Gefährliches Ständchen zum Abschied

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15. Oktober 1989 - Auf dem Weg zur Deutschen Einheit Gefährliches Ständchen zum Abschied

15. Oktober 1989: Tausende Menschen kommen in der Ostberliner Erlöserkirche zum "Konzert gegen Gewalt" zusammen. Es ist ein Zeichen der Solidarität mit verhafteten Demonstranten. Künstler und Publikum fordern die Aufklärung der Übergriffe von Polizei und Stasi.

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1989-10-15 Gefährliches Abschiedsständchen

1989-10-15 Gefährliches Abschiedsständchen

Foto: ullstein bild

Solidaritäts-Konzert für Unbeugsame

Ihr Treffen ist gefährlich, doch alle sind gekommen: Mehr als 30 Künstler und Gruppen – Liedermacher, Sänger mit ihren Bands – spielen auf der rasch hergerichteten Bühne der Erlöserkirche. Die Zuhörer drängen sich im Saal, mal andächtig lauschend, dann wieder laut zustimmend, jubelnd oder ergriffen.

Jeder der Anwesenden begeht ein Wagnis: Das "Konzert gegen Gewalt" ist kein gemütlicher Liederabend. Es richtet sich gegen die Übergriffe bei den Demonstrationen am 7. und 8. Oktober , es ist ein Solidaritäts-Konzert für die Inhaftierten und Unbeugsamen. Vor der Tür notieren Spitzel der Staatssicherheit Autokennzeichen der Besucher. Drinnen brodelt der Protest.

Stasi als Dauergast

Noch in der Woche zuvor hatten Polizisten und Stasi-Mitarbeiter die Berliner Gethsemanekirche umstellt. Hatten Besucher beim Verlassen der Kirche in Seitenstraßen zusammengetrieben, festgehalten, fortgekarrt. Auch die Besucher der Erlöserkirche wissen um die Gefahr. Seit Jahren ist die Kirche ein Ort der friedlichen Regimekritik.

Das Ministerium für Staatssicherheit ist Dauergast: bei den Friedenswerkstätten gegen Aufrüstung und kalten Krieg, beim Klage-Trommeln gegen das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking.

Spott-Ständchen als Voraussage

Das "Konzert gegen Gewalt" ist ein neuer Höhepunkt des Aufbegehrens. Kein Murren mehr im kleinen Kreis, kein Randereignis hinter Kirchentüren: Statt braver DDR-"Combos" spielen Bands – die Stars der ostdeutschen Jugend. Tamara Danz und "Silly" sind darunter, Pop-Musiker und Jazz-Künstler. Zwischen den Stücken verlesen Menschen Protestnoten an den Staat. Mit Nachdruck fordern sie die Aufklärung der Übergriffe auf Demonstranten. Eine unabhängige Untersuchungskommission solle die Angriffe in Ost-Berlin, Dresden und anderen Städten aufklären.

Etwas Ahnungsvolles liegt über diesem Abend, manche Vorstellung wird bald schon Wirklichkeit. "So winkt man, wenn der Zug abfährt", intoniert Toni Krahl, Sänger der Gruppe "City", ein Spott-Ständchen auf Erich Honecker. Zwei Tage später wird der greise Staatschef per Beschluss des SED-Politbüros abgesetzt.