Ausschnitt aus der Pressekonferenz von SED-Politbüro-Mitglied Günter Schabowski am 9. November 1989 in Berlin

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Schabowski: [...] Allerdings ist heute, soviel ich weiß (blickt bei diesen Worten zustimmungsheischend in Richtung Labs und Banaschak [neben ihm – d.Red.]), eine Entscheidung getroffen worden. Es ist eine Empfehlung des Politbüros aufgegriffen worden, dass man aus dem Entwurf des Reisegesetzes den Passus herausnimmt und in Kraft treten lässt, der stän... - wie man so schön sagt oder so unschön sagt - die ständige Ausreise regelt, also das Verlassen der Republik. Weil wir es (äh) für einen unmöglichen Zustand halten, dass sich diese Bewegung vollzieht (äh) über einen befreundeten Staat (äh), was ja auch für diesen Staat nicht ganz einfach ist. Und deshalb (äh) haben wir uns dazu entschlossen, heute (äh) eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht (äh), über Grenzübergangspunkte der DDR (äh) auszureisen.

Frage: (Stimmengewirr) Das gilt ...? - Ohne Pass? Ohne Pass? (Nein, nein!) - Ab wann tritt das ...? (...Stimmengewirr...) Ab wann tritt das in Kraft?

Schabowski: Bitte?

Frage (Brinkmann, Journalist): Ab sofort? Ab ...?

Schabowski: ... (kratzt sich am Kopf) Also, Genossen, mir ist das hier also mitgeteilt worden (setzt sich, während er weiterspricht, seine Brille auf), dass eine solche Mitteilung heute schon (äh) verbreitet worden ist. Sie müsste eigentlich in Ihrem Besitz sein. Also (liest sehr schnell vom Blatt): "Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen - Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse - beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der VP - der Volkspolizeikreisämter - in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen."

Frage (Ehrman, Journalist): Mit Pass?

Schabowski: (Äh) (Liest) "Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD erfolgen. Damit entfällt die vorübergehend ermöglichte Erteilung von entsprechenden Genehmigungen in Auslandsvertretungen der DDR beziehungsweise die ständige Ausreise mit dem Personalausweis der DDR über Drittstaaten." (Blickt auf.) (Äh) Die Passfrage kann ich jetzt nicht beantworten (blickt fragend in Richtung Labs und Banaschak). Das ist auch eine technische Frage. Ich weiß ja nicht, die Pässe müssen ja, ... also damit jeder im Besitz eines Passes ist, überhaupt erst mal ausgegeben werden. Wir wollten aber ...

Banaschak: Entscheidend ist ja die inhaltliche Aussage ...

Schabowski: ... ist die ...

Frage: Wann tritt das in Kraft?

Schabowski: (blättert in seinen Papieren) Das tritt nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich (blättert weiter in seinen Unterlagen) ...

Labs: (leise) ... unverzüglich.

Beil: (leise) Das muss der Ministerrat beschließen.

Frage: Auch in Berlin? (... Stimmengewirr ...)

Frage (Brinkmann, Journalist): Sie haben nur BRD gesagt, gilt das auch für West-Berlin?

Schabowski: (liest schnell vor) "Wie die Presseabteilung des Ministeriums ..., hat der Ministerrat beschlossen, daß bis zum Inkrafttreten einer entsprechenden gesetzlichen Regelung durch die Volkskammer diese Übergangsregelung in Kraft gesetzt wird."

Frage (Brinkmann, Journalist): Gilt das auch für Berlin-West? Sie hatten nur BRD gesagt.

Schabowski: (Zuckt mit den Schultern, verzieht dazu die Mundwinkel nach unten, schaut in seine Papiere.) Also (Pause), doch, doch (liest vor): "Die ständige Ausreise kann über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu Berlin-West erfolgen."

Zitiert nach: Hertle, Hans-Hermann: Die Berliner Mauer, Berlin 2009