Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock,

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Dürren im Sahel, verheerende Waldbrände in Südamerika, Hitze und ansteigende Meeresspiegel in Südasien, Flutkatastrophen in Deutschland: All das war das letzte Jahr – und der hochverehrte Generalsekretär der Vereinten Nationen, der gleich auch ein Grußwort hier halten wird, hat das zusammengefasst als “Our planet is broken”.

Die Klimakrise ist die größte internationale Herausforderung des 21. Jahrhunderts für unsere Weltgemeinschaft. Bei Klimaschutz und Energiewende geht es nicht nur um die Zukunft unseres Planeten, unserer Familien und unserer Kinder, sondern – und das erleben wir gerade auf brutalste Art und Weise – es geht um konkrete Sicherheitsinteressen und Geopolitik im 21. Jahrhundert. Der brutale und völkerrechtswidrige Krieg von Präsident Putin gegen die Ukraine hat neben unglaublichem, furchtbaren Leid, das er über Millionen von Menschen bringt, auch verdeutlicht, dass wir uns komplett unabhängig machen müssen von russischen fossilen Importen.

Eigentlich wussten wir das als Europäer schon spätestens seit 2014. Es wurde eine Strategie aufgelegt zur Diversifizierung unserer Energieimporte. Wir sind das aber nicht angegangen und das rächt sich jetzt auf brutalste Art und Weise – aber das ist vergossene Milch. Daher gilt es jetzt umso mehr, uns komplett unabhängig zu machen von fossilen Energieimporten aus Russland. Ich sage das hier an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich – auch für diejenigen, die nicht aus Europa hier zu Gast sind – weil wir eine große Diskussion in der Europäischen Union haben über ein fossiles Embargo. Manche nennen das so – wir haben mit diesem Begriff Probleme, weil wenn wir über Embargo sprechen, dann erwarten wir wie bei allen anderen Sanktionen, dass alle anderen Länder mitziehen. Hier sind viele unter uns, viele unter Ihnen, die ebenso abhängig sind von fossiler Energie. Und wenn wir jetzt alles dafür tun müssen, in Deutschland, in Europa unverzüglich unabhängig zu werden von fossilen Energien, dann dürfen wir unsere Energiekrise nicht in andere Länder exportieren. Auch das ist unsere globale Verantwortung in dieser so wahnsinnig schwierigen Zeit.

Nichtsdestotrotz, um nicht missverstanden zu werden, ich sage es hier klar und deutlich: Deutschland will den nationalen Komplettausstieg aus fossiler russischer Energieabhängigkeit. Man kann das, wenn es andere Embargo nennen, auch ein nationales, schrittweises, de facto – vor allen Dingen – Ölembargo nennen, was der Wirtschaftsminister jetzt gerade vorbereitet. Und Robert Habeck hat es in den letzten Tagen bereits deutlich gemacht: Deutschland hat in den letzten Wochen vor allem in der Steinkohle seine Importe bereits halbiert. Und wir werden Importe in allen anderen Bereichen nicht nur halbieren, sondern wir werden aus den fossilen Energien komplett aussteigen, die aus Russland kommen.

Das heißt – und das gehört zur Ehrlichkeit dazu –, dass wir für den Übergang (weil wir jetzt alles gleichzeitig machen müssen – die Energiewende gleichzeitig mit einem Umstieg von fossilen Importen aus Russland auf andere fossile Importe) kurzfristig weiterhin Gas und Öl aus anderen Ländern importieren müssen. Aber parallel dazu werden wir – so wie alle anderen Länder – uns mittel- und langfristig dafür vorbereiten, komplett auf erneuerbare Energien zu gehen – und vor allen Dingen auf Energieeffizienz: Ein Wort, das wir seit 15 Jahren vor uns hertragen, werden wir endlich vehement umsetzen.

Wir haben das als Bundesrepublik Deutschland, als neue Bundesregierung bereits vor diesem furchtbaren Krieg in unserem neuen Koalitionsvertrag verankert. Und auch wenn es technisch klingt, empfehle ich, das vielleicht nochmal anzuschauen, weil wir da sehr, sehr deutlich gemacht haben, dass Gas, egal woher es kommt, nur eine Brücke sein kann. Und jede Brücke hat auch ein Ende. Und deswegen müssen wir dieses Ende formulieren und gesetzlich verankern. Das haben wir getan als Weltgemeinschaft mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015: Mit dem 1,5 Grad Limit und einer Verpflichtung der Industriestaaten zur Mitte des Jahrhunderts aus fossiler Energie auszusteigen. Und wir haben in unserem Koalitionsvertrag deutlich gemacht, dass wir als Deutsche und als Europäer unsere Verantwortung sehen, das bereits in der Mitte der 40er Jahre zu machen.

Daher haben wir auch vor diesem furchtbaren Krieg bereits verankert, dass wir nicht nur mit Anreizen, sondern mit klarem Ordnungs- und Planungsrecht den Ausbau von erneuerbaren Energien, von Windrädern, von Solaranlagen auf jedem Dach massiv beschleunigen. Denn es ist eben nicht nur eine umwelt- und klimapolitische Frage, sondern es ist die wirtschafts- und industriepolitische Frage unserer Zeit. Investitionen in erneuerbare Energien sind Investitionen in Sicherheit und in unsere Freiheit.

Klar ist: Das alles geht nur gemeinsam. Nationale Alleingänge bei erneuerbaren Energien werden nicht funktionieren – und daher ist unsere Energiewende verankert im europäischen „Green Deal“, der saubere Energie nicht nur in Europa stärkt, sondern damit auch die strategische Souveränität der Europäischen Union. Unser Ziel war und ist, als erster Kontinent klimaneutral zu werden und damit eine Energiesouveränität für die Europäische Union zu sichern.

Und das geht nur mit allen 27 Ländern in der Europäischen Union, aber auch nur mit allen anderen europäischen Nachbarländern. Ich war daher vor ein paar Tagen im Kosovo und habe gemeinsam mit der kosovarischen Energieministerin Artane Rizvanolli, die ich heute hier auch herzlich begrüße, auf 1.800 Metern Höhe bei Minus zwölf Grad mitten im Schnee den größten Windpark des Kosovo eingeweiht. Liebe Artane, ich freue mich, dass du heute hier mit im Saal bist. Diese Investition ist die größte Auslandsinvestition in der Geschichte deines Landes – und sie ist sauber und ist grün. Der Windpark liefert Strom für 100.000 Haushalte und deckt bis zu zehn Prozent des kosovarischen Stromverbrauchs ab. Und zugleich – in der Situation des russischen Angriffskriegs – macht er Kosovo unabhängiger von fossilen Energieimporten aus anderen Ländern. Ehrlich gesagt, bei der Größe und Anzahl von Windrädern – weil das bei uns in Deutschland ja nicht einfach ist – habe ich etwas besorgt gefragt, wie lange eigentlich die Planungszeit war. Dann war ich fast erleichtert, als es hieß: sieben Jahre – denn das ist auch, wie lange wir in Deutschland brauchen. Ich hatte schon Sorge, dass Kosovo uns da überholt hat. Das ist keine gute Nachricht insgesamt für Planungszeiten, sondern es macht unsere gemeinsame Herausforderung deutlich: Wir müssen nicht nur mehr Windräder bauen, sondern wir müssen gemeinsam schneller werden beim Planungsrecht, bei der konkreten Bebauung, vor Ort im Zusammenspiel zwischen denjenigen, die eine gute Idee haben, und denjenigen, die das dann gemeinsam umsetzen.

Und dazu lade ich alle hier ein, gerade mit Blick auf die Planung schneller zu werden, aber vor allen Dingen mit Blick auf die Zusammenarbeit. Worum es geht, macht das kleine Land Moldau deutlich. Da hat die neue Präsidentin, die erst vor kurzem ihr Amt übernommen hat, alles richtig gemacht. Nämlich deutlich gesagt: Wir müssen in Energieeffizienz investieren, wir müssen in erneuerbare Energien investieren, wir können nicht weiter komplett abhängig sein von russischer Energieversorgung, wir wollen uns ans europäische Netz anschließen. Und jetzt kommt dieser furchtbare Krieg und macht deutlich: Man hat nicht mehr zwei Jahre, sondern es muss eigentlich jetzt passieren. Daher veranstalten wir am 5. April hier eine gemeinsame Unterstützungskonferenz für Moldau. Mit Blick auf Sicherheit, mit Blick auf Flüchtlinge – aber vor allen Dingen auch mit Blick auf Energieversorgung. Und da viele Experten hier vor Ort sind, die Solaranlagen bauen, die Windräder bauen: Ich lade Sie herzlich dazu ein, dabei zu sein und sich anzuschauen, wie man Moldau nicht nur bei der Energieversorgung, sondern in dieser kritischen Situation auch bei seiner Sicherheit unterstützen kann.

Denn dieser Krieg macht auf so dramatische Art und Weise deutlich: Energie und Sicherheit sind verwoben. Klimapolitik ist die geopolitische Aufgabe unserer Zeit. Der Aufstieg der erneuerbaren Energien ist heute nicht nur Realität und absolute Notwendigkeit. Er wird auch – und das ist vor allem mein Blick als Außenministerin – das internationale Machtgleichgewicht verschieben. Deswegen sind aus meiner Sicht neben den energiepolitischen Fragen, auf die der Energie- und Wirtschaftsminister gleich noch eingehen wird, drei Punkte besonders wichtig.

Erstens die Bedeutung von Technologie. Zweitens die Gefahr neuer Abhängigkeiten. Und drittens – das Positive zum Schluss – die Chancen für neue Zusammenarbeit.

Zu meinem ersten Punkt: Wer Energiesicherheit will, braucht die beste Technologie. Und deswegen – und ich glaube so ehrlich kann man auch wirtschaftspolitisch sein – läuft gerade der Technologiewettlauf des 21. Jahrhunderts um günstigen grünen Wasserstoff, um den effizientesten Transport und Speicherung von Elektrizität und um saubere Autos. Wir haben da ein wahnsinniges Potenzial, von Norwegen bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten. Aber wir dürfen diesen Wettlauf jetzt nicht gegeneinander angehen, sondern gemeinsam: mit internationaler Forschung, mit Partnerschaften und einer starken Außenwirtschaftspolitik, die das Wirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt in den nächsten Jahren weiter unterstreichen werden. Und zwar nicht als nationales Interesse, sondern als gemeinsame internationale Aufgabe.

Ein Beispiel, was bereits getan wurde, ist Siemens Gamesa, die von Tunesien bis Südafrika auf dem afrikanischen Kontinent mittlerweile vier Gigawatt Windenergie installiert haben. Das entspricht knapp 50 Prozent der gesamten Windenergie in Afrika. Da kann man auf der einen Seite stolz sein. Auf der anderen Seite unterstreicht es aber, was wir noch zu tun haben. Denn 2015 hat die Weltgemeinschaft, haben die Industriestaaten nicht nur versprochen, das 1,5 Grad Limit einzuhalten, sondern auch versprochen, Afrika zu elektrifizieren. Und da müssen wir eine deutliche Schippe obendrauf legen. Klar ist dabei, dass es um die Stärkung der Länder gibt, wo wir erneuerbare Energien ausbauen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir sauber werden bei der Energieversorgung, aber dass wir genauso Millionen Menschen weltweit aus der so genannten Energiearmut herausholen.

Und das bringt mich zu meinem zweiten Punkt, dem der Abhängigkeiten. Für den Bau von Windrädern, Stromleitungen und Batterien braucht es nicht nur Nickel, Kobalt und Lithium. Es werden auch Kooperationen mit Ländern gebraucht, die eben nicht Demokratien in Gänze sind oder wo es autoritäre Tendenzen gibt. Deswegen ist es wichtig, dass wir wie bei Öl und Gas auch beim grünen Wasserstoff und bei erneuerbaren Energien immer wieder deutlich machen: Es besteht kein Gegeneinander von Interessen und Werten, sondern das gehört beides eng zusammen.

Wir haben als ein Land, wo die Energiewende entstanden ist, das vor vielen Jahren das Erneuerbare-Energien-Gesetz erfunden hat, am Anfang nicht genau genug hingeschaut: Als wir gesagt haben, wir investieren erst einmal in erneuerbare Energien – und die soziale Frage schauen wir uns nachher an. Klar ist aber: Erneuerbare Energien und soziale Gerechtigkeit können nur Hand in Hand gehen. Wenn wir erneuerbare Energieanlagen bauen, dann gilt natürlich nicht nur das Arbeitsrecht, sondern dann braucht es auch starke Gewerkschaften. Und daher ist unser Credo – und ich freue mich, dass einige junge Vertreter auch von „Fridays for Future“ heute hier sind – eine „Just Transition“. Das ist auch die Überschrift unserer europäischen Energie- und Außenpolitik. Saubere Energien dürfen wir nicht mit schmutzigen Deals erkaufen. Sondern wir müssen bei allen Abwägungen und Dilemmata, die auf uns zukommen werden, immer klar im Blick haben, dass wir eine wertegeleitete Außen- und Energiepolitik betreiben.

Denn – und das ist mein dritter Punkt – es gibt kein energiepolitisches Ende der Geschichte – aber die Energiewende eröffnet neue Möglichkeiten für internationale Zusammenarbeit – wenn wir es richtig machen. Wir können alte Gegensätze überwinden: zwischen Energie und Wirtschaftsinteressen, zwischen Klimaschutz und mehr Wohlstand. Wir erleben gerade, dass wir diese große Herausforderung nur gemeinsam angehen können, weil CO2 – ähnlich wie die Pandemie – eben nicht an nationalen Grenzen halt macht.

Wenn unser Planet, wie der Generalsekretär es gesagt hat, kaputt ist, dann ist es so, dass wir jetzt gemeinsam alle Werkzeuge in die Hand nehmen müssen, um diese Schäden bestmöglich zu reparieren und gleichzeitig gemeinsam nationalen Wohlstand zu bauen.

Und genau diesem Ziel dient der „Berliner Energy Transition Dialogue“ und die neue Klimaaußenpolitik der Bundesregierung: Alle Werkzeuge in die Hand zu nehmen für mehr Klimaschutz und eine nachhaltige Entwicklung für alle Länder auf dieser Erde. Genau das ist unser Anspruch für die nächste Klimakonferenz am Ende des Jahres in Ägypten. Und dafür haben wir hier im Auswärtigen Amt – gemeinsam mit dem Wirtschafts- und Klimaministerium – eine neue Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik an Bord geholt. Ich glaube, viele im Raum kennen sie bereits. Jennifer Morgen wird das, was eingangs gesagt worden ist, machen: Die 226 Auslandsvertretungen, die wir weltweit haben, zu 226 Klimabotschaften machen. Uns ist nämlich wichtig, dass wir die Energieunabhängigkeit, die wir jetzt in Europa, die wir jetzt in Deutschland auf Hochdruck angesichts des Krieges angehen, nicht gegen andere Länder angehen, sondern gemeinsam mit anderen Ländern. Neben den vielen Projekten, die wir in Afrika mit Blick auf den Ausbau der erneuerbaren Energie haben, setzen wir auf Wasserstoff, worauf Herr Habeck noch weiter eingehen wird. Wir haben bereits erste Wasserstoff Büros in Nigeria und Angola eröffnet und weitere werden in den nächsten Monaten und Jahren folgen.

Denn zentral für uns ist: Diese Energiewende als Sicherheitspolitik, aber vor allen Dingen als ein Ansatz für nachhaltige Entwicklung gemeinsam anzugehen. Und das heißt auch, Geld in die Hand zu nehmen. Diese Energiewende, diese schnelle Energiewende wird es nicht umsonst geben. Und deswegen müssen die Industriestaaten ihr Versprechen, das sie 2015 gegeben haben, nämlich jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar für ärmere Länder bereitzustellen, jetzt endlich auf den Weg bringen. Das gilt für “mitigation”, das gilt für “adaptation”, aber das gilt genauso für “loss and damage”.

Wir haben es jetzt gemeinsam in der Hand. Wir werden die Klimakrise nicht zurückdrehen können. Aber wir können alles dafür tun, dass wir gemeinsam die Klimaschäden begrenzen. Dass wir gemeinsam eine nachhaltige Entwicklung auf den Weg bringen – nicht nur für eine saubere Umwelt, sondern für unseren Wohlstand. Und dass wir gemeinsam dazu beitragen, allen Ländern und Regionen dieser Welt weniger Abhängigkeit und damit mehr Sicherheit zu bringen.

Dafür steht die deutsche Klimaaußenpolitik – und dafür steht diese Konferenz.

Ich heiße Sie alle herzlich willkommen. Vielen Dank.