- Bulletin 23-98
- 1. April 1998
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl gab am 26. März 1998 zum diesjährigen Tag der
älteren Generation am 1. April folgende Erklärung ab:
Wie in den vergangenen Jahren begehen wir auch in diesem Jahr am ersten
Mittwoch im April den Tag der älteren Generation. Ich begrüße diese
Initiative. Denn die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger verdienen unser
aller Respekt und Hochachtung. Was die Aufbaugeneration geleistet hat, können
viele Jüngere heute nicht mehr ermessen. Die Zuversicht und die Tatkraft, mit
denen viele Frauen und Männer nach dem Zweiten Weltkrieg zum Neubeginn in
unserem Land beigetragen haben, sind und bleiben ein Vorbild.
Im Rückblick auf die fünfziger Jahre wird heute vielfach von einem
"Wirtschaftswunder" gesprochen. Aber in Wahrheit war dies kein Wunder, sondern
das Ergebnis harter Arbeit von Millionen von Menschen, die den Mut nicht
sinken ließen, sondern die Ärmel hochgekrempelt und mit angepackt haben.
Auch im östlichen Teil unseres Vaterlandes gingen die Menschen nach dem Krieg
daran, die Zerstörungen zu beseitigen und ihre Häuser und Städte
wiederaufzubauen. Sie haben genauso hart gearbeitet wie die Menschen im
Westen, aber der SED-Staat hat sie um die Früchte ihrer Arbeit betrogen.
Deswegen ist es richtig, daß die Bundesregierung mit der Wiedervereinigung die
Rente in den neuen Ländern an das Rentenniveau in den alten Bundesländern
angeglichen hat.
Die Generation der Seniorinnen und Senioren steht für Werte und Prinzipien,
die wir für die Gestaltung der Zukunft unseres wiedervereinigten Vaterlandes
dringend benötigen. Zwei Drittel der heute lebenden Deutschen sind nach dem
Zweiten Weltkrieg geboren und aufgewachsen, sie kennen die Anfänge unserer
Republik nicht mehr aus eigener Anschauung. Deshalb möchte ich die Älteren
unter uns ermuntern, ihre Erlebnisse, Erfahrungen und ihr Wissen an die
Jüngeren weiterzugeben.
In weniger als zwei Jahren beginnt das 21. Jahrhundert. Unser Land steht vor
großen Herausforderungen und Aufgaben. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß
sich die Welt um uns herum, aber auch unsere eigene Gesellschaft dramatisch
verändert haben. Deshalb brauchen wir heute in vielen Bereichen die
Bereitschaft zum Umdenken und zu grundlegenden Veränderungen.
Das gilt insbesondere auch für unsere sozialen Sicherungssysteme. Angesichts
des tiefgreifenden demographischen Wandels in unserem Land gilt es, den
bewährten Generationenvertrag in der Rentenversicherung auch für kommende
Generationen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Die jüngst verabschiedete
Rentenreform trägt dieser Herausforderung Rechnung. Dabei hält die
Bundesregierung am System der lohn- und beitragsbezogenen Rente fest. Auch in
Zukunft wird die Rente finanzielle Sicherheit im Alter gewährleisten. Durch
die neue Rentenanpassungsformel wird keine Rente gekürzt, aber der weitere
Anstieg der Renten wird der demographischen Entwicklung Rechnung tragen. Um
den Generationenvertrag zu stärken, wurden darüber hinaus die
Kindererziehungszeiten bei der Rente stärker berücksichtigt.
Die meisten Seniorinnen und Senioren in der Bundesrepublik Deutschland
erfreuen sich guter Gesundheit und nehmen wichtige Funktionen in unserer
Gesellschaft wahr. Dafür bin ich sehr dankbar. Unsere Fürsorge muß all
denjenigen gelten, die hilfs- und pflegebedürftig sind. Deshalb hat die
Bundesregierung im Jahre 1995 die Pflegeversicherung eingeführt. Sie wird auch
künftig dafür Sorge tragen, daß die Qualität der Pflege gesichert bleibt.
Die Zukunft unseres Landes wird wie nie zuvor von der Frage bestimmt, wie
Ältere und Jüngere zusammen leben. Deshalb müssen wir alle uns um ein
Miteinander bemühen, das von Menschlichkeit, Offenheit und Toleranz geprägt
ist. Wenn wir dies beachten, können wir für Deutschland gemeinsam eine gute
Zukunft gestalten.