Im Wortlaut
„Das Bündnis ist stark und einig, und deshalb gilt auch unverändert, dass die NATO für unsere eigene Sicherheit unersetzlich ist“, sagte Bundeskanzler Scholz bei der abschließenden Pressekonferenz zum NATO-Gipfel am Donnerstagabend in Washington.
- Mitschrift Pressekonferenz
- Freitag, 12. Juli 2024
Die weitere Unterstützung der Ukraine, Strategien zur Stärkung der Abschreckung und Verteidigung sowie die Vertiefung der Partnerschaften im Indo-Pazifik – diese Themen standen im Zentrum der Beratungen des diesjährigen NATO-Gipfeltreffens. Drei Tage lang kamen die Staats- und Regierungschefs der 32 NATO-Mitgliedstaaten in Washington, D.C. zusammen, um das 75-jährige Bestehen der Allianz zu feiern und über wichtige Themen zu entscheiden.
„Die NATO hat auf die Zeitenwende reagiert und einiges erreicht, aber es bleibt – das will ich ausdrücklich sagen – noch viel zu tun“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz zum Abschluss des Gipfels in einer Pressekonferenz am Donnerstag. Aus Deutschland reisten neben Bundeskanzler Olaf Scholz auch Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius nach Washington.
Das Wichtigste aus der Pressekonferenz des Kanzlers in Kürze:
- NATO-Ostflanke stärken: Deutschland wird zur Stärkung der Ostflanke dauerhaft eine Brigade in Litauen stationieren. Für das nächste Jahr stellt die Bundeswehr 35.000 Soldaten in der höchsten Bereitschaftsstufe der NATO.
- Amerikanische Waffen dauerhaft in Deutschland stationieren: In einer Gemeinsamen Erklärung PDF, 37 KB, barrierefrei am Rande des NATO-Gipfels haben Deutschland und die USA entschieden, dass künftig wieder konventionelle amerikanische Waffen auf deutschem Boden stationiert werden sollen. Sie dienen der Abschreckung und Verteidigung.
- Unterstützung der Ukraine: Zur weiteren Unterstützung der Ukraine haben die NATO-Partner ein Paket mit fünf Waffensytemen beschlossen; zudem soll die Koordinierung der Ukraine-Unterstützung künftig durch ein neues NATO-Kommando von Wiesbaden aus erfolgen.
- Stärkung der NATO: Es wird eine verstärkte Zusammenarbeit der Europäischen Union und der NATO angestrebt. Dabei soll auch die Standardisierung vorangetrieben werden.
Dokumente
Gemeinsame Erklärung: Lesen Sie hier eine
gemeinsame Erklärung
PDF, 37 KB,
barrierefrei
der Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland zur Stationierung weitreichender Waffensysteme in Deutschland.
Ukraine Compact: Lesen Sie hier eine Gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der Ukraine.
Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:
(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)
Bundeskanzler Olaf Scholz: Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren! Wir sind hier zum NATO-Jubiläumsgipfel in Washington zusammengekommen. 75 Jahre NATO bedeutet 75 Jahre Gewährleistung von Sicherheit und Frieden. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die Allianz für die Zukunft und die veränderte Sicherheitslage neu aufzustellen. Dieser Prozess hat vor zwei Jahren in Madrid begonnen und zeigt nun seine allerersten Ergebnisse.
Ich möchte noch einmal daran erinnern: Wir haben es mit einem anderen, einem aggressiven Russland zu tun. Putin setzt seinen Angriff auf die Ukraine erbarmungslos fort, wie die jüngste Bombardierung eines Kinderkrankenhauses auf grausame Weise bewiesen hat. Russland ist deshalb eine wachsende Bedrohung. Die NATO-Mitglieder haben auf diese Zeitenwende entschlossen reagiert, indem wir unsere Verteidigungsanstrengungen erhöht und die Ostflanke der NATO gestärkt haben.
Die NATO ist ein starkes Bündnis, und Deutschland trägt seinen Teil zu dieser Stärke bei. Ich will das hier vielleicht noch einmal in Erinnerung rufen: 2017 betrug der deutsche Verteidigungsetat noch 37 Milliarden Euro. Innerhalb von nicht einmal zehn Jahren werden wir ihn mehr als verdoppeln. Wir geben nun dauerhaft zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus. Wir haben mit dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen die Grundlage dafür geschaffen, dass wir den Pfadwechsel zu dieser gewaltigen Ausdehnung unserer Anstrengungen für die Verteidigung auch zustande bringen können, und ab 2028 wird die Finanzierung der Bundeswehr komplett aus dem regulären Haushalt geschehen. Da geht es dann um 80 Milliarden Euro im Jahr.
Aber es geht nicht nur um Geld, sondern auch um wichtige Fähigkeiten für unser Bündnis. Die Regierung hat entschieden, eine Brigade dauerhaft in Litauen zu stationieren. Für das nächste Jahr stellt die Bundeswehr 35.000 Soldaten in der höchsten Bereitschaftsstufe der NATO. In den drei Tagen dieses Gipfels habe ich von unseren Bündnispartnern deshalb auch sehr viel Anerkennung für diese konsequente Haltung Deutschlands bekommen. Angesichts mancher innenpolitisch motivierter Kritiken, die es so gibt, ist es vielleicht gut, hier auch einmal zu sagen, was ich in meinem Gespräch mit den US-Senatoren beider politischer Parteien der amerikanischen Politik mitbekommen habe: Es wurde sehr deutlich anerkannt, wie stark und verlässlich Deutschland als NATO-Partner und US-Verbündeter agiert.
Die jüngste Entscheidung der USA, weitreichende konventionelle Waffen in Deutschland zu stationieren, ist ein Beispiel dafür, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert. Übrigens passt diese Entscheidung auch in das hinein, was Deutschland selbst für seine Verteidigung plant. In unserer Sicherheitsstrategie und zum Beispiel auch in meiner Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz haben wir bereits angekündigt, dass wir solche Möglichkeiten der Abschreckung brauchen und dass wir sie mit unseren Partnern zusammen entwickeln wollen, und das geschieht auch. Hier haben wir festgelegt, dass wir zusammen mit Frankreich und Großbritannien eine solche Entwicklung auf den Weg bringen wollen.
Das zweite wichtige große Thema hier in Washington war natürlich und richtigerweise die Ukraine. Auch da geht Deutschland mit unserer Unterstützung für die Ukraine insbesondere beim Thema Luftverteidigung mit sehr gutem Beispiel voran. Hier in Washington ist ein Paket mit insgesamt fünf Systemen geschnürt worden, die zur Verfügung gestellt werden, und das haben wir mit unserem Voranschreiten mit dem ersten, dem zweiten und dann jetzt dem dazugerechneten dritten Patriot-System auch angeregt. Das ist gut, aber ich will ganz klar sagen: Meines Erachtens muss noch mehr für die Luftverteidigung der Ukraine getan werden. Deshalb werden die Außenministerin und der Verteidigungsminister auch nicht ruhen – genauso wenig wie ich –, hier dafür zu werben, dass noch mehr Anstrengungen von unseren Freunden und Partnern unternommen werden. Die Koordinierung der Unterstützung der Ukraine wird nun von Wiesbaden aus erfolgen. Das ist einer der Beschlüsse, die gefasst worden sind, und das zeigt auch, welche Bedeutung Deutschland in diesem Zusammenhang hat, wenn es darum geht, unsere verschiedenen Aktivitäten zur Unterstützung der Ukraine voranzubringen.
Die NATO hat auf die Zeitenwende reagiert und einiges erreicht, aber es bleibt – das will ich ausdrücklich sagen – noch viel zu tun. Die weitere Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO ist eine der ganz großen Aufgaben, die vor uns stehen, und wenn wir Sicherheit nicht nur im engeren Sinne betrachten, dann müssen wir jetzt auch alles dafür tun, dass wir die ökonomische Resilienz und Zusammenarbeit vorantreiben, die für Sicherheit auch erforderlich ist. Wir brauchen eine verstärkte Zusammenarbeit der Europäischen Union und der NATO. Das ist Offensichtlich; denn über 90 Prozent der EU-Bürger leben in einem NATO-Staat. Deshalb ist es wichtig, dass wir das, was wir an Koordinierung vornehmen, gerade auch im Bereich unserer verteidigungs- und rüstungsindustriellen Anstrengungen nutzbar machen. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Verteidigungsindustrie in der Lage ist, permanent das, was wir für unsere Verteidigung an Ausrüstung brauchen, zu produzieren, und dass sie die Kapazitäten hat, im Bedarfsfall ihre Produktionskapazitäten schnell und zügig auszuweiten, sodass wir immer genügend der Mittel haben, die wir brauchen, um eine wirksame Aufstellung unserer Verteidigungskräfte zustande zu bringen und gleichzeitig allen zu sagen, dass wir durchhaltefähig sind.
Ein ganz zentraler Punkt dabei ist, dass wir die Standardisierung vorantreiben. Sie existiert bisher nicht in ausreichendem Maße, und deshalb war es ein ganz wichtiger Punkt der deutschen Vorbereitung dieser Tagung, die heute zu Ende gegangen ist, dass in den Dokumenten und Beschlüssen auch genau das als eine wichtige neue Aufgabe für die Zukunft niedergelegt wird. Wir haben jetzt gelernt, dass es nicht reicht, sich über bestimmte Munitionsstandards zu verständigen. Wir müssen viel genauer und präziser werden, um unsere Ziele erreichen zu können; denn sonst passen die Dinge nicht zueinander, und das ist etwas, was beendet werden muss, damit wir die Stärke erreichen, die wir brauchen. Wenn man alles zusammenzählt, was die NATO-Staaten aufwenden, insbesondere seitdem nun so viele das Zwei-Prozent-Ziel erreichen, dann sieht man, dass das eine Menge ist und durchaus die Abschreckungswirkung entfalten kann, die angesichts der Aufrüstung Russlands notwendig ist. Das ist von der Quantität und auch von der Qualität der einzelnen Bewaffnung her durchaus die Größe, die man benötigt – mit all den Anforderungen, die für die Zukunft noch zu erfüllen sind. Die Schlagkraft wird aber besser, wenn alles zueinander passt. Dafür zu sorgen muss eine ganz große Aufgabe der nächsten Jahre sein. Insofern ist es gut, dass das hier jetzt beschlossen worden ist.
Meine Damen und Herren, der Gipfel hier in Washington war auch der letzte Gipfel mit Jens Stoltenberg als Generalsekretär der NATO. Er hat in den letzten zehn Jahren eine großartige Arbeit geleistet. Er ist nicht nur persönlich ein guter Freund von mir, sondern eben auch jemand, der der politischen Herausforderung, die dieses Amt mit sich bringt, sehr gewachsen war, und der in einer sehr schwierigen Zeit die NATO zusammengehalten hat. Wir können schon sagen, dass die NATO angesichts der Bedrohung, die jetzt auf uns alle zugekommen ist und die mit der Zeitenwende verbunden ist, die der russische Angriffskrieg auf die Ukraine darstellt, geschlossen agiert hat, geschlossener geworden ist, neue Mitglieder aufgenommen hat, und dass jetzt, wie gesagt, alle endlich genügend Mittel für die Verteidigung aufwenden und aufwenden wollen. Das ist ein großer Fortschritt.
Mein Dank gilt deshalb aber auch dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden, der diese Tagung intensiv mit vorbereitet hat, der Leadership für unser gemeinsames Bündnis gezeigt hat und der dazu beigetragen hat, dass dies hier nicht nur eine Zusammenkunft in Washington zu einem Jubiläum war, sondern dass die NATO sich als der Zeit und ihren Anforderungen gewachsen gezeigt hat und gezeigt hat, dass sie sich für die Zukunft aufgestellt hat. Das Bündnis ist stark und einig, und deshalb gilt auch unverändert, dass die NATO für unsere eigene Sicherheit unersetzlich ist.
Schönen Dank!
Fragerunde im Anschluss:
Frage: Herr Bundeskanzler, es gibt einen CNN-Bericht, laut dem Russland einen Attentat auf den Rheinmetall-Chef Papperger geplant haben soll. Welche Informationen haben Sie darüber und wie bewerten Sie diesen Vorgang?
Bundeskanzler Scholz: Ich werde dazu im Einzelnen nichts sagen; das ist geboten. Gleichzeitig will ich Ihnen aber gerne sagen, dass wir schon sehr genau wissen, dass wir uns auf vielfältige Weise Bedrohungen seitens russischer Aktivitäten ausgesetzt sehen und das auch sehr sorgfältig beachten. Ich verweise da im Übrigen auf die sehr sorgfältige Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern.
Frage: Herr Scholz, Sie haben gesagt, es gehe jetzt darum, die europäische Säule der NATO zu stärken, und Sie haben aufgezählt, was Deutschland alles tut, und haben gesagt, dass es auch bereit sei, seinen Beitrag dauerhaft zu gewährleisten. Sehen Sie Deutschland in diesem Kontext immer noch als Mittelmacht, oder glauben Sie, dass es eine Führungsrolle einnehmen muss?
Bundeskanzler Scholz: Ich bin mit der Idee der Frage nicht ganz einverstanden. Wir sollten uns davor fürchten, dass in Deutschland Leute Verantwortung haben, die den Größenwahnsinn besitzen, zu glauben, sie seien etwas anderes als eine Mittelmacht. Aber natürlich, finde ich, gehört gleichzeitig dazu, dass wir die Aufgabe wahrnehmen, die wir als größtes Land der NATO in Europa haben. Das werden wir auch tun, und genau dieser Aufgabe werden wir uns stellen. Das gilt auch für mich persönlich.
Frage: Herr Bundeskanzler, der ukrainische Präsident Selenskyj hat eben in der Pressekonferenz gefordert, alle Auflagen für den Einsatz westlicher Waffen quasi aufzulösen, damit die Waffen auch stärker im russischen Hinterland eingesetzt werden können. Sehen Sie da irgendeine Möglichkeit eines Entgegenkommens gegenüber der Ukraine, oder sind das Debatten, die man in der Öffentlichkeit nicht führen sollte?
Bundeskanzler Scholz: Niemand hat eine Veränderung der bisherigen Maßgaben und Richtlinien vor – aus gutem Grund.
Frage: Herr Bundeskanzler, noch einmal eine Frage zu der eigenwilligen Reisediplomatie des ungarischen Regierungschefs: Sie sind hier ja auch mit einigen europäischen Staats- und Regierungschefs zusammengekommen. Gibt es Überlegungen, die EU-Ratspräsidentschaft zu verkürzen, auszusetzen oder nach einer möglichen Inthronisierung der neuen Kommission vielleicht direkt zum nächsten EU-Ratspräsidentschaftsland überzugehen?
Bundeskanzler Scholz: Solche Überlegungen gibt es nicht. Aber eines ist ganz klar: Alle diese Reisen hat Herr Orbán als Ministerpräsident seines Landes vorgenommen. Da kann ihm keiner Beschränkungen auferlegen, und das würde auch keiner wollen. Er hat aber nicht für den Europäischen Rat gehandelt, und selbstverständlich haben viele darüber diskutiert, dass das auch irgendwie noch deutlich gemacht werden sollte; denn er kann nicht mit diesem Eindruck durch die Landschaft reisen.
Frage: Chancellor Scholz, how do you respond to Russian allegations that Germany now stationing or having longer-range missiles not only developed with European partners, but prospectively in 2026 American weapons stationed in Germany, is an escalation?
Also, everybody just witnessed US President Joe Biden mixing up Wolodymyr Selenskyj with Putin on stage. In the current climate, what do you wish the US President as you step on the plane back to Europe?
Bundeskanzler Scholz: First, it is Russia that left all the agreements we had on the control of armament, and I think it was a good sign when powers learned that the best way of securing peace is to have agreements on armament. It is a reality we are now facing that Russia increased the number of its missiles as well as the size and the capacity of those missiles. It is necessary for deterrence and for peace that the necessary weapons are also there in Europe and in Germany. As I already said, we in Germany and we with our European partners are going to develop such missiles for ourselves, and in this circumstance, it is a very responsible and very fitting decision of the United States to deploy these missiles they already have ‑ and I wish that the US President will continue with this strong support for Ukraine.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich kann da direkt zum Thema Entwicklung einer Abstandswaffe anknüpfen. Sie haben eben gesagt, dass Sie diese Entwicklung mit Frankreich und Großbritannien auf den Weg bringen wollen. Heute Morgen bei der Zeichnungszeremonie für den „letter of intent“ war London nicht vertreten. Welche Zusicherungen haben Sie von der britischen Regierung bekommen, dass sie bereit ist, hier mitzumachen?
Zweite Frage: Welche Reichweite müsste eine solche neue Abstandswaffe haben, damit sie die notwendige Abschreckungswirkung erzielt?
Bundeskanzler Scholz: Aus meiner Sicht geht es um Waffen, die von unserem Territorium aus die Fähigkeit haben, zu verhindern, dass aus dem Gebiet außerhalb der Europäischen Union in der Nachbarschaft gewissermaßen europäisches Territorium bedroht wird. Es geht ja um Abschreckung, und ich bin ganz zuversichtlich, dass wir das gemeinsam entwickeln werden. Wir haben die Gespräche lange begonnen, und das hat sich mit dem erst vor Kurzem durchgeführten Regierungswechsel in Großbritannien nicht geändert. Das sind sehr freundliche, sehr gute kooperative Gespräche, und ein gemeinsames Verständnis existiert dort.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe auch zwei Anschlussfragen.
Erstens: Sie wissen ja, dass Joe Biden hier unter besonderer Beobachtung steht. Natürlich kann man sagen, dass das jetzt gerade mit Putin und Selenskyj nur ein Versprecher war. Glauben Sie, dass es ihm gelingen kann, die öffentliche Meinung noch einmal zu drehen und weiter die Präsidentschaftswahl zu meistern?
Meine zweite Anschlussfrage bezieht sich noch einmal auf das Thema Beschränkungen von westlichen Waffen, was Angriffe auf Russland angeht. Sie haben eben gesagt, es gebe einen guten Grund, die bisherigen Maßnahmen nicht zu verändern. Könnten Sie das bitte etwas ausführen?
Bundeskanzler Scholz: Zunächst einmal hat der amerikanische Präsident einen guten „track record“, und er hat mit der NATO-Tagung und ihrer Vorbereitung ja auch gezeigt, wie sehr er in der Lage ist, strategisch die richtigen Entscheidungen auf den Weg zu bringen. Das haben wir hier ja gemeinsam getan, und das wäre ohne die USA und den amerikanischen Präsidenten als denjenigen, die die NATO-Mitglieder hier als Gäste empfangen haben, gar nicht möglich gewesen. Damit ist ja eine große Rolle verbunden; man ist ja nicht nur für den Konferenzort zuständig, sondern es ist ja Politik, die da gemacht wird. Allein die Entscheidungen sprechen da für eine klare strategische Orientierung, die für die Ukraine wichtig ist, damit sie sich verteidigen kann und auf unsere gemeinsame Unterstützung zählen kann, die auch wichtig ist für Präsident Selenskyj.
Noch einmal: Wie auch der amerikanische Präsident immer wieder öffentlich und auch in Artikeln erläutert hat, hat es die klare Entscheidung gegeben zu sagen: Die Waffen sollen außerhalb des ukrainischen Territoriums nicht eingesetzt werden. Wir haben eine kleine Veränderung vorgenommen im Hinblick auf die Angriffe, die von russischem Territorium in unmittelbarster Nachbarschaft der Stadt Charkiw vorangebracht worden sind. Um die Verteidigung von Charkiw möglich zu machen, haben wir gesagt, dass das in diesem Bereich möglich sein soll, ohne die grundsätzliche Politik in dieser Frage zu ändern. Denn es bleibt ja immer auch unsere Aufgabe sicherzustellen, dass wir die Ukraine maximal unterstützen, aber eine Eskalation des Krieges zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO verhindern, und das erfordert Weisheit, Klarheit und Festigkeit.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich muss auch noch einmal zu dem Versprecher von Präsident Biden gerade zurückkommen: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als er diesen Versprecher gemacht hat? Sie haben jetzt ja erlebt, wie die Debatte hier läuft. Wie, fürchten Sie, werden die amerikanische Öffentlichkeit und die Medien diesen Fall behandeln? Meinen Sie, das wird gut ausgehen für den US-Präsidenten?
Bundeskanzler Scholz: Versprecher passieren, und wenn man alle immer genau genug beobachtet, dann findet man auch genug Versprecher. Das, was der amerikanische Präsident in seiner Rede sehr klar gesagt hat, wird ja dadurch überhaupt nicht anders. Er hat hier sehr deutlich gemacht, was das, was wir hier alle zusammen tun, bedeutet; denn mit unseren Sicherheitspartnerschaften, die wir hier gewissermaßen noch einmal mit einem gemeinsamen Rahmen versehen haben, gewährleisten wir ja die Sicherheit der Ukraine und versetzen sie in die Lage, sich gegen die russische Aggression zu verteidigen.
Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben beschrieben, was hier alles beschlossen worden ist, um die NATO gegen die Gefahr aus Russland zu wappnen. Für wie groß halten Sie die Gefahren von innen für die NATO, zum Beispiel wenn Sie an den ungarischen Ministerpräsidenten denken, der aus seiner Sympathie für Wladimir Putin keinen Hehl macht, oder wenn Sie an die Möglichkeit denken, dass Donald Trump wieder amerikanischer Präsident wird, der ja ein transaktionales Politikverständnis hat und aus seiner Skepsis gegenüber der NATO keinen Hehl macht?
Bundeskanzler Scholz: Die NATO zieht ihre Kraft daraus, dass sie eine Gemeinschaft demokratischer Staaten ist, die sich als transatlantisches Bündnis zusammengefunden haben, um gemeinsam die Sicherheit der Mitgliedsländer zu gewährleisten. Zum Bestehen dieses Bündnisses gehört aber eben auch die Tatsache, dass es Demokratien sind, dass es Rechtsstaaten sind und dass dort immer wieder gewählt wird ‑ was ja auch dazugehört. Insofern, finde ich, muss man einfach davon ausgehen, dass die Stabilität und die Zielgerichtetheit der Aktivitäten der NATO nicht dadurch gefährdet wird, dass es da und dort zum Beispiel Regierungswechsel gibt. Das wird ja immer passieren und ist ja auch allein in diesem Jahr an ganz vielen Stellen und in ganz vielen Ländern geschehen.
Wir sind aber alle einig, und trotz der von Ihnen zitierten und bekannten anderen Sicht auf die Dinge seitens des ungarischen Präsidenten gehört zu den Schlussbemerkungen in seinen Reden ja immer auch die Aussage, dass er den Entscheidungen hier nicht im Wege stehen werde.
Frage: Herr Bundeskanzler, eine Unterstützungsmaßnahme für die Ukraine, die hier verkündet wurde, ist ja die Lieferung von F-16-Kampfflugzeugen durch einige NATO-Staaten an die Ukraine. Diese Frage stellte sich für Deutschland tatsächlich nicht, weil wir nicht über F-16-Kampfflugzeuge verfügen. Da diese Maschinen bald in die Ukraine kommen: Sind Sie bereit, diese F-16-Maschinen mit deutscher Luft-Luft-Munition zu unterstützen, die ja bei der Bundeswehr gerade ihre Lebenszeit erreicht, also verfügbar wäre?
Bundeskanzler Scholz: Wir haben unsere Unterstützung – das, was wir dieses Jahr tun, und das, was wir für das nächste Jahr vorbereitet haben – ganz konkret beschrieben, und dafür haben wir auch die Mittel bereitgestellt; das ist ja nicht ganz wenig. Alle Entscheidungen, die wir treffen, werden wir jeweils im Einzelnen treffen. Ich glaube aber, diese Frage stellt sich nicht; denn das ist alles gut vorbereitet worden von den Nationen, die diese Flugzeuge zur Verfügung stellen. Wenn da irgendwann einmal eine Frage kommt, ob man noch irgendwas hat, dann gucken wir uns das an.
Im Übersichtsbeitrag finden Sie weitere Informationen und Pressestatements des Kanzlers zum NATO-Gipfel in Washington, D.C.