auf dem Kongress "Diversity als Chance" am 5. Dezember 2007 in Berlin:
- Bulletin 139-2
- 5. Dezember 2007
Sehr geehrter Herr Kommissar Figel,
liebe Frau Staatsministerin Böhmer, liebe Maria,
sehr geehrter Herr Franke,
meine Damen und Herren!
Ich möchte auch die zugeschalteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Westdeutschen Rundfunks in Köln ganz herzlich begrüßen.
Der Anlass ist, dass wir heute auf ein Jahr "Charta der Vielfalt" zurückblicken. Ich glaube, wenn man sich das Resümee ansieht, dann ist es ein erfolgreiches Jahr gewesen. Denn die Jahresbilanz kann sich sehen lassen. Die Zahlen schwanken etwas, aber es sind jetzt wohl doch schon mehr als 200 Unternehmen und öffentliche Einrichtungen, die die Charta unterzeichnet haben. Damit wird die "Charta der Vielfalt" langsam auch wirklich eine vielfältige Charta, denn immer mehr machen mit.
Deshalb möchte ich als Schirmherrin der Initiative natürlich ein herzliches Dankeschön sagen. Es zeigt sich, dass Vielfalt jetzt nicht mehr nur ein Schlagwort ist. Denn inzwischen gibt es eine Unternehmenskultur, die Leistungsfähigkeit widerspiegelt und sich zudem durch eine Wertschätzung gegenüber Vielfalt auszeichnet und diese auch in unterschiedlicher Form repräsentiert.
Der Spannungsbogen oder auch die Brücke zwischen dem "Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle" auf der einen Seite und der "Charta der Vielfalt" ist etwas sehr Interessantes. Dieses "Europäische Jahr der Chancengleichheit für alle" – es ist eben schon beschrieben worden – hat noch einmal den Blick dafür geschärft, wo überall Chancengleichheit noch nicht verwirklicht worden ist.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine gesellschaftliche Debatte führen müssen, in der wir Chancengleichheit nicht nur durch einen rechtlichen Rahmen umzusetzen versuchen. Das kann man nur zum Teil tun. Wenn es auf europäischer Ebene gemacht wird – diese Bemerkung sei mir erlaubt –, dann kreuzt es sich oft mit den Rechtssystemen der einzelnen Mitgliedstaaten. Es ist zum Beispiel gar nicht so einfach, Rechtsrichtlinien in den jeweiligen Rechtssystemen der Mitgliedstaaten umzusetzen.
Wir werden zwar alles über einen Rechtsrahmen umzusetzen versuchen können, werden viel prozessieren und klagen können und sicherlich auch eine Rechtsprechung erhalten. Dennoch: Wenn der gesellschaftliche Wille zu mehr Chancengleichheit nicht vorhanden ist, wenn die Einstellung dazu nicht vorhanden ist, wenn die Haltung dazu nicht vorhanden ist, dann wird das nur sehr schwer umzusetzen sein. Es ist wie mit vielen Dingen in unserer Gesellschaft: Wenn sie als Grundstock nicht vorhanden sind, dann können sie allein durch Rechtsetzung auch nicht umgesetzt werden. Rechtsetzung kann ein Rahmen sein, aber sie muss in einer Gesellschaft wertemäßig untermauert sein.
Herausforderungen im Hinblick auf Chancengleichheit gibt es viele. Wir wissen, dass diese Herausforderungen der Zukunft von uns bewältigt werden müssen. Wir müssen über Bildung sprechen. Wir wissen, dass unser heutiger Wohlstand mit dem Stand von Bildung und Qualifikation in einem ganz engen Zusammenhang steht. Die Konkurrenz um die "besten Köpfe" auf den internationalen Arbeitsmärkten wird weiter zunehmen. Schauen wir uns heute einmal an, wie sich die Diskussion binnen des letzten Jahres beziehungsweise der letzten anderthalb Jahre verändert hat. Seitdem bei uns die Arbeitslosenzahl gesunken ist, wurde und wird das Thema "gut ausgebildete Fachkräfte" immer mehr zu einer der Schlüsselfragen, die wir zu lösen haben.
Viele Frauen sind heute hervorragend qualifiziert. Aber die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein großes Thema. Unsere Gesellschaft wird auch angesichts der demografischen Veränderungen – einmal von individuellen Wünschen der Frauen abgesehen – unseren Wohlstand in Zukunft nur halten können, wenn wir eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie herstellen. Ich füge immer gleich hinzu, wenn von Frauen die Rede ist: Auch die Vaterrolle in unserer Gesellschaft wird sich verändern müssen, wenn wir ein gutes Familienleben mit einem guten Berufsleben der Eltern zusammenbringen wollen.
Wir dürfen es uns natürlich auch nicht leisten, dass Kinder chancenlos zurückbleiben. Sie haben eben von der PISA-Studie gesprochen. Tatsache ist, dass Kinder aus Zuwandererfamilien Statistiken zufolge nach wie vor schlechtere Bildungschancen haben. Wenn Bildung der Schlüssel für Teilhabe ist, dann müssen wir dafür Sorge tragen, dass auch diese Kinder einen besseren Zugang zu Bildung bekommen – angefangen mit frühkindlicher Bildung auch außerhalb der Elternhäuser und auch durch Stärkung der Erziehungsfähigkeit der Eltern. Ihnen muss bewusst sein, wie wichtig auch in einem Land, in dem mittlerweile die zweite, dritte, vierte Generation aufwächst, das Erlernen der Sprache ist.
Wir haben in Deutschland in verschiedenster Weise versucht, die Gesetzgebung darauf auszurichten, dass sowohl Sprachtests gemacht werden als auch bei der Eheschließung darauf geachtet wird, dass, wenn der Lebensmittelpunkt in unserem Land liegt, dann auch die notwendigen Voraussetzungen dafür getroffen werden. Wir haben sehr harte Diskussionen zum Beispiel mit unseren türkischen Freunden über unser letztes Zuwanderungsgesetz geführt. Wir haben gesagt: Die Ehepartner müssen wenigstens über einen geringen Wortschatz an deutschen Worten – 200 bis 300 – verfügen, um überhaupt den Einstieg in unsere Gesellschaft zu finden. Das wird oft falsch verstanden. Daher müssen wir hierfür noch sehr viel werben. Wir müssen natürlich von deutscher Seite aus auch die Voraussetzungen für bessere Sprachkenntnisse schaffen. Ich halte diesen Weg für richtig.
Ich will daran erinnern: Jedes dritte Kind unter sechs Jahren in Deutschland kommt aus einer Zuwandererfamilie. In vielen deutschen Großstädten liegt die Einschulungsrate von Kindern aus Migrationsfamilien inzwischen bei 50 Prozent. Das wird unsere Gesellschaft verändern oder verändert sie bereits. Wir müssen diesen Kindern die gleiche Chance geben.
Das sind Herausforderungen, denen sich die Politik stellen muss. Aber es liegt auch im Interesse der Unternehmen, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung ist für viele Unternehmen in sehr vielen Bereichen heute eine Selbstverständlichkeit. Es ist sehr schön, dass sich Unternehmen jetzt auch diesem Thema widmen und hierbei zusätzliche Verantwortung übernehmen. Sie geben damit strategische Antworten, die angesichts der demografischen Entwicklung, des Bevölkerungsrückgangs und des steigenden Qualifizierungsbedarfs auch im gegenseitigen Interesse liegen.
Wir wissen aber: Auch immer neue Zuwanderung löst die Probleme in unserem Lande nicht, sondern wir müssen die Menschen, die hier bei uns sind, besser aufnehmen und integrieren. Das ist auch genau die Arbeit der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer. Dadurch, dass die Integrationsbeauftragte Teil des Kanzleramtes ist, wird diese Querschnittsaufgabe noch einmal ganz deutlich gemacht.
Beim heutigen Kongress geht es um "Diversity Management". Wir haben, was die englische Wortwahl anbelangt, eine deutsche Einbürgerung noch nicht so richtig hinbekommen. Aber das passiert ja heutzutage immer häufiger. Jedenfalls stammt das Konzept der Diversität, der Vielfalt, aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass, je vielfältiger die Belegschaft eines Unternehmens ist, das Unternehmen umso leistungsfähiger und robuster ist.
Eigentlich spricht auch alles, was wir wissen, dafür. Wir sprechen zum Beispiel über Biodiversität. Unsere Lebensumwelt ist am stabilsten, am robustesten, wenn sie möglichst viele Pflanzen und Tiere umfasst, weil aus der Summe der verschiedenen Eigenschaften immer ein sehr stabiles Gebilde erwächst. Genauso ist das mit uns Menschen. Jeder hat seine Stärken, jeder hat seine Schwächen. Wenn wir Alter, Geschlecht und Herkunft zusammenbringen und die Kraft aufbringen, eine gemeinsame Sprache zu finden, dann ergibt sich daraus ein sehr, sehr leistungsfähiges Gebilde, das hierarchisch vielleicht nicht immer besonders gut zu organisieren ist, das aber krisenfest und auch fähig ist, auf neue Situationen gut zu reagieren.
Deshalb haben gerade auch international agierende Unternehmen die Chance, die in der Vielfalt liegt, als erste erkannt. Der Erfolg der Charta-Initiative in Frankreich und jetzt auch bei uns zeigt, dass sich auch immer mehr mittlere und kleinere Betriebe diesem Gedankengang öffnen und damit natürlich auch etwas fördern, was unserer gesamten Gesellschaft zugute kommt, nämlich das, was ich einmal bei meiner Antrittsrede zur EU-Ratspräsidentschaft im Europäischen Parlament gesagt habe: Europa ist der Kontinent der Toleranz. Die Toleranz ist die Seele unseres Kontinents.
So wie Kommissar Figel es eben sehr schön im Zusammenhang mit der Europäischen Union beschrieben hat, so ist es auch mit der noch größeren Sphäre der Möglichkeiten der Vielfalt, in der wir nicht nur europäische Kulturen zu integrieren haben, sondern auch Menschen aus anderen Kulturkreisen. Daraus erwachsen Chancen, wenn man ein Minimum an Offenheit und ein Minimum an Kraft aufbringt, sich auf etwas Unbekanntes einzulassen.
Das alles funktioniert nur, wenn wir nicht uns allein zum absoluten Maßstab machen, sondern wenn wir uns auch unserer eigenen Beschränkungen bewusst sind und sagen: Jawohl, es gibt Dinge, die wir alleine nicht am allerbesten können. Das fällt uns nicht immer leicht, weil wir uns ja prima finden. Das gehört ja auch dazu. Damit man überhaupt tolerant sein kann, muss man sich selbst erst einmal leiden können. Aber man muss sich auch so weit öffnen und wenigstens einen kleinen Abstand zu sich haben, um sich die Neugierde auf anderes und auch die Möglichkeit, auf anderes zuzugehen, zu erhalten.
Die ursprüngliche Strategie war sehr auf die Gleichstellung von Männern und Frauen ausgerichtet. Die Kommission ist geradezu ein leuchtendes Vorbild, was die Chancengleichheit von Männern und Frauen in Bezug auf den Rat der Mitgliedstaaten anbelangt. Das muss man sagen. Aber es gibt sicherlich auch Entwicklungsmöglichkeiten. Die Unternehmen, von denen wir diese Vielfaltskultur übernehmen, sind vor allem diejenigen – ich sagte es schon –, die auf globalen Märkten agieren und die die Erfahrung gemacht haben, dass das gemeinsame Agieren durchaus auch eine bessere Leistungsfähigkeit eingebracht hat.
Ich glaube, dass wir diese Art von Personalmanagement ganz bewusst erlernen müssen und dass man auch vor den Schwierigkeiten nicht die Augen verschließen sollte. Ich könnte mir vorstellen, dass in der "Charta der Vielfalt" über Erfolge berichtet wird, aber auch über Dinge, die sehr schwierig sind. Wir neigen manchmal dazu, die gesamte Frage der Integration und des Zusammenlebens von Kulturen ein bisschen auf der Ebene der Erfolge und des Schönen zu beschreiben und die Schwierigkeiten etwas unter den Tisch zu kehren. Das wäre falsch. Überall, wo Unbekanntes aufeinander trifft, gibt es auch Reibung. Aus Reibung kann Kraft, kann Zugewinn erwachsen. Aber das bedarf auch der Fähigkeit eines Konfliktmanagements. Das bedarf klarer Antworten auf die Fragen: Wo setze ich Grenzen, wo endet Toleranz, wie akzeptiere und integriere ich unterschiedliche Möglichkeiten und Fähigkeiten?
Die Europäische Kommission hat eine Studie zum "Geschäftsnutzen von Vielfalt" durchgeführt. Dabei kam heraus, dass es keineswegs nur arbeitsrechtliche Erwägungen sind, die Unternehmen aktiv werden lassen, sondern dass gerade auch wirtschaftliche Gründe für so etwas sprechen. Das Gros der befragten Unternehmen gab an, dass die Förderung personaler Vielfalt zu einem größeren Geschäftserfolg beigetragen habe. Die Erfolge zeigen sich bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter sowie in der Fähigkeit, langfristige Bindungen von qualifizierten Beschäftigten an die Betriebe einzugehen. Das ist ganz wichtig. Als ich in Indien war, habe ich sehr, sehr viele Klagen darüber gehört, dass dort oft ganz geringe Bindungen an den eigenen Betrieb und stattdessen starke Fluktuationen bestehen, worunter die Leistungsstärke eines Unternehmens sehr leiden kann.
Die Erfolge zeichnen sich also auch durch die Reduzierung von Fluktuation auf der einen Seite, aber auch durch die Reduzierung von Krankenständen und die Entwicklung von Marketing-Konzepten und von innovativen Produkten auf der anderen Seite aus. Gerade bei Marketing-Konzepten kann man sich sehr gut vorstellen, wenn wir heute auf globalen Märkten agieren, wie wichtig es ist, unterschiedliche Sichtweisen im eigenen Unternehmen zu haben und dass das natürlich auch einen Einfluss auf die Produktentwicklung hat. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlicher Herkunft sind und verschiedene kulturelle Erfahrungen haben, dann sind natürlich die Verbesserungs- und Entwicklungsvorschläge auch viel umfassender, als wenn jeder in der Belegschaft sozusagen immer nur aus einer Schule kommt und seinen Entwicklungsgang weitergeht. So kann man auch neue Kundengruppen besser erschließen. Für die Erarbeitung von internationalen Expansionsstrategien ist die Kenntnis bestimmter Regionen natürlich auch von allergrößter Wichtigkeit.
Es kommt hinzu: Je mehr die Gesellschaft Vielfalt akzeptiert, umso mehr wird auch ein Unternehmen anerkannt, das Vielfalt bewusst als Fortschritt und Leistungsfaktor erachtet und auch offensiv damit wirbt. Das heißt also, persönlicher und wirtschaftlicher Erfolg gehen Hand in Hand. Das ist auch die zentrale Botschaft dieser Unternehmensinitiative "Charta der Vielfalt".
Wenn ich es richtig sehe, gibt es 1,4 Millionen Beschäftigte in Deutschland, die über die betreffenden Unternehmen in die Initiative mit eingebunden sind. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks kommt noch dazu. An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal den Initiatoren der Charta – den Unternehmen Daimler, Deutsche Bank, Deutsche BP und Deutsche Telekom – danken. Viele andere haben sich angeschlossen. Aber es ist ja immer wichtig, dass man erst einmal einen harten Kern hat.
Ich glaube, dass diese Initiative auf die Bereiche Bildung und Qualifizierung Auswirkungen haben wird und dass wir mit dieser "Charta der Vielfalt" ganz neue Möglichkeiten der öffentlich-privaten Kooperation bekommen werden; das heißt, in der vorschulischen, in der schulischen Ausbildung, an der Schnittstelle Schule und berufliche Ausbildung, die in Deutschland immer besonders schwierig ist, und während der beruflichen Ausbildung. Das hat auch noch einmal das internationale Symposium, an dem ich teilnehmen durfte, deutlich gemacht, das Frau Maria Böhmer im Oktober mit der Vodafone-Stiftung durchgeführt hat. Wir haben dankenswerterweise sehr, sehr viele unternehmensnahe Stiftungen in Deutschland, die sich dem Thema Bildung widmen und die Dimension der Integration in die Bildungsarbeit sehr bewusst aufnehmen.
Wir wollen natürlich, dass diese öffentlich-private Kooperation gestärkt wird. Deshalb haben wir auch eine umfassende Reform des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts auf den Weg gebracht, um gerade Stiftungen in Deutschland zu stärken. Natürlich bieten sich in dem Dreieck unternehmensnahe Stiftungen, Unternehmen und Politik auch eine besondere Möglichkeit der Netzwerkbildung.
Es ist hier auch schon von der PISA-Studie die Rede gewesen. Man kann die Augen nicht davor verschließen, dass diejenigen, deren Biografien durch einen Migrationshintergrund gekennzeichnet sind, ganz offenkundig erheblich größere Schwierigkeiten in unserem Bildungssystem haben, die Wege der Durchlässigkeit zu erspüren und einen Aufstieg zu schaffen.
Ich will im Übrigen sagen, dass mich neulich sehr erschüttert hat, dass das nicht nur zum Beispiel bei den Türkischstämmigen in Deutschland so ist. Mich hat der italienische Botschafter darauf hingewiesen, dass auch schon über Jahrzehnte bei uns lebende italienische Migranten nur zu einem Prozent an deutschen Hochschulen waren beziehungsweise sind. Man muss zum Vergleich wissen, dass über 30 Prozent der Deutschen eine Hochschule besuchen. Das heißt also, wir haben hier ein sehr, sehr umfassendes Problem, mit dem wir uns auseinander setzen müssen.
Aus diesem Grunde haben wir auch eine "Nationale Qualifizierungsinitiative" gestartet. Hier soll es darum gehen, unser Fachkräftepotenzial zu erweitern. Wir wollen Maßnahmen ergreifen, um die Zahl der Schul- und Studienabbrüche zu verringern. Wir haben in Deutschland heute 80.000 Schüler pro Jahr, die ohne Schulabschluss die Schule verlassen. Deren Chancen, überhaupt in der Berufsausbildung voranzukommen, sind natürlich tendenziell geringer.
Wir haben auch ein sektorales Problem. Das heißt, die Entscheidung für technische Berufe, die Entscheidung für Naturwissenschaften und für Ingenieurwissenschaften fällt zu gering aus. Ich habe bestimmt nichts dagegen, dass wir starke Geisteswissenschaften in Deutschland haben. Aber wenn wir ein Industriestandort bleiben wollen, dann müssen die Ingenieurwissenschaften und die Naturwissenschaften sowie die entsprechenden technischen Ausbildungen wieder höher anerkannt werden oder zumindest attraktiver für die jungen Menschen werden.
Das hat auch etwas mit einer Gesamteinstellung der Gesellschaft zu tun. Über viele Jahre ist der Strom eben einfach aus der Steckdose gekommen und von da an musste man sich nicht mehr dafür interessieren, wie das zustande kommt. Aber wenn zum Schluss keiner mehr da ist, der alles bewerkstelligt, dann ist das natürlich schlecht und dann kommt plötzlich auch kein Strom mehr aus der Steckdose.
Die Bildungsfrage ist deshalb nicht allein eine Frage des Geldes, sondern sie ist auch eine Frage der Mentalitäten. Deshalb ist es wichtig, dass wir in jede Richtung hin arbeiten – das gilt sowohl für diejenigen, deren Eltern aus Deutschland kommen, als auch für Migranten.
Wir haben neben der "Nationalen Qualifizierungsinitiative" im Sommer dieses Jahres einen Riesenschritt für die Bundesrepublik Deutschland gemacht. Manches, was passiert und was die Gesellschaft verändert, wird sehr schnell wieder vergessen, hat aber nachhaltige Wirkungen. Ich glaube, der "Nationale Integrationsplan" ist so etwas. Wenn man sich einmal überlegt, wie sich die Einstellung verändert hat – etwa gegenüber Gastarbeitern, wie wir sie lange genannt haben, bis wir heute zur festen Erkenntnis gekommen sind, dass das Menschen sind, die noch viele Generationen hier in unserem Land leben werden –, dann sieht man, dass dieser "Nationale Integrationsplan" die richtige Antwort ist. Er ist ein gutes föderales Produkt. Kommunen, Länder und Bundesregierung sowie Vertreter der Zivilgesellschaft haben daran mitgewirkt.
Wenn wir uns manchen Kompetenzstreit ansehen, den wir – ob vor Gericht oder auch nicht, aber jedenfalls täglich – ausfechten, dann kann ich nur sagen: Hier ist von allen Beteiligten eine gesellschaftliche Aufgabe erkannt worden. Es ist nicht ewig darum herumgeredet worden, wer was alles nicht gut macht, sondern auf jeder Ebene hat man sich hingesetzt und einmal versucht, einen Beitrag zu leisten. Der unternehmerische Beitrag in der "Charta der Vielfalt" fügt sich hier nahtlos ein.
Der "Nationale Integrationsplan" beschreibt im Wesentlichen einen Dreiklang erfolgreicher Integration: Einmal die Beherrschung der deutschen Sprache als Grundlage für Teilhabe in der Gesellschaft, dann die Bildung als den Schlüssel, der sozusagen Türen öffnen kann, um individuelle und gesellschaftliche Anerkennung zu gewinnen, und die erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Der beste Aktionsplan hilft aber nicht, wenn nicht die Grundhaltung da ist, dass Vielfalt eine Bereicherung ist und keine Erschwernis. Deshalb haben wir uns – und zwar als Bundesregierung insgesamt, nicht nur die Integrationsbeauftragte – im "Nationalen Integrationsplan" auch dazu verpflichtet, die Charta-Initiative aktiv zu fördern.
Die Tatsache, dass heute Herr Kommissar Figel bei uns ist, zeigt auch, dass wir dies nicht allein als eine nationale Aufgabe sehen. Wir haben dabei auch enge Beziehungen zu Frankreich entwickelt. Das hat sich sehr bewährt. Wir haben schon eine Vielzahl von gemeinsamen Maßnahmen durchgeführt. Wir haben neulich hier in Berlin einen deutsch-französischen Ministerrat abgehalten, bei dem nahezu alle Minister Integrationsprojekte besucht haben. Nicolas Sarkozy und ich haben in einer Schule mit Migrantinnen und Migranten diskutiert. Ich glaube, dass durch solche Projekte auch die Gesamthaltung der Gesellschaft verändert werden kann.
Uns, den deutschen Repräsentanten, ist dabei sehr klar gesagt worden, dass die Repräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund in unseren Parlamenten auf Bundes- und Länderebene noch nicht ausreichend ist. Hier müssen wir weitere Schritte gehen, denn die Interessen von Migrantinnen und Migranten werden natürlich besser durchgesetzt, wenn sie auch in den gesetzgebenden Versammlungen vertreten sind.
Ich freue mich sehr , dass sich die deutsche Wirtschaft auf die Initiative der "Charta der Vielfalt" eingelassen hat. Ich wünsche mir, dass es fast eine Frage der Ehre sein muss, ob man dabei ist. Auf diesem Pfad müssen wir uns noch bewegen.
Wir freuen uns, wenn uns die Europäische Kommission unterstützt und wenn wir uns auch im europäischen Rahmen verstärkt über die jeweiligen Erfahrungen austauschen können. Wir wollen als Bundesrepublik Deutschland unsere Erfahrungen natürlich mit einbringen.
Ich glaube, der heutige erste Jahrestag ist ein wichtiger Tag. Es gibt ein gutes Arbeitsprogramm und die Aufforderung an noch mehr Betriebe, mitzumachen. Sagen Sie den Betrieben, die noch ein paar Hemmungen haben, dass nichts Schlimmes passiert, dass es nur zu ihrem Guten ist und dass kein bürokratischer Ballast auf ihnen ruht, wenn sie mitmachen, sondern dass sich jeder mit seiner Initiative einbringen kann.
Ich möchte Maria Böhmer, Herrn Franke und allen, die hier mitmachen, ein ganz herzliches Dankeschön aussprechen. Ich glaube, nach einem Jahr kann ich als Schirmherrin zufrieden mit dem sein, was Sie leisten. Ich will mich auch weiter dafür einsetzen, dass dieses Projekt ein Erfolgsprojekt bleibt.