Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz

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Exzellenzen,
sehr geehrte Gäste und Delegierte,
liebe Freundinnen und Freunde in und aus der Ukraine,
meine Damen und Herren,

Kommissionspräsidentin von der Leyen und ich heißen Sie herzlich in Berlin willkommen, um unsere ukrainischen Freunde dabei zu unterstützen, ihre eigene Zukunftsvision zu verwirklichen für den Wiederaufbau und die Modernisierung der Ukraine. Für eine friedliche, prosperierende und widerstandsfähige Ukraine, mit der wir eine gemeinsame europäische Zukunft teilen.

Während wir uns hier versammeln, nimmt Russlands grausamer Angriffskrieg erneut an Intensität zu. Die jüngsten wahllosen Angriffe, bei denen auch Kamikazedrohnen gegen die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur in der Ukraine eingesetzt werden, markieren einen neuen Tiefpunkt in Russlands abscheulichem Versuch, die Ukraine von der Landkarte zu tilgen. Diese barbarische Art der Kriegsführung zeigt nur eins: Putins Russland ist verzweifelt. Die stolze und mutige ukrainische Nation wird sich behaupten!

Damit sie sich tatsächlich behauptet, werden wir die Ukraine gemeinsam mit all unseren Freunden und Partnern weiterhin entschlossen unterstützen: politisch, finanziell, in humanitärer Hinsicht – und auch mit Waffen. Und zwar so lange wie nötig! So lange, wie diese Unterstützung gebraucht wird!

Insbesondere wird Deutschland der Ukraine weiterhin die Luftabwehrsysteme bereitstellen, die sie so dringend benötigt. Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht erst stattfinden muss, weil ukrainische Städte und Kraftwerke vor russischen Bomben, Drohnen und Raketen geschützt werden.

Wir wissen heute noch nicht, wann dieser Krieg enden wird. Aber enden wird er. Und wenn es so weit ist, werden wir der Ukraine in ihrem Streben nach Sicherheit, Freiheit und Demokratie auch weiterhin zur Seite stehen.

Wir wissen, dass die Geschichte jedes Landes einzigartig ist. Doch unsere eigene historische Erfahrung lehrt uns auch, dass Wiederaufbau immer möglich ist – und dass diese Aufgabe nie früh genug in Angriff genommen werden kann.

Jetzt ist es Zeit, die klügsten und besten Köpfe zusammenzubringen, damit sie ihr Know-how und ihre Empfehlungen einbringen und der Wiederaufbau der Ukraine beginnen kann. Jetzt ist es Zeit, das kollektive Wissen der Welt zu nutzen, um einen Beitrag zur Zukunft der Ukraine zu leisten. Jetzt ist es Zeit, den institutionellen Rahmen zu entwickeln, mit dem der Wiederaufbau der Ukraine gesteuert und verwirklicht werden kann. Und jetzt ist es Zeit zu erörtern, wie die Zukunft der Ukraine aufgebaut und finanziert werden kann.

Deshalb sind wir heute hier zusammengekommen. Um zu besprechen, wie wir die Finanzierung des Wiederaufbaus und der Modernisierung der Ukraine auch langfristig sichern können – für Jahre und Jahrzehnte. Lassen Sie mich also unterstreichen, worum es bei dieser Konferenz nicht geht: Dies ist keine herkömmliche Geberkonferenz, sondern etwas viel Grundlegenderes. Bei dieser Konferenz geht es um die Entwicklung der Strukturen und Mechanismen, die das ermöglichen und finanzieren helfen, was John Maynard Keynes 1944 als „fortwährenden Wiederaufbau“ bezeichnete. Es geht hier also um nichts Geringeres als einen neuen Marshallplan für das 21. Jahrhundert. Eine Generationenaufgabe, mit der jetzt begonnen werden muss.

Der Wiederaufbau und die Modernisierung der Ukraine wird wahrhaftig eine Herausforderung für Generationen sein – und die gebündelte Kraft der gesamten Weltgemeinschaft erfordern. Doch es ist auch eine Chance für kommende Generationen – wenn wir es richtig anpacken.

Lassen Sie unser Augenmerk also nicht nur darauf richten, das wiederaufzubauen, was war – so wichtig das gegenwärtig auch sein mag. Sondern lassen Sie uns auch darüber nachdenken, was möglich ist: eine fortschrittlichere, nachhaltigere und widerstandsfähigere Ukraine; eine Ukraine, die ein wichtiger Produzent von grüner Energie sein wird; ein Exporteur von industriellen und landwirtschaftlichen Produkten der Spitzenklasse; ein Digitalstandort mit weltweit führenden IT-Fachleuten; ein EU-Mitglied mit entsprechender Infrastruktur und den entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen.

Für mich ist das Bekenntnis der EU zur Ukraine als einem zukünftigen Mitgliedstaat eine der bedeutendsten geopolitischen Entscheidungen unserer Zeit. Unsere globalen Bemühungen, die Ukraine wiederaufzubauen und gleichzeitig den EU-Beitrittsprozess weiterzuverfolgen, wird enorme Synergien zeitigen. Nicht nur die Ukraine, auch Europa insgesamt wird dadurch gestärkt!

Zudem müssen wir die unterschiedlichen internationalen Stränge der Unterstützung für die Ukraine bündeln: Während unseres Vorsitzes hat die G7 beispiellose Schritte unternommen, um Russland und denjenigen, die den russischen Angriffskrieg unterstützen, wirtschaftliche Kosten aufzuerlegen. Aufbauend auf den Zusagen, die wir der Ukraine auf dem Gipfel von Elmau im Juni gegeben haben, richtet sich unser Blick nun auf unsere Freunde in Japan, das als künftiger G7-Vorsitz unsere Unterstützung fortsetzen wird.

Die Staats- und Regierungschefs der G20 werden nächsten Monat auf Bali zusammenkommen, und wir ermutigen unsere indonesischen Freunde, auf diesem Treffen sowohl den Bedürfnissen der Ukraine Rechnung zu tragen als auch der Notwendigkeit, die internationale regelbasierte Ordnung zu verteidigen.

Die internationale Gemeinschaft hat im Juli in Lugano eine Zukunftsvision für die Ukraine entwickelt. Ich gratuliere unseren Freunden aus der Schweiz und Großbritannien zu den erzielten Fortschritten und sehe der Folgeveranstaltung im nächsten Jahr erwartungsvoll entgegen.

Und schließlich kommen wir heute hier in Berlin zusammen – als globale Gemeinschaft, die bereit ist, ihr Wissen und die nötigen Fachkenntnisse zu bündeln, um den Neuaufbau der Ukraine zu ermöglichen.

In ihrem Kampf um Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität ist die Ukraine nicht allein – und sie wird auch in Zukunft nicht allein sein. Doch an diesem Wendepunkt der ukrainischen Geschichte entscheidend sind ukrainische Eigenverantwortung und Handlungsfähigkeit. Deshalb begrüße ich die heutige Grundsatzrede von Präsident Selensky und die Teilnahme von Ministerpräsident Schmyhal.

Wir alle sind gespannt auf die Erkenntnisse, die die teilnehmenden Experten beisteuern werden.

Wir wollen zusammentragen, welche Möglichkeiten es gibt, die Zukunft der Ukraine zu finanzieren – und zwar nicht nur für die nächsten Monate, sondern auf Jahre hinaus. Um diesem gewaltigen Kraftakt gerecht werden zu können, müssen wir noch bessere Mittel und Wege finden, damit öffentliche und private Geldgeber für Investitionen in eine nachhaltige Zukunft der Ukraine zusammengebracht werden. Wir sollten erörtern, wie ein transparenter, leistungsfähiger und alle Akteure einbeziehender ordnungspolitischer Rahmen aussehen könnte, auf den sich alle unsere Partner und die internationalen Organisationen, die heute hier zugegen sind, verständigen können. Und wir werden von den besten Fachleuten Beiträge zu Aspekten wie Dezentralisierung und Regionalentwicklung, Korruptionsbekämpfung, Investitionsförderung und makroprudenzielle Maßnahmen hören.

Je besser die Grundstruktur ist, die wir jetzt für den Wiederaufbau der Ukraine schaffen, desto größer wird die internationale Unterstützung für die Ukraine in den kommenden Jahren sein. Indem wir diese hervorragende und vielfältige internationale Gruppe einberufen, bringen wir einmal mehr unsere unerschütterliche Unterstützung für die Ukraine zum Ausdruck – und auch unser uneingeschränktes Vertrauen darauf, dass sich die Werte durchsetzen werden, die wir alle mit der Ukraine teilen.

Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hier sind und sich auf unkonventionelle Art über die großen Zusammenhänge nachdenken werden – genau so, wie es die Dimension der bevorstehenden Aufgabe erfordert.

Schönen Dank!

(Diese Rede wurde auf Englisch gehalten und ins Deutsche übersetzt.)