Rede der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ulla Schmidt,

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Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Prävention ist ein Anliegen aller im Bundestag vertretenen Fraktionen. Deswegen müsste es gelingen, dass der vorliegende Gesetzentwurf die Zustimmung des gesamten Bundestages erhält.

Es ist ja nicht so, als gäbe es in Deutschland nicht bereits Prävention. Sie lebt heute von vielen vorbildlichen Projekten in Betrieben, Verwaltungen und Sportvereinen. Prävention ist bei uns schon zu Hause; aber so, wie sie heute organisiert ist, reicht sie nicht aus.

Der vorliegende Gesetzentwurf eröffnet die Möglichkeit, Prävention wirklich in unseren Alltag einziehen zu lassen, sie so alltäglich werden zu lassen wie die "Tagesschau", den grünen Tee, Kaffee am Morgen, das Jobticket oder den Wetterbericht. Alle sollen die Chance erhalten und auch ergreifen, in ihrem Viertel, ihrem Stadtteil, im Betrieb, im Kindergarten oder in der Schule etwas für sich zu tun, damit es ihnen besser geht. Jedem Einzelnen soll es besser gehen. Denn Krankheiten zu vermeiden, das ist vor allen Dingen etwas für die Menschen selber. Ein Mensch, der gesund ist, hat auch viel Kraft; es geht ihm besser und das sollten wir fördern.

Wir wollen, dass zum Beispiel Eltern, die sich Sorgen machen, weil ihre Kinder übergewichtig sind, Anleitung bekommen, dass sie Beratung und Hilfe erhalten. Auch das ist Prävention. Wir wollen die Kindergärten und Schulen in ihrem Bemühen um mehr Bewegung und gesunde Ernährung unterstützen. Gesund ernährt lernt es sich besser; gesunde Ernährung schafft größere Lebenschancen für die Kinder, weil sie dadurch für das zukünftige Leben gestärkt werden.

Auch in die Häuser für Seniorinnen und Senioren, in denen das bisher noch nicht der Fall ist – in vielen Häusern gibt es das schon –, soll fachlich gute Anleitung zur vernünftigen Bewegung und gesünderen Ernährung einziehen. Gesund alt werden bedeutet gewonnene Lebensjahre für jeden Einzelnen.

Die Sportvereine sollen ermutigt werden, noch mehr auf Prävention zu setzen, ihre Angebote auszuweiten, Trainer und Betreuer zu schulen, damit wir alle uns gesünder und wohler fühlen können.

Ich denke aber auch an die vielen Unternehmensleitungen – ich hatte gestern eine Veranstaltung mit Betriebsräten von großen Unternehmen –, die bisher nicht genug getan haben und jetzt vielleicht neue Anstöße bekommen, gemeinsam mit den Betriebsräten, mit den Krankenkassen und mit Medizinern über entsprechende Angebote in den Betrieben zu reden, Programme für die Beschäftigten einzuführen und zu evaluieren sowie zu lernen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich wohl fühlen, denen es gut geht, bei denen Rückenerkrankungen und Schmerzen vermieden werden, damit auch eine wesentliche Grundlage für Leistungsfähigkeit, Kreativität und ein gutes Miteinander haben.

Ein Punkt ist mir auch angesichts vieler Diskussionen mit den Selbsthilfeorganisationen in unserem Lande besonders wichtig: Mit diesem Gesetzentwurf wird endlich die Arbeit der Selbsthilfe gestärkt. Die Selbsthilfe ist einer der wesentlichen Faktoren nicht nur im Bereich der primären Prävention, sondern auch in den Bereichen der sekundären und tertiären Prävention. Die Selbsthilfeorganisationen beraten Menschen, die krank sind, sie leiten sie an, beraten auch deren Familien und sorgen dafür, dass eine Krankheit, wenn sie ausgebrochen ist, nach Möglichkeit nicht zu weiteren Krankheiten führt. Wir sorgen dafür, dass das Geld, das die Krankenkassen für die Förderung und Finanzierung der Selbsthilfe ausgeben sollten, endlich dort ankommt und dass nicht die Hälfte davon bei den Krankenkassen verbleibt, wie das bisher der Fall gewesen ist.

Prävention ist eine Sache für alle. Das Ziel, gesünder zu werden und gesünder zu leben, soll gefördert werden. Ich hoffe, dass wir mit den Regelungen, die wir gemeinsam mit den Ländern auf den Weg bringen, wirklich viel in Bewegung setzen, dass vor allen Dingen gute Anstöße entwickelt werden, um an diejenigen heranzukommen, die man normalerweise mit keinem Angebot auch der individuellen Prävention erreicht. Hierbei geht es um viele Menschen, die vielleicht noch vor dem Fernsehapparat "Tor!" rufen, die aber nicht viel für sich tun, um ihr Leben zu verbessern. Es geht hierbei aber auch um viele Kinder und um viele ältere Menschen, die bisher von den Gesundheitskampagnen kaum erreicht werden. Auch das wollen wir ändern und wirklich einen Schritt nach vorne machen.

Diesem Gesetzentwurf sind viele enge Beratungen in der Koalition, aber auch Beratungen mit den Bundesländern, egal ob unionsregiert oder SPD-regiert, und mit den Sozialversicherungen vorausgegangen. Angesichts der zahlreichen Partner, die an den Beratungen beteiligt waren, ist der vorliegende Gesetzentwurf das, was wir momentan mit der Zustimmung aller – der Sozialversicherungsträger, aber auch der Länder – auf den Weg bringen können. Ich möchte allen für die gute Kooperation und Vorbereitung danken.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen Teil der Zukunft unseres Gesundheitswesens beschreiben: Wir leiten einen Paradigmenwechsel ein; denn Prävention, Behandlung, Rehabilitation und Pflege stehen künftig gleichrangig nebeneinander. Sie bilden vier Säulen unseres Gesundheitswesens. Der Gesetzentwurf ist der Start einer Entwicklung mit dem Ziel, dass wir nicht nur immer dann sehr viel Geld ausgeben, wenn eine Krankheit aufgetreten ist oder sich verschlimmert hat, sondern dass wir auch Geld dafür ausgeben, dass Krankheiten erst gar nicht entstehen oder dass sich Krankheiten, wenn sie entstanden sind, nicht weiter verschlimmern, damit die Menschen ein Stück an Lebensqualität zurückgewinnen können. Unser Gesundheitswesen wird mit der neuen Bestimmung, dass Prävention vor Behandlung gesetzt werden muss, zu einem modernen Gesundheitssystem weiterentwickelt. Wir schließen damit zu anderen Ländern in Europa auf, die – wie zum Beispiel die skandinavischen Länder – bereits gute Erfolge mit gesundheitlicher Prävention erzielt haben.

Bisher hat sich von den Sozialversicherungszweigen vor allen Dingen die gesetzliche Krankenversicherung in der Prävention engagiert. Das geschah nicht so umfassend, wie wir alle es gerne gehabt hätten; aber die gesetzlichen Krankenversicherungen waren diejenigen, die bisher Geld in die Hand genommen und Engagement gezeigt haben. Künftig sollen sich auch die Rentenversicherung, die Unfallversicherung und die Pflegeversicherung an der Finanzierung der Verhütung von Krankheiten beteiligen, da auch sie von präventiven Maßnahmen profitieren. Ich hoffe, dass es uns im Laufe der Beratungen gelingen wird, auch die Bundesagentur für Arbeit in die gemeinsame Aufgabe der Prävention einzubeziehen. Alle tragen in diesem Bereich eine Verantwortung und alle müssen diese Verantwortung gemeinsam wahrnehmen.

Jährlich soll insgesamt eine viertel Milliarde Euro für präventive Maßnahmen verwendet werden. 80 Prozent davon sollen für individuelle Präventionsangebote oder für Angebote zur Prävention in den verschiedenen Lebenswelten verwendet werden. Der Rest soll für Modellvorhaben, Kampagnen und viele andere Dinge, die man zusätzlich auf den Weg bringen muss, um die Menschen für unser Vorhaben zu begeistern, aufgewendet werden. Experten schätzen, dass man durch einen Ausbau der Präventionsmaßnahmen in den Bereichen Krankheitskosten und krankheitsbedingte Ausfallkosten langfristig Einsparungen in Höhe von mehr als sechs Milliarden Euro erzielen kann.

Wir alle wissen, dass in einer Gesellschaft des längeren Lebens das, was der Einzelne für seine Gesundheit aufbringen muss, nicht weniger werden kann. Wenn wir wollen, dass die Menschen am medizinischen Fortschritt teilhaben können, ist das nicht aus der Portokasse zu bezahlen. Angesichts dieser Tatsachen müssen wir wirklich alles tun, um dort Einsparungen vorzunehmen, wo sie vorgenommen werden können, zumal wenn sie den Menschen gleichzeitig ein Mehr an Lebensqualität bringen. Es ist höchste Zeit, alles Erforderliche auf den Weg zu bringen, damit die Prävention als nationale Aufgabe in der Form starten kann, wie wir es wollen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zur privaten Krankenversicherung sagen. Ich bedaure es sehr, dass mir die gesetzliche Grundlage fehlt, um die privaten Krankenversicherungen zur Mitfinanzierung heranzuziehen: Es kann auf Dauer nicht sein, dass in den Kindergärten und Schulen Angebote zur Prävention in den Bereichen Ernährung und Bewegung sowie Angebote zur Zahnprophylaxe gemacht werden, bei denen sich die privaten Krankenversicherungen außen vor halten, während die gesetzlich Krankenversicherten auch für die Kinder der privat Versicherten zahlen müssen.

Deshalb sollte es unser gemeinsames Anliegen sein, die privaten Krankenversicherungen in die Pflicht zu nehmen, damit sie sich auf diesem Gebiet anteilmäßig ebenso wie die gesetzlichen Krankenversicherungen an den Kosten beteiligen. Das Angebot der privaten Krankenversicherungen, 3,5 Millionen Euro, davon 3,4 Millionen für die BZgA und 100.000 Euro für die Aidsprophylaxe, zur Verfügung zu stellen, ist zwar honorig; es reicht aber nicht aus. Das sollten wir in der Öffentlichkeit deutlich sagen.

Prävention ist um so erfolgreicher, je einfacher sie sich darstellt und je einfacher wir die Menschen erreichen. Wir brauchen keine großen Botschaften. Einfache Aussagen wie "Lass den Fahrstuhl stehen! Geh zu Fuß!" können eine ganze Menge erreichen.

Die verschiedenen Präventionsmaßnahmen müssen jedoch zusammengeführt werden. Damit die verschiedenen Maßnahmen, die es überall gibt, effektiv und sinnvoll sind, braucht man einen roten Faden, an dem sie sich ausrichten. Deswegen werden die Sozialversicherungszweige gemeinsame Präventionsziele erarbeiten. Dadurch können die Mittel effizient dort eingesetzt werden, wo sie den größten Nutzen stiften.

  • Wir wollen, dass das Geld nur für Maßnahmen ausgegeben wird, die tatsächlich mehr Nutzen bringen und die wirksam sind.
  • Wir wollen, dass der Nutzen nachgewiesen wird. 
  • Wir wollen, dass die Qualität gesichert ist.

Deswegen legt der vorliegende Gesetzentwurf hierfür verbindliche Kriterien fest.

Damit nachhaltige Veränderungen bewirkt werden können, ist eine verbesserte Zusammenarbeit und Abstimmung auf Bundesebene notwendig. Deswegen werden wir auf der Bundesebene unter Mitwirkung der Sozialversicherungszweige eine Stiftung "Prävention und Gesundheitsförderung" gründen, die die Erarbeitung von Präventionszielen, die Ausarbeitung der gemeinsamen Qualitätsstandards sowie Informations- und Aufklärungsarbeit durch Präventionskampagnen leistet.

Wir wollen, dass in regelmäßigen Abständen Rechenschaft über das Erreichte abgelegt wird und dass festgestellt wird, wo Verbesserungen vorgenommen werden müssen. Wir werden die gesamte Fachkraft der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, aber auch das Expertenwissen, zum Beispiel des Robert-Koch-Instituts, zur Verfügung stellen, damit wir, auch das Parlament, valide Aussagen erhalten.

Prävention ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Sie verbindet Eigeninitiative auf der einen Seite mit Gemeinschaftssinn auf der anderen Seite. Ich bin davon überzeugt: Daraus kann und muss ein großes Projekt werden. Denn Prävention führt – das werden die Menschen merken – zu einem besseren Leben, zu mehr Lebensqualität und damit zu vielem, was man im Leben nur machen kann, wenn bestimmte Voraussetzungen vorhanden sind.

Man darf ein Weiteres nicht unterschätzen: Prävention ist eine wichtige Voraussetzung dafür, in einer Gesellschaft des längeren Lebens auch unter veränderten Bedingungen bis in das hohe Alter Innovationsfähigkeit und Produktivität zu erhalten. Damit schaffen wir die Grundlagen dafür, dass in diesem Lande auch in zehn, 20 oder 30 Jahren Wettbewerbsfähigkeit und die Fähigkeit, Wohlstand zu wahren und zu schaffen, erhalten bleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sich in Reden zur Prävention zu bekennen ist schön, reicht aber nicht. Ich kann Sie nur auffordern: Schließen Sie sich unserem Vorhaben und dem, was die von Ihnen regierten Länder eingebracht haben, an! Sich zu bewegen ist angesagt. Blockieren Sie nicht! Machen Sie mit, anstatt mies zu machen! Das ist gelebte Prävention. Ich möchte, dass auch Sie davon profitieren.