zur aktuellen Lage vor dem Deutschen Bundestag am 13. November 2024 in Berlin:
- Bulletin 112-1
- 13. November 2024
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bedanke mich ausdrücklich für die Gelegenheit, mich zur aktuellen politischen Lage zu äußern. Ich hatte darum gebeten. Das war notwendig, denn ich habe eine Entscheidung getroffen, die hier schon erwähnt worden ist: Ich habe letzte Woche den Bundesminister der Finanzen entlassen. Das hat zu Veränderungen der politischen Landschaft in Deutschland geführt. Ich habe die Gründe dafür letzte Woche genannt. Und will hier noch einmal eindrücklich und ausdrücklich sagen: Diese Entscheidung war richtig. Und sie war unvermeidlich.
Zugleich habe ich klargemacht, dass es bald Neuwahlen in Deutschland geben soll aufgrund der Möglichkeit, diese durch eine Vertrauensfrage des Bundeskanzlers herbeizuführen. Und ich bin sehr froh, dass die demokratischen Fraktionen im Deutschen Bundestag eine Einigung über die Frage erzielt haben, wie das schnell und geordnet stattfinden kann, damit die Bürgerinnen und Bürger bald entscheiden können. Der Termin Ende Februar steht nun. Und ich bin sehr dankbar dafür.
Als Bundeskanzler werde ich meinen Teil dazu leisten, dass das möglich ist. Deshalb werde ich die Vertrauensfrage am 11. Dezember beantragen, sodass der Bundestag am 16. Dezember darüber entscheiden kann. Das ist dann die Grundlage für die Wahlen in Deutschland, damit die Bürgerinnen und Bürger sagen können, wie es weitergehen soll in diesem Land.
Bis dahin ist die Bundesregierung im Amt. Das ist die Regelung, die wir im Grundgesetz gefunden haben nach den Erfahrungen der Weimarer Republik. Selbstverständlich ist das Parlament in dieser Zeit auch handlungsfähig. Wir können handeln. Und deshalb ist meine feste Überzeugung: Wir sollten die Zeit nutzen, die wir jetzt haben, um miteinander noch ganz wichtige Gesetze, die keinen Aufschub dulden, die not-wendig sind, für die Bürgerinnen und Bürger zu beschließen. Ich glaube, das müssen wir dem Land jetzt zeigen.
Ja, wir gehen auf einen Wahlkampf zu. Da werden unterschiedliche Positionen vor-getragen. Und das ist gut so. Aber gleichzeitig ist es so, dass wir als Demokratinnen und Demokraten mit unterschiedlichen Ausgangspositionen trotzdem handeln können, denn das muss ja auch in Zukunft so gehen, nach der Wahl. Das sollte uns bei all dem, was wir heute tun, leiten. Mein Angebot steht deshalb: Lassen Sie uns zum Wohl des Landes bis zur Neuwahl zusammenarbeiten! Es geht dabei ausschließlich um Vorhaben, die einigungsfähig sind mit einer guten Mehrheit, einer demokratischen Mehrheit in diesem Bundestag. Es sind nicht Dinge, bei denen man nur zu einer Mehrheit kommen kann mit denen, die unterschiedliche Positionen vertreten.
Da sind Positionen, da sind Fragen, da sind Themen für unser Land, die keinen Aufschub dulden bis nach der Bundestagswahl im April oder Mai, zum Beispiel als Allererstes die Frage nach mehr Netto vom Brutto. Wir haben uns entschieden, dass wir einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen wollen, der sicherstellt, dass die kalte Progression ausgeglichen wird. Das soll zum 1. Januar des nächsten Jahres gelten, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr verfügbar haben in dieser schwierigen Zeit. Deshalb, glaube ich, wäre es eine gute Sache, wenn wir als Fraktionen, die das richtig finden, in diesem Jahr noch eine solche Entscheidung treffen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Fleißigen in diesem Land, die sich jeden Tag anstrengen, entlastet werden schon ab Januar!
Zweitens: Wir brauchen Wachstumsimpulse für unser Land. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und zur Beratung der Bundesregierung hat dazu heute Vorschläge gemacht und klargestellt, dass die Wachstumsinitiative, die wir auf den Weg gebracht haben, dafür ganz zentral ist. Manche der Vorhaben, die da drinstehen, sind schon beschlossen. Viele liegen hier im Parlament. Und viele sind auch gar nicht streitig unter den allermeisten, die hier im Parlament Verantwortung tragen. Deshalb, glaube ich, wäre es gut für die Wachstumsperspektive unseres Landes, wenn wir möglichst viel von dieser Wachstumsinitiative schnell und zügig für ein gutes Wachstum in Deutschland beschließen können.
Es gibt das Kindergeld und den Kinderzuschlag – das steht ebenfalls zur Debatte –, und auch da ist eine Erhöhung für Anfang des kommenden Jahres geplant. Ich sage auch an dieser Stelle: Für die vielen Familien in diesem Land wäre es möglich und nötig, dass wir parteiübergreifend den Weg frei machen, damit die Kindergelderhöhung zum Januar tatsächlich zustande kommen kann.
Und schließlich ist da ein Thema, das mich sehr umtreibt und viele andere auch – wir haben es schon gehört –: der Schutz unseres Bundesverfassungsgerichts. Wir haben eine gute Tradition – übrigens auch eine Lehre, die uns die Weimarer Republik hinterlassen hat – mit einem starken Bundesverfassungsgericht. Deshalb ist es jede Anstrengung und Mühe wert, dass wir hier im Deutschen Bundestag die dazu über-fraktionell geplanten Änderungsanträge noch beschließen. Ich bitte um den Schutz des Bundesverfassungsgerichts. Ein Blick in Nachbarländer zeigt, dass das manch-mal schwer werden kann, wenn Populistinnen und Populisten sowie Extremisten zu stark werden. Deshalb ist das eine Sache, die keinen Aufschub duldet.
Es gibt sicher noch viele weitere Vorhaben, über die wir beschließen können in diesem und im nächsten Jahr. Nicht alle werden eine Mehrheit finden. Aber es gibt welche, über die in Wahrheit ein Konsens existiert zwischen der größten Oppositionsfraktion und den Regierungsfraktionen. Und ich glaube, dass dieser Konsens auch tragen sollte. Das ist dann keine Sache, wo wir einander vorführen, wo wir sagen, wie der eine oder der andere ist, sondern das sind Entscheidungen, die wir noch treffen, weil sie möglich sind. Und mein Vorschlag, mein Appell an dieses Haus: Lassen Sie uns da, wo wir einig sind, auch einig handeln! Es wäre gut für unser Land.
Große Kraftanstrengungen sind notwendig. Die braucht es jetzt. Die wird es auch in der Zukunft geben. Und es ist auch klar: Die Zeiten, in denen wir leben, sind verdammt rau. Das wird nicht einfach werden, weder vor der Wahl noch nach der Wahl. Alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes verspüren das ziemlich genau. Unverändert tobt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Unverändert ist es notwendig, dass wir die Ukraine unterstützen. Unverändert ist es notwendig, dass wir alles dafür tun, dass dieser Krieg nicht weiter eskaliert. Auch das ist eine Herausforderung, vor der wir stehen.
Es gibt die Gefahr einer Eskalation im Nahen und Mittleren Osten. Wir sehen, dass der freie Handel, der unsere Volkswirtschaft so stark gemacht hat, immer wieder bedroht ist, dass offene Märkte unter Druck geraten – etwas, auf das wir als Deutschland, als exportorientierte Nation natürlich reagieren müssen. Und deshalb ist es richtig, dass wir uns dagegen mit aller Kraft stemmen. Es geht um Deutschlands Zukunft und um eine gemeinsame Zukunft in Europa.
Ich habe am Sonntag mit Präsident Trump gesprochen. Vorweg: Das war ein gutes Gespräch, ein gutes Gespräch über viele Fragen, die uns miteinander bewegen, und im Übrigen ein wichtiges Zeichen – übrigens über Parteigrenzen hinweg. Aus meiner Sicht ist die gute transatlantische Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA, die gute transatlantische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA seit Jahrzehnten eine Grundlage des Erfolgs unseres Landes. Wir sollten auch in den nächsten Jahrzehnten – egal, wer da und dort regiert – alles dafür tun, dass diese Beziehungen sich weiter gut entwickeln.
Gleichzeitig muss Deutschland seiner Verantwortung gerecht werden und den Weg entschlossen weitergehen, den wir eingeschlagen haben. Zu diesem Weg zählt – das will ich ausdrücklich an dieser Stelle sagen – auch das, was als Konsequenz aus der Zeitenwende von der Regierung auf den Weg gebracht wurde und von diesem Deutschen Bundestag unterstützt wurde: das Sondervermögen für die Bundeswehr, dass wir mehr für unsere Verteidigung ausgeben, dass wir uns besser koordinieren in der Nato und uns auf Landesverteidigung konzentrieren. Wir haben in Deutschland und Europa unsere Aufgaben weiter zu erfüllen – für unsere Sicherheit und für die Sicherheit Europas.
Wir müssen auch unseren Staat und die Wirtschaft stärken. Das zeigen die Krisen der vergangenen Jahre. Und wir müssen in diesem Zusammenhang enger zusammenarbeiten. Über dieses Thema bestand auf dem letzten Europäischen Rat in Budapest große Einigkeit. Und alle hatten das Gefühl, sich unterhaken zu wollen. Ich bin mit dem französischen Präsidenten darüber einig, dass wir dabei eine zentrale Rolle spielen müssen, dieses Europa auf Kurs zu halten. Und wir werden diese Fragen auch bei dem anstehenden Gipfel der G20-Staaten in Brasilien anzusprechen haben.
Eine Aufgabe, die wir in Europa haben, ist ganz klar: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Ukraine als demokratische, souveräne Nation eine gute Perspektive hat. Wir haben eine Verantwortung dafür, dass sie nicht alleine gelassen wird. Das wird dort zu besprechen sein. Aber ich will auch ausdrücklich sagen – und das muss klar sein –: Es darf keine Beschlüsse über die Ukraine hinweg geben. Die Ukraine kann sich auf unser Land und unsere Solidarität verlassen.
Dabei will ich gar nicht verhehlen, dass es aus meiner Sicht in der nächsten Zeit da-rauf ankommt, dass wir gleichzeitig alles dafür tun, dass dieser Krieg nicht weiter eskaliert und wir nicht Kriegspartei werden. Und eines will ich hier auch sagen: Ich bekenne mich dazu, ich unterstreiche, dass ich es unverändert richtig finde, dass ich meinen Beitrag dazu geleistet habe, dass es keine Eskalation gegeben hat. Ich sage ausdrücklich: Das Land in Europa, das am meisten dafür tut, dass die Ukraine nicht alleine gelassen und unterstützt wird, ist auch ein Land, das dafür Sorge zu tragen hat, dass es diese Eskalation nicht gibt. Deshalb wiederhole ich meine Haltung in dieser Frage: Ich bin dagegen, dass mit den von uns gelieferten Waffen weit in russisches Territorium hineingeschossen werden kann. Und ich werde meine Haltung nicht ändern, was die Lieferung eines Marschflugkörpers aus Deutschland betrifft.
Auch darüber werden wir im Wahlkampf sicherlich diskutieren. Deshalb sage ich das hier so ausdrücklich und unterstreiche es: Ich bin froh, dass ich Verantwortung haben durfte in dieser schwierigen Zeit, denn ich bin sicher, dass es dazu beigetragen hat, dass wir besonnen und vernünftig in einer gefährlichen Lage gehandelt haben.
Bei der Bundestagswahl wird auch die Frage zu entscheiden sein, wie wir die Unterstützung der Ukraine in Zukunft absichern. Ja, wir haben sehr viel getan, damit das möglich ist. Ich habe mich weltweit – auch zusammen mit dem Bundesminister der Finanzen – dafür eingesetzt, dass wir einen 50-Milliarden-Dollar-Kredit auf den Weg bringen, der eine globale Unterstützung möglich macht, gerade angesichts der Tatsache, dass viele Länder nicht mehr so richtig in der Lage und gewillt sind, so viel zu tun, wie wohl notwendig ist. Wie dringend erforderlich das war, sehen wir jetzt, wenn wir erfahren, dass ein großer Teil der Mittel gar nicht, wie von uns ursprünglich gedacht, überwiegend für Verteidigung ausgegeben werden muss, sondern erst mal zur Haushaltsstabilisierung beitragen muss.
Ja, es ist richtig, was wir getan haben, um die Unterstützung zu organisieren. Aber eine Frage muss beantwortet werden – darüber haben wir in der Regierung die letzten Jahre immer wieder diskutiert, und wir haben wirklich alles versucht, es auch anders möglich zu machen. Diese Frage lautet: Soll die Unterstützung der Ukraine mit mehr als zwölf Milliarden Euro aus dem deutschen Bundeshaushalt finanziert werden auf Kosten von Entscheidungen, die für die Zukunft unseres Landes notwendig sind? Meine Antwort lautet: Nein.
Wir können deswegen nicht bei den Investitionen in unsere Infrastruktur sparen, Straßen, Brücken und Schienen verrotten lassen und dort nicht die notwendigen Investitionen auf den Weg bringen. Es kann nicht sein, dass die notwendigen Mittel für die Modernisierung unserer Volkswirtschaft fehlen und wir dafür mit weniger Wachstum für die Unternehmen und weniger Arbeitsplätzen bezahlen. Ich wiederhole auch, was ich an anderer Stelle gesagt habe: Es kann nicht sein, und es soll nicht sein aus meiner Sicht, dass die Unterstützung der Ukraine dazu führt, dass es zu Einschnitten bei Rente, Pflege und Gesundheit kommt. Das alles will ich unserem Land ersparen.
Jetzt tun ja einige so, als ob das gar nicht zur Debatte stünde. Doch! Ich sage: Doch, das steht zur Debatte. Und das wird auch die eine große Debatte sein in der kommenden Bundestagswahl. Deshalb ist es gut, dass sie jetzt bald stattfindet und die Bürgerinnen und Bürger das Wort haben.
Ich will einmal die Frage des Rentenniveaus aufgreifen. Es gibt den Vorschlag der Regierung, der dem Parlament vorliegt, das Rentenniveau zu stabilisieren. Ich sage hier auch klar und unmissverständlich – lassen Sie uns die Kontroversen über diese Frage austragen –: Wer das Rentenniveau nicht stabilisieren will, der kürzt am Ende die Renten. Sie werden für heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geringer ausfallen. Und das ist etwas, was wir nicht akzeptieren sollten. Das ist eine Rentenkürzung durch Unterlassen. Ich sage ausdrücklich: Nicht mit mir.
Das gilt auch für die Vorschläge, die wir zuletzt in der Regierungskoalition mit den Vertretern der FDP diskutiert haben. Die Idee, dass man an der Formel, wie das Rentenniveau berechnet wird, etwas ändern sollte, klingt ja erst einmal wie bloße Mathematik. Aber im Ergebnis kommt dabei, verglichen mit den heutigen Berechnungen, ein niedrigeres reales Niveau heraus. Und das bedeutet für künftige Generationen, dass ihr Rentenniveau und damit ihre Rente geringer ausfällt. Auch dazu sage ich: Nicht mit mir!
Ich habe deshalb in der vergangenen Woche Vorschläge gemacht, wie wir das alles hinbekommen können, wie wir äußere und innere, wirtschaftliche und soziale Sicherheit erhalten können, ohne das eine gegen das andere auszuspielen. Der Koalitionspartner war nicht dazu bereit. Das ist ein Dissens in einer fundamentalen Frage. Und den konnte ich und will ich diesem Land nicht zumuten. Darum musste ich Konsequenzen ziehen.
Nun entscheiden die Bürgerinnen und Bürger im Februar eben auch über die Frage, ob wir unser Land zusammenhalten oder ob wir es spalten. Das ist keine Frage für irgendein Feuilleton, wo man sich darüber Gedanken macht, wie das sein könnte. Das ist eine reale Frage, über die die Bürgerinnen und Bürger zu entscheiden haben. Und das ist auch die zentrale Frage der kommenden Wahl. Darum geht es im Februar. Ich will vermeiden, dass es zu Verteilungskämpfen „Jeder gegen jeden“ kommt. Ich will nicht, dass das eine gegen das andere ausgespielt wird. Ich will, dass unser Land und unsere Demokratie stark bleiben.
Und natürlich gehört dazu, dass wir mehr in Sicherheit investieren. Das tun wir; da-ran soll kein Zweifel bestehen. Aber ich sage mit der derselben Klarheit: Das darf nie zulasten unseres Zusammenhalts gehen, niemals zulasten von Rente, Gesundheit oder Pflege. Sicherheit und Zusammenhalt – das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Das habe ich am letzten Mittwoch gesagt. Und ich wiederhole es hier: Ich werde die Bürgerinnen und Bürger niemals vor die Wahl stellen: Entweder wir investieren in unsere Sicherheit oder in gute Arbeitsplätze und Wirtschaft und Infrastruktur, entweder wir geben Geld für die Bundeswehr, oder wir haben sichere Renten, entweder wir unterstützen die Ukraine, oder wir investieren in Deutschland. Dieses Entweder-oder ist falsch und führt unser Land in die Irre. Dieses Entweder-oder ist ein Konjunkturprogramm für Populisten und Extremisten. Das schadet und zerreißt Deutschland.
Dieses seltsame Entweder-oder und die entsprechenden Vorschläge kommen übrigens fast immer nur von Leuten, die nicht rechnen müssen, ob das Geld oder die Rente bis zum Monatsende reicht, von Leuten, die sich keine Gedanken machen müssen über die neue Waschmaschine, den Jahresurlaub oder die Klassenfahrt der Kinder. Aber mir geht es eben um diejenigen, die sich diese Gedanken machen müssen, die keine laute Lobby haben, die hart arbeiten und trotzdem keine großen Sprünge machen können. Sie würde dieses Entweder-oder besonders hart treffen. Und das sollten wir nicht zulassen.
Übrigens: In keiner anderen der großen wirtschaftsstarken Demokratien gibt es eine vergleichbare Debatte. Ich finde nicht alles gut, was anderswo in den G7-Staaten so entschieden wird. Und ich bin sehr stolz darauf, dass Deutschland ein Land ist, das gut mit seinem Geld umgeht und eine Staatsverschuldung hat, die in Richtung 60 Prozent marschiert, während die unserer Partner bei über 100 Prozent liegt.
Wenn ich mit den Regierungschefs in Kanada oder Japan spreche, dann sagen die nicht: mehr Geld in Digitalisierung und Klimaschutz, dafür kürzen wir den Leuten die Rente. Der britische Premierminister käme auch nicht auf die Idee zu sagen: Wir investieren mehr in unsere Armee, aber dafür streichen wir bei der Gesundheitsversorgung. Eine konservative Vorgängerin des jetzigen Premierministers hat das versucht, und sie war dann genau 45 Tage im Amt. In all diesen Ländern ist klar: Wir müssen jetzt unsere Sicherheit stärken, aber wir müssen zugleich in moderne Wirtschaft und gute Arbeit investieren, in Infrastruktur und Technologien, für die guten Arbeitsplätze der Zukunft, damit wir in 10, 20 Jahren Geld damit verdienen können, in Technologien, bei denen Deutschland an der Spitze stehen kann.
Das ist die Entscheidung, um die es geht. Es geht darum, ob wir wie unsere Partner weltweit vorangehen, kraftvoll und zukunftssichernd investieren und das Land zusammenhalten oder ob wir das eine gegen das andere ausspielen auf Kosten unserer Zukunft, auf Kosten unseres Zusammenhalts. Ich habe klargemacht und wiederhole, wofür ich stehe, wofür ich kämpfe. Ich bin sicher: Die kommende Wahl wird breiten Rückhalt für diesen Kurs bringen.
Es sind noch gut drei Monate bis zur Wahl. Dann entscheiden die Bürgerinnen und Bürger. Davor gibt es den Wahlkampf. Das hält die Demokratie lebendig. Eines sollten wir nie vergessen, trotz der Diskussion, die wir im Wahlkampf und in Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern führen: Es gibt auch den Tag nach dem Wahlkampf, den Tag nach der Bundestagswahl. An diesem Tag werden demokratische Wettbewerber an einem Tisch sitzen und sich in die Augen schauen müssen. Konkurrenten müssen zusammenfinden und Lösungen erarbeiten, und zwar gemeinsam. Dann zählt nicht Polarisierung, sondern Kooperation und Kompromisse, und zwar über Parteigrenzen hinweg und auch – das zeichnet sich ab – über politische Lager hinweg. Das ist alles nicht leicht. Ich habe das in den vergangenen drei Jahren erlebt und – das will ich gar nicht verhehlen – auch manch hohen Preis dafür bezahlt.
Aber ich bin überzeugt: Der Weg des Kompromisses bleibt der einzig richtige Weg. Es braucht Kraft und Mut, um vom eigenen Standpunkt etwas abzurücken, um eine Lösung für alle zu ermöglichen. Das geht gar nicht anders in einem föderalen demokratischen Land. Dort, wo alle gut zusammengearbeitet haben, gibt es gute Ergebnisse, übrigens auch zusammen mit der CDU/CSU, oft auch in den Ländern. Und das ist gut so. Als Beispiel nenne ich das Sondervermögen für die Bundeswehr – eine notwendige Antwort auf die Zeitenwende. Als Beispiel nenne ich auch die Zusammenarbeit mit den Ländern, wenn es um die irreguläre Migration geht. Die Asylgesuche sind um mehr als 50 Prozent zurückgegangen. Das ist ein großer Erfolg gemeinsamen Handelns in Regierung, Exekutive und Gesetzgebung.
Auch was den Ausbau der erneuerbaren Energien, Windkraft und Solarenergie, und die Stromnetze angeht, sind wir schneller geworden. Die Reallöhne steigen wieder, die Renten auch. Die Inflation liegt wieder bei zwei Prozent. Und wir haben – vergessen wir das nicht –, als Russland plötzlich den Gashahn abdrehte, die Energieversorgung dieses Landes gesichert und mit sehr vielen Milliarden die Energiepreise stabilisiert.
Als Sozialdemokrat füge ich hinzu: Ich bin auch stolz darauf, dass der Niedriglohnsektor kleiner geworden ist. Früher war jeder Vierte dort beschäftigt, heute ist es je-der Siebte. Ein wesentlicher und keinesfalls der einzige Beitrag war die Anhebung des Mindestlohns, wodurch sechs Millionen Beschäftigte mehr Geld hatten. Auch diejenigen, die wenig verdienen, fleißig sind und arbeiten, haben Respekt verdient. Sie sind Leistungsträger in diesem Land.
Das alles zeigt doch, was möglich ist, wenn wir an einem Strang ziehen. Dass dies in der Regierungsarbeit zuletzt nicht mehr möglich war, bedauere ich. Daraus habe ich vergangenen Mittwoch die nötigen Konsequenzen gezogen. Damit meine ich nicht allein die Konsequenz, den Bundesminister zu entlassen. Ich habe auch für mich die Konsequenz gezogen: Öffentlicher Streit darf nie wieder die Erfolge der Regierung überlagern. Dafür werde ich sorgen – mit den Konsequenzen, die das dann haben kann. Natürlich funktioniert das nicht mit der Faust auf dem Tisch oder indem man alle zu Gegnern erklärt, sondern indem man Kompromisse möglich macht, dafür kämpft und sie durchsetzt. Deshalb werde ich eines ganz sicher nicht bereuen, nämlich dass ich tagtäglich und bis zum Schluss, bis zum letzten gemeinsamen Tag dieser Regierungskoalition Kompromisse angeboten habe. Es gibt keine Demokratie ohne Kompromisse, keinen Zusammenhalt und keine Zusammenarbeit ohne Kompromisse.
Wir alle haben die Wahlen in den Vereinigten Staaten verfolgt. Wir haben gesehen, wie kontrovers, wie hoch emotional dort die Debatte gewesen ist und wie geteilt das Land ist. Ich habe ein Buch von einem amerikanischen Autor mit dem Titel „Why We’re Polarized“ gelesen, ein Thema, das einen bewegen muss. Das Land ist tief gespalten. Politische Unterschiede zerreißen Freundschaften und Familien.
Ich will nicht, dass es bei uns in Deutschland so weit kommt. Ich möchte, dass wir nicht nur übereinander reden, sondern eben auch miteinander. Ich möchte, dass wir nicht auf andere herabschauen. Reich gegen Arm, Jung gegen Alt, konservativ gegen liberal, hier geboren oder später hinzugekommen, Großstadt gegen Land – wenn wir uns so aufspalten oder aufspalten lassen, dann haben wir ein Problem. Manche wollen das mit der Spaltung. Es ist ihr politisches Geschäftsmodell. Sie sind diejenigen, die die Spaltung wollen.
Und deshalb sage ich: Wir Demokratinnen und Demokraten müssen gemeinsam da-für sorgen, dass es dazu nicht kommt. Selbst wenn wir unterschiedliche politische Vorstellungen haben, eines ist klar: Wir leben in einem Land. Wir sind besser dran, wenn wir zusammenhalten, wenn wir uns auch nach einer Auseinandersetzung noch in die Augen schauen können. Das gilt für die Politik, das gilt für unser ganzes Land.
Schönen Dank.