Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier

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Liebe ehemalige Hoheneckerinnen, was für ein Ort! Was für ein Unrecht! Und wie viele Schicksale! Ich habe in Vorbereitung auf die heutige Eröffnung viele Ihrer Lebensgeschichten nachgelesen, und ich habe heute Morgen beim Rundgang einige zusätzliche gehört – erschütternde Geschichten von menschlicher Kälte, Unbarmherzigkeit, staatlicher Willkür und Zynismus.

Sie alle wurden während der SED-Diktatur hier an diesem Ort, im größten Frauengefängnis der DDR, aus politischen Gründen unschuldig eingesperrt. Sie wurden hier eingesperrt, weil Sie frei und selbstbestimmt leben wollten. Für viele von Ihnen war nach Hoheneck nichts mehr so, wie es davor gewesen war. Viele kämpfen bis heute mit den Folgen der Haft.

Ich kann das Leid kaum ermessen, das Sie an diesem Ort erfahren mussten. Und ich kann nicht ungeschehen machen, was die Machthaber und Handlanger des SED-Regimes Ihnen damals angetan haben. Aber ich will mithelfen, dass Ihr Schicksal endlich in ganz Deutschland gesehen und anerkannt wird. Deshalb bin ich heute hier.

Ich weiß, für die meisten von Ihnen ist es unsagbar schwer, an diesen Ort zurückzukehren. Manche sind seit dem Ende der DDR trotzdem immer wieder hergekommen, um die Erinnerung wachzuhalten. Andere sind heute zum ersten Mal seit ihrer Freilassung wieder hier oben in Hoheneck. Ich habe großen Respekt vor Ihrer Kraft und Ihrem Mut. Und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mich vorhin durch die Burg geführt haben. Dass Sie mir einiges von dem berichtet haben, was Ihnen damals im Zellenhaus, im Hof, im Keller dieses Gefängnisses widerfahren ist.

Wir denken heute an die vielen Mütter, die hier in Hoheneck unschuldig eingesperrt waren. Sie alle wurden von ihren Kindern getrennt. Manche haben ihre Kinder nie wiedergesehen. Andere mussten nach der Haft erleben, dass sie ihrem Sohn oder ihrer Tochter fremd geworden waren.

Wir denken an die Kinder, die jahrelang keine Chance hatten, zu verstehen, warum ihre Mutter von einem Tag auf den anderen verschwunden war. An all jene, deren Mutter nicht mehr dieselbe war, als sie zu ihnen zurückkehrte.

Wir denken heute auch an die Frauen, die hier im Frauengefängnis Hoheneck ihr Leben verloren. Sie starben an Hunger, an Krankheiten, an den Folgen von Arbeitsunfällen. Manche nahmen sich das Leben.

Wir denken an die ehemaligen Hoheneckerinnen, die in den vergangenen Jahren gestorben sind. An jene, die heute nicht bei uns sein können, weil sie alt und krank sind. Oder weil es für sie immer noch unvorstellbar ist, an diesen Ort zurückzukehren.

Liebe ehemalige Hoheneckerinnen, viele von Ihnen haben sich seit der Friedlichen Revolution dafür eingesetzt, dass hier an diesem Ort eine würdige Gedenkstätte entsteht. Eine Gedenkstätte, die an die rund 8.000 Frauen erinnert, die zwischen 1950 und 1989 in der Gefängnisburg Hoheneck aus politischen Gründen einsaßen. Und auch an die vielen anderen Frauen, die hier eingesperrt waren, weil sie tatsächlich Straftaten begangen hatten, deren Menschenrechte im Haftalltag aber ebenfalls mit Füßen getreten wurden.

Dass wir diese Gedenkstätte heute gemeinsam eröffnen können, das ist zuallererst Ihr Verdienst. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihr Engagement. Ich stehe hier in tiefem Respekt vor Ihrem Mut und Ihrem Willen zur Freiheit.

Liebe Gäste, die Geschichte des Frauengefängnisses Hoheneck handelt von der Furcht des SED-Regimes vor all jenen, die sich nach Freiheit sehnten, die kritische Fragen stellten, die gegen Lügen und Unterdrückung aufbegehrten. Die meisten der rund 250.000 Frauen und Männer, die in der DDR politisch verfolgt wurden, bezahlten einen hohen Preis für ihren Freiheitswillen. Viele verloren ihr Leben.

Hier in Hoheneck machen wir uns heute bewusst: Die Friedliche Revolution begann nicht erst im Jahr 1989. Seit der Befreiung vom Nationalsozialismus gab es in der Sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR immer mutige Menschen, die für Freiheit und Demokratie eintraten. Sie alle stehen in einer Linie mit den Frauen und Männern, die vor 35 Jahren in Plauen, Leipzig oder Berlin auf die Straße gingen und die Mauer zum Einsturz brachten. Sie alle gehören zur Freiheitsbewegung der DDR!

Die Geschichte des Frauengefängnisses Hoheneck endet nicht an den Grenzen der DDR. Sie handelt auch von deutsch-deutschen Geschäften, von Neuanfängen im Westen, von fehlendem Verständnis dafür, was es bedeutete, in der SED-Diktatur zu leben oder als sogenannte „Politische“ in einem DDR-Gefängnis eingesperrt zu sein. Hoheneck, das ist eine gesamtdeutsche Geschichte. Ich wünsche mir, dass das noch mehr Menschen in unserem Land bewusst wird. Auch deshalb freue ich mich, dass wir heute diese Gedenkstätte eröffnen. Es ist eine Gedenkstätte von gesamtdeutscher Bedeutung.

Die Geschichte, an die wir heute erinnern, beginnt im Februar 1950. Damals kamen mehr als tausend Frauen unten am Bahnhof Stollberg an. Viele von ihnen waren noch jung, einige hatten ihr Baby bei sich, andere waren schwanger. Sie alle waren aus dem so genannten Sowjetischen Speziallager in Sachsenhausen hierhergebracht worden. Viele von ihnen hofften, dass man sie in einem Gefängnis unter DDR-Verwaltung besser behandeln würde, dass sie vielleicht sogar freikommen würden. Was für ein schrecklicher Irrtum.

Das SED-Regime hatte die Behauptung verbreiten lassen, dass es sich bei den Frauen um gefährliche Nazi- und Kriegsverbrecherinnen handele. Und vermutlich war es diese Propaganda, die dazu beigetragen hat, dass das Wachpersonal die Häftlinge hier oben in Hoheneck schon mit gnadenloser Strenge empfing. Und sie schuf ein falsches Bild von den Hoheneckerinnen, das bei manchen bis heute nachwirkt.

Tatsächlich gehörten zum ersten Transport auch einige wenige Frauen, die während des Nationalsozialismus etwa als Aufseherinnen in Konzentrationslagern gearbeitet hatten. Und es wurden in den folgenden Jahren einige weitere Nazi-Verbrecherinnen und auch Kriminelle nach Hoheneck gebracht. Die allermeisten Frauen, die während der 1950er Jahre hier eingesperrt wurden, waren aber weder Nazis noch Verbrecherinnen. Sie waren von sowjetischen Militärtribunalen zu drakonischen Strafen verurteilt worden, weil sie etwa ein Spottgedicht verfasst hatten, weil sie als Journalistin für die liberale, für die freiheitliche Demokratie eingetreten waren – oder weil sie sich in einen Soldaten der Roten Armee verliebt hatten und mit ihm und der gemeinsamen Tochter schlicht und einfach zusammenleben wollten.

Man erklärte diese Frauen zu Staatsfeindinnen, weil man befürchtete, dass sie den Aufbau der SED-Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone stören könnten. Und nur deshalb sperrte man sie hier in Hoheneck ein. Die Wächterinnen führten ein grausames Regiment – wer nicht spurte, musste mit Einzelarrest in einem dunklen Kellerloch rechnen.

Bei uns sind heute hochbetagte Frauen, die damals mit dem ersten Transport nach Hoheneck kamen oder in den 1950er Jahren hier eingekerkert wurden, weil sie Widerstand gegen die SED-Diktatur geleistet hatten oder zu den Zeugen Jehovas gehörten. Bei uns ist heute auch ein Mann, der noch keine zwei Jahre alt war, als er 1950 mit seiner Mutter nach Hoheneck gebracht wurde. Kurz darauf verschleppte man ihn in ein Kinderheim. Er sah seine Mutter erst sieben Jahre später wieder.

Hier bei uns im Saal sind heute auch viele Frauen, die in den Jahrzehnten zwischen Mauerbau und dem Sturz des SED-Regimes aus unterschiedlichen politischen Gründen nach Hoheneck gebracht wurden. Viele von ihnen hatten versucht, aus der DDR zu fliehen. Viele hatten sich an Ämter gewandt, um die Entscheidung über den Ausreiseantrag zu beschleunigen. Andere hatten Unterschriften gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann gesammelt oder einen Brief an eine Menschenrechtsorganisation im Westen geschrieben.

Die Delikte, deretwegen sie verurteilt wurden, hießen im Bürokratendeutsch der Diktatur „versuchte Republikflucht“, „ungesetzliche Verbindungsaufnahme“ oder „staatsfeindliche Hetze“. Tatsächlich wollten die Frauen nur reisen und die Welt sehen; ihr Kind so erziehen, wie sie es für richtig hielten; studieren, ohne in Seminaren mit Partei-Ideologie beschallt zu werden. Sie kamen hier in Hoheneck hinter Schloss und Riegel, weil sie für ihre Menschenrechte kämpften.

Liebe Zeitzeuginnen, viele von Ihnen haben berichtet, wie sie im Gefängnis ihrer Persönlichkeit und ihrer Würde beraubt wurden. Man sperrte Sie mit Kriminellen, auch mit Mörderinnen zusammen, die Sie oft drangsalierten oder bespitzelten. Die Wärterinnen, offiziell „Erzieherinnen“ genannt, verhängten Besuchsverbote, hielten Briefe und Kinderfotos zurück, durchwühlten Ihre Zellen. Eine von Ihnen, liebe ehemalige Hoheneckerinnen, hat es so gesagt: „Ich hatte in diesem Haus Angst vor so viel Ungewissem, vor so viel Macht.“

Die Geschichte des Frauengefängnisses Hoheneck führt uns vor Augen, wie es dem Regime gelang, das Schlechteste im Menschen hervorzubringen. Viele Wärterinnen, die hier eingesetzt wurden, waren noch jung, wollten im SED-Staat Karriere machen und bewiesen deshalb besonderen Ehrgeiz, wenn es darum ging, politische Häftlinge zu schikanieren.

Die Geschichte von Hoheneck zeigt uns auch, wie verbissen und ohne jede Einsicht manche Täterinnen und Täter bis zuletzt an ihrer Weltsicht festhielten. Die berüchtigtste Wärterin von Hoheneck, die hier jahrzehntelang Frauen wirklich gequält hatte, die hat 1990 erklärt, sie habe „ein wirklich ganz reines Gewissen“, denn sie habe „nie etwas gemacht“. Solche Lügen dürfen auch heute nicht unwidersprochen bleiben!

Es gab auch Menschen, die den Frauen damals ihre Haft erleichterten, die ihnen Mut machten oder ein kleines Zeichen der Solidarität setzten – so wie die Männer des Stollberger Posaunenchors, die 1954 hier vor die Burg zogen, um den Häftlingen ein Ständchen zu bringen, wie sich manche von Ihnen erinnern. All jenen, die damals in einem unmenschlichen Regime ihre Menschlichkeit bewahrt haben, all jenen gilt heute unser Dank!

Hoheneck steht auch für ein düsteres Kapitel der deutsch-deutschen Wirtschaftsgeschichte. Sie alle, liebe Zeitzeuginnen, wurden während Ihrer Haft einem Arbeitskommando zugeordnet und zur Akkordarbeit gezwungen. Einige von Ihnen mussten Damenstrumpfhosen für das Kombinat Esda in Thalheim fertigen, andere nähten Bettbezüge für den VEB Planet.

Offiziell sollte diese Arbeit Ihrer „Erziehung“ dienen. Tatsächlich wurde Ihre Arbeitskraft zugunsten der staatlichen Planwirtschaft ausgebeutet. Ein Großteil der Produkte, an deren Herstellung die Häftlinge hier in Hoheneck beteiligt waren, wurde über mehrere Zwischenstationen in die Bundesrepublik exportiert und dort von Discountern und Warenhäusern verkauft.

Das war für beide Seiten ein lukratives Geschäft: Die DDR erwirtschaftete mit dem deutsch-deutschen Handel Milliarden an Devisen; die westdeutschen Unternehmen profitierten von billiger Ware, die sie zu Dumpingpreisen auf den Markt bringen konnten. Denn in den DDR-Gefängnissen waren die Arbeitskosten niedrig. Die Frauen erhielten hier oben in Hoheneck deutlich weniger Lohn, als sie unten in Stollberg für eine vergleichbare Arbeit bekommen hätten. Sie mussten rund um die Uhr arbeiten, im Drei-Schicht-System. Die Normen, die ihnen verordnet wurden, waren kaum zu erfüllen. Und wer nach Ansicht der Wärterinnen nicht genug leistete, wurde zusätzlich bestraft.

Viele von Ihnen, liebe ehemalige Hoheneckerinnen, haben die Bedingungen geschildert, unter denen sie hier arbeiten mussten. Eisige Kälte im Winter, unerträgliche Hitze im Sommer; die Luft staubig, die Maschinen alt und schwer zu bedienen, nur ganz wenige Pausen. Eine von Ihnen hat rückblickend gesagt: „Ich kam mir vor, als würde ich im Steinbruch arbeiten und meinen Körper komplett kaputt machen.“

Manchmal gelang es den Häftlingen, kleine Nachrichten in einer Strumpfhosenpackung zu verstecken. Käuferinnen in der Bundesrepublik fanden dann einen Zettel mit einem „Gruß von den Schwestern in Ostdeutschland“.

Ich finde es gut, dass Historikerinnen und Historiker jetzt untersuchen, welche deutsch-deutschen Lieferketten es damals gab und welche gesundheitlichen Folgen die Arbeit in DDR-Gefängnissen für politische Häftlinge gehabt haben könnte. Ich wünsche mir, dass Unternehmen, die damals Produkte aus DDR-Fertigung importierten, bei dieser Aufklärung mithelfen und den Austausch mit ehemaligen politischen Häftlingen suchen. Das wäre mindestens eine notwendige, aber auch gute Geste des Respekts!

Und ich wünsche mir auch, dass die Politik schnell eine Lösung findet, um all jenen Frauen und Männern unbürokratisch noch besser zu helfen, die in der DDR aus politischen Gründen inhaftiert waren und bis heute unter seelischen und körperlichen Folgen leiden.

Dass Hoheneck heute ein gesamtdeutscher Erinnerungsort ist, das hat noch einen anderen Grund: Tausende Frauen, die hier zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen eingesperrt waren, sind im Laufe der Jahre von der Bundesrepublik freigekauft worden. Die SED-Diktatur verdiente gleich doppelt an diesen Häftlingen: Sie beutete erst ihre Arbeitskraft aus – und betrieb dann einen zynischen Menschenhandel mit ihnen, indem sie die Frauen für bis zu 100.000 D-Mark pro Person an den angeblichen Klassenfeind verkaufte.

Viele von Ihnen haben das erlebt: die bange Hoffnung, endlich freigekauft zu werden; das Glück, wenn man dann eines Tages wirklich die Entlassungs- und Ausbürgerungspapiere ausgehändigt bekam; die Freude, nicht nur Hoheneck hinter sich zu lassen, sondern auch das große Gefängnis DDR – gemischt mit dem Schmerz und der Trauer, Heimat, Familie und Freunde zurücklassen zu müssen.

Heute leben Sie, liebe ehemalige Hoheneckerinnen, in allen Teilen unseres Landes. Für Sie alle war die Zeit in Hoheneck ein tiefer Einschnitt, ein biographischer Bruch. Und auch der Neuanfang nach der Entlassung war für viele alles andere als leicht. Diejenigen, die – oft gegen ihren Willen – in die DDR entlassen wurden, kehrten aus dem Gefängnis zurück in neue Unfreiheit. Sie wurden weiter bespitzelt und schikaniert, manche durften ihre Ausbildung nicht beenden, andere nicht wieder in ihren Beruf zurückkehren. Viele schwiegen jahrzehntelang über ihre Haftzeit.

Auch einige von denen, die in den Westen freigekauft worden waren, mussten beruflich neu anfangen. Wer den Mut fand, über die Zeit in Hoheneck zu sprechen, stieß nicht selten auf Unverständnis. Und auf das Vorurteil, dass jemand, der im Gefängnis war, doch Unrechtes getan haben musste.

Wir brauchen historische Aufklärung, um solche Vorurteile zu überwinden. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir die Gedenkstätte Hoheneck heute eröffnen. Diese Gedenkstätte spricht auch für die Frauen, die bis heute nicht selbst über ihre Haftzeit sprechen können, nicht darüber sprechen können, was ihnen damals hier angetan wurde. Und sie erinnert an das Schicksal der vielen anderen Frauen und Männer, die in der SED-Diktatur politisch verfolgt, eingesperrt und ausgebeutet wurden.

Mein großer Dank gilt den Opfervereinen, der Stadt Stollberg, dem Land Sachsen und dem Bund, Ihnen allen, die Sie geholfen haben, diese Gedenkstätte gemeinsam voranzubringen, zu unterstützen und am Ende zu realisieren. Ich weiß, hinter Ihnen liegt ein langer, manchmal auch mühsamer Weg. Nicht immer waren sich alle Seiten einig, in welche Richtung es genau gehen soll. Aber auch das gehört zur Erinnerung in der Demokratie: dass wir unterschiedliche Perspektiven einbeziehen, Konflikte im vernünftigen Gespräch austragen und zusammen tragfähige Lösungen finden.

Diese Gedenkstätte ist Ihr gemeinsamer Erfolg. Ich wünsche mir, dass Sie im Gespräch bleiben; dass es Ihnen gelingt, Geschichte lebendig zu vermitteln; dass Sie viele junge Menschen erreichen. Und ich freue mich, liebe Zeitzeuginnen, dass Sie sich hier in Hoheneck auch weiter einbringen wollen!

Für viele Menschen in Stollberg und im Erzgebirge bleibt die Erinnerung an das Frauengefängnis schmerzhaft. Manche wollen die Geschichte am liebsten verdrängen und verschweigen, weil sie damals selbst in Hoheneck gearbeitet haben oder sich pauschal unter Verdacht gestellt fühlen. Andere fragen sich, was ihre Angehörigen damals gewusst, getan oder nicht getan haben. Auch deshalb bin ich der Stadt dankbar, dass sie sich für diese Gedenkstätte so sehr eingesetzt hat. Ich bin überzeugt: Wir müssen in unserer Gesellschaft das offene Gespräch über die Zeit der SED-Diktatur suchen, nicht nur hier in der Region, sondern in ganz Deutschland!

Wir brauchen dieses Gespräch, um die Geschichte nicht denen zu überlassen, die das SED-Unrecht verharmlosen oder verleugnen. Wer heute behauptet, in der DDR habe man doch gut leben können, dem antwortet dieser Ort: Die Frauen in Hoheneck, sie konnten es nicht!

Und wer allen Ernstes behauptet, im Deutschland von heute sei es doch genau wie früher in der DDR, weil man ja seine Meinung nicht mehr sagen dürfe, dem antwortet dieser Ort: Was für eine Verhöhnung der Frauen, die damals hier eingekerkert, gequält und erniedrigt wurden!

Die Gedenkstätte Hoheneck macht anschaulich, was es bedeutet, in einer Diktatur zu leben. Sie macht begreifbar, was wir an der freiheitlichen Demokratie haben – und warum wir sie schützen und verteidigen müssen. Und sie mahnt uns, nicht zuletzt, zur Solidarität mit all jenen, die heute in autoritären Staaten politisch verfolgt und unterdrückt werden.

Die Dichterin Edeltraud Eckert wurde 1950 in Potsdam verhaftet und wegen des Besitzes von Flugblättern zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Auf den Flugblättern standen genau vier Wörter: „Für Freiheit und Demokratie!“ Fünf Jahre später starb Edeltraud Eckert an den Folgen eines Arbeitsunfalls in der Schneiderei von Hoheneck.

Ich möchte zum Abschluss zwei Strophen aus einem Gedicht vortragen, das sie kurz nach ihrer Verhaftung im Gefängnis Waldheim schrieb. Es heißt:

Ein dunkles Lied

Ich bin nicht mehr, was ich einst war
Und weiß noch nicht, was aus mir wird,
Und manchmal scheint es sonderbar,
Dass man noch Leben in sich spürt.

Da draußen fliegt die Zeit vorbei,
Die Blumen blühn, es welkt das Gras.
Nur manchmal ist es einerlei,
Dass man dich lange schon vergaß.

Wir vergessen nicht. Weder Edeltraud Eckert noch all die anderen, die hier an diesem Ort gelitten, gehofft und gebangt haben. Das ist das Versprechen der Gedenkstätte, die wir heute eröffnen. Es ist an uns, dieses Versprechen fortwährend einzulösen.