Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz

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Sehr geehrter Herr Bundesminister, lieber Boris,
sehr geehrter Herr Diehl,
sehr geehrter Herr Rauch,
sehr geehrter Generalleutnant Gerhartz,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des Landtags,
liebe Kameradinnen und Kameraden der Bundeswehr,
liebe Zivilbeschäftigte,
meine Damen und Herren,
oder, wie wir hier oben etwas weniger wortreich sagen: Moin! 


Es ist sehr gut, heute hier in Todendorf zu sein. „Indienststellung und Meldung einer Anfangsbefähigung“ – das klingt ein bisschen technisch. Übersetzt auf Hochdeutsch heißt das: Los geht’s! Hier in Todendorf nimmt heute ein neues Kapitel der europäischen Luftverteidigung Gestalt an. Begonnen hat dieses Kapitel mit der Zeitenwende, Russlands furchtbarem Angriff auf die Ukraine und die europäische Friedensordnung. Wir haben daraus schnell die nötigen Konsequenzen gezogen, indem wir Fähigkeitslücken schließen und Beschaffungsbürokratie abbauen, indem wir das nötige Geld bereitstellen – Stichwort: Sondervermögen und Zwei-Prozent-Ziel –, indem wir eng mit der Industrie kooperieren, inklusive bei der Ausbildung, oder indem wir einsteigen in den Aufbau einer echten europäischen Luftverteidigung im Rahmen der Nato. Das alles war überfällig. Umso schöner ist, wie schnell das hier funktioniert hat. Und dafür möchte ich allen Beteiligten – der Bundeswehr, der Firma Diehl, den Ausbilderinnen und Ausbildern, unseren europäischen Partnern, den Verwaltungen in Gemeinde, Land und Bund – ganz herzlich Danke sagen.

Sie alle wissen, das hier ist nicht irgendein Projekt. Hier geht es – ohne jede Übertreibung – um die Wahrung von Sicherheit und Frieden in Europa. Mit dem Angriff auf die gesamte Ukraine hat Russland die wichtigste Grundlage unserer europäischen Friedensordnung gebrochen, nämlich die auch von Willy Brandt und Helmut Schmidt erreichte Verständigung, dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden dürfen. Seit vielen Jahren rüstet Russland massiv auf, gerade auch im Bereich von Raketen und Marschflugkörpern. Putin hat Abrüstungsverträge wie den „Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beseitigung ihrer Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite” (INF-Vertrag) gebrochen. Er hat Raketen bis nach Kaliningrad verlegt, 530 Kilometer Luftlinie von Berlin. Darauf nicht angemessen zu reagieren, wäre fahrlässig. Ja, durch Nichthandeln geriete der Frieden auch bei uns in Gefahr. Das lasse ich nicht zu. Für unsere Verteidigung heißt das zweierlei:

Erstens: Wir bauen mit der „European Sky Shield Initiative“ eine starke Luftverteidigung auf. Wie lebenswichtig eine starke Flug- und Raketenabwehr sein kann, lässt sich auf dramatische Weise an der Front und in den Städten der Ukraine beobachten. Iris-T ist dort zum Schutzwall gegen die zahllosen Raketen geworden, die täglich von Russland auf die Ukraine geschossen werden. Die große Nachfrage der Ukraine und vieler anderer Partner nach diesem lebenswichtigen Schutz ist daher mehr als verständlich. Gemeinsam mit der Industrie tun wir alles, um diesen Bedarf zu decken. Wir konnten der Ukraine wenige Monate nach Kriegsbeginn das erste System liefern. Bereits seit August 2023 werden hier in Todendorf ukrainische Kameradinnen und Kameraden daran ausgebildet. Inzwischen sind in der Ukraine vier Systeme Iris-T SLM im Einsatz. Dazu kommen eine hohe Zahl von Flugkörpern und drei verwandte Systeme Iris-T SLS. Acht weitere Systeme Iris-T SLM und neun Systeme Iris-T SLS haben wir verbindlich bestellt. Jeweils zwei davon werden noch dieses Jahr geliefert, der Rest ab 2025.

Das zeigt: Die deutsche Unterstützung für die Ukraine lässt nicht nach. Wir haben vorgesorgt und so rechtzeitig Verträge und Finanzierung gesichert, dass sich die Ukraine auch in Zukunft voll auf uns verlassen kann. Das zeigt auch: Unsere Industrie ist hochleistungsfähig, wenn sie die nötige Planungssicherheit hat. Diehl Defence hat die Produktion von Flugkörpern im vergangenen Jahr bereits verdreifacht. Dieses Jahr wird es erhebliche weitere Steigerungen geben. Das erlaubt uns, neben der massiven Unterstützung der Ukraine dieses Hochleistungssystem jetzt auch in die Bundeswehr einzuführen. Lieber Herr Diehl, lieber Herr Rauch, dafür sage ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vielen herzlichen Dank.

In der Ukraine hat Iris-T bis heute über 250 Raketen, Drohnen und Marschflugkörper abgeschossen und unzählige Leben gerettet. Das System zeigt eine beeindruckende Trefferquote von 95 Prozent oder noch viel mehr. Einige sprechen von 100 Prozent. Es ist jedenfalls ziemlich beeindruckend. Dieser Erfolg hat Iris-T zu einem der weltweit am stärksten nachgefragten Luftverteidigungssysteme gemacht. Wir sind stolz, dass diese weltweit führende Hochtechnologie hier in Deutschland zu Hause ist. Künftig wird nun auch unsere Bundeswehr über diese Technologie verfügen – gut so! Sechs Systeme sind bestellt. Das erste wird uns gleich feierlich übergeben. Das ist ein bedeutender Schritt für die Sicherheit unseres Landes, nachdem die Luftverteidigung lange vernachlässigt wurde.

Zugleich ist das ein bedeutender Schritt auch für die europäische Sicherheit – ich begrüße ganz herzlich die Vertreterinnen und Vertreter der Länder, die mit uns am Aufbau einer europäischen Luftverteidigung zusammenarbeiten – als sichtbarer Beitrag zur Stärkung der europäischen Säule der Nato. Iris-T ist Kernbestandteil der „European Sky Shield Initiative“. Ich habe diese Zusammenarbeit im August 2022 in Prag vorgeschlagen. Inzwischen sind 21 Länder dabei. Der zugrundeliegende Gedanke ist simpel: Wir wollen, dass möglichst viele europäische Staaten dieselben Systeme beschaffen. Dafür öffnen wir unsere Rahmenverträge mit der Industrie für Partner. Auch bei der Ausbildung arbeiten wir eng zusammen wie hier in Todendorf. Ich bin mir sicher: Das, was hier gemeinsam entsteht, ist eine Blaupause für die europäische Verteidigungszusammenarbeit weit über den Bereich der Luftverteidigung hinaus. Boris Pistorius und ich sind heute hier, um das zu würdigen. Wir wollen den engen Schulterschluss von Verteidigungsindustrie und Politik zum Ausdruck bringen. Für Ihren Mut, Ihre Schnelligkeit und Ihre Innovationskraft sagen wir also Danke.

Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt. Neben einer starken Luftverteidigung brauchen wir in Europa abstandsfähige Präzisionswaffen, damit wir auf diesem strategisch wichtigen Feld keine gefährliche Lücke gegenüber Russland haben. Wir haben das bereits in unserer Nationalen Sicherheitsstrategie im vergangenen Jahr so festgelegt. Und das setzen wir konsequent um. Bis Systeme bereitstehen, die wir hier in Europa entwickeln, werden wir auf amerikanische Raketen zurückgreifen. Ab 2026 sollen sie in Deutschland stationiert werden. Allen, die an dieser Entscheidung Zweifel haben, möchte ich sagen: Es geht uns dabei einzig und allein darum, mögliche Angreifer abzuschrecken. Jeder Angriff auf uns muss ein Risiko für den Angreifer bedeuten. Es geht uns darum, den Frieden hier bei uns zu sichern und Krieg zu verhindern, um nichts anderes.

Boris Pistorius und ich stehen zu unserem Wort, die Bundeswehr im Licht der Zeitenwende zur stärksten konventionellen Armee Europas zu machen – als unser Beitrag zur Sicherheit unseres Landes, als unser Beitrag zum Frieden in Europa.

Schönen Dank.