zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 7. September 2011 in Berlin:
- Bulletin 86-2
- 7. September 2011
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!
Herr Steinmeier, nach Ihrer Rede ist es dringend Zeit, die Dinge wieder ein bisschen zu ordnen.
Ihre Rede war konfus. Anders kann ich das nicht beschreiben. Wir arbeiten daran, Deutschland nach vorn zu bringen. Das ist unsere Aufgabe, und darüber werden wir jetzt sprechen.
Seit mehr als drei Jahren bestimmt die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise täglich die Schlagzeilen. Sie beeinflusst die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt nicht nur bei uns, sondern weltweit. Sie beeinflusst den Alltag der Menschen, und sie beeinflusst natürlich auch die Arbeit von Regierung und Parlament.
Was mit einer Bankenkrise begann, setzte sich in einer Krise der realen Wirtschaft fort. Diese wurde durch Konjunkturprogramme abgefedert. Heute haben wir eine verstärkte Verschuldung der Staaten. Das genau ist das Umfeld, in dem die christlich-liberale Bundesregierung innerhalb von zwei Jahren ein Arbeitsprogramm bewältigt hat, von dem man mit Fug und Recht sagen kann: Das hätte bei anderen für mehr als eine Legislaturperiode gereicht.
Wir können heute sagen: Deutschland geht es im Sommer des Jahres 2011 gut. Das ist Grund zur Freude. Wenn wir uns die wirtschaftliche Lage anschauen, dann stellen wir fest: 2009 Wirtschaftseinbruch von 5,1 Prozent, letztes Jahr Rekordwachstum von 3,7 Prozent. Auch in diesem Jahr werden wir ein gutes Wachstum haben. Wir haben das Vorkrisenniveau wieder erreicht – schneller, als wir dachten. Bei allen Warnsignalen bezüglich der Weltwirtschaft können wir sagen: Wir sehen keine Anzeichen für eine Rezession. Das, was wichtig ist, auch für Europa, ist: Deutschland ist wieder die Wachstumslokomotive in der Europäischen Union. Auch darauf können wir stolz sein. Wir leisten damit unseren Beitrag.
Was viel wichtiger ist, als dass es nur der Wirtschaft gut geht, ist, dass es den Menschen besser geht. Wir konnten den Aufschwung so gestalten, dass er den Menschen zugutekommt. Die Zahl der Arbeitslosen liegt stabil unter drei Millionen. Nun muss man nicht nachkarten, aber man wird es wenigstens sagen dürfen, dass mein geschätzter Vorgänger versprochen hat, die Zahl der Arbeitslosen auf drei Millionen zu senken, er aber mit fünf Millionen Arbeitslosen aus dem Amt geschieden ist, wohingegen die christlich-liberale Koalition die Zahl der Arbeitslosen auf unter drei Millionen senken konnte. Das ist die Wahrheit.
41 Millionen Menschen in Deutschland haben Arbeit. Der Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Jobs in den vergangenen zwei Jahren beträgt rund eine Million. Wir haben in verschiedenen Regionen Vollbeschäftigung. Ich sage Ihnen: Wir geben uns mit der Zahl von unter drei Millionen Arbeitslosen nicht zufrieden, wir wollen Arbeit für alle. Dass wir die Jugendarbeitslosigkeit halbieren konnten, ist ein Beispiel dafür, was man schaffen kann. Daran werden wir weiter arbeiten.
Wir haben bei der Krisenbewältigung – der Beitrag der Großen Koalition dazu soll gar nicht geschmälert werden – eines gesehen, was für uns alle, die wir hier sitzen, eine unglaublich gute Botschaft ist: Politik kann gestalten, Politik kann abfedern, Politik kann etwas bewegen.
Das genau ist soziale Marktwirtschaft: Es ist uns gelungen, für Menschen Brücken zu bauen und Leitplanken einzuziehen, um die Dinge zu ordnen.
Ich sage ganz klar: Das, was uns bei der realen Wirtschaft gelungen ist, ist uns bei der internationalen Finanzwirtschaft noch nicht gelungen. Deshalb ist die Beunruhigung der Menschen auch verständlich. Sie sagen: Es gibt etwas, das durch politisches Handeln nicht ausreichend gezähmt ist. Es gibt international nicht die Leitplanken, die wir von der erfolgreichen sozialen Marktwirtschaft in Deutschland kennen. – Deshalb muss daran gearbeitet werden.
Es ist einiges erreicht worden. Wir sind national vorangegangen. Wolfgang Schäuble hat gemeinsam mit der ganzen Bundesregierung ein Gesetz zur Restrukturierung der Banken eingebracht; wir haben es verabschiedet. Ähnliches muss auch weltweit kommen. Es gibt immer noch das Problem – das wird beim G20-Gipfel wieder ein Thema sein –, wie wir die Banken, die so groß sind, dass sie bei einem Zusammenbruch einen riesigen Schaden anrichten, so restrukturieren können, dass kein Schaden für die internationale Öffentlichkeit entsteht.
Wir haben die Bankenabgabe eingeführt, damit in Zukunft nicht der Steuerzahler zahlen muss. Wir haben in Europa verschiedene Regelungen eingeführt, die ich nicht alle aufzählen will. Dass wir bis heute keine europäische Richtlinie zum Derivatehandel haben, ist ein Manko. Deutschland macht Druck, und das werden wir auch weiterhin tun. Aber zur Wahrheit gehört auch: Finanzmärkte arbeiten international. Deutschland ist dabei eine wichtige Stimme; die bringen wir ein. Aber allein können wir es nicht entscheiden, und deshalb sind wir froh über jeden, der mit uns gemeinsam Druck macht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe vor der Bundestagswahl gesagt: Deutschland soll stärker aus der Krise herauskommen, als es hineingegangen ist. Wir können heute sagen: Wir haben unser zentrales Wahlversprechen gehalten. Deutschland geht es so gut wie lange nicht. Jetzt, in besseren Zeiten, geht es darum, die Fundamente zu stärken. Das zentrale Thema ist die Haushaltskonsolidierung. Da gab es gestern hier ein bisschen Geschrei. Wir hatten im Jahre 2010 die Furcht – weil wir die Krise auch mithilfe von Steuergeldern bewältigt haben –, ein Defizit von 86 Milliarden Euro zu haben. Wir können froh sein, dass es in diesem Jahr 30 Milliarden Euro sein werden und dass es im nächsten Jahr 27 Milliarden Euro sein sollen. Das heißt, wir sind auf einem guten Weg.
Es war richtig, die Schuldenbremse einzuführen. Wir können in diesem Jahr die Defizitkriterien wieder einhalten. 1,5 Prozent gesamtstaatliches Defizit, das ist ein gutes Ergebnis, auch für Europa. Aber wir dürfen uns nichts in die Tasche lügen: Mit 83 Prozent gesamtstaatlicher Verschuldung haben wir noch einen weiten Weg vor uns, um die 60-Prozent-Grenze der Maastricht-Verträge wieder zu erreichen. Da ist die vielleicht nicht so beachtete, aber trotzdem wichtige Aussage, dass wir mit 80,5 Prozent jetzt die Trendumkehr von 83 Prozent erreichen werden, mindestens so wichtig wie das temporäre gesamtstaatliche Defizit. Denn es geht darum – das ist das eigentliche Thema –: Wie können Staaten die akkumulierte Verschuldung über Jahrzehnte wieder abbauen?
Es war richtig, dass wir im vergangenen Jahr ein Zukunftspaket für den mittelfristigen Finanzplanungszeitraum mit 80 Milliarden Euro Einsparungen aufgelegt haben. Das war nicht leicht. Darüber gab es auch Diskussionen; aber es war richtig. Wir haben gezeigt: Sparen geht, ohne die Konjunktur abzuwürgen. Es ist richtig und gut, dass wir die Schuldenbremse einhalten.
Nun ist es so – das mag für Sie ärgerlich sein –, dass Sie im Bund nicht an der Regierung beteiligt sind. Aber Sie könnten Ihren nationalen Beitrag zur Zukunft Deutschlands dort leisten, wo Sie Verantwortung tragen. Was ist denn da mit Schuldenabbau? Nordrhein-Westfalen: verfassungswidriger Haushalt, einmal beklagt, einmal für unrichtig erklärt; sofort folgt der nächste verfassungswidrige Haushalt.
Rheinland-Pfalz: In der Regierungszeit von Herrn Beck sind zwei Drittel der Gesamtschulden angehäuft worden, und es ist überhaupt nicht abzusehen, wie dieses Land jemals die Schuldenbremse erreichen will.
In Baden-Württemberg war das erste Regierungshandeln von Grün-Rot, 180 neue Stellen im Staatsapparat zu schaffen. Von Berlin und Bremen, rot-rot und rot-grün regiert, möchte ich überhaupt nicht sprechen.
Ich sage: Machen Sie doch dort, wo Sie Verantwortung tragen, erst einmal Ihre Hausaufgaben, und dann kommen Sie zurück. Das wäre die richtige Arbeitsreihenfolge.
In normalen Zeiten würde ich jetzt darüber sprechen, wie wir die Fundamente der Zukunft bauen, wie wir Wachstum fördern, in Bildung und Forschung investieren, den Zusammenhalt unseres Landes stärken. Ich würde über maßvolle Steuerentlastungen sprechen, weil es der Steuergerechtigkeit entspricht, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Wachstum über mehr Erwerbslohn beteiligt werden. Ich würde über unser Energiekonzept sprechen, darüber, wie wir das durchsetzen – mit einem Monitoring –, über Forschung und Bildung, wofür wir so viel ausgeben wie keine Bundesregierung jemals zuvor.
Ich würde über die Pflegereform sprechen, die wir in den nächsten Monaten auf den Weg bringen, über die Demografiestrategie, die die Antwort auf die Fragen des veränderten Altersaufbaus – das große nationale Problem – gibt, über die Reform der Bundeswehr und darüber, wie wir die Kommunen entlastet haben, indem wir die Grundsicherung übernehmen.
Wir leben aber nicht in normalen Zeiten. Deshalb sage ich: Wir stehen vor Herausforderungen, die man getrost historisch nennen kann. Ich will nicht sagen, ob es die schwerste oder eine der schweren Herausforderungen Europas ist; aber wir können sagen: Deutschland geht es gut. Wir wissen jedoch: Deutschland kann auf Dauer nicht erfolgreich sein, wenn es nicht auch Europa gut geht.
Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind zentraler Teil der Europäischen Union. Deutschlands Zukunft ist untrennbar mit der Zukunft Europas verbunden. Nach Jahrhunderten langer Kriege war die europäische Einigung Garant und Schrittmacher für eine dauerhafte Aussöhnung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dass dies erfolgreich gelungen ist, war alles andere als selbstverständlich. Auf dieser Grundlage konnte der Wiederaufbau eines zerstörten Kontinents gelingen, auch mithilfe des Marshallplans der Amerikaner in einer ganz schwierigen Situation. Auf dieser Grundlage konnte transatlantische Partnerschaft entstehen. Auf dieser Grundlage konnten die Völker Europas nie da gewesenen Wohlstand erwirtschaften. Auf dieser Grundlage konnte die Wiedervereinigung Deutschlands sowie die Einigung Europas stattfinden.
Daraus ergibt sich unsere heutige Verpflichtung gegenüber den Gründervätern unseres Landes und dieses Europas; das sage ich auch sehr persönlich. Die Gründerväter haben mit ganzer Kraft, mit Mut, mit Ideen und mit vielen Risiken Europa gebaut. Sie haben es nicht nur für sich getan, sondern vor allen Dingen für zukünftige Generationen. Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es an uns, im 21. Jahrhundert diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben, unseren Kindern und Enkeln ein intaktes Europa zu übergeben, und zwar nicht in einer Welt, wie es 1950 war, von 2,5 Milliarden Einwohnern, in der die Dominanz Europas und der Vereinigten Staaten von Amerika schon durch die Bevölkerung viel klarer war, sondern in einer Welt von sieben Milliarden Einwohnern mit einer Vernetzung der Wirtschaft, wie wir sie nie gekannt haben, und, durch die sieben Milliarden Einwohner, mit einem Verbrauch und Gebrauch von natürlichen Ressourcen, wie es an vielen Stellen eine Überstrapazierung dieser Welt ist.
Seit bald zehn Jahren können die Menschen in Berlin und Paris, in Rom und Lissabon mit einer gemeinsamen Währung bezahlen. Das ist der Euro. Die Geschichte sagt uns: Länder, die eine gemeinsame Währung haben, führen nie Krieg gegeneinander. Deshalb ist der Euro viel, viel mehr als nur eine Währung. Der Euro ist der Garant eines einigen Europas, oder anders gesagt: Scheitert der Euro, scheitert Europa. Weil ein Europa der Demokratie und der Freiheit unsere Heimat ist, darf der Euro nicht scheitern, und er wird nicht scheitern.
Aber wenn ich auf der einen Seite von einer der schwersten Krisen Europas spreche und gleichzeitig von unserem unbedingten deutschen Interesse an einem starken Europa, dann ergibt sich doch daraus die zentrale Aufgabe dieser Legislaturperiode. Die zentrale Aufgabe dieser Legislaturperiode heißt: So wie Deutschland stärker aus der Krise herausgekommen ist, als es hineingegangen ist, muss jetzt auch Europa stärker aus der Krise herauskommen, als es hineingegangen ist.
Vor zehn Jahren haben wir eine stabile Währung versprochen. Das Versprechen ist gehalten. Die Inflationsrate ist in diesen zehn Jahren geringer als in den letzten zehn Jahren der D-Mark. Eine christlich-liberale Koalition, damals unter der Führung von Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher und Theo Waigel, hat unter Mühen und in kontroversen Diskussionen in Europa den Stabilitäts- und Wachstumspakt durchgesetzt. Es ist eine traurige Ironie, dass ausgerechnet eine deutsche Regierung, Rot-Grün unter Führung von Herrn Schröder, dann diesen Stabilitäts- und Wachstumspakt aufgeweicht hat. Es war auch Rot-Grün – es ist einfach so; wir waren ja nicht froh, dass wir da in der Opposition waren –, die wider besseres Wissen Griechenland in den Euro-Raum aufgenommen haben.
Ich würde das alles nicht sagen, wenn Sie aus Ihren Fehlern lernen würden, aber – das ist das Schlimmste – Sie tun es nicht. Analysieren Sie doch einmal die heutige Krise: Was ist das Hauptproblem in der gegenwärtigen Krise? Ich kann ja nur Antworten finden, wenn ich wenigstens die Analyse vernünftig mache. Die hohe Verschuldung einzelner Länder ist das Hauptproblem der heutigen Krise, die wir im Euro-Raum haben. Diese Verschuldung ist nicht nur in den Zeiten entstanden, als wir die Konjunkturprogramme gegen die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise aufgelegt haben, sondern diese Verschuldung ist das Ergebnis davon, dass Jahrzehnte eine falsche Philosophie verfolgt wurde. Diese Philosophie wurde im Übrigen auch von der ersten Großen Koalition Ende der 60er Jahre verfolgt. Da hat das alles in Deutschland begonnen. Da hieß es: Hauptsache Wachstum, egal was es kostet, im Zweifelsfall auch Schulden, und anschließend in guten Zeiten nichts zurückzahlen. Mit dem Ergebnis von jahrzehntelangem Schuldenaufbau müssen wir uns heute herumschlagen.
Wir sind da ja in feiner Gesellschaft: Wir sind damit in Europa nicht alleine, wir sind damit mit den Vereinigten Staaten nicht alleine, wir sind damit mit Japan nicht alleine. Ich bin aber zutiefst davon überzeugt: Diese Krise, wenn sie nicht zu einer großen Krise der westlichen Welt werden soll, kann mit einem Weiter-so nicht bekämpft werden. Ein grundsätzliches Umdenken ist nötig. Wir müssen nachhaltig wirtschaften und nicht mehr auf Kosten zukünftiger Generationen. Das muss jetzt zur Erkenntnis aller 17 Staaten werden, die durch eine gemeinsame Währung verbunden sind; denn auf der einen Seite sind wir durch die gemeinsame Währung untrennbar miteinander verbunden, und auf der anderen Seite – das ist die Rechtssituation – hat jedes einzelne dieser 17 Länder die Haushaltshoheit, kann also seinen Haushalt auf Basis nationaler Entscheidungen aufstellen. Genau das entspricht im Kern dem, wenn gesagt wird: Wir haben keine politische Union. Mit dieser Frage müssen wir uns auseinandersetzen, und in dieser Situation müssen wir die richtigen Antworten finden.
Was sagen jetzt die Sozialdemokraten und die Grünen? Die Sozialdemokraten und die Grünen sagen: Wir brauchen in dieser Situation Euro-Bonds. Wenn ich aber nun genau die Situation habe, dass ich auf den Haushalt eines einzelnen Mitgliedstaats des Euro-Raums keinen Einfluss habe, kann es doch nicht angehen – das ist aber Ihre Antwort –, dass ich die Schulden in einen Topf werfe und den einzigen Indikator, den ich in diesem Währungssystem noch habe, nämlich die Zinssätze, vergemeinschafte. Das ist mit Sicherheit die falsche Antwort, und das zeigt, dass Sie Ihre Fehler fortsetzen.
Nun lese ich heute in der Zeitung von dem einen und höre hier im Bundestag von dem anderen, dass Sie, auch angesichts des Bundesverfassungsgerichtsurteils, jetzt eine Umdefinition der Euro-Bonds vornehmen wollen. Bei Ihnen ist das jetzt nur noch ein Instrument, das für Krisenländer gemeinschaftlich, vielleicht im EFSF, verwaltet wird. Dann sagen Sie das aber auch. Euro-Bonds sind ja definiert – bis heute war das auch nach Ihrem Verständnis so; das ist auch überall außerhalb der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Deutschen Bundestag nach wie vor so – als Vergemeinschaftung der Schulden und Einführung eines einheitlichen Zinssatzes für alle. Das ist die falsche Antwort. Deshalb werden wir diesen Weg nicht mitgehen. Vielmehr geht es darum, dass wir uns auf die Haushaltsführung jedes einzelnen Mitgliedstaates verlassen können.
Euro-Bonds sind der Weg in die Schuldenunion. Wir brauchen eine Stabilitätsunion. Daran arbeitet die christlich-liberale Koalition. Keine Generation kann sich ihre Aufgabe aussuchen. Unsere Gründerväter mussten ein zerstörtes Deutschland aufbauen und die Erbfeindschaft mit Frankreich überwinden. Unsere Aufgabe ist es nun, den Weg aufzuzeigen, wie eine Stabilitätsunion erreicht werden kann. Hierbei gibt es eine Grundüberzeugung, die die christlich-liberale Koalition leitet. Sie lautet: Wir brauchen Solidarität und Eigenverantwortung, Eigenverantwortung und Solidarität. Nicht derjenige, der sofort hilft und jeder Hilfsanfrage sofort nachgibt, hat recht, sondern derjenige, der den Weg zur Stabilitätsunion aufzeigt. Da hat das Bundesverfassungsgericht uns heute Morgen, soweit ich das in der knappen Zeit überblicken konnte, absolut bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Eigenverantwortung und Solidarität in einer transparenten, durchschaubaren Art und Weise, natürlich mit absoluter Mitbestimmung des Parlaments. Das ist genau der Weg, den wir gegangen sind. Der dauert manchmal etwas länger und ist zuweilen etwas komplizierter, aber es ist der richtige Weg.
Sie können doch sehen, was wir in den letzten anderthalb Jahren erreicht haben. Wir können nicht zufrieden sein mit den neuesten Meldungen aus Griechenland. Griechenland muss Strukturreformen durchführen. Es muss transparente Strukturen in seinem Land schaffen, und es muss natürlich – das wird auch immer gesagt – investieren. Geld ist vorhanden in Europa. Griechenland hat 70 Prozent der Mittel seiner Strukturfonds und Kohäsionsfonds gar nicht abgerufen. Auch für Portugal steht noch Geld zur Verfügung. Es geht um Strukturen, mit denen man Wachstum generieren kann, und die sind nicht ausreichend vorhanden.
Sie sagen immer, dass das Polemik gegen irgendwelche Länder sei. So wie wir uns hier auseinandersetzen, so muss das auch in einem Europa mit einer Währung stattfinden. Alle Probleme unter den Tisch zu kehren und von Solidarität zu reden, wird uns nicht zu einer Stabilitätsunion bringen. Das ist die Wahrheit. Deshalb war es richtig, dass wir durchgesetzt haben, dass es Hilfen nur unter strengen Auflagen gibt.
Das ist das erste Prinzip, das wir durchgesetzt haben.
Wir haben zweitens durchgesetzt, dass neben der Bewältigung der Krise endlich auch die Ursachen angegangen werden. Deshalb haben wir mehr Wachstum und mehr Wettbewerbsfähigkeit im neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt niedergelegt. Wir haben ihn nicht aufgeweicht, sondern verstärkt. Ich hoffe, dass die letzten Einigungen mit dem Europäischen Parlament erfolgen. Da geht es nicht nur um das temporäre Defizit, sondern es wird in Zukunft auch um die Gesamtverschuldung und die makroökonomische Leistungskraft eines Landes gehen. Das sind genau die Kriterien.
Wir haben mit dem französischen Präsidenten alles ausgelotet, was unter der jetzigen Vertragssituation an verbindlichen Absprachen möglich ist. Da habe ich eine Bitte an den Deutschen Bundestag: Wenn wir unseren Haushalt nach Europa schicken und im Rahmen des Europäischen Semesters Kommentare der Europäischen Kommission mit Blick auf die Erfüllung des Stabilitäts- und Wachstumspakts für jedes einzelne Mitgliedsland abgegeben werden, müssen sich auch alle anderen Euro-Staaten verpflichten, diese Kommentare zu befolgen, damit sicher ist, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt erfüllt wird.
Wir haben gesagt: Wir wollen, dass alle Länder, ähnlich wie wir es in Deutschland gemacht haben – da waren wir Vorreiter –, eine Schuldenbremse in ihre Verfassung aufnehmen. Wir haben dabei unerwartete Fortschritte erzielt. Frankreich denkt darüber nach, Spanien hat es gemacht, Portugal ist offen, und Italien macht es jetzt auch. Mit der Aussage "Das geht alles nicht" kann man natürlich keine neuen Wege beschreiten. Auch das ist ein Beitrag zur Stabilitätsunion.
Wir haben drittens durchgesetzt, dass Lehren aus der Krise gezogen werden, nämlich mit dem Euro-Plus-Pakt und der verstärkten institutionellen Zusammenarbeit in der Euro-Zone. Wir haben im vorigen Jahr gesagt, es müsse eine Wirtschaftsregierung der 27 geben. Die Wahrheit ist: Wir müssen in der Euro-Zone enger zusammenarbeiten, ohne andere zu verstoßen. Aber wir müssen das vor allen Dingen so schaffen, dass es verbindlich wird. Es hat keinen Sinn, wenn man nur Daten austauscht. Vielmehr muss eine Verbindlichkeit entstehen, und daran muss gearbeitet werden. Nur so kann Europa stärker aus der Krise herauskommen, als es hineingegangen ist.
Es zeigt sich aber in einer unglaublichen Schärfe, dass die Probleme eines Landes – und sei es eines Landes wie Griechenland, das nur zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der gesamten Euro-Zone hat – die ganze Währung in Gefahr bringen können. Im Lissabon-Vertrag gibt es keinen Mechanismus, um diejenigen zur Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu zwingen, die das nicht können oder nicht wollen. Deshalb sage ich auch: Wenn wir Europa weiterdenken und wenn wir mehr zukunftsfähiges und starkes Europa wollen, dann dürfen auch Vertragsänderungen kein Tabu sein, um ein Mehr an Verbindlichkeit dafür zu erreichen. Es gehört zu den Paradoxien, dass die Nichteinhaltung jeder Richtlinie, beispielsweise aus Bereichen wie Wirtschaft oder Umwelt, zu einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof führt, aber ausgerechnet die Nichteinhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes vom Europäischen Gerichtshof gerade nicht verfolgt werden darf. Darüber müssen wir nachdenken. Wir sind für ein solches starkes Europa, weil wir eine Stabilitätsunion wollen.
Wir werden Risiken eingehen müssen. Das wird kein einfacher Weg sein. Wir brauchen mehr Europa; aber wir müssen es vernünftig und richtig machen. Wir müssen den Menschen auch ganz klar sagen: Die heutigen Probleme wie die übermäßige Verschuldung sind in Jahrzehnten aufgewachsen. Diese lassen sich nicht mit Schlagwörtern wie Euro-Bonds oder Umschuldung mit einem Paukenschlag einfach wegwischen, und alles wird wieder gut. Nein, das wird ein langer und schwieriger, aber für die Zukunft richtiger Weg in eine zukunftsfähige Europäische Union. Diesen Weg wollen wir gemeinsam gehen.
In Europa leben 500 Millionen Menschen. Wir wissen: Die Welt wandelt sich. Sie wandelt sich nicht nur im wirtschaftlichen Bereich. Dort haben wir eine Situation, in der keiner mehr sozusagen aus sich selbst heraus alleine stark sein kann. Das ist die Botschaft. Schauen Sie auf die Schweiz. Sie hat gestern den Wechselkurs ihrer Währung faktisch an den Euro gekoppelt; denn die Stärke der Schweiz wird zu ihrer eigenen Schwäche, wenn sie sich nicht in das gesamte globale Gefüge einordnet. Das ist die Lehre. Deshalb ist der Euro richtig.
Die Weltwirtschaft ist wie ein feingesponnenes Netz. Wer da an irgendeiner Stelle irgendeinen Faden kappt, der kann das ganze Netz zum Einreißen bringen. Deshalb müssen all diejenigen, die jetzt mit EFSF, ESM und alldem nicht einverstanden sind, eines wissen: Wir haben keine theoretische Diskussion am Reißbrett darüber, wie wir uns eine politische Union vorstellen, sondern wir haben eine Situation, in der es darum geht, eine eng verwobene Weltwirtschaft auf einen vernünftigen Pfad der Stabilität zu führen. Deshalb muss jeder unserer Schritte kontrolliert sein.
Herr Gabriel, ich halte hier eine Rede vor allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Wenn Sie mir Ihre geschätzte Aufmerksamkeit noch einmal schenken würden. Die Art und Weise, wie Sie über Umschuldung im europäischen Raum sprechen – unkontrolliert und ohne jede Basis dafür –, ist genauso verantwortungslos wie Äußerungen über Euro-Bonds. Auch das gehört zur Wahrheit.
Wir glauben, dass die Staaten die Fähigkeit erlernen müssen – genauso wie es bei den Banken der Fall war –, mit Insolvenzproblemen umzugehen. Deshalb haben wir uns für die Schaffung des permanenten Rettungsschirms eingesetzt. Aber wir können nicht Schlagwörter in die Welt setzen und uns anschließend wundern, dass wir damit die gesamte Finanzwelt verunsichert haben. Das reicht für Oppositionsarbeit, aber nicht zum Regieren. Das verstehe ich unter einem kontrollierten Prozess.
Wie gesagt: Die Welt wandelt sich, und sie wandelt sich nicht nur im ökonomischen Bereich. Wir haben auch gesehen, dass die Freiheit weiter auf ihrem Siegeszug ist – in diesem Jahr im arabischen Raum. Der Bundesaußenminister hat über die Verantwortung, die Deutschland in diesem Zusammenhang übernimmt, gesprochen. Wir werden sehr entschieden von Ägypten über Tunesien bis Libyen und Syrien unserer Verantwortung gerecht werden. Das werden sehr lange Prozesse sein. Dabei wird es auf einen langen Atem ankommen, um den jungen Menschen in diesen Ländern Hoffnung zu geben und Ausbildungspakte zu schließen. All das ist auf dem Weg, und all das stärkt die Demokratie.
In vier Tagen jährt sich der 11. September. Auch das wird uns noch einmal daran erinnern, wie sich die Bedrohungslage zum Anfang des 21. Jahrhunderts weltweit völlig verändert hat. Weil der islamistische Terrorismus eine völlig neue, asymmetrische Bedrohung ist, in der Menschen ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, ist es so wichtig, dass wir stabile Staaten bauen helfen.
Das ist unsere Aufgabe in Afghanistan. Im Dezember wird in Bonn die Afghanistan-Konferenz stattfinden, auf der wir über die Zukunft diskutieren. Wir haben erlebt: Der Kampf gegen den Terrorismus ist nicht einfach. Es ist nicht so einfach, ein stabiles Afghanistan aufzubauen. Es war Anfang der 90er Jahre nicht so einfach, ein stabiles Somalia aufzubauen. Es ist nicht so einfach, die Piraterie zu bekämpfen. Wir haben den Sieg über den Kalten Krieg errungen – da können Sie lachen –; aber wir haben es noch nicht geschafft, die asymmetrischen Bedrohungen in vollem Umfang in den Griff zu bekommen. Die Antwort der Bundesregierung ist: Es wird nicht allein militärisch gelingen – die militärische Option kann nicht ausgeschlossen werden –, sondern es bedarf immer eines vernetzten Vorgehens, einer vernetzten Sicherheitskonzeption, um Frieden und Stabilität auf der Welt zu erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selten hat es so viele Krisen und Großereignisse in so kurzer Abfolge gegeben, wie wir das in den vergangenen Jahren erlebt haben. Selten gibt es die eine Antwort, die eine Lösung, auch wenn uns das so viele Experten jeden Tag vorgaukeln wollen. Aber immer gibt es eine Aufforderung, der insbesondere die Regierung nachzukommen hat: entschlossen wie besonnen den richtigen Weg für unser Land zu finden, stets das Ganze im Blick und für das Gemeinwohl mit genau dieser Richtschnur.
Die christlich-liberale Koalition will ein Deutschland, das wirtschaftlich stark ist, das auf seine Menschen setzt, das seine soziale Verantwortung kennt, das international an der Spitze steht und das Verantwortung für Europa und die Welt übernimmt – ein Deutschland also, das menschlich und erfolgreich ist. Dafür arbeiten wir, und das mit aller Kraft.