Rede von Bundeskanlzer Scholz bei der Eröffnung der ILA 2022 am 22. Juni 2022

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Sehr geehrter Herr Schöllhorn,
sehr geehrte Frau Regierende Bürgermeisterin Giffey, liebe Franziska,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Woidke, lieber Dietmar,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

fast unbemerkt hebt das Flugzeug ab. Der hybride Elektromotor, der die Turbine betreibt, summt so leise, dass man den Flugwind zu hören glaubt. Doch der Flieger ist so aerodynamisch geformt, dass er kaum ein Geräusch produziert. Unter uns liegt der Flughafen. Die vollelektrischen Transport- und Ladefahrzeuge summen umher. Auf dem Dach befinden sich Solarzellen, die dank modernster Satellitentechnologie hocheffizient arbeiten. Diese Satelliten wurden übrigens mit neuartigen Raketen ins All gebracht, angetrieben von grünen Kraftstoffen. Jetzt entspannt zurücklehnen und ganz so wie früher ein Buch lesen! Neu ist nur, dass dieses Buch heute Morgen per Lieferdrohne nach Hause gebracht wurde, natürlich emissionsfrei.

So oder ähnlich könnte die Luft- und Raumfahrt der Zukunft aussehen, klimaneutral, geräuscharm und vor allem hochinnovativ. Wenn man sich hier auf der ILA umschaut, dann merkt man, dass das, was ich gerade beschrieben habe, keine Science-Fiction, keine ferne Zukunftsmusik ist. An den Technologien dafür wird längst erfolgreich geforscht und gearbeitet. „Pioneering aerospace“ ‑ das Motto der diesjährigen ILA erinnert daher nicht nur an die Ursprünge dieser ältesten Luftfahrtschau und an den historischen Pioniergeist der Luftfahrt. „Pioneering aerospace“ drückt vor allem den Anspruch einer Branche aus, die wie kaum eine andere für Innovation und Fortschritt steht, zu Zeiten von Fesselballon und Zeppelin genauso wie heute.

Das macht Mut, dass uns die große Transformation gelingt, die jetzt vor uns liegt. Im Kern geht es um die Frage, wie wir unser Wirtschaftsmodell, das fast 200 Jahre lang auf dem Verbrennen von Kohle, Öl und Erdgas beruhte, so umbauen, dass wir die Zukunft unseres Planeten sichern. Die Zeit dafür ist denkbar kurz. Bis 2045 will Deutschland CO2-neutral sein und zugleich ein führendes Industrieland bleiben. Da ist es gut, dass Ihre Branche selbst alles daransetzt, Europas Luftfahrtsektor bis 2050 CO2-neutral zu machen.

Praktisch heißt das zweierlei. Zum einen muss die Herstellung von Spitzentechnologie für Flugzeuge, Helikopter, oder Drohnen künftig klimaneutral erfolgen. Und zum anderen braucht es neue, rentable Technologien und Ideen für die CO2-freie Mobilität der Zukunft. Einige davon werde ich auf meinem Rundgang gleich im Anschluss sicherlich zu sehen bekommen.

Bodenmanagement, Flugrouten, Werkstoffe, Antriebstechnologien, all das muss neu gestaltet werden. Welche Veränderungen das für Wertschöpfungsketten und auch für die Beschäftigten in der Luft- und Raumfahrt mit sich bringt, kann man sich ausmalen. Ein solch fundamentaler Umbau gelingt nur im Schulterschluss zwischen allen Verantwortlichen, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Diesen Schulterschluss herzustellen, das ist die Idee hinter der „Allianz für Transformation“, die letzte Woche erstmals im Bundeskanzleramt getagt hat. Sie soll die Modernisierung unseres Landes in den nächsten Jahren begleiten und vorantreiben und alle Beteiligten auf diesem Weg mitnehmen.

Meine Damen und Herren, der furchtbare Krieg in der Ukraine erhöht noch einmal den Handlungsdruck. Von einer „Zeitenwende“ habe ich nach Kriegsausbruch im Bundestag gesprochen. Denn die russische Aggression stellt alle Grundsätze der europäischen Friedensordnung der letzten Jahrzehnte infrage.

Als unmittelbare Antwort darauf habe ich Ende Februar ein „Sondervermögen für die Bundeswehr“ in Höhe von 100 Milliarden Euro angekündigt. Keine vier Monate später hat der Bundestag nun die dafür nötige Änderung des Grundgesetzes beschlossen. Die Bundeswehr wird damit absehbar zur größten konventionellen Armee unter den europäischen NATO-Verbündeten. Es geht um die Sicherheit unseres Landes, die Sicherheit unserer Bündnispartner und um eine leistungsfähige und fortschrittliche Bundeswehr.

Dafür brauchen wir auch den Beitrag der Industrie hier in Deutschland und Europa und gerade in der Luft- und Raumfahrt. Sie muss uns dabei zuverlässig, leistungsstark und innovativ unterstützen. Deshalb habe ich schon Ende Februar im Bundestag gesagt, dass es bei dem Sondervermögen auch darum geht, dass wir technologisch auf der Höhe der Zeit bleiben. Das bedeutet zum Beispiel, die nächste Generation von Kampfflugzeugen gemeinsam mit Partnern wie Frankreich und Spanien zu entwickeln - hier in Europa. Wenn wir über europäische Souveränität reden, über eine starke europäische Säule in der NATO, dann gehört auch das dazu, meine Damen und Herren.

Russlands Krieg erhöht den Handlungsdruck aber noch auf ganz andere Weise. Ich denke an die steigenden Rohstoff- und Energiepreise. Der Umstieg auf erneuerbare Energien und alternative Antriebstechnologien ist längst nicht mehr nur klimapolitisch geboten, er ist auch ein wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Imperativ. Die Bundesregierung sorgt gerade mit Hochdruck für neue Lieferquellen und für die nötige Infrastruktur, also schwimmende LNG-Terminals, Hafenanlagen, Pipelines und Speicher. Vor allem aber räumen wir gesetzliche Hürden aus dem Weg, die den Ausbau erneuerbarer Energien und Zwischenlösungen wie LNG-Gas bisher ausgebremst haben. Denn wir wissen, dass der Zugang zu sauberer und bezahlbarer Energie für viele Branchen, nicht zuletzt für Ihre, eine zentrale und entscheidende Standort- und Zukunftsfrage ist.

Für noch etwas werden wir sorgen, und zwar für Planungssicherheit. Schließlich wird in Industrien wie der Luft- und Raumfahrt nicht nur aufs nächste Quartal geschaut, sondern für Jahrzehnte geplant und investiert. Erst gestern haben wir einen neuen „Aktionsplan zum klimaneutralen Fliegen“ vorgestellt. Darin wird der Weg beschrieben, den wir in Deutschland gemeinsam mit der Industrie und mit der Luftfahrt gehen wollen, um Vorreiter beim CO2-neutralen Fliegen zu werden. Auch auf europäischer Ebene arbeiten wir an verlässlichen Rahmenbedingungen für die Transformation, nicht zuletzt im Rahmen des Klimaschutzpakets der Kommission „Fit for 55“. Es ist ein wichtiges Signal, dass die Europäische Kommission die Partnerschaft der ILA 2022 übernommen hat. Denn es zeigt, dass wir Hand in Hand arbeiten. Dafür herzlichen Dank!

Mit den europäischen Partnern reden wir auch über die Weiterentwicklung des Emissionshandels, über Beimischquoten für nachhaltige Flugkraftstoffe oder eine Kerosinbesteuerung. Zugleich behalten wir bei allem, was wir tun, die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Luftverkehrswirtschaft im Blick. Denn niemandem ist damit gedient, wenn Industrien oder Zulieferer dorthin abwandern, wo die Regeln laxer sind. Klimaneutral und wettbewerbsfähig, das ist unser Ziel. Darin liegt immer weniger ein Gegensatz. Auch das machen die steigenden Energiepreise gerade sehr deutlich.

Letztlich heißt der Schlüssel: Innovation. Wir müssen zum Beispiel mehr „sustainable aviation fuels“ zu geringen Preisen auf den Markt bekommen. Über sie ist schon gesprochen worden. Mit unserer „Power-to-Liquid-Roadmap“ haben wir gemeinsam mit der Industrie aufgezeigt, dass der rasche Hochlauf alternativer Kraftstoffe hier in Deutschland gelingen kann. Dafür fördern Bund und Länder Forschung und Entwicklung. Gar nicht weit von hier, in Cottbus, entsteht gerade eine Anlage zur Erzeugung von klimaneutralem Kerosin, übrigens gefördert im Rahmen des Kohleausstiegs. Das zeigt doch: Was gut fürs Klima ist, kann zugleich ein Gewinn für den Industriestandort Deutschland und vor allem auch für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land sein.

Perspektivisch geht es auch darum, wasserstoffbasierte und elektrische Antriebstechnologien zur industriellen Reife zu treiben. Schon heute zeigt die ILA hierzu einige hochinteressante Entwicklungen und Prototypen. Auch das werden wir als Bundesregierung flankieren, zum Beispiel im Rahmen unserer Nationalen Wasserstoffstrategie und mit neuen Wasserstoffpartnerschaften weltweit.

Was im engen Zusammenspiel zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft möglich ist, das haben wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren erlebt. Es waren schwere Jahre, ganz besonders für die Luftfahrtbranche. Auch Flughäfen wie dieser hier können ein Lied davon singen. Der Einbruch der Passagierzahlen infolge der Pandemie, stornierte Bestellungen von Flugzeugen, gestrichene Flugverbindungen - all das hat tiefe, tiefe Spuren hinterlassen. Es war richtig, dass die Bundesregierung den Airlines und der Branche in dieser Zeit massiv unter die Arme beziehungsweise unter die Flügel gegriffen hat. Denn inzwischen ist die Branche wieder im Steigflug. Viele Staatshilfen wurden bereits zurückgezahlt. Die Passagiere kehren zurück. Auch das Cargogeschäft boomt. Nicht zuletzt konnten viele tausende gute Arbeitsplätze erhalten werden. Das ist es, was zählt!

Es gibt also durchaus Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken, meine Damen und Herren. Wie das Fliegen in Zukunft aussehen könnte, habe ich Ihnen eingangs schon geschildert. Wer wissen will, wie die Zukunft des Fliegens ganz konkret aussehen wird, der ist hier auf der ILA goldrichtig. Herzlichen Dank der Messegesellschaft, dem Hauptstadtflughafen und den Ländern Berlin und Brandenburg, die diese einzigartige Symbiose namens ILA möglich machen - heute und in Zukunft! Vielen Dank auch den vielen Gästen und Flugbegeisterten, von denen diese Messe lebt! Ein ganz besonderer Dank den Ausstellern und Unternehmen, die hier in den kommenden Tagen ihre Innovationen präsentieren! Sie sind die wahren „pioneers of aerospace“. Sie machen uns Lust auf die Zukunft des Fliegens, klimaneutral, geräuscharm und hochinnovativ.

Ihnen allen ein herzliches Willkommen! Nach vier Jahren ohne ILA tut es gut zu sagen: Die ILA 2022 ist eröffnet.