Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

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Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Am 28. Oktober hat die neue Regierung von Union und FDP ihre Arbeit aufgenommen. Sie hat ihre Arbeit aufgenommen im 60. Jahr des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland und 20 Jahre nach dem Mauerfall. Die neue Regierung will die Weichen für das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts stellen. Dazu sind wir zum Wohle unseres Landes und unseres Volkes fest entschlossen.

Ohne Zweifel: Deutschland ist ein starkes, ein weltweit angesehenes, ein lebenswertes Land. Doch genauso steht außer Zweifel: Zu Beginn der Amtszeit der neuen Regierung muss und wird eine schonungslose Analyse der Lage unseres Landes stehen. Anschließend ziehen wir die richtigen Konsequenzen.

Außerordentlich viel hängt von dieser Analyse ab. Machen wir hierbei Fehler, dann sind sie kaum wieder gutzumachen. Machen wir es hierbei richtig, dann werden wir Deutschland zu neuer Stärke führen.

Ich sage sehr deutlich: Wir dürfen die Augen nicht vor der Realität verschließen. Wir dürfen uns keinen Sand in die Augen streuen. Wir müssen mutig und entschlossen die vor uns liegenden Aufgaben beim Namen nennen.

Genau das, nicht mehr und nicht weniger, will ich heute hier tun, und zwar ohne Umschweife; denn die neue Regierung von Union und FDP, diese christlich-liberale Koalition der Mitte, hat den Anspruch, Deutschland zu stärken und dabei den Zusammenhalt unseres Landes zu festigen. Sie hat den Anspruch, dies mit einer Politik für Freiheit in Verantwortung zu tun.

Fünf Aufgaben müssen wir dabei anpacken:

Erstens: Wir müssen die Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise überwinden.

Zweitens: Wir müssen das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Staat verbessern.

Drittens: Wir müssen Antworten auf die Veränderungen des Altersaufbaus finden.

Viertens: Wir müssen einen zukunftsfesten Umgang mit den weltweiten natürlichen Ressourcen finden und dazu einen globalen Ordnungsrahmen aufbauen.

Fünftens: Wir müssen das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in der Innen- und Außenpolitik angesichts neuer Bedrohungen weiter festigen.

Das sind die fünf Aufgaben, die die Koalition der Mitte angehen muss. Ganz ohne Zweifel steht dabei alles, was wir tun, zunächst und für unabsehbare Zeit im Zeichen der ersten Herausforderung. Ich wiederhole sie noch einmal: Wir müssen die Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise überwinden.

Das ist die Lage: Deutschland befindet sich infolge dieser Krise in der schwersten Rezession seiner Geschichte. Der Wachstumseinbruch ist fünfmal stärker als der bisher größte Rückgang Anfang der 70er-Jahre. Der Absturz bei Auftragseingängen, Produktionen und Absatz ist zwar gestoppt, und es gibt erste, leichte Aufwärtsbewegungen, aber große Teile der Industrieproduktion liegen noch immer weit unter dem Niveau vor Beginn der Krise. Wichtige Banken sind nach wie vor vom staatlichen Rettungsschirm abhängig. Der Finanzmarkt ist noch keineswegs wieder so leistungsfähig, wie er es für die Weltmarktstellung der deutschen Wirtschaft und insbesondere für einen neuen Aufschwung sein müsste. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, und sie wird weiter steigen. Es ist nur der Kurzarbeit zu verdanken, dass nicht noch mehr Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Deshalb werden wir die Regelung zur Kurzarbeit verlängern.

Die volle Wucht der Auswirkungen der Krise wird uns im nächsten Jahr erreichen, auch und gerade in den öffentlichen Haushalten der Kommunen, der Länder und des Bundes. Waren die gesamtstaatlichen Haushalte vor Ausbruch der Krise schon ungefähr ausgeglichen, so wird das Budgetdefizit in diesem Jahr 3,5 Prozent und im kommenden Jahr circa 5 Prozent unserer Wirtschaftsleistung betragen. Das ist die EU-Herbstprognose. Die Wahrheit lautet, in einem einzigen Satz zusammengefasst: Die Probleme werden erst noch größer, bevor es wieder besser werden kann. Das ist die Lage. Ich kann und ich will sie uns nicht ersparen.

Mehr noch: Wir alle müssen verstehen, dass es um weit mehr geht als nur um die Bewältigung der Folgen der Krise in unserer eigenen Volkswirtschaft. Nein, die Karten werden weltweit neu gemischt. Das und nichts anderes ist die Dimension der Krise. Weltweit werden die Karten neu gemischt. Da gibt es eben keine angestammten Marktanteile und Positionen. Wer wird sich den Zugriff auf Rohstoffe und Energiequellen sichern? Wer lockt Investitionen aus anderen Teilen der Welt an? Welches Land wird zum Anziehungspunkt für die klügsten und kreativsten Köpfe?

Wir spüren es: Deutschland steht vor einer Bewährungsprobe, wie es seit der deutschen Einheit nicht mehr der Fall war. Die zentrale Frage lautet: Wird Deutschland es schaffen, rechtzeitig aus der Krise zu kommen, noch dazu stärker als wir waren, als wir in sie hineingeraten sind, oder werden andere unseren Platz einnehmen, weil wir es versäumen, die Quellen des Wohlstands von morgen zu finden und zu nutzen? Die Antwort liegt in unserer Hand. Wir können scheitern, oder wir können es schaffen. Beides ist möglich. Ich will und wir wollen, dass wir es schaffen. Ich will, dass wir Deutschland zu neuer Stärke führen. Wer also die Dimension der politischen Herausforderung unserer Generation tatsächlich an sich heran lässt, der weiß spätestens dann: Es geht nicht um kurzfristige Krisenbewältigung oder langfristige Weichenstellungen. Das sind nicht zwei getrennte Aufgaben. Nein: Kurzfristige Krisenbewältigung und langfristige Weichenstellungen sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Ich bin überzeugt: Wenn wir das verstehen, dann werden wir in der Lage, in der die Karten weltweit neu gemischt werden, die richtigen Karten für unser Land ziehen und legen. Die Voraussetzungen dafür könnten kaum besser sein. Wir haben viele Unternehmer mit guten Ideen für neue Produkte und Innovationen. Wir haben viele gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir haben viele Talente in Zuwandererfamilien. Wir haben an vielen Stellen nachhaltiges Denken und Wirtschaften schon verankert. In unserem Land steckt viel. Wir müssen diese Stärken Deutschlands nur zur Geltung kommen lassen. Die christlich-liberale Koalition der Mitte hat das erkannt. Sie will das schaffen. Sie wird danach handeln, egal wie schwer der Weg auch immer sein mag und egal wie viele Widerstände es dagegen auch geben mag. Wir nehmen die Herausforderung an.

Die Krisenbewältigung ist in vielen Fällen sehr konkret. Nehmen wir das Beispiel Opel. Die alte Bundesregierung hatte sich aus guten Gründen für einen strategischen Investor entschieden, um Opel eine neue Zukunft zu eröffnen. Hätten wir das nicht getan, gäbe es Opel heute nicht mehr. Denn General Motors war über Monate hinweg nicht in der Lage, seiner Verantwortung als Mutterkonzern von Opel auch nur annähernd gerecht zu werden. Die Arbeitnehmer hatten sich in großer Verantwortungsbereitschaft zu erheblichen Anstrengungen und Opfern bereit erklärt. Sie haben im Gegenzug Verlässlichkeit erwartet, und sie wurden tief enttäuscht.

Ich bedauere die Entscheidung von General Motors außerordentlich. Doch die Arbeitnehmer brauchen mehr als unser Bedauern. Sie brauchen eine konkrete Lösung, die Arbeitsplätze, Know-how und Standorte sichert. Wir erwarten, dass General Motors schnell ein verlässliches Konzept vorlegt, das Opel Europa und den deutschen Standorten die Chance auf eine gute Zukunft bietet. Gelingen kann diese Lösung nur, wenn General Motors den Hauptanteil der Restrukturierung mit eigenen Mitteln trägt. Dazu gehört auch, dass General Motors den Überbrückungskredit zurückzahlt. Wir erwarten, dass sich das Unternehmen in Zukunft gleichermaßen für seine amerikanischen wie für seine europäischen Standorte engagiert.

Eine faire Balance ist eine entscheidende Bedingung, damit die jetzt kommenden Gespräche überhaupt eine Aussicht auf Erfolg haben können. Ich sage hier ganz deutlich: Das, was der Bundesregierung und den Landesregierungen der vier Opelstandorte hierzu möglich ist, werden wir tun. Darauf können sich alle verlassen.

Solche Fälle – noch dazu mit einem traditionsreichen Namen – stehen natürlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Doch die Bundesregierung muss alle Arbeitsplätze in Deutschland im Blick haben. Deshalb noch einmal: Es geht darum, welche Möglichkeiten wir haben, die weltweite Krise als Ganzes zu überwinden. Dazu raten die einen uns nun, vorneweg die durch die Krise schier ins Uferlose geratenen Schulden vor allem durch Streichen und Kürzungen auszugleichen. Es ist wahr: Das wäre theoretisch ein Weg. Machen wir uns dazu aber kurz die Größenordnung klar: Um 86 Milliarden Euro auszugleichen – das ist der von der alten Bundesregierung geschätzte Defizitbetrag für 2010 –, müssten wir die größte Kürzungs- und Streichungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland starten. Ich glaube, jede weitere Diskussion über diesen Weg erübrigt sich. Ein solcher Weg ist in der Krise offensichtlich keine Lösung.

Andere raten uns, die höheren Ausgaben und geringeren Einnahmen der Sozialversicherungen durch steigende Beiträge der Sozialversicherungen auszugleichen. Es ist wahr: Theoretisch ist auch dies ein Weg. Doch was wäre die Folge? Die verfügbaren Einkommen der Bürger würden sinken, die Arbeitsplätze würden für die Betriebe teurer werden. Es ist also ganz offensichtlich, dass sich auch jede weitere Diskussion über diesen Weg erübrigt. Auch er wäre keine Lösung.

Wir haben uns für einen anderen Weg entschieden, nach reiflicher Überlegung und Abwägen allen Für und Widers. Er lautet in einem Satz: Ich will, dass wir alles versuchen, jetzt schnell und entschlossen die Voraussetzungen für neues und stärkeres Wachstum zu schaffen. Wachstum zu schaffen, das ist das Ziel unserer Regierung. Ich sage es ganz offen: Auch dieser Weg ist keine Garantie, dass wir es schaffen, die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise schnell und gestärkt zu überwinden. Aber die Chance dazu bietet dieser Weg. Deshalb müssen wir diese Chance ergreifen und genau diesen Weg einschlagen.

Ohne Wachstum keine Investitionen, ohne Wachstum keine Arbeitsplätze, ohne Wachstum keine Gelder für die Bildung, ohne Wachstum keine Hilfe für die Schwachen. Und umgekehrt: Mit Wachstum Investitionen, Arbeitsplätze, Gelder für die Bildung, Hilfe für die Schwachen und – am wichtigsten – Vertrauen bei den Menschen. Das ist meine Überzeugung, eine Überzeugung, die auf meiner Grundauffassung von Politik gründet. Zu ihr gehören elementar entscheidende Faktoren: Vertrauen, Zuversicht, Motivation. Sie lassen sich nicht in Prozenten fassen. Ihre Wirkung ist aber immer weit größer, als die Statistiker sie jemals ermessen können.

Genau vor diesem Hintergrund beginnt die neue Bundesregierung ihre Arbeit mit einem Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Der Entwurf wurde gestern im Kabinett beschlossen. Ich weiß, dass die Beratungszeit knapp ist. Aber ich bitte um Ihre Unterstützung für unseren Zeitplan; denn Entschlossenheit ist jetzt gefragt.

Die krisenbedingten Auswirkungen der Unternehmen- und Erbschaftsteuerreform müssen beseitigt werden; das wissen alle in diesem Hause. Die Familien wollen wir zusätzlich zu den schon beschlossenen Entlastungen noch einmal stärken. Insgesamt, zusammen mit den schon beschlossenen Maßnahmen und dem, was wir jetzt auf den Weg bringen, entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger zum 1. Januar 2010 um 22 Milliarden Euro.

Anfang Dezember wird die Bundesregierung außerdem mit allen Akteuren aus Wirtschaft, Banken und Arbeitnehmerschaft die weiteren Schritte vertrauensvoll besprechen. Wir wollen den Unternehmen weiter ausreichende Finanzierungswege eröffnen. Insbesondere der Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, darf nicht in eine Kreditklemme geraten.

Deshalb werden wir noch einmal die Ausgestaltung des Deutschlandfonds überprüfen, ihn gegebenenfalls auch anpassen, und wir wollen in Abstimmung mit den Ländern dafür sorgen, dass jeder Betrieb, egal ob groß oder klein, bei krisenbedingten Finanzierungssorgen einen Ansprechpartner erhält, damit so unbürokratisch wie möglich nach Lösungen gesucht werden kann.

Von den Banken erwarte ich vor allem, dass sie die von der Bundesregierung geschaffenen Möglichkeiten nutzen, um ausreichend Kredite zu vergeben.

Es scheint mir Zeit zu sein, in diesem Zusammenhang an etwas zu erinnern, und zwar daran, dass der Finanzsektor im Kern eine dienende Funktion für das Funktionieren der wirtschaftlichen Kreisläufe hat.

So ist der Bankensektor entstanden, das war sein eigentliches Selbstverständnis. Dieses Selbstverständnis muss wieder belebt werden; ansonsten werden wir große Schwierigkeiten mit unserer Wirtschaft haben.

Genau diesem Ziel dienen auch alle internationalen Bemühungen – vorneweg in der Gruppe der G20 –, neue internationale Regeln für mehr Transparenz und Kontrolle festzulegen; denn wir müssen alles tun, damit sich eine solche Krise nie wiederholt. Wenn wir international übereinkommen, bin ich sehr dafür, dass wir zum Beispiel über eine Börsenumsatzsteuer international die Banken an der Begleichung der Schäden, die diese Krise angerichtet hat, beteiligen.

Ich sagte es bereits: Die Bundesregierung setzt auf Wachstum, um Deutschland zu neuer Stärke zu führen. Deshalb werden wir im Jahre 2011 einen weiteren Wachstumsimpuls setzen, und zwar in Form von Einkommensteuersenkungen. Diesen Impuls werden wir auch dazu nutzen, um langfristig strukturelle Veränderungen im Steuersystem vorzunehmen.

Damit berühren wir die zweite Aufgabe, vor der die neue Regierung ganz unabhängig von der Krise steht: Wir wollen das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat verbessern. Das ist dringender denn je; denn die Steuerzahler sind unzufrieden, weil die Leistungen des Staates auf den Gebieten Bildung, Infrastruktur und Service aus ihrer Sicht oft mangelhaft sind. Damit können wir uns nicht abfinden.

Diejenigen, die Transferleistungen erhalten, fühlen sich ausgegrenzt und sehen oft wenig Chancen, wieder auf den Weg des Aufstiegs zurückzukehren; doch genau das muss gelingen. Die Mitte der Gesellschaft kann nur stärker werden, wenn mehr Menschen Arbeit bekommen, wenn gute Bildung Aufstiegschancen eröffnet, wenn unnötige Bürokratie abgebaut wird, mit einem Wort: wenn sich Leistung wieder lohnt in diesem Lande.

Das ist der Grund, warum wir unser Steuersystem spürbar vereinfachen wollen. Den Einkommensteuertarif wollen wir zu einem Stufentarif umbauen. Einfach, niedrig und gerecht, das muss die Maßgabe sein, meine Damen und Herren. Dafür stehen wir ein. Leistungsfeindliche Elemente wie der sogenannte Mittelstandsbauch müssen schrittweise abgebaut werden. Kinder müssen im Steuerrecht mittelfristig wie Erwachsene behandelt werden. Steuerpolitik – das ist unsere Überzeugung – ist nicht einfach der Umgang mit Zahlen, sondern Steuerpolitik ist Gesellschaftspolitik.

Einen neuen Schwerpunkt werden wir beim Abbau von Bürokratie setzen. Neben der Konzentration auf Erleichterungen für die Betriebe wollen wir auch für die Bürger ein klares Ziel für den Abbau von Bürokratie vereinbaren. Dabei müssen wir mit einem Missverständnis aufräumen: Es geht bei diesen Bemühungen nicht nur um weniger Aufwand bei Statistiken und Berichtspflichten – das allein reicht nicht –, es geht vor allem um schnellere Verfahren, flexiblere Behörden, also um Dienstleistungen für Bürger und Betriebe. Deshalb werden wir den Auftrag des Normenkontrollrates deutlich erweitern.

Wenn wir das Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat wirklich verbessern wollen, dann ist und bleibt es auch bei dieser Aufgabe das Wichtigste, Beschäftigungsbremsen zu lösen und Anreize für Arbeit zu schaffen. Wer für sich selber vorsorgt, dem muss der Staat dabei helfen.

Dazu werden wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten beim Übergang in reguläre Arbeit verbessern. Wir erhöhen das Schonvermögen, damit der, der für sich vorsorgt, später nicht um die Früchte seiner Voraussicht betrogen wird. Wir wollen den Kinderzuschlag weiterentwickeln, weil niemand wegen seiner Kinder in staatliche Abhängigkeit geraten sollte. Ebenso werden wir befristete Beschäftigungsverhältnisse erleichtern. Sittenwidrige Löhne werden wir verbieten, einheitliche gesetzliche Mindestlöhne lehnen wir allerdings ab. Wir sind der Überzeugung: Sie waren, sind und bleiben nichts weiter als ein Hindernis für mehr Beschäftigung. Deshalb sind sie mit uns nicht zu machen.

Das sind wichtige Einzelmaßnahmen, aber das reicht noch nicht aus. Es wäre nur Stückwerk, wenn wir nicht auch im Zusammenhang denken würden. Deshalb wollen wir die aktive Arbeitsmarktpolitik insgesamt wirksamer und einfacher gestalten.

Dazu werden wir die bis heute kaum überschaubare Zahl der Instrumente und Programme reduzieren. Das ist mehr als überfällig. Ich sage ganz deutlich: Die Arbeitsagenturen, die Argen, die Optionskommunen, die einzelnen Arbeitsvermittler vor Ort leisten vor Ort ohne Zweifel vielfach großartige Arbeit. Sie alle – davon sind wir überzeugt – können aber noch mehr leisten. Dazu wollen wir ihnen die Möglichkeit geben, sich bei ihrer Wiedereingliederungsarbeit zuerst nach den jeweiligen Bedürfnissen des Arbeitslosen und nicht nach den Bedürfnissen der gesetzlichen Feinsteuerung richten zu können. Ich glaube, das ist die richtige Reihenfolge: erst der betroffene Mensch und dann ein politisches Instrument.

Eine solche Politik dient den Menschen; denn sie folgt einer Überzeugung: Jeder Bürger, der Arbeit hat oder sie wieder bekommt, hat die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Das ist es, worum es der Politik zu gehen hat, wenn sie ihren Auftrag auch als einen moralischen versteht. Jedem Bürger die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben eröffnen: Das will die christlich-liberale Regierung.

Dazu brauchen wir nicht zuletzt ein verantwortliches Miteinander von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die Tarifautonomie hat sich gerade auch in der Krise, bei der Anpassung an oft schwierigste Auftragslagen, bewährt. Wir werden sie achten und schützen. Sie gehört zu den wichtigsten sozialen Errungenschaften in Deutschland. Viele Länder blicken geradezu bewundernd auf unsere Kultur der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Ich sage deshalb auch hier ganz klipp und klar: Wir werden die Mitbestimmung und die Betriebsverfassung nicht ändern. Wir werden auch die Schutzwirkung des Kündigungsschutzes nicht mindern. Das schafft Vertrauen und hat auch etwas damit zu tun, das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat zu verbessern.

In diesem Geist können wir auch die dritte große Aufgabe unserer Zeit in den Blick nehmen: Wir müssen eine Antwort auf die Veränderung des Altersaufbaus unserer Gesellschaft finden. Auch hier ist ein schonungsloser Blick auf die Lage Voraussetzung, um die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

In diesem Jahr leben in Deutschland erstmals mehr über 65-Jährige als unter 20-Jährige. Der Schwerpunkt der Gesellschaft hinsichtlich des Lebensalters wird sich immer weiter jenseits der 50 Jahre verschieben. Im Jahre 2020 werden 3,5 Millionen Menschen unter 25 Jahren weniger als 2007 in unserem Land leben – in 13 Jahren 3,5 Millionen Menschen unter 25 Jahren weniger. Das bedeutet in der Altersgruppe der unter 25-Jährigen einen Rückgang von 15 Prozent. Im gleichen Zeitraum geht die Gesamtbevölkerung nur um zwei Prozent zurück. Daran ersehen Sie die Dimension der Herausforderung, vor der wir stehen.

Ich sage ganz ausdrücklich: Erste Schritte sind gemacht, zum Beispiel mit der Einführung der Rente mit 67 Jahren. Aber diese Veränderungen, von der Bildungs-, Forschungs-, Familien- und Integrationspolitik bis hin zur Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme und einer nachhaltigen Haushaltspolitik, müssen noch weiter-entwickelt werden. Teilweise ist das überfällig. Die Koalition der Mitte ist deshalb entschlossen, diese Veränderungen in die Wege zu leiten. Davor die Augen zu verschließen oder den Kopf in den Sand zu stecken, das wäre die ungerechteste aller Möglichkeiten im Umgang mit den Menschen in unserem Lande. Genau deshalb werden wir das nicht tun.

Es muss Schluss sein mit den reflexartigen Reaktionen, etwa wenn über die Entkopplung von Arbeitskosten und Kosten der sozialen Sicherheit gesprochen wird. Es muss Schluss sein mit den reflexartigen Reaktionen, etwa wenn vom Aufbau einer Kapitaldeckung bei der Pflege die Rede ist. Das alles hilft nicht weiter. Wir müssen Prioritäten setzen; nur das hilft weiter. Bildung, Integration, solide Haushalte, generationengerechte soziale Sicherungssysteme – das sind die Themen, die höchste Priorität bekommen müssen. Die neue Regierung gibt genau diesen Themen die höchste Priorität.

Ich sage Ihnen: Das muss das ganze Land tun. Bald werden uns Millionen junger Menschen fehlen. Dabei sind genau sie die Fachkräfte der Zukunft. Trotz Konjunktureinbruchs klagt das Handwerk schon jetzt über einen Mangel an Lehrlingen. Doch mancher Befund ist ernüchternd. Mehr als jeder Zehnte der unter 34-Jährigen hat heute keinen Schulabschluss oder muss ohne abgeschlossene Berufsausbildung ins Berufsleben starten. Bei denjenigen mit Migrationshintergrund ist es sogar jeder Dritte.

Mit diesem Befund dürfen und werden wir uns nicht abfinden. Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, dass jeder die Chance erhält, im Berufsleben Erfolg zu haben. Schaffen werden wir dies aber nur, wenn die Politikbereiche zusammenwirken: für die Unterstützung von Familien, die Bildung, die Integration, die Arbeitsmarktpolitik und die sozialen Sicherungssysteme. Dabei kommt zweifelsohne den Familien die größte Aufgabe zu. Familien müssen deshalb besonders unterstützt werden.

Das Schlüsselwort unserer Politik für Familien heißt Wahlfreiheit. Zu lange war das ein leeres Wort, und zwar in jeder Hinsicht. Wahlfreiheit setzt Wahlmöglichkeit voraus. Deshalb führen wir weiter, was begonnen wurde, nämlich den Ausbau der Kinderbetreuung auch für die unter Dreijährigen, eine Verbesserung sowohl im Umfang als auch in der Qualität. Zur Wahlfreiheit im umfassenden Sinne gehört auch, dass wir für Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, ab 2013 ein Betreuungsgeld, gegebenenfalls auch als Gutschein, einführen wollen. Ich sage Ihnen: Es muss und es wird so ausgestaltet sein, dass die Freiheit der Eltern gestärkt wird, ohne dass dabei die Bildungschancen für Kinder verloren gehen. Das ist unser Anspruch; das werden wir auch tun.

Wir können gar nicht genug tun, um in Bildung für alle zu investieren. Deutschland zur Bildungsrepublik zu machen, darf kein leeres Wort bleiben. Deshalb wollen wir faire Startchancen und Aufstiegsmöglichkeiten für alle. Die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung werden bis 2013 um insgesamt zwölf Milliarden Euro erhöht. Das ist der Anteil des Bundes, damit wir insgesamt das Ziel, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung und sieben Prozent für Bildung bereitzustellen, bis 2015 erreichen können. Die Länder müssen ihren Anteil mit gleicher Kraft leisten.

Wir werden die berufliche Bildung weiterentwickeln, den Ausbildungspakt fortsetzen, wo notwendig, neue Qualitätsstandards setzen, und im Hochschulpakt werden 275.000 neue Studienplätze geschaffen. Mit den Ländern gemeinsam bauen wir ein nationales Stipendienprogramm für zehn Prozent der Studierenden auf. Wir bekämpfen Bildungsarmut. Jedes Kind soll vor dem Schulbeginn eine Sprachförderung erhalten, wenn das notwendig ist. Ich sage mit Nachdruck: Auch die Integration der Zuwanderer und ihrer Kinder führt zuerst und vorneweg über Sprache und Ausbildung. Deshalb wird der Nationale Integrationsplan fortentwickelt: mit Integrationspartnerschaften, Integrationsverträgen, mit mehr Förderung, aber auch mit mehr Verbindlichkeit. Auch das ist eine moralische Aufgabe. Es ist unsere Aufgabe für die betroffenen Menschen wie für die Zukunft unseres Landes.

Wenn wir angemessene Antworten auf den Altersaufbau unserer Gesellschaft finden wollen, dann führt kein Weg daran vorbei, unsere sozialen Sicherungssysteme generationengerecht auszugestalten. Langfristige Stabilität und Verlässlichkeit wird es nicht geben, wenn der zugrunde liegende Generationenvertrag nicht von allen Seiten – von Jüngeren und Älteren gleichermaßen – akzeptiert wird.

In kaum einem Bereich wird das deutlicher als bei der Pflegeversicherung. Unser Ziel ist klar: mehr Qualität in der Pflege, mehr Selbstbestimmung und vor allen Dingen auch mehr Menschlichkeit. Wir werden unter anderem die Pflegebedürftigkeit neu definieren, und wir werden ein heißes Eisen anpacken, ganz egal, welche Widerstände das erzeugen wird: die Ergänzung der Umlagefinanzierung durch eine Kapitaldeckung.

Damit kein Missverständnis entsteht: Ich sage Ergänzung, nicht Ersatz. Wir stehen zum Grundsatz der solidarischen Sozialversicherung. Aber diese Ergänzung zu schaffen, das ist zwingend, wenn die Pflegeversicherung überhaupt noch etwas von ihrer Akzeptanz und ihrem Wert behalten soll, und ich will, dass sie diesen Wert behält. Denn die Wahrheit liegt doch auf der Hand, und daran kann sich keiner hier vorbeidrücken: Die Pflege wird teurer werden, ob mit oder ohne Kapitaldeckung. Wir werden den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, den Zusammenhalt von Jung und Alt, nur bewahren können, wenn wir die gesamten steigenden Kosten nicht immer wieder nur der jeweils jüngeren Generation und der arbeitenden Generation aufdrücken. Das ist die Wahrheit, und dazu müssen wir stehen.

Deshalb wird die neue Regierung genau diesen Kreislauf durchbrechen. Wir werden am Ende nicht weniger Solidarität, sondern mehr Solidarität haben. Wir werden am Ende nicht weniger Zusammenhalt, sondern mehr Zusammenhalt haben. Das ist unser Ziel.

Das gilt auch für die Gesundheitspolitik. Wir haben einen klaren Anspruch: Jeder Mensch soll die medizinische Versorgung bekommen, die er braucht, und zwar unabhängig von seinem Alter und seiner materiellen Situation. Dies zu schaffen, das muss der Anspruch verantwortungsvoller Politik sein. Auch das ist eine zutiefst moralische Aufgabe. Das ist aber – das wissen wir alle nur zu gut – leichter gesagt als getan.

Das führt uns zu einer Erkenntnis: Um Menschen am medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen, aber gleichzeitig Arbeitsplätze dennoch nicht zu gefährden, brauchen wir eine stärkere Entkopplung von Arbeitskosten und Ausgaben für die Gesundheit, als das heute der Fall ist. Es ist so. Es führt daran kein Weg vorbei.

Ich will auch gar nicht verschweigen: Erste Schritte in diese Richtung ist die alte Regierung mit dem Gesundheitsfonds und der Erhebung von Zusatzbeiträgen schon gegangen. Ich füge hinzu: Ich halte das nach wie vor für richtige und gute Schritte. Aber es müssen eben weitere Schritte folgen, und sie werden folgen, um dieses System in ein langfristig tragfähiges solidarisches System zu überführen, das genau den Ansprüchen gerecht wird, die die Menschen mit Recht an uns haben. Genau darum geht es: ein langfristig tragfähiges, solidarisches System. Deshalb versteht es sich von selbst, dass die finanziellen Lasten weiter so verteilt werden, dass Gesunde für Kranke, Junge für Alte, Stärkere für Schwächere einstehen. Nur so verdient ein solches System das Prädikat "solidarisch". Darauf können sich alle Versicherten verlassen. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir über Wettbewerb, Transparenz und viele andere Dinge überhaupt nicht mehr sprechen dürfen.

Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit, das gilt in der Tat mehr denn je auch in der Haushaltspolitik. Wie kein zweites Instrument steht die Schuldenbremse genau für diese Politik. Ich darf vielleicht daran erinnern, dass es doch eher wir in diesem Haus waren, die sich für eine Schuldenbremse – im Übrigen: für eine sehr detaillierte Schuldenbremse – im Grundgesetz eingesetzt haben. Deshalb werden wir dazu auch stehen. Wir wissen, dass es diese Regierung ist, die genau in dieser Legislaturperiode beginnen muss, das alles zu erfüllen. Hier schließt sich gleichsam der Kreis unserer wirtschaftspolitischen Philosophie. Denn auch hier gilt: Nur mit einem strikten Wachstumskurs können wir die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten. Nur mit einem strikten Wachstumskurs schaffen wir in Zeiten wie diesen überhaupt die Voraussetzungen, unsere Ziele insgesamt zu erreichen. Es geht nicht um Wachstum um des Wachstums willen, sondern um nachhaltiges Wachstum, ein Wachstum, mit dem man an das Morgen und die nächste Generation denkt sowie unsere Lebensumwelt im Blick hat.

Viertens gilt: Wir wollen einen zukunftsfesten Umgang mit den weltweit vorhandenen natürlichen Ressourcen weiterentwickeln. Niemals dürfen wir zulassen, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise eine billige Ausrede für mangelnden Schutz unserer Umwelt wird. Das wäre einer der größten Fehler, die wir machen könnten. Ich sage das nicht ohne Grund; denn ich kenne die Realität. Sie ist schon ohne die Krise ziemlich schwierig. Noch immer sind wir zu weit von einem zukunftsfesten Umgang mit unseren globalen Ressourcen entfernt. Bislang haben wir weder in der Energiepolitik noch in der Umweltpolitik dauerhaft tragfähige, globale Antworten gefunden. Globale Abkommen – sei es in der G20-Gruppe zur Regulierung der Finanzmärkte, sei es in der Politik zum Schutz unserer Artenvielfalt oder in der Klimapolitik – lassen viel zu lange auf sich warten. Eine Aufgabe der neuen Regierung wird sein, hier zu drängen und auf Erfolge zu pochen.

Dabei wissen wir alle in diesem Hause: Der Schutz unseres Klimas ist eine Menschheitsaufgabe. Im vor uns liegenden Jahrzehnt entscheidet sich, ob wir eine Chance haben, die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels auf ein erträgliches Maß zu begrenzen – genau das meinen wir mit dem Zweigradziel –, oder ob wir das nicht schaffen. Es entscheidet sich, ob wir insgesamt eine Art des Wirtschaftens finden, die nicht mit den Grundlagen ihres eigenen Erfolgs Raubbau treibt, oder ob wir es eben doch tun. Es entscheidet sich, welche Zukunft unser Planet und damit wir, die wir diesen Planeten bewohnen, haben.

Ich sage es ohne Umschweife: Ein Misserfolg der Weltklimakonferenz in Kopenhagen im Dezember würde die internationale Klimapolitik um Jahre zurückwerfen. Das können wir uns nicht leisten. Eine substanzielle politische Einigung ist unerlässlich, um die Voraussetzungen für ein international verbindliches – ich unterstreiche: verbindliches – Protokoll für die Zeit nach 2013 zu schaffen. Die Zeit drängt. Die Europäische Union hat klare und eindeutige Verhandlungspositionen entwickelt. Jetzt erwarten wir Beiträge von den USA und Ländern wie China und Indien. Ich werde mich ganz persönlich dafür einsetzen und, wenn es erfolgversprechend ist, nach Kopenhagen fahren. Das werde ich auch tun, damit hier jeder Zweifel beseitigt ist.

Auch hier in unserem Land müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Wir brauchen dringend ein Gesamtkonzept für eine schlüssige Energiepolitik, mit dem wir Umweltfreundlichkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit unserer Energieversorgung sicherstellen. Die Bundesregierung wird genau ein solches Energiekonzept erarbeiten. Dazu setzen wir auf einen Energiemix, der die konventionellen Energieträger schrittweise durch erneuerbare Energien ersetzt. Oder in einem Satz gesagt: Wir wollen den Weg in das regenerative Energiezeitalter gemeinsam gehen. Das schließt allerdings die Erkenntnis ein, dass die Kernenergie für eine Übergangszeit als Brückentechnologie ein unverzichtbarer Teil unseres Energiemixes bleibt, und zwar so lange, bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann, damit wir nicht Strom aus Kernenergie aus Frankreich und Tschechien importieren müssen. Wir sind deswegen bereit, die Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke – damit das noch einmal klar wird – unter Einhaltung der strengen deutschen und internationalen Sicherheitsstandards zu verlängern, und wir werden den wesentlichen Teil der zusätzlichen Gewinne der Kraftwerksbetreiber nutzen, um den Weg in das regenerative Energiezeitalter zu beschleunigen, zum Beispiel durch verstärkte Forschung zur Energieeffizienz und zu den Speichertechnologien. Damit es weiter ein bisschen strittig bleibt: Das bedeutet auch, dass wir die Beiträge von neuen, hocheffizienten Kohlekraftwerken und der CCS-Technologie zum Klimaschutz anerkennen. Auch wenn manche es nicht hören wollen: Wir können auf Kohle als Energieträger nicht sofort verzichten, und deshalb werden wir auf Kohle als Energieträger auch nicht verzichten; denn das wäre unsinnig.

Mit Blick auf neue und hocheffiziente Kohlekraftwerke sage ich auch: Wir tun das, weil wir wollen, dass unser Land offen für neue Technologien ist. Was soll denn in China gebaut werden? Auch Sie wissen das. Es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Genau das ist der Schlüssel, um die großen Potenziale der Energieeffizienz und der Energieeinsparung freizusetzen. Alle Fortschritte, die unser Land bereits erzielt hat, sind das Ergebnis von Forschergeist, die energetische Gebäudesanierung genauso wie intelligente Verkehrsnetze oder alternative Antriebstechnologien. Genauso wollen wir weitermachen. Deutschland soll Leitmarkt in der Elektromobilität werden, Deutschland soll eine hochambitionierte Breitbandstrategie verfolgen, Deutschland soll in der Medizintechnik ganz vorne mit dabei sein, Deutschland soll seine klassischen Stärken im Anlagenbau und in der Chemie auch in Zukunft voll ausspielen. Das sind die Stärken Deutschlands, auf die wir in unserer Koalition setzen. In einem Wort: Deutschland setzt auch im 21. Jahrhundert auf den Erfindungsgeist der Menschen. Die neue Bundesregierung setzt darauf; denn täten wir das nicht, dann würden wir zu Getriebenen und abhängig von jenen, die ihre Art von Lösung gefunden haben, die aber nicht unsere Art von Lösung sein muss. Das ist eine sehr grundsätzliche Weichenstellung, die die neue Regierung vorgenommen hat, damit wir Deutschland zu neuer Stärke führen können.

Fünftens: Die Koalition der Mitte will das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit angesichts neuer Bedrohungen festigen. Sie stellen uns in der Heimat, auch außerhalb der Grenzen unseres Landes, vor große Herausforderungen. Wir können sie nur meistern, wenn wir unsere Sicherheitsarchitektur weiterentwickeln. Die neue Regierung ist dazu entschlossen und in der Lage. Denn uns leitet ein Kompass: Freiheit und Sicherheit sind für die neue Bundesregierung keine Gegensätze; sie gehören untrennbar zusammen. Beides hat der Staat bestmöglich zu gewährleisten, sei es beim Schutz persönlicher Daten in den neuen Kommunikationstechnologien, sei es beim Betrag Deutschlands zur internationalen Sicherheit.

Gestern haben wir gemeinsam den 20. Jahrestag des Mauerfalls gefeiert. Der 9. November 1989 war der glücklichste Tag in der jüngeren deutschen Geschichte. Möglich gemacht haben ihn viele: Die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR auf den Straßen von Leipzig und anderswo, die Gewerkschaft Solidarnosc in Polen, die Freiheitsbewegung um Vaclav Havel in Prag, Michail Gorbatschow, der als Staats- und Parteichef in der entscheidenden Stunde auf den Einsatz von Panzern verzichtet hatte, und Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, die die deutsche Einheit unwiderruflich vorangetrieben haben, und viele, viele mehr.

Möglich wurde der 9. November 1989 aber auch noch durch etwas anderes: durch ein Eintreten der transatlantischen, der westlichen Wertegemeinschaft – Europäische Union, Nato – für die Einheit und Freiheit unseres Landes. So wie es diese Wertegemeinschaften waren, die vor 20 Jahren mit zum Ende des Kalten Krieges beigetragen haben, so sind es auch heute Bündnisse und Wertegemeinschaften, die uns die Herausforderungen unserer Zeit meistern lassen. Die Herausforderungen und Aufgaben sind seit 1989 andere geworden. Die Zahl unserer Partner ist viel größer geworden. Aus der Bedrohung des Kalten Krieges sind asymmetrische Bedrohungen geworden. Doch der Weg, den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, der ist derselbe geblieben. Es ist und bleibt ein Weg der Partnerschaften und Bündnisse auf Grundlage unserer Werte, mit dem wir die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen können. Niemand schafft es allein. Gemeinsam können wir alles schaffen.

Das gilt für uns in Europa. Der Vertrag von Lissabon tritt am 1. Dezember 2009 in Kraft. Er verbessert die Möglichkeit, dass die Europäische Union eine wirkliche Union der Bürgerinnen und Bürger wird und weltweit ihre Interessen entschiedener verteidigen und vertreten kann. Das gilt darüber hinaus im transatlantischen Verhältnis: Auch in Zukunft wird die Nato der bedeutendste Sicherheitsanker Deutschlands sein. Gleichzeitig streben wir mit Russland einen breiten sicherheitspolitischen Dialog an, nicht nur, aber gerade auch im Nato Russland-Rat. Russland und Europa sind aufeinander angewiesen.

Wir teilen die Vision Präsident Obamas für eine nuklearwaffenfreie Welt, und wir setzen uns dafür ein, dass das neue strategische Konzept, mit dem die Nato auf die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft ausgerichtet wird, auch das Thema Abrüstung auf die Tagesordnung setzt. Verantwortung in Bündnissen zu übernehmen, das gilt auch bei den E-drei-plus-drei-Gesprächen zum iranischen Nuklearprogramm, bei unseren Bemühungen um den Nahostfriedensprozess wie auch bei unserem Engagement für ein stabiles Afghanistan.

Ohne Zweifel: Der Kampfeinsatz in Afghanistan fordert uns in ganz besonderer Weise. Er muss in eine neue Phase geführt werden. Mit unseren Bündnispartnern, mit den Ländern der Region und mit der neuen afghanischen Regierung werden wir deshalb auf der geplanten UN-Konferenz Anfang kommenden Jahres besprechen, wie und mit welchen konkreten Schritten wir diese Phase neu gestalten können. Wir wollen eine Übergabestrategie in Verantwortung festlegen. Wir erwarten, dass die afghanische Regierung konsequent auf gute Regierungsführung, auf den Aufbau der Sicherheitskräfte und auf wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes hinarbeitet.

Ich kann über unseren Einsatz in Afghanistan nicht sprechen, ohne an dieser Stelle unseren Dank an alle Soldaten, Polizisten und Entwicklungshelfer auszusprechen. Sie haben zum Teil sehr gefährliche Aufgaben in Afghanistan zu meistern. Ich kann hier auch nicht über Deutschlands Einsatz in Afghanistan sprechen, ohne besonders an jene zu denken, die ihr Leben lassen mussten oder verwundet wurden. Wir werden ihren Einsatz niemals vergessen.

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wie auch in anderen Regionen unserer Erde ist hart. Er verlangt der Bundeswehr viel ab. Aber unsere Bundeswehr ist leistungsstark. Sie ist in der Mitte der Gesellschaft verankert. Das hat sich mehr als bewährt.

Die neue Bundesregierung hat entschieden, die Wehrpflicht auf sechs Monate zu verkürzen. Sie hat nicht beschlossen, die Wehrpflicht abzuschaffen – aus guten Gründen nicht. Jetzt geht es darum, die sechs Monate Wehrpflicht so effizient wie möglich auszugestalten, damit diese Verkürzung kein Einstieg in den Ausstieg aus der Wehrpflicht wird. Damit das gelingt, wollen wir natürlich auch Maßnahmen ergreifen, die dann zu mehr Wehrgerechtigkeit als heute führen. Dazu sind wir entschlossen.

Wir stehen auch weiter zu dem Konzept der vernetzten Sicherheit, also der Vernetzung von militärischen und zivilen Maßnahmen. Deshalb sage ich auch ganz deutlich: Für die neue Bundesregierung ist Entwicklungszusammenarbeit keine Nebensache, sondern eine Hauptsache. Deshalb bekräftige ich heute vor diesem Hohen Hause ausdrücklich: Das Erreichen der Millenniumsziele für Afrika ist und bleibt uns Verpflichtung. Wir halten am Ziel fest, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungspolitik bereitzustellen. Auch das ist eine moralische Aufgabe.

Die von mir genannten fünf Punkte kennzeichnen die Größe der Aufgabe, die die neue Regierung zu meistern hat. Kaum eine Regierung vor uns hat seit 1990 vor derartigen Herausforderungen gestanden. Ich will ehrlich sein: Was vor uns liegt, das ist kein leichter Weg. Es wird immer wieder harter Entscheidungen bedürfen, und ich kann nicht versprechen, dass alles schnell leichter und besser wird. Aber was ich sagen kann, ist dieses: Wir haben bei allen Schwierigkeiten viel Anlass zur Zuversicht. Wir haben in der 60-jährigen Geschichte unseres Landes schon ganz andere Aufgaben gemeistert: den Wiederaufbau nach dem Krieg, die Überwindung der Teilung, den Sieg der Freiheit, den Aufbau der neuen Bundesländer.

Es ist wahr, jede große Herausforderung hat ihre spezifischen Umstände. Aber wahr ist auch: Gemeistert haben wir sie alle, weil wir uns auf die Werte besonnen haben, die am Anfang unseres Landes standen: Frieden in Freiheit, Einheit und Zusammenhalt, solidarisches Miteinander, Vertrauen in die Kraft der Menschen – mit einem Wort: auf Freiheit in Verantwortung. Das ist das Leitbild der christlich-liberalen Koalition. Damit werden wir Deutschland zu neuer Stärke führen.

Die Parteien, die diese neue Regierung bilden, Union und FDP, sind die Parteien, die die soziale Marktwirtschaft in Deutschland eingeführt und verankert haben. Union und FDP sind die Parteien, die nie an der Kraft unseres freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialsystems gezweifelt haben.

Wir, Union und FDP, haben jetzt den Auftrag erhalten, Deutschland stärker aus der Krise zu führen, als es in sie hineingegangen ist, und so unserem Land und seinen Menschen eine gute Zukunft zu sichern. Darum geht es, ganz schlicht: um eine gute Zukunft. Ich bitte alle Bürgerinnen und Bürger, auf diesem Weg mitzumachen. Jeder ist Teil des Ganzen. Jeder kann Deutschland besser machen. Das schließt auch die Opposition unseres Landes ein. Das Land braucht uns alle, die wir in politischer Verantwortung stehen.

Meine Regierung bietet dem ganzen Deutschen Bundestag eine faire und vertrauensvolle Zusammenarbeit an. Wir bieten allen Gruppen unserer Gesellschaft – Wirtschaft, Gewerkschaften, Kirchen, Religionsgemeinschaften, Wissenschaft, Kultur – eine faire und vertrauensvolle Zusammenarbeit an, weil wir überzeugt sind: Es lohnt sich, gemeinsam für Deutschland zu arbeiten. Es lohnt sich, weil hier unsere Heimat und unsere Zukunft sind.