"Bewusst Dinge suchen, die mir gut tun"

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Interview zum Umgang mit Belastungen in der Pandemie "Bewusst Dinge suchen, die mir gut tun"

"Corona-freie Räume" schaffen und versuchen, in schwierigen Zeiten auch das Positive zu sehen - das kann helfen, optimistischer durch die Pandemie zu kommen, sagt Professor Klaus Lieb, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des LIR und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. Außerdem könne die Pandemie auch eine Chance für Kreativität sein.

3 Min. Lesedauer

Porträt eines Mannes.

Prof. Klaus Lieb, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz.

Foto: Tristan Vostry

Herr Professor Lieb, wir alle müssen derzeit mit Einschränkungen durch die anhaltende Corona-Pandemie leben. Wie kann man am besten auf Unsicherheiten und aufkommendem Frust reagieren?

Prof. Klaus Lieb: Wichtig ist in erster Linie die Akzeptanz. Man kann die Situation ja gerade nicht ändern. Außerdem sollten wir eine Gefühlsregulation anstreben. Ich kann beispielsweise versuchen, nicht in eine Spirale zu gelangen, indem ich negative Emotionen immer verstärke.

Es ist auch eine bewusste Entscheidung, das Positive sehen zu wollen und nicht nur das Negative zu kultivieren. Wenn 95 Prozent der Gespräche nur über Corona gehen und wie schrecklich alles sei, das beeinflusst dann auch das Empfinden. Ich kann auch bewusst Dinge suchen, die mir gut tun, die mir Freude machen.

Was kann dabei helfen, eine Resilienz zu entwickeln, psychisch belastbarer zu werden?

Prof. Lieb: Die Aufrechterhaltung und Reaktivierung sozialer Kontakte kann dazu führen, dass Menschen psychisch belastbarer sind. Ich kann die Zeit auch dazu nutzen, um mit Menschen zu telefonieren oder per Video zu chatten, mit denen ich lange nichts mehr zu tun hatte. Was man versuchen sollte, ist Routinen aufrecht zu erhalten. Wenn viel Freizeit da ist, dass man trotzdem regelmäßig aufsteht, sich körperlich aktiv betätigt, soziale Kontakte hält, sich etwas Gutes tut, Selbstfürsorge betreibt. Das kann beispielsweise ein angenehmes Bad sein, ein schöner Film oder gemeinsames Kochen - je nachdem, was einem selbst am besten hilft.

Auch ist es wichtig, sich Corona-freie Räume zu schaffen, sodass man sich eben nur morgens und abends informiert und sich nicht den ganzen Tag über damit beschäftigt. Denn das heizt möglicherweise negative Emotionen an.

Das Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) hat sich die Erforschung der Resilienz zum Ziel gesetzt, also der Fähigkeit zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung psychischer Gesundheit während oder nach stressvollen Lebensereignissen. Dazu gehören auch Studien zur psychischen Belastung während der Corona-Pandemie. Die Antworten von Professor Klaus Lieb leiten sich aus wissenschaftlichen Studien-Erkenntnissen ab.

Seit der Corona-Pandemie müssen wir Alltagspläne anpassen und langfristige Pläne verschieben oder aufgeben. Wie wirkt sich das auf die Menschen aus?

Prof. Lieb: Ziele und Perspektiven zu haben, sind für uns Menschen wichtig. Das ist natürlich jetzt in der Pandemie nicht mehr möglich. Man muss in kürzeren Etappen planen. Das ist für viele Menschen eine Herausforderung und kann auch zu einer erhöhten psychischen Belastung führen. Allerdings machen wir in unserem Leben immer die Erfahrung, dass Pläne auch durchkreuzt werden. Das ist nichts Ungewöhnliches. Deshalb denke ich, dass in der jetzigen Krise auch jeder auf solche Erfahrungen zurückgreifen kann.

Warum planen wir so gerne?

Prof. Lieb: Planung gibt uns Sicherheit und Kontrolle. Es gibt uns das Gefühl, dass wir selbstwirksam sind. Es macht einen stark und gibt einem Kraft. Wenn man einen Plan hat, kann man diesen verfolgen und ihn dann anschließend abhaken und hat damit etwas erreicht. Das hat auch etwas Strategisches, denn mit einem Plan hat man ein konkretes Ziel vor Augen.

Wie können wir trotz Corona planen?

Prof. Lieb: Es kann stabilisierend wirken, wenn man in kleineren Schritten plant, sich zum Beispiel sagt, jetzt plane ich erst einmal für die nächste Woche, dann für die Zeit danach. Durch die kleineren Etappen können wir wieder mehr das Gefühl der Selbstwirksamkeit und der Kontrolle bekommen. Man sollte außerdem Pläne abhaken, die unrealistisch sind - zum Beispiel der Wunsch, mit der Großfamilie große Feste zu feiern. Stattdessen hilft es, konkret nach Alternativen zu suchen.

Wie können wir mit der neuen Situation umgehen?

Prof. Lieb: Es kann auch eine Chance sein: Denn wenn ich mal weniger planen kann, kann ich damit erkennen, es gibt auch noch andere wichtige Aspekte. Aus Ungeplantem kann auch etwas Kreatives entstehen. Die Menschen, die in der Krise auch Möglichkeiten sehen und etwas Positives darin sehen können, kommen auch besser damit zurecht.

Damit aus dauerhaftem Stress und dauerhafter Überlastung keine psychischen Erkrankungen werden, haben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie zentrale Akteure und Akteurinnen aus dem Bereich der Prävention eine gemeinsame Initiative - die Offensive Psychische Gesundheit - gestartet.