssen zivilgesellschaftlich begleitet werden.

Dazu gehören die anhaltende COVID 19-Pandemie, der menschengemachte Klimawandel, Ernährungs- und Energiesicherheit sowie die wirtschaftliche Transformation.

Sie erfordern kreative Antworten und neue Impulse.

Ich bin überzeugt: Wer Wandel voranbringen will, der sollte mit denen zusammenarbeiten, die für Wandel stehen.

Oft sind das genau die Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaften. Ihnen und ihren Organisationen kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu.

Einerseits Sie sind Kommunikatoren in die Zivilgesellschaften hinein, die für Akzeptanz und Engagement sorgen.

Andererseits sind Sie wichtige Seismographen, die Alarm schlagen – etwa angesichts der bedrohlichen Nahrungsmittelknappheit in den Entwicklungs- und Schwellenländern.

Und Sie bündeln Interessen und können diese wirkungsstark vertreten. Dabei geht es um mehr als um Mitsprache und Beteiligung. Es geht um eine aktive Rolle der Politikgestaltung.

Ich möchte dazu zwei Beispiele nennen:
Erstens die internationalen Klimapolitik: hier streben wir einen Paradigmenwechsel an.

Die Aufgabe, die vor uns liegt, ist gewaltig, wenn wir die Erderwärmung auf 1,5-Grad begrenzen wollen – und das müssen wir. Da führt kein Weg dran vorbei.

Konkret bedeutet das: Bis 2030 müssen wir die globalen CO2-Emissionen um 48 Prozent gegenüber 2010 reduzieren. Dafür haben wir noch weniger als acht Jahre Zeit.

Und bis zur Jahrhundertmitte müssen wir global „Netto Null“ erreichen, das heißt Treibhausgas-Neutralität.

Mit einer internationalen Klimapolitik des kleinsten gemeinsamen Nenners gelingt das sicher nicht. Statt auf die Langsamsten zu warten, werden wir deshalb zusammen mit den Ambitioniertesten vorangehen. Das ist die Idee eines offenen, kooperativen Klima-Clubs, den wir auf dem G7-Gipfel im Juni in Elmau voranbringen wollen.

Gemeinsam mit anderen engagierten Ländern wollen wir die Geschwindigkeit der Dekarbonisierung unserer Industrie vorantreiben und Mindeststandards für den Klimaschutz identifizieren.

So entsteht ein internationaler Markt mit vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen, der Staaten für klimafreundliches Wirtschaften belohnt und vor Wettbewerbsnachteilen schützt.

All diese Veränderungen werden Auswirkungen auf jede und jeden Einzelnen haben. Dafür braucht es die Unterstützung und den Rat und von Ihnen, unseren Partnern in der Zivilgesellschaft.

Das betrifft auch das Thema globale Gesundheit:

Die COVID-19 Pandemie hat uns deutlich vor Augen geführt: Entweder wir bekämpfen das Virus überall – oder nirgends.

Wir wollen deshalb in unserer G7-Präsidentschaft die globale Impfstoffgerechtigkeit voran.

Dazu hat die Weltgemeinschaft den ACT-Accelerator ins Leben gerufen – eine Initiative, die Impfstoffe, Medikamente und Tests weltweit verfügbar macht.

Deutschland hat dafür und für flankierende Maßnahmen 1,5 Milliarden US-Dollar als seinen Beitrag in diesem Jahr zugesagt.

Mit Blick auf künftige Krisen brauchen wir zusätzlich eine starke internationale Gesundheitsinfrastruktur.

Deshalb stärken wir die WHO als zentrale Internationale Gesundheitsorganisation.

Erst letzte Woche hat sich die Arbeitsgruppe für die nachhaltige Finanzierung der WHO auf das klare Ziel geeinigt, die Pflichtbeiträge auf 50 Prozent des Grundbudgets zu erhöhen.
Das klingt technisch, bedeutet aber, dass wir die WHO so aufstellen, dass sie ihren Job gut machen kann.

Und wir werden die globale Impfstoffproduktion voranbringen.

Dazu haben wir zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus vier afrikanischen Ländern, der Europäischen und der Afrikanischen Union sowie BioNTech ein erstes Projekt auf den Weg gebracht, mit dem wir die Produktion von mRNA-Impfstoffen in Afrika anschieben.

Denn nur nachhaltiger Fortschritt kann auch echter Fortschritt hin zu einer gerechteren Welt sein. Und ich weiß, dass ist auch Ihr Anliegen.

Ich danke Ihnen allen, für Ihr Engagement in diesem „Outreach“-Prozess.

Vor allem danke ich VENRO und dem Forum für Umwelt und Entwicklung dafür, dass Sie diesen C7-Prozess koordiniert und Themen der internationalen Zivilgesellschaft aufgenommen haben.

Wichtig war, dass Sie auch zivilgesellschaftliche Perspektiven aus Nicht-G7-Ländern mit eingebunden haben, die von globalen Krisen wie der Pandemie oder dem Klimawandel besonders betroffen sind.

In diesem Geist gehen wir an die Vorbereitung des Gipfels in Elmau knapp zwei Monaten.

Unser Ziel ist, dass von diesem Treffen ein starkes Zeichen der G7 ausgeht – für Fortschritt, für Wohlstand, für Frieden und Sicherheit.

Jetzt bin ich gespannt, auf Ihre Empfehlungen und Hinweise. Ich versichere Ihnen, dass wir diese in unsere Arbeit einbinden werden, die für mich eine gemeinsame Aufgabe ist.

Schönen Dank!