Gemeinsame Erklärung zu den Deutsch-Türkischen Regierungskonsultationen vom 22. Januar 2016

Die Türkei und Deutschland verbindet eine enge Partnerschaft, die alle politischen Bereiche sowie Wirtschaft und Gesellschaft umfasst. Beide Staaten sind enge Verbündete innerhalb des NATO-Bündnisses und im Kampf gegen den Terrorismus. Sie sind verbunden durch robuste und rege Wirtschaftsbeziehungen. Zwischen den Regierungen beider Staaten findet ein substanzieller und starker Austausch statt. Dieser Austausch spiegelt die dynamischen Beziehungen zwischen unseren Völkern und Zivilgesellschaften wider.

In einer Zeit, in der die internationale Gemeinschaft vor beispiellosen Herausforderungen steht, ist die deutsch-türkische Partnerschaft wichtiger denn je, um zur Aufrechterhaltung und Förderung von Frieden und Stabilität in der erweiterten Region beizutragen.

Beide Regierungen unterstrichen heute ihr Bekenntnis, ihre Zusammenarbeit und Partnerschaft im gesamten Spektrum ihrer bilateralen Beziehungen sowie in multilateralen Foren weiter zu stärken. Die Bundeskanzlerin und der Ministerpräsident bekräftigten erneut die Bedeutung ihrer engen Zusammenarbeit bei der Bewältigung der unmittelbaren Herausforderungen, vor denen ihre beiden Staaten stehen. Die jüngsten, abscheulichen Anschläge in Istanbul und zuvor in Ankara und Suruç bestätigen die große und dringende Notwendigkeit, die Zusammenarbeit im rechtmäßigen Kampf gegen den Terrorismus in all seinen Formen und Facetten, einschließlich Da’esh, PKK, DHKP-C und anderen, weiter zu vertiefen.

Die Beteiligung Deutschlands und der Türkei an der Anti-IS-Koalition und ihre aktive Zusammenarbeit innerhalb dieser Koalition bezeugen diese gemeinsamen Bemühungen, die am deutlichsten durch die Entsendung deutscher Tornados zum türkischen Luftwaffenstützpunkt İncirlik zum Ausdruck kommt. Beide Regierungen sind entschlossen, ihre Zusammenarbeit im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik fortzusetzen und weiter zu verstärken, nicht zuletzt auch durch substanzielle Rückversicherungsmaßnahmen der NATO.

Beide Regierungen erachten die anhaltenden Krisen in Syrien und Irak sowie die Präsenz von Da‘esh als Hauptursache der unsicheren Lage in der Region, mit schwerwiegenden humanitären Folgen. Sie kamen überein, dass es von herausragender Bedeutung ist, auf politische Lösungen dieser Krisen zu drängen und ihren humanitären Konsequenzen umgehend und umfassend zu begegnen. Beide Regierungen rufen die Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft auf, alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Konflikte in Syrien, Irak und der Region weiter befeuern könnten. Sie appellieren an die internationale Staatengemeinschaft, substanzielle Beiträge zur Bereitstellung von humanitärer Hilfe und Entwicklungshilfe für alle Betroffenen dieser Krisen zu leisten, und bekräftigen die Notwendigkeit für humanitäre Hilfe freien und ungehinderten Zugang zu den Betroffenen zu ermöglichen. Beide Regierungen waren sich einig über die Bedeutung der bevorstehenden Geberkonferenz in Syrien am 4. Februar unter dem Vorsitz des Vereinigten Königreichs, Norwegens, Kuwaits, Deutschlands und der Vereinten Nationen. Beide Regierungen rufen die internationale Staatengemeinschaft eindringlich auf, die humanitären Bedürfnisse der Vertriebenen und Flüchtlinge in vollem Umfang zu erfüllen.

Die Bundeskanzlerin und der Ministerpräsident bekräftigten erneut ihre Entschlossenheit, den auf dem EU-Türkei-Gipfel am 29. November 2015 beschlossenen EU-Türkei-Aktionsplan vollständig und zügig umzusetzen. Sie begrüßten die neue Dynamik im EU-Beitrittsprozess der Türkei sowie die Öffnung eines neuen Kapitels. Der EU-Türkei-Gipfel hat betont, dass der Beitrittsprozess wieder belebt werden muss. Deutschland und die Türkei bekräftigen, dass alle in der Erklärung des EU-Türkei-Gipfels enthaltenen Elemente weiter vorangetrieben werden. Die Vereinbarung, regelmäßig zwei Mal im Jahr einen EU-Türkei-Gipfel abzuhalten, die Zusage der Europäischen Kommission, im ersten Quartal 2016 die Vorbereitungen für die Öffnung einer Reihe neuer Kapitel abzuschließen, der hochrangige Energiedialog, der hochrangige Wirtschaftsdialog und die Einleitung vorbereitender Schritte für eine Aufwertung der Zollunion sind in dieser Hinsicht bedeutende Schritte, die auch die europäische Botschaft festigen werden.

Beide Regierungen sehen die irreguläre Migration in der Region als eine Bedrohung der regionalen Stabilität, die mit äußerster Dringlichkeit angegangen werden muss. Sie bekräftigten weiterhin, dass diese Herausforderung nur bewältigt werden kann, wenn die Lasten wirklich geteilt werden.

Der Ministerpräsident betonte die Entschlossenheit der türkischen Regierung, alle möglichen Bemühungen zu unternehmen, um die Zahl der irregulären Migranten in naher Zukunft erheblich zu reduzieren. In diesem Zusammenhang sicherte der Ministerpräsident zu, die Wiederaufnahme irregulärer Migranten, die nicht schutzbedürftig sind, in Übereinstimmung mit dem Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei zu erleichtern. Die Türkei erneuerte ihre Zusage, ihre Grenzen wirksam gegen irreguläre Migration zu sichern. Die Bundeskanzlerin nahm zur Kenntnis, dass die Türkei erste Schritte hin zu einem geordneteren Verfahren im Umgang mit Migration unternommen hat. Dazu zählt die Einführung spezieller Visaerfordernisse für Syrer, die aus Drittstaaten über Flug- oder Seehäfen in die Türkei einreisen wollen, was zu einem ersten unmittelbaren Rückgang der Zahlen geführt hat. Der Ministerpräsident ist bereit, weitere geeignete Maßnahmen mit Blick auf Drittstaaten zur Verhinderung irregulärer Migration in den Schengenraum zu erwägen.

Die Bundeskanzlerin machte deutlich, dass die Bundesregierung bereit ist, der Türkei bei der Erfüllung ihrer im Aktionsplan und in der Gipfelerklärung vereinbarten Verpflichtungen Unterstützung und Hilfe zu leisten. Beide Seiten kamen ferner überein, dass eine erste finanzielle Hilfe in Höhe von 3 Milliarden Euro durch die EU zur Unterstützung der Syrer, die unter vorübergehendem Schutz der Türkei stehen, beitragen werde. In diesem Zusammenhang vereinbarten beide Regierungen, ihre gemeinsamen Bemühungen zu einem konsequenten Vorgehen gegen Schlepper, ihre kriminellen Netzwerke und Aktivitäten weiter zu verstärken. Dazu soll die Zusammenarbeit zwischen den entsprechenden Polizeibehörden erheblich verstärkt werden, wie es beispielsweise derzeit bei der gemeinsamen Operation gegen Schlepper im Zusammenhang mit den sog. „Geisterschiffen“ geschieht. Die Innenminister wurden beauftragt, ihre Verhandlungen über die entsprechenden Vereinbarungen schnellstmöglich abzuschließen. Beide Seiten waren sich einig, dass eine erheblich verstärkte Zusammenarbeit zwischen der EU-Grenzschutzagentur Frontex und den türkischen Behörden im Interesse beider Länder ist. Die wichtigen Aktivitäten der türkischen Küstenwache wurden zur Kenntnis genommen, und es herrschte Einvernehmen darüber, dass eine weitere technische und finanzielle Zusammenarbeit notwendig sein wird, um den dringend benötigten Kapazitätsausbau zu realisieren.

Die Bundeskanzlerin und der Ministerpräsident betonten erneut ihre Entschlossenheit, die Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei über Visaerleichterungen im Hinblick auf die Aufhebung der Visapflicht für türkische Staatsangehörige für den Schengenraum bis Oktober 2016 konkret voranzutreiben. Beide bestätigten die Verbindung zwischen Visaerleichterungen und einem wirksamen Rückübernahmeabkommen, wie sie in der Erklärung des EU Türkei-Gipfels dargelegt ist, die einen klaren Kalender vorgibt.

Die Bundeskanzlerin begrüßte die ersten Schritte der Türkei zur weiteren Unterstützung von Syrern, die unter vorübergehendem Schutz stehen. Beide Regierungschefs kamen überein, dass es aufgrund der fehlenden Aussicht auf eine baldige Rückkehr nach Syrien entscheidend ist, den unter vorübergehendem Schutz in der Türkei lebenden Syrern tragfähige kurz- und mittelfristige Zukunftsperspektiven zu bieten. Die Bundeskanzlerin würdigte den Ministerpräsidenten insbesondere für die getroffenen Maßnahmen zur Öffnung des Arbeitsmarktes für diejenigen, die unter vorübergehendem Schutz in der Türkei leben, sowie zur weiteren Verbesserung ihrer Lebensumstände in der Türkei. In diesem Zusammenhang lobte die Bundeskanzlerin die herausragenden Bemühungen der Türkei zur Versorgung der mehr als 2,5 Millionen Syrer und anderen Flüchtlinge, die derzeit in der Türkei leben. Sie betonte Deutschlands Bereitschaft, zusätzlich zu den bilateralen Maßnahmen im Rahmen des deutsch-türkischen Migrationsdialogs, weiter zur Lastenteilung bei der Unterstützung der Flüchtlinge beizutragen. Der Ministerpräsident lobte Deutschlands Bereitschaft, weitere Unterstützung und Hilfe bereitzustellen.