bei der Aussprache zur Regierungserklärung zu den Themen Ernährung und Landwirtschaft vor dem Deutschen Bundestag am 23. März 2018 in Berlin:
- Bulletin 34-3
- 23. März 2018
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Herren und Damen Abgeordnete!
Sehr geehrte Damen und Herren!
"Unsere Gesellschaft ist menschlicher geworden, […] Zusammenhalt ist neu gewachsen." Dieses Ziel hat unsere Bundeskanzlerin vor zwei Tagen hier definiert. Und gerade dieser Bereich, über den wir hier heute diskutieren, kann erheblich dazu beitragen, dieses Ziel des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu erreichen.
Unsere Bürger müssen spüren, dass wir uns um ihre Lebensthemen kümmern. Wenn wir heute über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, über Wein-, Obst-, Gemüse- und Gartenbau, über Fischerei und Tierhaltung, über Biodiversität und starke ländliche Räume sprechen, dann sind das die Lebensthemen der Menschen in unserem Land. Denn hier geht es um unser täglich Brot, um die Bewahrung der Schöpfung, um Tierwohl und um eine gute Zukunft für unser Land. Deshalb ist das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auch das Lebensministerium!
Diese Lebensthemen haben unsere Wertschätzung verdient. Lebensmittel sind unsere Mittel zum Leben. Das ist nicht banal, das ist nicht unbedeutend, das ist systemrelevant. Es geht um Wertschätzung derjenigen, die jeden Morgen früh aufstehen und hart arbeiten, damit wir alle gesunde Lebensmittel haben, um Wertschätzung für die, die gegen manches Vorurteil anzukämpfen haben.
Ich freue mich sehr, dieses wichtige Haus führen zu dürfen, unterstützt durch meine beiden Parlamentarischen Staatssekretäre Hans-Joachim Fuchtel und Michael Stübgen.
Wir können uns alle mehr als glücklich schätzen, in unserem Land keinen Hunger oder existenziellen Mangel erleben zu müssen, auch wenn nicht wenige einen schmalen Geldbeutel haben und ihr Leben schwer ist. Dennoch: In Deutschland haben wir eine große Auswahl an hochwertigen Lebensmitteln. Nehmen wir das zu selbstverständlich? Wir gehen in den Supermarkt, zum Hofladen, auf den Wochenmarkt, tummeln uns an der Theke im Internet. Seien wir ehrlich: Wir machen uns viel zu wenig Gedanken, wie viel Aufwand, Sorgfalt, Herzblut und Arbeit in diesen Lebensmitteln steckt.
Ernährungswirtschaft steht für Vielfalt, Qualität und eine Fülle von Lebensmitteln. Wir haben in Deutschland 80 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher. Das sind 80 Millionen individuelle Ernährungsexperten. Wenn wir die gesamte Lebensmittelkette betrachten, steht die Branche für jeden neunten Arbeitsplatz, auch im Handel, in der Industrie, im Handwerk, vom Acker bis zur Theke. Unfaire Handelsbedingungen haben hier nichts zu suchen.
Ich bin stolz auf unsere Bauern, unsere Gärtner, Fischer, Forstwirte, Winzer, auf alle grünen Berufe; denn ihre Existenz ist im Interesse aller Verbraucher. Für sie will ich mich einsetzen und habe das auch bereits getan: Tausend Milchbauern blieben nach der Insolvenz der Berliner Milcheinfuhr-Gesellschaft auf insgesamt 900.000 Tonnen Milch sitzen, wertvolle Milch, die verdorben wäre. Mit dem Präsidenten des Deutschen Raiffeisenverbandes konnte ich eine Vereinbarung treffen, dass der größte Teil der Milch übernommen wird. Auch Liquiditäts- und Bürgschaftsprogramme der Rentenbank konnte ich anstoßen. Ich möchte mich bedanken bei den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, die mich darauf angesprochen haben.
Ich will aber auch betonen, wovon ich überhaupt nichts halte: Wenn Milch werbewirksam ausgeschüttet wird, wie soll ich dann den Verbrauchern noch vermitteln, dass dieses Produkt etwas wert ist?
Die Verbraucher sind anspruchsvoller und kritischer geworden. Sie setzen auf klare Herkunftserkennbarkeit, auf Regionalität, auch bei der Tierhaltung. Die Haltung der Tiere entspricht hohen europäischen Standards. Aber es gibt immer schwarze Schafe, die das Image der gesamten Branche beschädigen, und sie müssen mit effektiven Strafen rechnen.
Tiere sind Mitgeschöpfe, keine Maschinen. Lücken im Tierschutz müssen wir schließen. Ich will, dass es allen Tieren gut geht, dass Tierwohl sich lohnt – für den Verbraucher, für den Tierhalter und für das Tier. Das muss klar erkennbar sein. Deshalb will ich ein staatliches Tierwohllabel einführen. Bessere Standards müssen erkennbar sein. Das Label soll dem Verbraucher Orientierung geben. Er entscheidet, was ihm Tierwohl wert ist. Fleisch und Wurst aus Tierhaltung mit hoher Lebensqualität der Tiere kosten auch mehr. Die Kosten dafür können aber nicht allein die Bauern tragen.
Ganz zentral ist für mich die Ernährungsbildung. Ich möchte, dass wir unseren Kindern von klein auf die besten Voraussetzungen geben. Ernährungsbildung gehört in die Schulen und in die Kitas. Ein ausgewogener Lebensstil ist wichtig. Warum? Weil Fehlernährung und Überernährung zugenommen haben. Wir müssen an die Ursachen ran. Ich bin nicht der Meinung, dass man Produkten oder einzelnen Rohstoffen allein die Schuld dafür geben kann. Das wäre zu kurz gesprungen. Wir müssen uns den Lebensstil als Ganzes anschauen. Dort aber, wo bewusst verwirrende und verbrauchertäuschende Kennzeichnungen angewandt werden, will ich Verbesserungen erreichen.
Wahrheit und Klarheit sind mir ebenso wie Alltagstauglichkeit wichtig. Nicht nur ich habe den Eindruck, dass manche Angaben zu Portions- und Verzehrgrößen wenig mit der Lebensrealität der Bürger zu tun haben.
Noch immer werden zu viele Lebensmittel weggeworfen: über 80 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Das Mindesthaltbarkeitsdatum wird häufig als Verfalls- oder Verbrauchsdatum missverstanden.
Lebensmittelbetrug will ich bekämpfen. Ich möchte eine noch engere Koordination mit den Ländern bei der Lebensmittelsicherheit, aber auch bei der Tierseuchenbekämpfung.
Das Thema "Ernährung und gesundheitlicher Verbraucherschutz" werde ich in meinem Haus stärker betonen. Manch einer hat noch ein allzu romantisches und altmodisches Bild im Kopf, wenn er von der Agrarwirtschaft redet. Unsere Ernährungs- und Landwirtschaft sind längst hochmodern. Viele unserer Bauern sind die Vorreiter in der Digitalisierung. Im Hightech-Stall werden Gesundheitszustand und Milchqualität per App auf das Handy des Bauern geschickt. GPS-gestützte Landmaschinen – ich bin jüngst eine gefahren – arbeiten auf dem Feld zentimetergenau. Durch Precision Farming, also mit Präzision, können wir Pflanzenschutzmittel und Dünger gezielt aufbringen und so auch der Menge nach reduzieren. Das will ich verstetigen. Das verstetigt die Nachhaltigkeit von der Ackerfurche bis zur Cloud. Das soll ein Schwerpunkt in meinem Haus sein; dafür werde ich mich einsetzen.
Ich werde mich aber auch dafür einsetzen, dass wir aus den ideologischen Grabenkämpfen herauskommen. Naturschutz und Landwirtschaft sind keine Gegensätze, sondern sie gehören zusammen. Deshalb will ich mit der Kollegin Schulze ein gutes Einvernehmen finden. Uns geht es darum, Wälder, Wiesen und Flüsse zu schützen, aber auch zu nützen. Das geht Hand in Hand. Ich meine, wir sollten uns nicht in Grabenkämpfen verlieren, sondern Rückenwind für unsere grünen Berufe geben, auch auf europäischer Ebene.
Naturschutz und Landwirtschaft sind keine Gegensätze. Schauen wir uns konkret das Thema Bienen an – klein, aber ganz groß; systemrelevant. Wenn mir unsere Wissenschaftler sagen, dass die Neonics – ich kürze es ab – zu Bienensterben führen, dann werde ich gemeinsam mit der Landwirtschaft und mit den europäischen Partnern eine Lösung finden. Was für Bienen schädlich ist, muss weg vom Markt – sonst sind irgendwann alle anderen weg vom Markt. Ich weiß, dass unsere Bauern, Winzer und Gärtner Respekt vor der Schöpfung haben. Deshalb ist die Landwirtschaft auch ein Verbündeter des Naturschutzes.
Über die Hälfte unserer Bürger in Deutschland lebt in den ländlichen Regionen und auch von den ländlichen Regionen. Diese ländlichen Regionen sind die Kraftzentren in Deutschland. Sie stecken voller Innovation und Dynamik; doch sie brauchen gute Rahmenbedingungen, und die will ich schaffen. Wir wollen die Ideen der Menschen in den ländlichen Regionen unterstützen – damit ihr Zuhause eine Zukunft hat. Deshalb ist der ländliche Raum in meinem Ministerium richtig aufgehoben. Wir kennen uns dort aus und haben auch die Konzepte.
Gerade im ländlichen Raum engagieren sich viele Menschen ehrenamtlich. Ehrenamt ist die Seele unseres Landes und das Fundament unserer ländlichen Räume. Ich möchte ganz bewusst allen Danke sagen, die sich ehrenamtlich engagieren in diesem Land, explizit auch den vielen Landfrauen und der Landjugend. Wir wollen sie noch stärker unterstützen.
Für strukturschwache Regionen werden wir Geld in die Hand nehmen. Niemand soll sich abgehängt fühlen.
Am Montag war ich in Brüssel beim Agrarrat. Dort spürt man: Die europäische Agrarpolitik ist das zentrale Bindeglied zwischen den Mitgliedstaaten. Sie ist eine wichtige Säule für den Integrationsprozess und für die europäische Einigung. Deshalb geht es um stabile Rahmenbedingungen der Europapolitik. Es geht aber auch darum, dass wir den Erwartungen der Bevölkerung an die Mittelvergabe mehr gerecht werden. Ich will entbürokratisieren und die Effektivität der europäischen Agrarpolitik steigern.
Heute ist nicht genügend Raum und Zeit, über die Gemeinsame Agrarpolitik 2020 zu reden. Ich biete an, dies im Ausschuss oder in einer Extradebatte hier in diesem Haus zu tun.
Ihnen allen biete ich eine gute Zusammenarbeit an. Wir haben nichts weniger zu tun, als uns für alle Menschen in unserem Land um diese Lebensthemen zu kümmern. Diese Dinge machen unser Land so lebenswert, und die kommende Generation braucht sie auch als Grundlage.