Wissen zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Von Geldautomaten bis zu Webseiten: Vieles ist im Alltag für Menschen mit Behinderung schwer zugänglich. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das am 28. Juni in Kraft tritt, soll das ändern und mehr Teilhabe ermöglichen. Was geplant ist, lesen Sie hier.
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Webseiten mit Vorlesefunktion fördern die Teilhabe sehbehinderter Menschen.
Foto: Bundesregierung/Raik Tybussek
Kleine Schriftgrößen, geringe Kontraste oder eine fehlende Audioausgabe: Webseiten, Produktverpackungen und Automaten können für Menschen mit Beeinträchtigungen zu Herausforderungen im Alltag werden. Um diese Barrieren abzubauen, tritt am 28. Juni das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – kurz BFSG – in Kraft. Davon profitieren rund 13 Millionen Menschen in Deutschland, die durch Behinderung oder Alter beeinträchtigt sind.
Mit dem BFSG setzt Deutschland die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act) von 2019 um. Die Richtlinie umfasst einheitliche Anforderungen an die Barrierefreiheit von bestimmten Produkten und Dienstleistungen in den EU-Mitgliedstaaten.
Einheitliche Standards stärken den Binnenmarkt und tragen dazu bei, dass mehr preisgünstige barrierefreie Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung stehen. In Deutschland wurde das BFSG 2021 verabschiedet. Am 28. Juni tritt es nun vollständig in Kraft. Es verpflichtet erstmalig private Unternehmen in Deutschland dazu, ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten.
Zu den konkreten Anforderungen zählen etwa Vorgaben zur Schriftgröße, zu Vorlesefunktionen und zu Kopfhöreranschlüssen. Sie sollen gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen bestimmte Produkte und Dienstleistungen ohne fremde Hilfe auffinden und nutzen können.
Unter das BFSG fallen unter anderem Fernseher mit Internetzugang, Computer, Tablets und Smartphones sowie Geld- und Fahrscheinautomaten, E-Books und Router.
Webseiten und Apps, die Dienstleistungen anbieten, fallen ebenso unter das BFSG. Dazu zählt zum Beispiel das Online-Banking, die Online-Buchung von überregionalen Tickets und auch Online-Shops. Messenger-Dienste und Dienste zur Personenbeförderung müssen ebenfalls barrierefrei werden.
Die Bedienung von Handys und Automaten sowie ihre Anleitungen und Verpackungen müssen in Zukunft beispielsweise über mindestens zwei Sinne wahrnehmbar sein. Konkret bedeutet das, dass etwa Geldautomaten auch über eine Sprachausgabe verfügen sollen. Diese muss man außerdem in Lautstärke und Geschwindigkeit anpassen können.
Angezeigte Texte müssen ausreichend groß und kontrastreich gestaltet sein. Ebenso soll auf eine verständliche Sprache geachtet werden. Außerdem müssen Nutzerinnen und Nutzer flexibel die Helligkeit und den Kontrast einstellen können. Abgebildete Farben und Bilder werden zum Beispiel durch Bildunterschriften und Audiokommentare ergänzt.
Webseiten und Apps, die Dienstleistungen anbieten, müssen über mindestens zwei Sinne wahrnehmbar sein. Webseiten müssen dabei verständlich aufgebaut sein. Barrierefreie Texte haben eine angemessene Schriftgröße, bieten ausreichende Zeilenabstände und sind kontrastreich gestaltet. Außerdem müssen Texte unterstützende Anwendungen wie eine Vorlesefunktion ermöglichen. Durch vorlesbare Bildunterschriften werden Abbildungen auch für Menschen mit Seheinschränkungen wahrnehmbar.
Grundsätzlich gilt das BFSG für alle Hersteller, Händler und Importeure der genannten Produkte und Dienstleistungen. Ausnahmen gelten aber zum Beispiel für sogenannte Kleinstunternehmen. Das sind Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens zwei Millionen Euro. Für Dienstleistungen solcher Unternehmen ist die Barrierefreiheit freiwillig. Stellen Kleinstunternehmen aber Produkte her oder bringen diese in den Verkehr, so gilt auch für sie das BFSG.
Das Gesetz tritt grundsätzlich für alle Produkte in Kraft, die nach dem 28. Juni 2025 produziert werden. So muss beispielsweise ein E-Book, das nach diesem Datum auf den Markt gebracht wird, grundsätzlich barrierefrei sein.
Für einige Produkte und Dienstleistungen müssen die Barrierefreiheitsanforderungen erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt sein. So gibt es für bestimmte Dienstleistungen eine Übergangsfrist von fünf Jahren, für Selbstbedienungsterminals wiederum gilt eine Übergangsfrist von 15 Jahren.
Barrierefreie Produkte und Dienstleistungen eröffnen Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, selbstbestimmt zu reisen, einzukaufen und Bankgeschäfte zu erledigen. Daher ist das BFSG ein wichtiger Schritt in Richtung inklusive Gesellschaft.
Gleichzeitig ist Barrierefreiheit eine Chance für Unternehmen: Bei 13 Millionen beeinträchtigten Menschen in Deutschland können Anbieter mit dem BFSG ihre Zielgruppe erweitern. Insbesondere vor dem Hintergrund älter werdender Verbraucherinnen und Verbraucher kann dies auch ein zukünftiger Wettbewerbsvorteil sein.
Durch einheitliche EU-Regelungen gilt dieses Potential ebenso für den europäischen Binnenmarkt. In der gesamte EU können somit rund 87 Millionen Menschen, die mit körperlichen oder geistigen Behinderungen leben, besser eingebunden werden. Von Barrierefreiheit profitieren langfristig alle Seiten.