„Wer zusätzlich Hilfe braucht, wird sie bekommen“

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Interview des Bundeskanzlers in der NOZ „Wer zusätzlich Hilfe braucht, wird sie bekommen“

Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung erläutert Bundeskanzler Scholz, was die Bundesregierung gegen die hohen Energiepreise unternimmt. Zudem bekräftigt er, dass Deutschland unverändert die Ukraine nach Kräften unterstützt – und gleichzeitig alles dafür tut, um einen direkten Konflikt zwischen NATO und Russland zu verhindern.

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FAZ

Scholz betont im Interview, Bund und Länder eine das Ziel, „sehr zügig für Entlastung zu sorgen, damit unser Land gut durch diese schwierige Zeit kommt“.

Foto: photothek.net/Köhler & Imo

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben Corona, wie geht es Ihnen?

Bundeskanzler Olaf Scholz: Vielen Dank für die Nachfrage, mir geht es den Umständen entsprechend ganz gut. Ich bin vier Mal geimpft und bislang scheint die Infektion eher mild zu verlaufen. Ich habe mich nach meinem positiven Test am Montag hier im Kanzleramt sogleich in Isolation begeben – und arbeite seither ausschließlich vom Schreibtisch aus.

Befolgen Sie eine bestimmte Therapie?

Scholz: Ich nehme auf ärztlichen Rat Paxlovid. Das Medikament kann helfen, die Ausbreitung des Virus im Körper zu unterdrücken.

Haben Sie sich am Wochenende auf Ihrer Reise an den Golf angesteckt?

Scholz: Das ist unklar. Es muss jedenfalls kürzlich passiert sein. Ich bin ja permanent getestet worden und bis einschließlich Sonntagabend waren alle Ergebnisse negativ.

Bleiben Sie bis zum Ende der Isolationszeit in der Wohnung im Kanzleramt oder erholen Sie sich in Ihrer Wohnung in Potsdam?

Scholz: Die kleine Wohnung hier im Kanzleramt bietet sich an, weil ich von hier aus meiner Arbeit gut nachgehen kann. Ich habe hier alles, was ich brauche. Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren in Quarantäne oder Isolation verbracht, da muss ich kein Aufhebens drum machen.

Kommt Ihnen die Entzerrung Ihres krassen Terminkalenders womöglich ganz gelegen, um mal etwas Ruhe zu haben?

Scholz: Die Termine sind ja alle aus guten Gründen vereinbart worden, insofern bedauere ich sehr, dass nun einiges ohne mich stattfinden muss. Am Montag hätte ich beispielsweise beim Rat für Nachhaltige Entwicklung gesprochen und hätte auch gerne in der Julius-Leber-Kaserne die Einsetzung des neuen Territorialkommandos mit Bundeswehr-General Carsten Breuer begleitet. Das war leider nicht möglich. Nun nutze ich die Zeit, um intern vieles zu bewegen.

Von Corona zur Energiepreisexplosion: Bürger und Unternehmen machen sich gewaltige Sorgen. Wie geht es weiter?

Scholz: Vielleicht eines vorweg: Wir haben schon eine ganze Menge geschafft in den vergangenen Monaten, darauf können wir alle miteinander stolz sein. Alles spricht dafür, dass Deutschland wohl durch diesen Winter kommt, obwohl Russland unter fadenscheinigen Gründen seine Gaslieferungen gestoppt hat. Dabei werden uns die LNG-Terminals an den norddeutschen Küsten helfen, die wir in Rekordzeit errichten. Dabei helfen uns Energielieferungen, die über Häfen in den Niederlanden, Belgien und jetzt sogar Frankreich zu uns kommen. Dabei hilft uns, dass unsere Erdgasspeicher zu mehr als 90 Prozent gefüllt sind. Wir lassen die Kohlekraftwerke wieder anlaufen und wir werden die Kapazitäten der süddeutschen Atomkraftwerke bis Frühjahr nutzen, sollte das nötig werden. Die Versorgung scheint erstmal gesichert.

Das senkt aber nicht die Preise…

Scholz: Genau darum geht es jetzt – mit der so genannten Strompreisbremse: Wir werden die Zufallsgewinne von Stromerzeugern abschöpfen, um die Strompreise und Netzentgelte zu senken. Die EU-Kommission hat dazu Pläne vorgestellt, die sich ziemlich mit unseren Vorstellungen decken. Das geht jetzt zügig.

Und beim Gas?

Scholz: Das ist die nächste große Aufgabe: Auch beim Gas müssen die Preise, die wir für die Importe aus aller Welt zahlen, auf Dauer runter. Mein Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen nicht vor unlösbare Aufgaben gestellt werden, weil die Gasrechnungen plötzlich ins Astronomische steigen.

Wie wollen Sie den Gaspreis drücken?

Scholz: Daran arbeiten wir mit Hochdruck – indem wir Gaslieferungen mit anderen Partnern in der Welt vereinbaren. Und wir beraten uns mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und aus der Praxis. Das Ziel ist klar: Die Marktpreise für Gas müssen sinken, und wer zusätzlich Hilfe braucht, wird sie bekommen.

Muss dafür die Schuldenbremse fallen, oder wird das über ein neues Sondervermögen finanziert?

Scholz: Wir werden die nötige Hilfe bereitstellen und auch sagen, wie wir das finanziell stemmen.

Wann?

Scholz: Die wichtigsten Weichen werden wir in den nächsten Tagen stellen.

Was passiert mit der Gasumlage?

Scholz: Die Gasumlage sollte verhindern, dass einige besonders von russischem Gas abhängige Versorger sofort in die Knie gehen. Die Lage hat sich grundlegend geändert, seit Russland nun nahezu gar kein Gas mehr nach Deutschland liefert. Das hat Einfluss auf die Preise, deshalb müssen wir eine neue Antwort geben auf diese veränderte Lage.

Gleichwohl ist längst ein verheerender Eindruck entstanden: Die Regierung und der Respekt-Kanzler hätten die Folgen der Kostenexplosion auch für normal verdienende Haushalte und Unternehmen total unterschätzt…

Scholz: Niemand hat irgendetwas unterschätzt. Die Bundesregierung hat früh und entschlossen für Entlastung gesorgt. Insgesamt drei Pakete haben wir geschnürt, die Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen um fast 100 Milliarden Euro entlastet. Mit gezielter Unterstützung für jene, die sehr niedrige Einkommen haben, aber auch für die, die ganz normal verdienen. Die Preise gehen durch die Decke, darauf müssen wir präzise reagieren.

Kommen diese noch rechtzeitig, um massenhafte Sozialproteste abzuwenden und die Solidarität mit der Ukraine nicht zu gefährden?

Scholz: Natürlich blicken viele Bürgerinnen und Bürger mit Sorge auf diesen Herbst. Deshalb war es so wichtig, dass wir früh erste Entlastungsschritte gegangen sind. Im September sind beispielsweise 300 Euro Energiepauschale für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgezahlt worden. Gerade beschließen wir massive Steuersenkungen, und wer nur ein niedriges Einkommen bezieht, wird entlastet, weil weniger Sozialbeiträge zu entrichten sind. Es gibt mehr als 200 Euro Kindergeld pro Kind zusätzlich pro Jahr, und das Wohngeld erhöhen wir nicht nur, sondern weiten es auf mehr als zwei Millionen Berechtigte aus.

Vor ihrer Zustimmung zum dritten Entlastungspaket wollen die Länder mehr Geld vom Bund. Wird der Streit an diesem Mittwoch beigelegt?

Scholz: Die Zusammenkunft mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder verschieben wir um sechs Tage auf 4. Oktober, weil wir uns einig sind, dass es besser ist, sich persönlich zu begegnen und nicht nur virtuell. Schließlich gibt es viel zu besprechen. Und es ist völlig normal, dass Bund und Länder über Finanzfragen miteinander diskutieren und darüber, wie die Kosten aufgeteilt werden. Uns eint das gemeinsame Ziel, sehr zügig für Entlastung zu sorgen, damit unser Land gut durch diese schwierige Zeit kommt.

Was halten Sie von der Idee, in Deutschland Strompreiszonen nach skandinavischem Vorbild einzuführen: Bundesländer mit einem hohen Anteil von Wind und Sonne hätten niedrigere Preise als andere?

Scholz: Ich weiß, dass sich die EU-Kommission das wünscht. Doch dann wären einige Regionen in Deutschland schlechter gestellt als andere. Das überzeugt mich nicht. Richtig bleibt aber auch: Wir wären in einer günstigeren Situation, wenn der Bau von Stromleitungen in den Süden nicht durch erhebliche Widerstände aus dem Süden verzögert worden wäre.

Die Energiekrise in dieser Form ist eine Folge des Ukraine-Krieges. Er birgt weitere Risiken, auch militärische. Macht Ihnen diese Gesamtlage manchmal Angst?

Scholz: Der russische Überfall auf die Ukraine bereitet vielen Bürgerinnen und Bürgern Sorgen – schon allein wegen der vielen Toten und Verwundeten, darunter Frauen, Kinder und alte Menschen. Aber auch wegen der unglaublichen Zerstörung in der Ukraine und all dem Leid. Das bedrückt. Gerade deshalb haben wir ja uns so klar entschieden, die Ukraine nicht nur politisch, finanziell und humanitär zu unterstützen – sondern erstmals in der Geschichte unseres Landes auch mit der Lieferung von Waffen. Die Panzerhaubitzen, Mehrfach-Raketenwerfer und Flak-Panzer vom Typ „Gepard“ leisten einen ganz wichtigen Beitrag für die Erfolge der ukrainischen Streitkräfte im Osten des Landes. Wer mit den Staats- und Regierungschefs in aller Welt spricht, weiß aber, dass sich viele Gedanken machen, weil die Auswirkungen dieses Krieges nicht auf Europa beschränkt bleiben. In Afrika, in Asien, selbst in Südamerika machen sich die Folgen bemerkbar, durch höhere Preise für Energie und Lebensmittel. Es hat großer Anstrengungen bedurft, um eine große Hungersnot in der Welt zu verhindern, weil lange Zeit keine Weizenexporte aus der Ukraine mehr möglich waren. Ich bin erleichtert, dass immerhin das nun gelungen ist.

Was sagen Sie denjenigen in Deutschland, die dezidiert Angst haben vor einem großen Krieg mit deutscher Beteiligung?

Scholz: Von Beginn an haben wir einen klaren Kurs verfolgt: Deutschland unterstützt die Ukraine nach Kräften und tut gleichzeitig alles, um einen direkten Konflikt zwischen Nato und Russland zu verhindern. Darin sind wir uns als Verbündete einig – Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die USA und viele mehr. Auf dieser Grundlage haben wir alle weiteren Beschlüsse gefasst. Das entspricht auch dem Willen der ganz überwiegenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger.

Hängt damit auch die Nichtlieferung von Kampfpanzern an die Ukraine zusammen?

Scholz: Die Haltung der Bundesregierung ist eindeutig: Keine Alleingänge; und das wird auch so bleiben.

Wenn nicht alleine: Sprechen Sie mit Franzosen und Amerikanern über gemeinsame Lieferungen von Kampf- und Schützenpanzern?

Scholz: Die Situation in der Ukraine ist sehr dynamisch und wir bewerten die Lage immer wieder neu. Im Übrigen: Die Waffen, die wir geliefert haben, sind, wie bereits gesagt, sehr wirksam. Manchmal wundere ich mich, dass manch Kritiker so tut, als würden wir nur Helme liefern.

Wie erklären Sie sich, dass sich so viel auf Panzer fokussiert?

Scholz: Darüber könnte ich nur spekulieren, das will ich nicht. Interessant ist, dass in der Debatte völlig ausgeblendet wird, dass wir mit unserem Ringtausch auch die Lieferung von mehr als 100 Kampf- und Schützenpanzer an die Ukraine ermöglichen. Partner wie Tschechien und die Slowakei, Rumänien und Griechenland geben Panzer aus osteuropäischer Produktion an die Ukraine ab, wo sie übrigens sofort einsatzfähig sind, weil Logistik, Munition, Ersatzteile und das nötige Knowhow vorhanden sind. Im Gegenzug füllen wir die Bestände unserer Partner nach und nach mit westlichem Gerät auf.

Wenn Putin die Regionen im Osten nach den Schein-Referenden annektiert, wird Deutschland seine militärische Unterstützung verstärken, beibehalten oder zurückfahren?

Scholz: Wir werden das Ergebnis dieser Schein-Referenden nicht akzeptieren und die Ukraine mit unverminderter Kraft weiter unterstützen.

Was verändert die von Putin angeordnete Teilmobilisierung?

Scholz: Es ist ein Akt der Verzweiflung und eine etwas panische Reaktion auf die Misserfolge der russischen Streitkräfte in der Ostukraine. Und es sorgt für erhebliche Unruhe in Russland. Putin reiht Fehler an Fehler.

Auf Panik folgen nicht unbedingt rationale Reaktionen. Könnte ein panischer Putin doch zur Atomwaffe greifen?

Scholz: Wer weiß das schon? Wie US-Präsident Joe Biden will ich aber ganz klar in Richtung Russland sagen: Lasst es bleiben!

Der türkische Präsident Erdogan fordert, man müsse Putin diplomatische Brücken bauen, um den Krieg zu beenden, auch die Sanktionen seien ausgereizt. Hat er nicht Recht?

Scholz: Die Sanktionen sind hochwirksam, und ihr Ziel ist es, dass die russische Regierung einsieht, dass ihr Feldzug völlig sinnlos ist. Wladimir Putin könnte diesen Krieg sofort beenden, indem er seine Truppen zurückzieht und danach auf Gespräche mit Kiew setzt.

Wird Deutschland diejenigen Russen aufnehmen, die sich nicht an einem völkerrechtswidrigen Krieg beteiligen wollen und die Einberufung verweigern?

Scholz: Ich bin dafür, diesen Menschen Schutz anzubieten – natürlich müssen sie vorher eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen, damit wir wissen, wen wir in unser Land lassen.

Zum Abschluss noch kurz der Blick nach Italien: Eine Postfaschistin wird Regierungschefin in Rom. Ist das der nächste Sprengsatz für die EU?

Scholz: Nein, ich sehe darin keinen Sprengsatz. Die Italienerinnen und Italiener sind klar proeuropäisch eingestellt, der Staatspräsident ist es auch. Mein Rat ist es, davon auszugehen, dass sich auch die künftige Regierung Italiens an die europäischen Regeln hält, die wir uns gemeinsam gegeben haben.

Werden Sie Giorgia Meloni zum Sieg gratulieren, sobald das amtliche Ergebnis vorliegt?

Scholz: Wir sprechen mit allen Regierungen innerhalb der Europäischen Union. Alles andere wäre absurd.