Mehr Leistung und Qualität in der Pflege

Zweites Pflegestärkungsgesetz Mehr Leistung und Qualität in der Pflege

Künftig wird der tatsächliche Unterstützungsbedarf von Pflegebedürftigen besser erfasst. Dafür sorgt ein neues Begutachtungssystem. Die Leistungen werden ab 2017 erhöht, ebenso der Beitrag um 0,2 Prozentpunkte. Das steht im Zweiten Pflegestärkungsgesetz, das nun den Bundesrat passiert hat.

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Oberschwester Verena Griechen spricht in der Wohngemeinschaft für Demenz-Kranke "Haus Lethe" mit Bewohnerin Sigrid Lücht.

Patientinnen in einer Pflege-WG: Die neuen Pflegegrade sollen ihren Bedürfnissen besser gerecht werden.

Foto: picture alliance / dpa

"Ein Meilenstein für eine bessere Versorgung" ist für Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe das Zweite Pflegestärkungsgesetz. "Heute bringen wir eine große Reform auf den Weg für 2,7 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland", so der Minister bei der abschließenden Beratung des Gesetzes im Bundestag.

Kernstück des Gesetzes ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff – also: Wer benötigt wieviel Pflege? Im Mittelpunkt steht künftig der tatsächliche Unterstützungsbedarf, gemessen am Grad der Selbständigkeit – unabhängig davon, ob jemand an einer geistigen oder körperlichen Einschränkung leidet. So kann der reale Pflegebedarf in der Pflegeversicherung besser abgebildet werden.

Bessere Versorgung Demenzkranker

"Eine gute Nachricht für die demenziell Erkrankten" ist für Gröhe die Verabschiedung des Gesetzes. Bisher hatten Demenzerkrankte oftmals keinen Zugang zu Leistungen der Pflegeversicherung. Das wird sich jetzt ändern. Gegenüber dem jetzigen Beurteilungsverfahren wird künftig stärker geschaut, ob Menschen kognitiv oder psychisch beeinträchtigt sind. Denn viele Menschen sind zu alltäglichen Verrichtungen in der Lage, müssen aber vielleicht regelmäßig daran erinnert werden.

Mit der Einführung des neuen Pflegebegriffs einher geht ein neues Begutachtungssystem. Die Einstufung erfolgt nicht mehr wie bisher in drei Pflegestufen. Die Begutachtung – "Neues Begutachtungsassessment" (NBA) - wird in fünf Pflegegrade übergeleitet. Einschränkungen im Alltag lassen sich so differenzierter beurteilen und leistungsmäßig abbilden.

Nachdem das Kabinett am 12. August das Zweite Pflegestärkungsgesetz beschlossen hatte, stimmte am 13. November der Bundestag zu. Am 18. Dezember passierte das Gesetz den Bundesrat.

Leistungen werden erhöht

Die fünf neuen Pflegegrade führen zu einer weiteren Erhöhung der Leistungsbeträge in der Pflege. Gerade der neue Pflegegrad 1 erreicht auch Menschen, die bislang keine Unterstützung bekommen haben. Mittelfristig können das bis zu 500.000 Menschen sein. Bisher sind in Deutschland 2,8 Millionen Menschen pflegebedürftig. Durch den neuen Pflegegrad 1 werden es dann zirka 3,3 Millionen Menschen sein.

Wer in einem Pflegeheim lebt, erhält einen Rechtsanspruch auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung. "Wir stärken den Grundsatz "Reha vor Pflege", ist sich der Gesundheitsminister sicher. Es geht darum, Selbständigkeit und Lebensqualität so gut es geht zu sichern. Außerdem wird der pflegebedingte Eigenanteil für die Pflegegrade 2 bis 5 in jeder Einrichtung einheitlich festgelegt. Niemand muss dann mehr befürchten, dass, wenn der Pflegebedarf steigt, auch der Eigenanteil steigt.

Wer schon Leistungen erhält, wird nicht neu begutachtet

Alle Pflegebedürftigen, die bisher Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, werden ohne erneute Begutachtung in das neue System übergeleitet. Sie müssen damit keinen Antrag auf Einstufung in einen Pflegegrad stellen. Dies ist eine große Erleichterung für alle Betroffenen. Zudem wird keiner der bisherigen Leistungsbezieher schlechter gestellt. Denn das Gesetz enthält einen umfassenden Leistungs- und Bestandsschutz.

Pflegende Angehörige besser abgesichert

"Nicht nur die Erfassung der Pflege wird individueller, auch die Pflege selbst wird individueller", stellte Gesundheitsminister Gröhe fest. Um so wichtiger ist eine qualifizierte Beratung. Auf sie haben künftig nicht nur Pflegebedürftige, sondern auch ihre Angehörigen Anspruch. Außerdem wird für pflegende Angehörige die Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung verbessert. Für alle Pflegepersonen - bislang nur Angehörige - wird eine Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung eingeführt. Die war bisher freiwillig.

Künftig zahlt die Pflegeversicherung Rentenbeiträge für alle Pflegepersonen, die einen Pflegebedürftigen im Pflegegrad 2 bis 5 mindestens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf mindestens zwei Tage, zu Hause pflegen. Die Rentenbeiträge steigen mit zunehmender Pflegebedürftigkeit. Wer einen Angehörigen mit außerordentlich hohem Unterstützungsbedarf (Pflegegrad 5) pflegt, erhält um 25 Prozent höhere Rentenbeiträge als bisher. Zudem werden mehr Menschen unterstützt. Denn auch Angehörige, die einen ausschließlich demenzkranken Pflegebedürftigen betreuen, werden über die Rentenversicherung abgesichert.

Auch der Versicherungsschutz in der Arbeitslosenversicherung wird verbessert. Für Pflegepersonen, die aus dem Beruf aussteigen, um sich um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern, bezahlt die Pflegeversicherung künftig die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für die gesamte Dauer der Pflegetätigkeit. Die Pflegepersonen haben damit Anspruch auf Arbeitslosengeld und Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, falls ein nahtloser Einstieg in eine Beschäftigung nach Ende der Pflegetätigkeit nicht gelingt. Gleiches gilt für Personen, die für die Pflege den Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung unterbrechen.

Der Beitragssatz der Pflegeversicherung wird um 0,2 Beitragssatzpunkte ab 2017 erhöht. Er beträgt dann 2,55 Prozent des Bruttoeinkommens für Versicherte mit Kindern. Kinderlose zahlen wie bisher 0,25 Prozent mehr, also 2,8 Prozent.

Seit dem 1. Januar 2015 ist die Pflege dank des Ersten Pflegestärkungsgesetz verbessert worden: Leistungen für Pflegebedürftige - auch mit Demenz – und ihre Angehörigen wurden flexibilisiert und ausgeweitet. Die Leistungen der Pflegeversicherung wurden um grundsätzlich vier Prozent angehoben. Beispielsweise in der ambulanten Pflege für Pflegestufe 1 von 450 auf 468 Euro und in Pflegestufe 3 von 1.550 auf 1.612 Euro. Verschiedene Leistungen wie Tages- und Nacht-, Verhinderungs- und Kurzzeitpflege sind nun besser kombinierbar. Angebote wie Vorlesen oder beim Spazieren begleiten sind aus der Pflegesachleistung der oder Betroffenen bis zu 50 Prozent finanzierbar. In stationären Pflegeeinrichtungen wurde der Schlüssel für Betreuungskräfte von 1:24 auf 1:20 verbessert. Ein Pflegevorsorgefonds wurde eingerichtet, um Beitragssatz in einer älter werdenden Gesellschaft möglichst stabil zu halten. Deshalb wurde der Beitragssatz Pflege um 0,3 Prozentpunkte angehoben.

Die neuen Pflegegrade

 PG1
PG2
PG3
PG4
PG5
Geldleistung ambulant316
545
728
901
Sachleistung ambulant689
1.298
1.612
1.995
Entlastungsbetrag ambulant (zweckgebunden)125
125
125
125
125
Leistungsbetrag stationär125
770
1.262
1.775
2.005
bundesdurchschnittlicher pflegebedingter Eigenanteil580
580
580
580

Pflegegeld

Wenn Angehörige oder Pflegepersonen pflegen: Bei Pflegegrad 1 entfällt Pflegegeld. Es gibt einen Anspruch auf einen Beratungsbesuch des Pflegedienstes einmal halbjährlich.

316 Euro
für Pflegebedürftige des Pflegegrades 2
545 Euro
für Pflegebedürftige des Pflegegrades 3
728 Euro
für Pflegebedürftige des Pflegegrades 4
901 Euro
für Pflegebedürftige des Pflegegrades 5

Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff
Pflegebedürftig sind Menschen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate bestehen.
Maßgeblich dafür sind Beeinträchtigung in den sechs Bereichen:

- Mobilität,
- kognitive und kommunikative Fähigkeiten,
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen,
- Selbstversorgung,
- Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen,
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

Diesen Bereichen sind bei der Begutachtung verschiedene prozentuale Anteile zugeordnet, die im Begutachtungsverfahren mit einer Punkteskala beurteilt und zusammengerechnet werden. Zum Beispiel: ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten = Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten. Etwas davon abweichend werden Babys bis 18 Monate eingestuft (allgemein höherer Pflegegrad)

Vorgeschichte

Die Mehrheit der leistungs-, vertrags- und vergütungsrechtlichen Überarbeitungen geht auf Empfehlungen der Expertenbeiräte aus 2009 bzw. 2013 zurück. Zudem wurde in Studien das Neue Begutachtungsassessment (NBA) erprobt.

Qualität in Pflegeheimen

Im Zweiten Pflegestärkungsgesetz ist vorgesehen, ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Qualitätsmessung zu entwickeln. Die Qualität von Pflegeheimen muss verständlich, übersichtlich und vergleichbar im Internet oder auf Papier kostenfrei veröffentlicht werden.