Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

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Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Üblicherweise beschäftigt sich der Europäische Rat im März immer mit der wirtschaftlichen Entwicklung und Lage in Europa. Das wird er auch in diesem Jahr tun. Aber genauso wie beim Europäischen Rat im März vergangenen Jahres, als Europa am Beginn einer weltumspannenden Pandemie stand, deren Wucht uns damals allen völlig neu war, eine Pandemie von ungeahntem Ausmaß, zeigt die Tatsache, dass wir wieder in digitalem Format tagen werden, dass die Pandemie leider bei Weitem noch nicht überwunden ist.

Die Fallzahlen steigen europaweit wieder rapide an. Ich ermuntere durchaus alle, einmal zu schauen, was in unseren Nachbarländern so los ist, wenn wir über die Lage bei uns debattieren. Das zeigt, dass wir hier kein spezielles deutsches Phänomen beobachten, sondern dass wir doch sehr ähnliche Entwicklungen in ganz Europa haben.

Die Zahlen steigen also europaweit wieder rapide an. Mehr als eine halbe Million Menschen haben in der Europäischen Union bislang ihr Leben verloren, und der wirtschaftliche Schaden ist immens. Ich will daran erinnern – das ist nicht ganz so weit zurück in der Geschichte –, dass wir heute vor 14 Jahren, am 25. März 2007, in Berlin, auch unter deutscher Ratspräsidentschaft, im Zeughaus die Erklärung unterschrieben haben, die dann zum Lissabonner Vertrag geführt hat, und damals bekannt haben, dass wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zu unserem Glück vereint sind.

Bei allen Beschwerlichkeiten glaube ich, dass sich in der Pandemie wieder gezeigt hat, dass es gut ist, dass wir diese Europäische Union haben; denn wenn wir uns die protektionistischen Tendenzen und die Weltlage betrachten, dann, glaube ich, war es richtig, dass wir in der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 die Weichen gestellt haben für wichtige gemeinsame europäische Vorgehensweisen.

Das gilt erstens ganz besonders auch für die wirtschaftliche Lage. Der europäische Resilienzfonds, der Europäische Aufbaufonds, ist ein nie dagewesener Fonds. Damit stellen die Mitgliedstaaten die Weichen für ein digitales, klimafreundliches und damit auch krisenfestes zukünftiges europäisches Wachstum. Hier im Deutschen Bundestag steht heute die wichtige Entscheidung über die Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses an. Es wird noch einmal deutlich gesagt werden: Dieser Aufbaufonds ist ein einmaliges, zeitlich und dem Zweck nach eng begrenztes Instrument. Aber es ist ein, wie ich finde, unabdingbarer Beitrag dazu, die Pandemie gemeinsam bewältigen zu können. Deshalb bitte ich Sie für dieses zentrale Vorhaben auch um Ihre Unterstützung. Wir verhandeln in diesen Tagen mit der Kommission über die letzten Aspekte unseres nationalen Programms, das wir noch im April im Kabinett verabschieden werden.

Ein zweiter Baustein: Wir haben natürlich auch in Europa große Fortschritte gemacht bei der Pandemiebekämpfung selbst. Europäische Forscherinnen und Forscher haben in Rekordzeit Impfstoffe gegen Covid-19-Erreger entwickelt. Wir wissen bei allem, was noch zu tun ist, dass schon heute Millionen Bürgerinnen und Bürger, vor allen Dingen auch ältere, vor schweren Krankheitsverläufen geschützt werden können. Dass die Gründer von BioNTech, Frau Türeci und Herr Sahin, vom Bundespräsidenten gerade mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurden, erfüllt uns natürlich mit Freude; denn Deutschland hat zu dieser Impfstoffentwicklung einen wichtigen Beitrag geleistet.

Bei allen Beschwernissen: Es war richtig, auf die gemeinsame Beschaffung und Zulassung von Impfstoffen durch die Europäische Union zu setzen. Wenn man jetzt sieht, dass selbst bei kleinen Unterschieden in den Verteilungen große Diskussionen ausbrechen, möchte ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie es wäre, wenn einige Mitgliedstaaten Impfstoffe hätten und andere nicht. Das würde den Binnenmarkt in seinen Grundfesten erschüttern. Deshalb glaube ich, dass wir die Grundlagen gelegt haben, um die größte Bewährungsprobe der Europäischen Union auch gut zu bestehen.

Aber es ist noch viel zu tun, und es gehört zu den Wahrheiten, dass diese Pandemie uns auch gezeigt hat, dass wir sozusagen schonungslos analysieren müssen, wo unsere Schwächen liegen. Das wird uns auch auf diesem Europäischen Rat beschäftigen; denn es wird erstens um die Digitalisierung gehen – neben der Beschäftigung mit der Türkei und der Bekämpfung der Pandemie.

Wir wissen, dass Europa in der Krise weder erstarren noch verharren darf, sondern dass wir die Herausforderungen annehmen müssen. Da ist der digitale Wandel von zentraler Bedeutung; auch für Deutschland haben wir hier unsere Schwächen erkannt. Wir haben in einem gemeinsamen Brief mit den Ministerpräsidentinnen von Dänemark, Finnland und Estland einen eindringlichen Appell an die Kommission verfasst, dem sich inzwischen viele weitere EU-Staaten angeschlossen haben, dass Europa seine digitale Souveränität entschlossen umsetzt. Es geht hier ums Tempo. Es geht nicht nur um das Wie, sondern es geht auch um das Wann.

Dabei bedeutet „digitale Souveränität“ nicht, dass wir alles alleine machen werden. Aber es bedeutet, dass Europa als Teil einer globalisierten Welt in einem freien und regelbasierten Markt seine Fähigkeiten und Kapazitäten zusammen mit seinen Partnern ausbauen muss und dass wir Antworten geben müssen auf die Frage: Wo müssen wir besser werden? Wo sind wir heute schon gut? Wo bestehen risikoreiche Abhängigkeiten, und wo wollen wir als letzte Option auch eigene europäische Kapazitäten aufbauen, um resilient zu sein? Gerade im Bereich der Impfstoffe ist das ein Punkt, aber eben auch im Bereich der digitalen Souveränität.

Jetzt müssen Vorschläge erarbeitet werden, die das gesamte Instrumentarium des Binnenmarktes ausschöpfen, und zwar aus der Perspektive unseres Verständnisses einer menschlichen Wirtschaftsordnung, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht. Es muss also um eine verantwortungsvolle und wertegeleitete europäische Digitalwirtschaft gehen, bei der wir sagen, wo wir eigene Akzente setzen wollen. Insofern erwarten wir von der Kommission Vorschläge für die digitalen Identitäten, einen europäischen Rechtsrahmen für die künstliche Intelligenz und auch ein Regelungswerk für Onlineplattformen, wobei wir davon ausgehen, dass wir hier auch globale Initiativen als Europäische Union ergreifen sollten; denn digitale Plattformen allein in Europa zu regulieren, wird nicht gehen.

Wir haben dann als zweiten Punkt die Beziehungen der Europäischen Union zur Türkei und die Lage im östlichen Mittelmeer. Sie wissen, ein Blick vor Europas Haustür – Nordafrika, Syrien, die Ukraine – zeigt, dass wir von vielzähligen Konfliktherden umgeben sind. Gleichzeitig wissen wir, dass das Gedeihen und der Wohlstand in der EU nur mit guten Beziehungen zu unserer Nachbarschaft auch außerhalb der Europäischen Union möglich sind. Das gilt in ganz besonderer Weise auch für das Nato-Mitglied Türkei in seinen vielschichtigen Beziehungen. Der Außenbeauftragte, Josep Borrell, hat hier einen umfassenden Bericht vorgelegt, der dieser Vielschichtigkeit der Beziehungen auch gerecht wird.

Es ist erst mal eine gute Nachricht, dass die Türkei nach den provozierenden Aktivitäten in zyprischen und griechischen Gewässern in den letzten Monaten ein Zeichen der Deeskalation im östlichen Mittelmeerraum gesetzt hat und wieder in den Dialog mit Griechenland eingetreten ist. Auch die Fünf-plus-Eins-Gespräche unter der Ägide der Vereinten Nationen über die Zukunft Zyperns werden fortgesetzt.

Im Europäischen Rat hatten wir vereinbart, dass wir im Fall einer Entspannung vonseiten der Türkei weitere Optionen für eine gemeinsame Zusammenarbeit anbieten. Jetzt werden wir auf diesem Rat diskutieren, wie wir auf diesem Weg weitergehen. Ich sage gleich vorweg: Das werden keine einfachen Gespräche; aber ich hoffe, dass wir zu einem Ergebnis kommen.

Die Türkei ist nicht nur Nato-Partner und Verbündeter, sondern als unser unmittelbarer Nachbar und als zweitbevölkerungsreichstes Land an der EU-Außengrenze natürlich auch von strategischer Wichtigkeit. Wir Deutschen haben ganz besonders enge Beziehungen zur Türkei, da in Deutschland viele türkischstämmige Menschen seit Generationen leben. Aber wir haben natürlich auf der anderen Seite auch die innenpolitische Situation in der Türkei in den Blick zu nehmen, und wir erwarten, dass die Türkei rechtsstaatliche Standards einhält, und das ist an vielen Stellen nicht der Fall; auch Menschenrechte werden in vielen Fällen nicht respektiert. Dass die Türkei aus der Istanbul-Konvention des Europarates ausgetreten ist, ist ein sehr, sehr bedauerliches Zeichen. Wir hätten uns gewünscht, dass die Türkei hier Mitglied bleibt.

Aber ich denke, es ist auch richtig: Sprachlosigkeit in den Beziehungen zur Türkei hilft uns nicht weiter. Deshalb wollen wir darüber beraten, wie wir hochrangige Dialoge zwischen der Europäischen Union und der Türkei wiederaufnehmen können. Wir haben gemeinsame Interessen. Die besondere Herausforderung der Migration gehört hier dazu. Diese können wir nur gemeinsam mit der Türkei lösen. Die vor fast genau fünf Jahren vereinbarte EU-Türkei-Erklärung ist genau die Grundlage dafür, die weiterentwickelt werden muss.

Ich weiß, dass es viel Kritik an dieser Erklärung gibt. Aber trotz aller Kritik können wir feststellen, dass auf diesem Wege viel Gutes erreicht wurde. Es ist uns gelungen, das menschenverachtende Geschäft der Schleuser wirksam zu bekämpfen. Die Zahl der illegalen Grenzübertritte nach Griechenland ist zurückgegangen, und das Gleiche gilt auch für die Zahl der Todesopfer in der Ägäis. Dank der Unterstützung durch die Europäische Union können 660.000 syrische Flüchtlingskinder in der Türkei zur Schule gehen. Über 14 Millionen Arztbesuche konnten durchgeführt werden. Über 1,8 Millionen Menschen haben in einer sehr schwierigen Zeit zusätzliche Unterstützung für ihren Lebensunterhalt bekommen. Dabei ist es wichtig, zu betonen, dass die EU-Gelder über die Arbeit der verschiedenen Projekte und Organisationen vor Ort den Bedürftigen zugutekommen. Der Einsatz der Gelder wird in der EU überprüft. Ich meine, das sind im Namen der Mitmenschlichkeit gut angelegte Mittel, und die Fortführung dieser Zusammenarbeit ist in beiderseitigem Interesse.

Die Türkei hat, Stand heute, 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen; das entspricht der Einwohnerzahl Berlins. Daher ist es mir wichtig, zu betonen, dass der Türkei für das Geleistete hohe Anerkennung gebührt. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir die EU-Türkei-Erklärung neu beleben und auch fortentwickeln.

Abschließend möchte ich nun auf das dritte große und auch uns alle täglich beschäftigende Thema zu sprechen kommen: Europas Bewältigung der Pandemie. Wir werden uns über die nächsten Schritte bei der Entwicklung eines sogenannten digitalen grünen Zertifikats beraten, das bis zum Sommer vorliegen soll und mit dem es möglich sein soll, EU-weit zu dokumentieren, ob eine Person geimpft oder getestet wurde. Parallel dazu hat die Europäische Kommission ihre Arbeiten an der technischen Umsetzbarkeit aufgenommen, genauso die Nationalstaaten, Deutschland ja auch. Das ist keine leichte Aufgabe bei 27 Mitgliedstaaten und wird uns noch einige Wochen in Anspruch nehmen; denn wir werden ja sehr genau schauen müssen, welche Rechte mit diesem Zertifikat verbunden sind. Die technische Umsetzung ist relativ einfach; aber diese Frage ist natürlich von großer Wichtigkeit.

Wir werden darüber sprechen, wie wir auch europaweit unabhängiger werden. Dazu gehört vor allen Dingen auch die Frage der Impfstoffproduktion. Die Kommission hat – das geht weit über die jetzigen Bestellungen hinaus – eine Taskforce eingesetzt, genauso wie wir national, um sicherzustellen, dass wir auch in Zukunft ausreichend Impfstoffe innerhalb der Europäischen Union bestellen können; denn das Problem bei der Impfstoffversorgung liegt im Augenblick weniger in der Frage, wie viel bestellt wurde, sondern in der Frage: Wie viel kann auf europäischem Grund im Augenblick gefertigt werden? Denn wir sehen ganz genau: Britische Fertigungsstätten fertigen für Großbritannien; die Vereinigten Staaten exportieren nicht. Deshalb sind wir auf das angewiesen, was in Europa produziert werden kann. Wir müssen davon ausgehen, dass dieses Virus uns noch lange mit seinen Mutationen beschäftigen kann. Das heißt, die Frage geht weit über dieses Jahr hinaus.

Wir haben einen anderen Punkt in den Blick zu nehmen, und deshalb können wir gar nicht genug Impfstoffe in Europa produzieren, nämlich die Versorgung in der Welt. Wenn uns die nicht gelingt, werden wir immer wieder mit Mutationen konfrontiert werden, die dann auch die Gefahr mit sich bringen, dass anschließend die Impfstoffe nicht mehr wirksam sind. Deshalb müssen wir uns darum kümmern.

Das bedeutet natürlich auch, dass wir hier bei uns zu Hause hart zu arbeiten haben. Heute vor einem Jahr lag die Zahl der Coronainfizierten in Deutschland nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bei 4.118 neuen Fällen; heute liegt sie bei 22.657. Die Inzidenz war damals 35, und es gab 35 neue Todesfälle. Heute ist die Inzidenz 113,3, und es gibt 228 neue Todesfälle. Über 75.000 Menschen sind inzwischen in Deutschland an Covid-19 gestorben.

Schauen wir uns dieses Jahr noch einmal an: Nach einem scharfen Lockdown am Anfang der Pandemie liegt ein im Rückblick relativ leicht anmutender Sommer, darauf folgen steigende Werte im Herbst und dann in Stufen von Shutdowns immer wieder die Schließung vieler Einrichtungen und auch die Absenkung der Inzidenz. Jetzt sind wir, muss man sagen, in der dritten Welle und wieder im exponentiellen Wachstum.

Viele Menschen fragen mit Recht: War nun alles umsonst? Geht das immer so weiter? Ich verstehe diese bange Frage vieler Betroffener: Eltern mit Schulkindern oder Kitakindern, Geschäftsinhaber und Restaurantbesitzer, Veranstaltungswirtschaft, Sportvereine und viele, viele mehr. Die Antwort kann ich aus voller Überzeugung geben: Nein, die Situation ist eine ganz andere als im letzten Jahr, auch wenn wir in der Weihnachtszeit einen schweren Rückschlag erfahren haben – dieser Rückschlag war nicht voraussehbar, als wir im November, Dezember die einschränkenden Maßnahmen ergriffen haben –: Das ist das Auftreten der britischen Mutation.

Eine Mutation des alten, ursprünglichen Virus hat jetzt die Oberhand gewonnen. Wir leben im Grunde in einer neuen Pandemie. Wenn wir das alte Virus hätten, wäre die Wirkung des ursprünglichen Shutdowns heute so, dass wir überall und deutschlandweit bei einer Inzidenz deutlich unter 50 liegen würden. Das tun wir aber leider nicht, weil diese Mutation aggressiver, infektiöser und um einen ziemlich großen Betrag tödlicher ist. Das heißt, der R-Faktor ist wieder über eins gestiegen, und wir sind wieder in der Phase des exponentiellen Wachstums.

Was können wir jetzt tun, und was haben wir an anderen Instrumenten in der Hand, um mit neuen Möglichkeiten zu reagieren?

Wir haben gemeinsam mit den Ministerpräsidenten ein Öffnungskonzept am 3. März beschlossen, das ein viel höheres Maß an Regionalisierung enthält. Es sagt ganz deutlich, in welchen Regionen geöffnet werden kann. Wir sehen ja doch, dass einige Bundesländer – ich denke ans Saarland, ich denke an Schleswig-Holstein – diese Möglichkeiten auch richtig nutzen. Wir haben neun Städte und Landkreise, die bei der Inzidenz unter 35 liegen, weitere 19 Städte und Landkreise unter 50, 144 weitere 165 unter 100, und der Rest liegt darüber. Es wäre falsch, alle sozusagen mit einem Maßstab zu belegen. Das widerspiegelt auch unser Öffnungskonzept.

Wir haben die Möglichkeit des Testens, und zwar in viel einfacherer Form, als uns sie mit den PCR-Tests heute vor einem Jahr zur Verfügung stand. Die Antigenschnelltests und vor allen Dingen die Selbsttests ermöglichen neues Herangehen. Wir haben deshalb eine Teststrategie beschlossen, die auf drei Säulen ruht.

Erstens ruht sie auf den Bürgertestzentren, die inzwischen ziemlich flächendeckend in der gesamten Bundesrepublik Deutschland aufgebaut sind. Ich will an dieser Stelle einmal sagen: Wir sind ein föderaler Staat. Es ist keinem Oberbürgermeister und keinem Landrat verwehrt, das zu tun, was in Tübingen und Rostock getan wird. Alle können das machen, und der Bund wird immer unterstützend tätig sein. Wir als Bund ermöglichen, Sie mit Ihren Beschlüssen ermöglichen, dass sich jeder Bürger mindestens einmal in der Woche testen lassen kann. Ich fordere und bitte alle Bürgerinnen und Bürger, das in dieser augenblicklichen Situation auch zu tun, wenn man sich zu Hause trifft, wenn man sich mit jemandem getroffen hat. Das ist ein wichtiges Mittel. Es ist kostenlos für jeden verfügbar und so, wie ich mir berichten lasse, auch organisatorisch sehr, sehr gut gemacht.

Zweitens: Schulen und Kitas. Wir haben in einer Logistikplattform – ich habe darüber gestern mit den Ländern gesprochen – eine Test-Taskforce gebildet. Es sind Bestellungen von den Ländern für Kitas und Schulen aufgegeben worden. Es ist von allen Bundesländern gesagt worden: Es sind jetzt ausreichend Tests bestellt für die Monate März und April. Nichtsdestotrotz habe ich gestern mit dem Bundesgesundheitsminister noch mal gesprochen und gesagt: Sichert euch Marktanteile für die Selbsttests, wenn irgendeine neue Situation entsteht, wenn jemand sagt: „Ich brauche doch noch mehr“! Aber ich sage auch ganz offen: Für 40.000 Schulen und Tausende von Kitas kann der Bund nicht von Berlin aus die Testinfrastruktur vorhalten, sondern dafür haben wir eine föderale Ordnung. Wenn uns jemand fragt: „Könnt ihr helfen?“, dann tun wir das gerne; die Bundeswehr hat schon an so vielen Stellen geholfen. Wir tun es gerne, aber wir können nicht alles organisatorisch umsetzen.

Die dritte Säule ist der Arbeitsplatz. Wir wissen, dass auch hier viele Infektionen stattfinden. Deshalb haben wir eine Selbstverpflichtung mit der Wirtschaft abgemacht; aber die endet Ende März, Anfang April. Dann wollen wir ein klares Monitoring haben. Wir werden eigene Erhebungen machen. Wenn nicht der überwiegende Teil der deutschen Wirtschaft – und das sind nicht irgendwie 65 oder 70 Prozent, sondern es muss in die Richtung von 90 Prozent gehen – seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Tests anbietet, dann werden wir mit regulatorischen Maßnahmen in der Arbeitsschutzverordnung vorgehen. Das wird im Kabinett am 13. April entschieden werden, weil wir in der Woche nach Ostern den Status machen, und dann muss da Klarheit sein.

Ich sage allerdings auch: Die besten Testangebote nutzen nichts, wenn sie nicht wahrgenommen werden. Wenn, wie ich aus Schulen, aus Betrieben höre, nur 30, 40 Prozent der Möglichkeiten genutzt werden, dann hilft uns das nicht. Testen ist die Brücke, bis wir die Impfwirkung sehen. Deshalb kann jeder Bürger und jede Bürgerin auch einen Beitrag dazu leisten, indem man von den Testangeboten Gebrauch macht. Je mehr wir testen, umso weniger müssen wir einschränken.

Wir haben zusätzlich, um die Regionalisierung noch einmal zu unterstreichen, für jedes Bundesland vereinbart, dass jetzt Modellprojekte durchgeführt werden können. Die Kommunen können das tun, und die Bundesländer haben jetzt auch Vorschläge gemacht, in welcher Form das gemacht wird. Wir werden diese Versuche dann auswerten.

Aber meine Einschätzung ist folgende: Solange die Infektionszahlen noch einigermaßen im Griff sind, meinetwegen die Inzidenz auch noch knapp über 100 liegt, kann man mit dem Testen noch sehr viel erreichen. Wenn man einmal sehr viel höher liegt, wenn man einmal in dem ganz steilen exponentiellen Anstieg ist, dann müssen eben doch wieder beschränkende Regeln eingeführt werden, und je stärker der Anstieg ist, umso mehr. Das heißt, wir können auf begrenzende Regeln im Augenblick noch nicht ganz verzichten. Deshalb haben wir neben der Notbremse, die wir in der Öffnungsstrategie ja miteinander vereinbart haben, auch ganz klar mit den Bundesländern gesagt: Es können zusätzliche Maßnahmen eingeführt werden.

Hier gibt es gewaltige politische Unterschiede, was man für geeignet hält und was nicht; das gehört zur Vielfalt eines föderalen Systems dazu. Entscheidend ist ja auch nur die Wirkung. Ich kann weitere Kontaktbeschränkungen machen, wie Daniel Günther das in Flensburg gemacht hat, ich kann Ausgangsbeschränkungen machen, wie das Bayern und Baden-Württemberg in bestimmten Regionen gemacht haben, aber in bestimmten Situationen kann ich nicht nichts machen. Dann sehe ich zu, wie schrittweise die Überlastung des Gesundheitssystems wieder in den Blick kommt.

Ich habe jetzt über die ganzen Möglichkeiten gesprochen, die wir haben. Auch wenn jetzt die Älteren, diejenigen in der ganz hohen Risikogruppe, nicht mehr so betroffen sind, weil sie geimpft und immunisiert sind, bedeuten hohe Fallzahlen letztendlich einen Anstieg der Auslastung von belegten Intensivbetten in deutschen Krankenhäusern. Wenn bei der Frage, wie wir jetzt vorgehen, der Oster-Lockdown einzig und allein bei den Intensivmedizinern eine wirklich positive Resonanz gefunden hat, dann sehen Sie, wie groß die Sorge dort ist. Es werden jetzt nicht mehr 90-Jährige sein, die in den Krankenhäusern liegen; es werden 50-, 60- und 70-Jährige sein. Das sind Menschen mit sehr vielen Jahren an Lebenserwartung, und zehn Prozent von ihnen, so sagen uns die Experten, werden Langzeitfolgen von Corona davontragen. Das heißt, es lohnt sich, um jeden zu kämpfen, dass er die Infektion nicht bekommt. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe: mit möglichst viel Freiheit für jeden, mit möglichst viel Normalität für jeden, aber auch mit möglichst viel Rücksicht darauf, dass nicht noch Tausende von Menschen sterben müssen. Das muss das Ziel sein für die nächsten Wochen.

Natürlich ist das Impfen der Weg aus der Krise. Und wir bekommen jetzt sukzessive mehr Impfstoffe. Ich sage ganz offen: Die Testzentren machen eine gute Arbeit. Aber wenn irgendwo Impftermine möglich wären und eine Dosis Impfstoff vorhanden ist und dieser Termin nicht vergeben wird, dann ist das nicht in Ordnung. Da müssen wir besser werden. Der Bund muss sagen, wo er besser wird, die Länder müssen sagen, wo sie besser werden, und die Kommunen müssen sagen, wo sie besser werden. Es reicht nicht, sich auf dem Vorhandenen auszuruhen. Wir brauchen die Impfzentren – da wird tolle Arbeit geleistet; das will ich ausdrücklich sagen –; aber da, wo man noch schneller und flexibler werden kann, muss man es auch werden. Wir werden ab der Woche nach Ostern auch die Hausärzte mit einbeziehen – 50.000 Praxen werden beliefert, mit aufsteigender Tendenz –, und im Mai werden wir dann auch über die Betriebsärzte reden. Wir werden alle brauchen, um die Impfstoffe zu verimpfen. Es wäre dramatisch, wenn uns das nicht gelingen würde. Deshalb widmen wir dem sehr viel Aufmerksamkeit.

Die Monate der Pandemie haben gravierende Schwachstellen im Funktionieren unseres Gemeinschaftswesens offengelegt: ob das die Digitalisierung auf der Bundesebene betrifft oder die digitale Vernetzung der Gesundheitsämter; ich nenne das Stichwort Sormas. Wir müssen als föderales System hier besser und schneller werden. Das wissen wir, und daran wird auch gearbeitet. Da können Sie schreien und sonst was machen: Wir müssen etwas tun. Es nützt nichts, den ganzen Tag zu kritisieren.

Der Bund tut etwas. Wir haben mit viel Anstrengung jetzt erreicht, dass sich die allermeisten Bundesländer − viel zu spät − dem Sormas-System anschließen. Wir haben eine Corona-Warn-App, über die hier in Deutschland grosso modo kein einziges positives Wort zu hören ist. Ich will nur darauf hinweisen: 17 europäische Länder arbeiten mit dieser Corona-Warn-App. Die deutsche Warn-App ist dort nicht als besonders unflexibel bekannt. In Finnland sind fast alle Bürgerinnen und Bürger dabei. Ich kann nur an die Bürgerinnen und Bürger gewandt appellieren: Nutzen Sie diese Corona-Warn-App!

Zurzeit herrscht vielleicht eine Stimmung, bei der wir nur das Kritische sehen. Deshalb möchte ich zum Ende meiner Rede auch sagen: Es gibt Millionen von Menschen, die sich jeden Tag gegen diese Pandemie stemmen und ihre Arbeit leisten, und zwar mit großem Einsatz. Das sind die Pflegerinnen, das sind die Ärzte, das sind die Lehrer, das sind die Eltern, das sind die Ehrenamtlichen, und das sind die Menschen in den Test- und Impfzentren. Viele sind beruflich neue Wege gegangen, mit schwerwiegenden Veränderungen in ihrem Leben. Ich weiß, wie schwer es viele haben. Aber man kann nichts erreichen, wenn man immer nur das Negative sieht. Nicht umsonst hat Ludwig Erhard schon gesagt: „Es ist entscheidend, ob das Glas halb voll oder halb leer ist.“ Und wenn es immer nur halb leer ist, dann werden wir als Land keine kreative Kraft entwickeln, um aus dieser Krise herauszukommen.

Ich sage Ihnen: Mit dem Impfen haben wir die Möglichkeiten in der Hand. Es wird noch einige Monate dauern; aber das Licht am Ende des Tunnels ist sichtbar. Wir werden dieses Virus besiegen; ich bin ganz sicher, dass wir das schaffen werden. Es geht jetzt darum, die Kraft zu bündeln und positiv nach vorne zu schauen, auch wenn die Situation im Augenblick schwierig ist. Das ist das, was ich mir wünsche von jedem und jeder in diesem Land.

Herzlichen Dank.