beim Empfang zum 100. Jubiläum des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge am 23. Juni 2019 in Kassel:
- Bulletin 82-3
- 25. Juni 2019
Wann hat man schon Gelegenheit, einem Hundertjährigen zu gratulieren? Deshalb das Wichtigste vorneweg: dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge herzlichen Glückwunsch zum Gründungsjubiläum! Einem Jubilar, der trotz seiner 100 Jahre noch höchst aktiv und sehr lebendig ist. Und dessen Mitgliedern es dennoch ebenso recht wäre, es hätte den Anlass für die Gründung der Kriegsgräberfürsorge nie gegeben!
Volksbund, ein altmodischer Name – heute würde man wohl sagen: Bürgerinitiative. Das war der Volksbund 1919 bei seiner Gründung nach den Verheerungen des Ersten Weltkrieges in Langemarck, Ypern, an der Somme, an der Marne, in Verdun, in den Masuren, an der Isonzofront, dem millionenfachen Tod in ganz Europa und der Welt. Und das ist er bis heute: eine Initiative, getragen von Bürgerinnen und Bürgern aller Couleur, politischer Richtungen und Konfessionen.
Stellvertretend für die vielen tausenden Unterstützer und Weggefährten sind Sie heute hier. Ihre Arbeit für den Volksbund ist vielgestaltig: Sie engagieren sich in der Bildungs- und Jugendarbeit, der Gräberpflege, organisieren Gedenkveranstaltungen oder Spendensammlungen, sind national wie international unterwegs. Sie sorgen dafür, dass der Volksbund aktiv und auf der Höhe der Zeit bleibt.
Für Ihren beispiellosen Einsatz und ihr ehrenamtliches Engagement dankt Ihnen nicht nur der Schirmherr des Volksbundes, sondern auch der Bundespräsident: Dank auch im Namen aller deutschen Landsleute!
Letztes Jahr haben wir an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren erinnert; in diesem Jahr werden wir des Beginns des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren gedenken. Mehr als 70 Millionen Tote – das Leid, das die beiden Weltkriege angerichtet haben, ist unermesslich. Gerade deshalb ist die Aufgabe des Volksbundes viel mehr als Gräberpflege.
Sie ist Beziehungspflege – Beziehungspflege mit unseren Nachbarstaaten in Europa, die Deutschland einst überfallen hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Jugendlichen, die dort für den Volksbund Freiwilligenarbeit leisteten, zu Botschaftern eines friedlichen und offenen Deutschlands. Ihre Arbeit durfte ich selbst im Jahre 2014 in Münster mit dem "Preis des Westfälischen Friedens" auszeichnen.
Wir dürfen bei der Trauer um die Toten aber niemals ausblenden, warum sie starben: 1939 ist nicht zu trennen von 1933, von der Zerstörung der Demokratie und dem Machtantritt Hitlers, von Rassenwahn und Selbstüberhöhung über andere Völker. Wie der deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges gedacht werden kann, darauf hat der Volksbund immer wieder zeitgemäße Antworten gefunden.
Heute ist Kriegsgräberfürsorge vor allem Friedensarbeit. Die Grabstätten der Toten sind Orte der mahnenden Erinnerung, sie müssen Orte der Erkenntnis und des Lernens sein. Ihre endlosen Gräberreihen zeigen, wohin Diktatur, Nationalismus und Rassismus führen.
Der nüchterne Begriff "deutsche Kriegstote" gilt nicht nur Soldaten, auch zivilen Opfern, Flüchtlingen, Bombentoten. Der Volksbund ehrt und gedenkt aber auch der Opfer des Holocaust. Gemeinsam haben wir an den Stätten unvorstellbarer Gräuel in Paneriai in Litauen und zuletzt in Malyj Trostenez in Weißrussland gedacht. Ich bin mir sehr bewusst, dass es auch der Arbeit des Volksbundes zu verdanken ist, dass Deutschland und Weißrussland im Zusammenwirken einen Ort würdigen Gedenkens geschaffen haben, den zehntausendfachen Mord in Malyj Trostenez dem Vergessen zu entreißen.
Ich bin dankbar für diese Öffnung des Volksbundes; dankbar, dass Sie sich Ihrer eigenen wechselvollen Geschichte gestellt haben und mit dem Leitbild und der Göttinger Erklärung neue Wege beschreiten.
Ich möchte Sie ermuntern, diesen Weg fortzusetzen, allen voran Sie, lieber Wolfgang Schneiderhan. In turbulenten Zeiten haben Sie beim Volksbund das Präsidentenamt übernommen. Dafür danke ich Ihnen auch persönlich. Denn die friedenspädagogische Arbeit des Volksbundes ist heute wichtiger denn je.
Zum Glück ist der Volksbund trotz seiner 100 Jahre keinesfalls müde, das darf er auch nicht, denn es bleibt viel zu tun: die Umwandlung von Kriegsgräberstätten in internationale Lernorte, der Ausbau des europäischen Partnernetzwerks, Gedenkprojekte in Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg.
All das haben Sie sich vorgenommen. Sie tun es zum Wohle unseres Landes und seines Ansehens in der Welt. Und dafür verdienen Sie die Unterstützung, die Sie für Ihre so wichtige Arbeit brauchen.
Heute steht hier in Kassel auf dem Königsplatz ein Fest der Begegnungen an. Begegnungen in einer Stadt, die – wie unser gesamtes Land – erschüttert ist von dem gewaltsamen Tod des Regierungspräsidenten Walter Lübcke.
Schon der Verdacht, dass in diesem Land mit dieser Geschichte jemand, der für die Demokratie gearbeitet hat, hingerichtet wird durch einen politischen Mord, mutmaßlich begangen von einem überzeugten Rechtsextremisten, dem dann im Netz auch noch Beifall geklatscht wird – das alles ist furchtbar und unerträglich. Es muss uns beschämen und darf uns nicht ruhen lassen, dass wir Walter Lübke nicht schützen konnten vor seinen Mördern. Wir müssen hoffen, dass es Polizei und Staatsanwalt gelingt, die Tat rasch aufzuklären und den oder die Täter zur Verantwortung zu ziehen.
Wenn heute die Repräsentanten unserer Demokratie, allen voran die Ehrenamtlichen, wenn Bürgermeister und Kommunalpolitiker beschimpft, bedroht und tätlich angegriffen werden, dann ist das ein Alarmzeichen für unsere Demokratie. Eine Gefahr ist nicht nur der rechtsextreme Gewalttäter, der den Finger am Abzug hat, sondern ein Klima oder Netzwerke, in denen sich Menschen zu solchen Taten legitimiert oder gar ermutigt fühlen. Klar muss sein: Wer Gewalt in die Politik trägt, der greift uns alle an – unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat. Deshalb müssen wir zusammenstehen und jenen den Rücken stärken, die sich für unser Land engagieren, die Zeit und Kraft opfern und vor Ort Verantwortung übernehmen. Sie alle verdienen Respekt, Schutz und Unterstützung.
Frieden beginnt im Innern eines Landes – damit, dass wir Achtung voreinander haben, dass wir unsere Konflikte friedlich lösen und dass wir stets im Gespräch miteinander bleiben.
Auf viele gute Gespräche mit Ihnen gleich hier im Saal freue ich mich und auf die Erzählungen von Ihrer Arbeit für den Volksbund. In einer Zeit, in der Nationalismus und Extremismus zu neuen Spaltungen in Europa führen können, ist Ihre Friedensarbeit von unschätzbarem Wert – für Deutschland und für Europa. Wir brauchen Sie! Vielen Dank!