in der Vereinbarten Debatte „7. Oktober: Ein Jahr nach dem terroristischen Überfall auf Israel“ vor dem Deutschen Bundestag am 10. Oktober 2024 in Berlin:
- Bulletin 94-2
- 10. Oktober 2024
1.200 Leben, Träume, Wünsche, 1.200 Menschen wurden diese genommen. Sie wurden kaltblütig ermordet, geschunden, gejagt, vergewaltigt. Über 250 Menschen – Frauen, Männer, Kinder – wurden verschleppt. Rund 100 von ihnen werden immer noch von der Hamas gefangen gehalten in den dunklen Tunneln und Kellern Gazas.
Wir haben einige Geschichten – ich glaube, zu wenige – heute Morgen hier gehört. Wir können sie nicht begreifen, nicht verstehen. Aber es ist so wichtig, dass wir diese Geschichten über Leben, die unsere Leben sein könnten, immer wieder erzählen. Dazu gehören auch die Geschichten derjenigen, die in diesem schlimmsten Moment der barbarischen Brutalität helfen wollten. Da ist die Geschichte von Amit, einer jungen Sanitäterin, 22 Jahre alt. In ihrer letzten Nachricht an ihre Schwester schrieb sie: „Sie sind jetzt hier in der Klinik. Ich glaube, ich komme nicht mehr heraus. Ich liebe dich.“ Oder die Geschichte des arabischsprachigen Sanitäters, der hingeeilt ist, um auf Arabisch zu versuchen, die Terroristen zu stoppen, und kaltblütig ermordet wurde.
Der 7. Oktober 2023 war eine Zäsur für Israel, für unser Land, für die Welt, für Jüdinnen und Juden überall auf dieser Welt und für die gesamte Region des Nahen Ostens. Es war ein Tag, mit dem die Terroristen die Region an den Abgrund gebracht haben – wie sie es jeden Tag weiter tun. Und ja, unsere Botschaft an unsere israelischen Freundinnen und Freunde und an die Welt kann nur sein: Wir stehen an eurer Seite, an der Seite Israels.
Israels Sicherheit ist Teil unserer deutschen Staatsräson. Wir gemeinsam – wir als Bundesrepublik Deutschland, wir als Bundesregierung, ich als Außenministerin, wir als Parlament, die demokratische Mitte, Sie als Parlamentarierinnen und Parlamentarier – haben das immer wieder deutlich gemacht. Und ich bin dafür extremst dankbar. Dies ist kein Thema für Parteipolitik. Deswegen würde ich in der Kürze meiner Redezeit, die ich habe, versuchen, auf ein paar Punkte einzugehen, die für mich wichtig sind.
Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson – unabhängig davon, wer Deutschland regiert, unabhängig davon, wer Außenpolitik macht. Es braucht unsere gemeinsame Kraft als demokratische Parteien, genau daran festzuhalten. Deswegen habe ich von Beginn an für die Kraft der Differenzierung geworben, für die gerade die Familien der Opfer, die Familien der Geiseln so werben. Eine Mutter hat gesagt: „Es gibt in einem Wettbewerb des Leids keine Gewinner.“ Wenn die Mutter einer getöteten Geisel diese Kraft hat, in der schwersten Stunde ihres Lebens zu differenzieren, dann sollten wir als Demokratinnen und Demokraten der Bundesrepublik Deutschland genau diese Kraft bei all den Themen immer wieder aufbringen können.
Deswegen haben wir als Bundesregierung, haben wir als Parlament, als Demokratinnen und Demokraten so deutlich gemacht: Das Selbstverteidigungsrecht Israels ist auch unsere Verantwortung. Dazu stehen wir nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten, und zwar jeden Tag. Genauso deutlich haben wir gemacht – und das ist eben kein Widerspruch, sondern es ist eine Ergänzung –: Das humanitäre Völkerrecht und das Existenzrechts Israels gehören auf das Engste zusammen. Dafür steht die deutsche Staatsräson.
Daher haben wir es immer wieder deutlich benannt: Selbstverteidigung bedeutet natürlich, dass man Terroristen nicht nur angreift, sondern zerstört. Deswegen habe ich so klar und deutlich gemacht: Wenn Hamas-Terroristen sich hinter Menschen, hinter Schulen verschanzen, dann kommen wir in ganz schwierige Bereiche. Aber wir ducken uns davor nicht weg. Deswegen habe ich vor den Vereinten Nationen deutlich gemacht: Dann können auch zivile Orte ihren Schutzstatus verlieren, weil Terroristen diesen missbrauchen. Dazu steht Deutschland. Das bedeutet für uns Sicherheit Israels.
Und weil die Resolutionen angesprochen worden sind: Wir machen eine Politik der Taten. Wir können doch angesichts der Resolutionen, in denen steht, dass humanitäre Hilfe in Gaza ankommen muss, dass die Zwei-Staaten-Lösung das einzige Ziel sein kann, wenn man wirklich Sicherheit für die ganze Region will, in denen aber auch einige Sätze stehen, die Deutschland nicht teilt, nicht sagen: Wir machen die Augen zu, wir finden nicht die Kraft zur Differenzierung, wie sie übrigens eine Mutter einer getöteten Geisel in der schwersten Stunde ihres Lebens findet. Auch da bedeutet deutsche Staatsräson für uns, beides klar zu benennen: das humanitäre Völkerrecht und das Selbstverteidigungsrecht Israels. Ebenso möchte ich an dieser Stelle deutlich machen, dass wir jeden Tag darum ringen, dass Hilfe nach Gaza kommt. Klar ist: Israel kann auf Dauer nur in Frieden leben, wenn auch seine Nachbarn, Palästinenserinnen und Palästinenser, auf Dauer in Frieden leben können.
Sie, Herr Merz, Herr Dobrindt, haben die Waffenlieferungen angesprochen. Auch an dieser Stelle möchte ich darum bitten, dass wir die Kraft zur Differenzierung finden. Das entsprechende Gremium bei uns tagt geheim. Aber es gibt eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof. Da hat die Bundesrepublik Deutschland deutlich gemacht, dass wir Waffen zur Unterstützung von Israel liefern. Deswegen ist Ihre Aussage hier falsch. Ebenso haben wir deutlich gemacht, dass hier natürlich auch das humanitäre Völkerrecht gilt.
Mir ist wichtig, dass wir als Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen. Weil mir das so wichtig ist, habe ich interessiert Ihren Gastbeitrag in der „Bild“-Zeitung gelesen. Darin haben Sie deutlich gemacht, dass es wichtig ist, dass wir das, was bei unseren engsten Freunden und auch bei uns viele Fragen aufwirft – zum Beispiel das Vorgehen in der Westbank –, offen und ehrlich thematisieren. Das bedeutet „enge Freundschaft“ für mich: In der schwersten Stunde ehrlich und vertrauensvoll miteinander umzugehen, weil wir eben nicht zulassen können, dass die Westbank oder auch der Libanon ein zweites Gaza wird. Wenn die Sicherheit Israels unsere Staatsräson ist, dann müssen wir alles dafür tun, dass die Menschen in der Region in Sicherheit leben können, sodass auch zukünftige Generationen in Israel in Sicherheit leben können.
Ich möchte an dieser Stelle wiederholen, was ich gestern im Auswärtigen Ausschuss gesagt habe: Wir können es nicht einfach bei den Debatten zum 7. Oktober belassen, sondern müssen uns fragen: Was können wir ganz konkret selber tun, damit angesichts der Zäsur des 7. Oktober das Versprechen „Nie wieder!“, das wir in der Vergangenheit gegeben haben, auch für die Zukunft gilt? Daher war ein großer Auftrag an die deutsche Außenpolitik in den letzten elf Monaten, gemeinsam dafür zu sorgen, dass das perfide Drehbuch der Terroristen nicht aufgeht.
Das Ziel des Angriffes vom 7. Oktober war es ja, Israel weltweit zu isolieren, alle Normalisierungsbemühungen mit seinen Nachbarn kaputtzumachen, die Abraham Accords, die Aussöhnung mit arabischen Staaten, das gemeinsame Einstehen für Sicherheit. Dass das nicht gelingt, das ist dank der internationalen Zusammenarbeit ein kleines bisschen geschafft worden. Das ist der Funke Hoffnung in diesen schwierigen Zeiten, dass wir auf dem Treffen mit unseren britischen und amerikanischen Partnern in München, zu dem ich eingeladen hatte, fünf arabische Länder haben, die deutlich machen und gerade auch in New York wieder deutlich gemacht haben: Wir stehen ein für die Sicherheit Israels als arabische Länder, weil es dem Frieden in der Region insgesamt dient.
Dazu muss Deutschland seinen Beitrag leisten. Dafür müssen wir jetzt hier bei uns die Debatten führen, auch über Sicherheitsgarantien: Was braucht es, damit von Gaza nie wieder diese brutale Terroristengewalt ausgehen kann? Was bedeutet es für den Libanon, damit nie wieder Terroristen vom Libanon aus Israel angreifen können? Dieser Aufgabe müssen wir uns gemeinsam stellen, auch wenn es schwer ist, auch wenn es nur in Millimeterschritten vorangeht. Denn ansonsten sind die Worte „Nie wieder!“ am heutigen Tag nur leere Phrasen.
Ich möchte das so deutlich machen, weil wir uns natürlich alle wünschen, dass wir mehr erreicht hätten. Aber wenn wir die Hoffnung jetzt aufgeben, dass es für die Menschen im Nahen Osten – für alle – ein gemeinsames, sicheres Leben geben wird, dann hat der Terrorismus gewonnen. Die Aufgabe von deutscher Außenpolitik und von deutscher Innenpolitik ist, genau das zu verhindern. „Nie wieder!“ ist, jetzt einzustehen für die Sicherheit Israels, jüdisches Leben in Deutschland zu schützen: „Nie wieder!“ heißt, jeden Tag das Richtige zu tun und nicht das Bequeme.
Herzlichen Dank.
Und ich kann an dieser Stelle – es tut mir angesichts meiner Redezeit leid für die Rednerin aus meiner Fraktion, Frau Präsidentin, aber ich rede hier als Repräsentantin der Bundesregierung – Folgendes so nicht stehenlassen, denn solche Debatten werden auch in der Welt übertragen: Gerade wurde vom AfD-Redner die Familie einer Geisel angesprochen, vor der man sich, wie er gesagt hat, verneigen würde, weil sie auch das Leid in Gaza sehen würde. Im zweiten Teil seiner Rede wurde all das aber ins Gegenteil konterkariert. Sie haben hier von Zehntausenden gesprochen, die die ehemalige Bundeskanzlerin hier reingebracht hätte. Damit haben Sie all das, was diese Familie der Geisel an Kraft zur Differenzierung gefunden hat, ins Gegenteil verkehrt.
Sie haben von Zehntausenden gesprochen, also auch von dem palästinensischen Mädchen, das Angela Merkel – wer sich erinnert – in einer Fernsehtalkshow angesprochen hat. All diesen Menschen haben Sie die Würde der Menschlichkeit abgesprochen. Das ist nicht deutsche Politik, das ist nicht das „Nie wieder!“, wofür der Deutsche Bundestag steht. Die Grundlage der Politik der demokratischen Parteien in diesem Parlament ist, dass das „Nie wieder!“ für die Menschenwürde aller Menschen gilt. Das ist deutsche Politik. Das möchte ich an dieser Stelle einmal deutlich machen, erst recht gegenüber den Familien der Geiseln, die seit dem 7. Oktober so furchtbar leiden.