Versammlungsfreiheit – Ausdruck einer gelebten Demokratie

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Demonstration vor dem Berliner Reichstag

Ende Januar versammelten sich tausende Menschen vor dem Reichstagsgebäude, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren.

Foto: Hami Roshan/Middle East Images/AFP/Getty Images

Als die Mütter und Väter des Grundgesetzes unserem Land 1949 eine Verfassung gaben, schauten sie dabei auch auf die Weimarer Verfassung von 1919. Bereits dort war das Recht auf Freiheit zur Versammlung verankert. Im Grundgesetz ist es im Artikel 8 niedergeschrieben.

Und dieses Grundrecht ist aktueller denn je. So haben in diesem Jahr Millionen von Bürgerinnen und Bürgern in ganz Deutschland ihre Haltung gegen Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus gezeigt.

Die aktuellen Versammlungsthemen sind zahlreich: Recherchen zu rechtsextremen Plänen, Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker, Demonstrationen zu dem Krieg in Gaza, unterschiedliche Meinungen in der Friedenspolitik bis hin zu extremen religiösen Aufmärschen.  

Nicht alles findet den generellen Konsens und viele Meinungen sind schwer auszuhalten. Das Grundgesetz ist da weiser und toleranter: Die Freiheit seine Meinung allein oder kollektiv in einer Versammlung kundzugeben steht grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit zu. Deswegen ist zum Beispiel eine Versammlung deren Teilnehmer die Meinung kundtun, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht die richtige ist, als solche vom Grundgesetz gedeckt. Anders sieht es aus, wenn man eine aggressiv-kämpferische Haltung einnimmt und auf die Beseitigung dieser freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinarbeitet. Dafür hat unser Rechtsstaat schon heute sehr gute Mittel.

Artikel 8 des Grundgesetzes:
1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Recht auf aktive Beteiligung am politischen Diskurs

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in unserer Demokratie ist Zeichen von Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit selbstbewusster Bürgerinnen und Bürger. Dank Artikel 8 im Grundgesetz dürfen sie sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen versammeln.

Von einer Versammlung spricht man immer dann, wenn eine kollektive Meinungskundgabe stattfindet: Also, wenn sich mehrere Menschen zusammenfinden, um gemeinsam ihre Meinung an einem Ort öffentlich kund zu tun. Unter Gelehrten ist die Frage trefflich umstritten, wie viele Teilnehmer mindestens zusammenkommen müssen. Alle sind sich aber einig: Mehr als eine oder einer muss es sein.

Ein wegweisendes Urteil

Das Bundesverfassungsgericht befasste sich im Zusammenhang mit der Großdemonstration in Brokdorf Anfang der 1980er Jahre das erste Mal eingehend mit dem Versammlungsrecht und traf 1985 eine wegweisende Grundsatzentscheidung. Zahlreiche Menschen demonstrierten seinerzeit trotz eines Versammlungsverbots überwiegend friedlich gegen den Bau eines Atomkraftwerks. Vereinzelt gab es jedoch auch gewalttätige Ausschreitungen.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte damals das angeordnete Versammlungsverbot für grundrechtswidrig. Versammlungen unter freiem Himmel seien nicht schon deshalb rechtswidrig, weil eine Minderheit mit gewalttätigen Aktionen versuche, die Versammlung zu unterwandern und zu stören. Ansonsten könne praktisch jede Großdemonstration bei kleinstem Verdacht auf unfriedliche Absichten Einzelner immer verboten werden, entschied das Bundesverfassungsgericht. Aufgabe des Staates sei es, überwiegend friedliche Versammlungen zu schützen.

Bei Versammlungen, die sich aus einem aktuellen Anlass augenblicklich bilden – sogenannte Spontanversammlungen – bestehe zudem grundsätzlich keine Anmeldepflicht.

Menschenmassen demonstrieren in Brokdorf gegen den Bau eines Kernkraftwerks. Im Vordergrund ist eine Flagge mit dem Symbol "Atomkraft - Nein Danke" zu sehen.

In den 1980er-Jahren demonstrierten zahlreiche Menschen in Brokdorf gegen den Bau eines Atomkraftwerks.

Foto: Roba Archive/United Archives via Getty Images

Versammlungsfreiheit als unbequeme Form der Meinungsäußerung

Friedliche Versammlungen einzelner Gruppierungen und damit verbundene politische Äußerungen stoßen in der öffentlichen Meinung nicht immer auf ungeteilte Zustimmung. Demokratie bedeutet aber auch, Versammlungen Andersdenkender und deren Meinung zu tolerieren, auch dann, wenn sie unbequem ist. Der Staat kann Versammlungen nur unter engen Voraussetzungen unterbinden: Etwa, wenn gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen wird und Ausschreitungen von Gewalt oder das Begehen von Straftaten wahrscheinlich sind, und nicht etwa, wenn bei Demonstrationen vertretene Auffassungen der derzeit politischen Agenda entgegenstehen.

Es ist Ausdruck von gelebter Demokratie, sich mit unterschiedlichen Auffassungen auseinanderzusetzen und friedliche Versammlungen zu akzeptieren. Eine funktionierende Demokratie muss unterschiedliche Auffassungen und den kontroversen Diskurs aushalten.

Das Zusammenspiel mit der Meinungsfreiheit

Sowohl das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG) als auch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art.8 GG) tragen dazu bei, Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu eröffnen, sich aktiv an der politischen Diskussion mit eigener Meinung zu beteiligen. Während die Meinungsfreiheit die persönliche Meinung als solche schützt, erlaubt die Versammlungsfreiheit, diese Meinung im Rahmen von friedlichen Versammlungen gemeinsam mit anderen öffentlich zu äußern. Beide Grundrechte stehen nebeneinander, sind jedoch nicht ohne jeweils das andere denkbar.

Auch die Versammlungsfreiheit hat ihre Grenzen

Das Recht, sich unter freiem Himmel zu versammeln, findet immer dann seine Grenzen, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet ist. Das bedeutet, dass die staatliche Gewalt immer dann einschreitet, wenn Versammelte gewalttätig werden und aggressiv körperlich gegen Personen oder Sachen vorgehen. In diesen Fällen ist der Schutzbereich des Grundrechts überschritten.

Ebenso verhält es sich, wenn beispielsweise bei Demonstrationen antisemitische Parolen skandiert werden oder beispielsweise die freiheitlich-demokratische Grundordnung abgelehnt wird. In diesen Fällen ist es Aufgabe unseres Rechtsstaates, konsequent und mit aller Härte einzuschreiten.

Eine Versammlung kann vor ihrem Beginn verboten oder nach Veranstaltungsbeginn aufgelöst werden. In Deutschland trifft die Entscheidung zu einer konkreten Versammlung immer das jeweils zuständige Land. Allerdings ist dies immer das letzte Mittel. Grundsätzlich muss eine Abwägung getroffen werden, ob die Versammlung insgesamt oder lediglich einzelne Teilnehmer der Versammlung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen.