Im Wortlaut
- Mitschrift Pressekonferenz
- Sonntag, 13. November 2022
Frage: Herr Bundeskanzler, Sie hatten sich von der vietnamesischen Seite auch gewünscht, dass es eine deutliche Verurteilung des Ukrainekrieges gibt, weil man sagt: Na ja, eigentlich weiß man nicht so richtig, wo Vietnam da eigentlich steht. - In der Pressekonferenz ist von vietnamesischer Seite das Wort nicht in den Mund genommen worden. Können Sie uns sagen, wie diesbezüglich das Gespräch hinter den Kulissen gelaufen ist?
BK Scholz: Vietnam ist ein Land, das über viele, viele Jahrzehnte, ja fast Jahrhunderte – und wenn man die ganz lange Geschichte betrachtet, sogar über viele tausend Jahre – um die eigene Unabhängigkeit gekämpft hat. Das gehört zum Nationalcharakter hier dazu. Deshalb ist es ganz klar, dass ganz viele hier verstehen, dass der Angriff auf das Territorium der Ukraine ein Angriff auf die territoriale Integrität und Souveränität ist. Viele fühlen sich sehr an die eigene Geschichte erinnert. Insofern war es wichtig, darüber zu diskutieren. Wir sind uns auch einig, dass der Einsatz von Atomwaffen keine Perspektive für diesen Krieg ist, dass das furchtbar für die ganze Welt und nicht nur für die unmittelbar Betroffenen wäre und deshalb unbedingt verhindert werden muss.
Frage: Herr Bundeskanzler, Sie reisen morgen Abend zum G20-Gipfel auf Bali. Der russische Präsident hat seine Teilnahme abgesagt. Wie finden Sie das?
BK Scholz: Es wäre gut gewesen, wenn Präsident Putin sich zum G20-Gipfel begeben hätte. Dann hätte er sich allerdings all den Fragen und all der Kritik aussetzen müssen, die von vielen Ländern der Welt formuliert worden ist. Vermutlich ist er deshalb nicht da.
Frage: Herr Bundeskanzler, gleich da anschließend: Für wie groß sehen Sie die Gefahr, dass von diesem G20-Gipfel ein Signal des Scheiterns ausgeht, dass man sich eben nicht auf Gemeinsamkeiten verständigen kann, sondern dass eher gerade in der Frage des Ukrainekriegs die Teilung der Welt demonstriert wird?
BK Scholz: Wir sind im intensiven Gespräch mit allen Beteiligten. Wir haben sehr früh dafür gesorgt, dass es einen intensiven Dialog mit den Ländern des globalen Südens in Asien, in Afrika und im Süden Amerikas gibt. Deshalb arbeiten wir sehr unverdrossen daran, eine Meinungsbildung zustandezubringen, die klarstellt, dass die internationalen Regeln (eingehalten werden müssen), dass das Recht vor der Macht gehen muss. Das ist, glaube ich, das, worum es hier auch geht. Wir werden bis zum letzten Moment versuchen, das hinzubekommen. Ich bin sogar vorsichtig zuversichtlich.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe anderthalb Fragen zu Vietnam.
Was sind eigentlich die konkreten Projekte, also Wirtschaftsprojekte, die Sie heute mit der Regierung besprochen haben?
Wo steht Deutschland eigentlich unter den ausländischen Partnern in Vietnam? Wir haben eine Verbindung über viele Vietnamesen. In der ehemaligen DDR waren sehr viele und sprechen Deutsch. Ist das eigentlich etwas, was uns hier spürbar zugutekommt?
BK Scholz: Wir alle wissen, dass es notwendig ist, dass wir unsere Handels- und Lieferketten diversifizieren, dass wir nicht nur von einem Land abhängig sind. Bei dieser neuen Betrachtung der Welt, wo wir viele Länder anschauen, spielt Asien mit den vielen aufstrebenden Nationen, die dort wachsen und in der zukünftigen Welt eine bedeutende Rolle spielen werden, eine zentrale Rolle. Zu diesen Ländern gehört neben Indonesien, Malaysia, Thailand, Indien eben auch Vietnam, eine aufstrebende, sehr dynamische Nation mit großem Engagement, was die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten betrifft.
Für uns ist das ein guter Punkt, weil wir jetzt erreichen können, dass hinsichtlich der Fragen, die für uns für die Bekämpfung des Klimawandels, die Energiewende, die Nutzung erneuerbarer Energien, aber auch in Bezug auf Ressourcen wichtig sind, Vietnam ein Partner ist und weil es hier viele Produktions- und Investitionsmöglichkeiten gibt. Wir haben über ganz konkrete Projekte - konkrete große und konkrete kleine – gesprochen. Wichtig ist uns ganz besonders, dass es jetzt schnell Fortschritte in Bezug auf die vietnamesisch-deutsche Universität gibt. Das Gleiche gilt für die Frage des U-Bahn-Projekts, das wir gerne voranbringen wollen. Alles Vorhaben, die ein Zeichen dafür sind, dass wir wirklich einen intensiven wirtschaftlichen Austausch haben.
Frage: Herr Bundeskanzler, daran gleich anknüpfend: Sie haben auch von Rohstoffen gesprochen. Können Sie ein bisschen konkretisieren, was Sie sich hier in Vietnam erhoffen und in welchem Zeithorizont da eventuell schon etwas passieren kann?
BK Scholz: Die seltenen Erden, die Rohstoffe, um die es für die künftige Entwicklung unserer Wirtschaft geht, sind gar nicht immer so selten. Sie sind durchaus weit in der Welt vorhanden. Vietnam hat viele dieser Ressourcen. Deshalb haben wir das Gespräch über die Möglichkeiten angefangen, sie zu nutzen, Investitionen von deutschen Unternehmen, aber auch zusammen mit vietnamesischen Partnern zu tätigen, um zu erreichen, dass wir viele Lieferbeziehungen haben, sodass wir es immer aushalten können, wenn es Stress mit einem Land gibt.
Frage: Herr Bundeskanzler, können Sie noch einmal ausführen, wie Sie den Appell, den Sie an die deutsche Wirtschaft richten, sich breiter aufzustellen, sich zu diversifizieren, vonseiten der Bundesregierung außerhalb dessen unterstützen können, was der Wirtschaftsminister gestern schon angekündigt hat?
BK Scholz: Zunächst einmal bleibt es eine große Aufgabe der Wirtschaft selbst, dass sie diversifiziert, dass sie neue Möglichkeiten nutzt. Wir können als die politisch Verantwortlichen dafür den Rahmen stellen und natürlich auch im Rahmen unserer Förderpolitik solche Investitionen unterstützen und sie politisch möglich machen. Natürlich hat es in der Vergangenheit oft eine Rolle gespielt, dass viele sich nicht getraut haben, Investitionen in aller Welt zu tätigen, wenn es etwa um den Bergbau geht, weil damit viele kritische Diskussionen verbunden waren. Ich hoffe, dass angesichts der neuen Weltlage alle verstehen: Es geht schon darum, dass wir möglich machen, dass an vielen Stellen die Rohstoffe genutzt werden können, die dann für die Entwicklung dieser Länder, aber eben auch für unsere Volkswirtschaften wichtig sind.
Frage: Herr Bundeskanzler, morgen wird ja eine Orchidee nach Ihnen benannt. Sind Sie so ein Blumentyp oder ist Ihnen das im Prinzip relativ egal?
BK Scholz: Ich finde das eine große Ehre, und ich glaube, wenn wir jetzt im Vorfeld der COP 15 stehen, was Biodiversität betrifft, dann ist es auch wichtig zu betrachten, dass eben neue Möglichkeiten gibt, unterschiedliche Pflanzen zu entwickeln. Ich bin nicht Politiker geworden, damit eine Pflanze nach mir benannt wird, um ehrlich zu sein, aber ich fühle mich trotzdem geehrt.
Frage: Herr Bundeskanzler, direkt anschließend: Sie werden sich ja auch im Mangrovenwald auf Bali pflanzend betätigen. Wie groß ist Ihre Sorge, dass der Gipfel auf Bali [gemeint: in Sharm El-Sheikh] kein konkretes Ergebnis liefert? Der läuft ja noch - Sie waren vor ein paar Tagen da.
BK Scholz: Zunächst einmal ist es sehr bezeichnend, dass ein großes Thema, das die Welt miteinander diskutiert, die Frage der globalen Senken für CO2 ist. Dazu gehören Wälder, aber eben nicht nur die Wälder, die wir in Mitteleuropa kennen und die wir als deutsche so schätzen; vielmehr gibt es viele, viele Formen von Wald, und Mangrovenwälder gehören dazu. Insofern bin ich sehr froh, dass ich jetzt schon zum wiederholten Mal an der Entwicklung eines großen Biotops beteiligt sein kann, in dem Mangroven eine wichtige Rolle spielen.
Was den G20-Gipfel insgesamt betrifft, muss man sich bis zur letzten Minute dafür einsetzen, dass es gute Beschlüsse gibt, und das tun wir. Das tun wir zusammen mit vielen anderen, mit denen wir befreundet und verbündet sind - weit über die klassischen Länder, die sich beim G7-Kreis der wirtschaftsstarken Demokratien versammeln, hinaus. Ich bin zuversichtlich, dass da etwas gelingen kann. Wir wollen jedenfalls unseren Beitrag dazu leisten, dass das möglich ist.
Frage: Herr Bundeskanzler, Ihr Kanzleramtschef, Herr Schmidt, hat ja schon vor einiger Zeit ein Papier vorgelegt, in dem er gefordert hat, man möge doch ein neues Freihandelsabkommen mit den USA angehen. Jetzt hat auch die Ampel am Freitag nachgelegt und ein Positionspapier auf der Ebene der Fraktionsvize vorgelegt. Können Sie einmal skizzieren, was Ihnen da vorschwebt? Eine Neuauflage von TTIP wird es ja nicht sein. Es gibt Gespräche in diesem „Trade Council“ - geht es dahin oder schwebt Ihnen wirklich eine Art echtes neues Abkommen vor?
BK Scholz: Die Globalisierung und auch die Konzepte, die damit verbunden sind, die einen leichteren regelbasierten freien Handel möglich gemacht haben und möglich machen sollen, sind Konzepte gewesen, die zu großem Wohlstand in der Welt beigetragen haben. Die Globalisierung hat vielen Ländern der Welt und Milliarden Bürgerinnen und Bürgern den Aufstieg in die Mittelschicht ermöglicht, das sollten wir nie vergessen. Deshalb sind wir auch strikte Gegner jeder Deglobalisierungskonzeption und setzen uns natürlich für die Möglichkeit ein, solche guten, fairen Handelsbeziehungen ohne Zollbarrieren weiter zu entwickeln. Das gilt natürlich zuallererst auch im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Das, was da möglich ist, wollen wir gerne erreichen.
Wir wissen, dass es immer wieder protektionistische Bestrebungen gibt, die überall diskutiert werden. Wir jedenfalls fänden es besser, wenn die Wirtschaften ihre Möglichkeiten, ihre Kompetenzen möglichst global entfalten können; denn das ist zum Nutzen aller.
Frage: Herr Bundeskanzler, der vietnamesische Premier hat davon gesprochen, dass in den vergangenen Tagen ein Militärabkommen getroffen wurde. Was steckt konkret dahinter? Inwiefern steht das in einem Zusammenhang mit den zunehmenden Spannungen im südchinesischen Meer?
BK Scholz: Zunächst einmal geht es nur um Kooperation, Informationsaustausch, Qualifizierungsmöglichkeiten, die wir miteinander voranbringen wollen, wenn wir über militärische Fragen diskutieren. Wir haben aber mit der vietnamesischen Regierung eine gemeinsame Sicht. Es sollte in den internationalen Beziehungen das Recht gelten, die internationalen Regelungen zum Beispiel des Übereinkommens über die Nutzung der See. Das ist uns gemeinsam wichtig, und deshalb spielt es auch eine Rolle, dass wir das nicht nur allgemein ausdrücken, sondern eben auch im Rahmen einer solchen Gesprächspartnerschaft und Zusammenarbeitspartnerschaft zum Ausdruck bringen.
Frage: Herr Bundeskanzler, 2017 wurde der vietnamesische Staatsbürger Thanh im Berliner Tiergarten steinwurfweit vom Kanzleramt entfernt vom vietnamesischen Geheimdienst entführt, außer Landes geschafft und hier verurteilt. Kollegen von uns, die das recherchiert haben, gilt der Generalsekretär der Kommunistischen Partei als der direkte Auftraggeber dieser Entführung. Sie haben mit diesem Mann heute gesprochen. Haben Sie das thematisiert, haben Sie mit ihm über diese Frage gesprochen?
BK Scholz: Wir haben Menschenrechtsfragen und auch alle Fälle - auch diesen - hier thematisiert und zum Ausdruck gebracht, dass wir uns hier große Fortschritte erwarten, insbesondere bei Einzelfällen.
Frage: Herr Bundeskanzler, wenn ich es richtig im Ohr habe, haben Sie am Anfang gesagt, dass es gut wäre, wenn Vladimir Putin zum G20-Gipfel kommen würde. Sollten die westlichen Partner, wenn das hier nicht gelingt, jenseits der sporadischen Telefonate jetzt aktiv Möglichkeiten suchen, Putin bei anderer Gelegenheit persönlich zu treffen, um ihm ins Gewissen zu reden?
BK Scholz: Eins ist ganz klar: Aus meiner Sicht wäre es eine gute Entscheidung gewesen, wenn der russische Präsident zu dem Gipfel in Bali gefahren wäre. Er hat sich anders entschieden und das auch bekanntgegeben. Ich glaube auch nicht, dass sich das jetzt noch in letzter Sekunde ändert - wenn doch, dann soll es mich freuen.
Aber ganz klar ist, dass das uns nicht davon abhalten wird, immer wieder daran zu appellieren, diesen Angriffskrieg zu beenden, seine Truppen zurückzuziehen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es faire Gespräche über einen Frieden geben kann. Das sind eben in keinem Fall Gespräche, in denen Russland einen Diktatfrieden beschreibt, sondern das ist etwas, was die Integrität und Souveränität der Ukraine zum Gegenstand haben muss.
Ich bin überzeugt, dass es, wenn es uns als Weltgemeinschaft gelingt, klar zum Ausdruck zu bringen, dass eine militärische Eskalation aus unserer Sicht inakzeptabel ist, dann auch Bewegung geben muss - auch von der russischen Regierung, vom russischen Präsidenten - in Richtung auf Vorschläge, die eine Friedensbildung ermöglichen. Aber da gehören ein Truppenrückzug und eine faire Betrachtung der Perspektiven der Ukraine, die ihre Integrität, ihre Souveränität und ihre Grenzen verteidigen will, dazu.