zum Haushaltsgesetz 2016 vor dem Deutschen Bundestag am 25. November 2015 in Berlin:
- Bulletin 152-1
- 25. November 2015
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!
Vor wenigen Tagen, am 13. November, mussten Menschen in Paris einen Albtraum von Gewalt, Terror und Angst durchleiden. Unzählige Familien trauern um ihre Liebsten. Deutschland teilt mit ihnen den Schmerz.
Wir alle haben sofort verstanden: Dieser unmenschliche Angriff meint uns alle, und er trifft uns alle. Es ist ein Anschlag auf unser aller Freiheit, auf unsere Werte und Überzeugungen, ein Angriff auf all das, was uns wichtig ist und wofür Generationen vor uns in Europa gestritten und gekämpft haben: Demokratie und Menschenrechte, Gleichberechtigung und eine offene, freundliche und tolerante Zivilgesellschaft. Wir stehen solidarisch an der Seite Frankreichs in der Trauer um die Opfer. Wir stehen solidarisch an der Seite Frankreichs im Kampf gegen den Terror. Wir gedenken aller Opfer des Terrors. Ich denke an die Opfer des russischen Flugzeugabsturzes, an die Opfer in Bamako genauso wie an die Opfer gestern in Tunesien.
Frankreich hat erstmals in der Geschichte die EU-Beistandsklausel des Artikels 42 Absatz sieben im Lissabon-Vertrag in Anspruch genommen. Alle EU-Staaten haben Frankreich einhellig Solidarität und vor allem auch Beistand zugesichert. Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin hat bereits letzten Dienstag erstmals mit ihrem französischen Amtskollegen über die Frage gesprochen, wie diese Solidarität mit Leben erfüllt werden kann. Wir sind mit unseren Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und helfen bei der Bekämpfung des Terrors: im Irak den Peschmerga, in Mali, indem wir unser Engagement verstärken, und in Afghanistan, indem wir unser Engagement verlängern. Heute Abend werde ich mit dem französischen Präsidenten François Hollande über die Fragen sprechen, die uns gemeinsam bewegen. Der Geist dieses Gesprächs wird davon bestimmt sein, dass wir gemeinsam mit unseren Freunden handeln werden. Wenn zusätzliches Engagement notwendig ist, dann werden wir das nicht von vornherein ausschließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Polizei und Nachrichtendienste arbeiten in Deutschland mit Hochdruck an der Aufklärung der grausamen Anschläge und der Aufdeckung ihrer terroristischen Strukturen. Auch in Deutschland ist die Bedrohungslage hoch. Wir gehen allen Hinweisen nach und müssen natürlich – das haben wir letzte Woche Dienstag gesehen – immer wieder eine schwierige Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit treffen. Ich will hier ausdrücklich – auch im Namen der ganzen Bundesregierung – sagen: Wir haben Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden, dass sie mit Augenmaß handeln. Sie brauchen unsere politische Unterstützung, und die haben sie auch. Denn anders können Sicherheitsbehörden nicht handeln.
Zwei Dinge sind mir sehr wichtig:
Erstens. Wir müssen – da möchte ich mich auch bei der Mehrheit des Deutschen Bundestags bedanken – wachsam und wehrhaft sein. Deshalb war es richtig – das geschah schon vor den Anschlägen –, dass wir eine personelle und technische Verstärkung unserer Sicherheitsbehörden beschlossen haben. Es gibt im Jahr 2016 1.000 neue Planstellen für die Bundespolizei. Insgesamt sind bis 2018 3.000 zusätzliche Stellen vorgesehen. Bei der Bundespolizei werden sogenannte robuste Einheiten aufgebaut, die so ausgebildet und ausgestattet sein werden, dass sie terroristischen Lagen begegnen können und damit unsere Möglichkeiten in solchen Fällen deutlich – über das hinaus, was die Landespolizeien und die GSG 9 heute schon können – erweitern. Wir stärken unsere Nachrichtendienste, investieren unter anderem in die Modernisierung ihrer technischen Ausstattung. Und wir verstärken das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst personell.
Zweitens. Die stärkste Antwort – und das ist ebenso wichtig – an Terroristen ist, unser Leben und unsere Werte weiter so zu leben wie bisher, selbstbewusst und frei, mitmenschlich und engagiert. Wir Europäer werden zeigen: Unser freies Leben ist stärker als jeder Terror.
Ein starkes Zeichen der Einigkeit im Kampf gegen den Terrorismus ging auch vom G20-Gipfel in Antalya unmittelbar nach den Anschlägen von Paris aus. Für mich besonders wichtig war das hier abgegebene klare Bekenntnis der Regierungschefs muslimischer Staaten, die genauso wie wir dem Terrorismus ganz klar den Kampf angesagt haben. Deshalb werden wir – so haben wir es in Antalya beschlossen – trotz ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Strukturen die Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung verstärken: bei der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste, bei der Überwachung der Internetkommunikation von terroristischen Netzwerken und – das ist ganz wichtig – bei der Kappung der Geldflüsse der Terroristen, soweit dies möglich ist. Diese Geldflüsse müssen Schritt für Schritt trockengelegt werden. Das ist eine der vornehmsten Aufgaben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns immer wieder bewusst machen: Es ist ebendieser Terror, es sind ebensolche Krisen, vor denen Menschen in großer Zahl nach Europa – und ganz besonders auch nach Deutschland – fliehen. Sie suchen Schutz und Aufnahme. Wir haben weltweit die größte Zahl von Flüchtlingen seit dem Zweiten Weltkrieg. Deshalb ist die Frage, wie wir mit dieser Sachlage umgehen, natürlich nicht nur eine nationale oder eine europäische, sondern eine globale, internationale Frage.
Deutschland hat in den letzten Monaten gezeigt, wie menschlich, leistungsfähig und flexibel wir auf allen Ebenen – vom Bund über die Länder bis hin zu den Kommunen, von der Polizei über das BAMF bis hin zu den Jugendämtern – sind. Verantwortliche sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wachsen täglich über sich hinaus. Sie machen unzählige Überstunden, Nacht- und Sonderschichten. Und es gibt durchgearbeitete Wochenenden. Es geht dabei nicht nur um die vielen Stunden, sondern auch um das Engagement, die Bereitschaft und das Herz, das sie investieren. Deshalb möchte ich mich bei ihnen allen ganz herzlich bedanken. Das gilt in gleicher Weise für die unzähligen ehrenamtlichen und freiwilligen Helferinnen und Helfer. Ich weiß nicht, ob es schon jemals ein derartig großes, schnell aufgebautes und gut organisiertes Netz an privaten Helfern in Deutschland gegeben hat. Auch ihnen sage ich ein genauso herzliches Dankeschön.
Sie haben einen klaren Anspruch darauf, zu wissen, nach welcher Agenda, nach welchem Plan die Bundesregierung an der Bekämpfung der Fluchtursachen, an den europäischen und den nationalen Maßnahmen arbeitet.
Beginnen müssen wir bei der Bekämpfung der Fluchtursachen. Es herrscht in vielen Regionen Krieg und Terror. Staaten zerfallen. Viele Jahre haben wir es gelesen. Wir haben es gehört. Wir haben es im Fernsehen gesehen. Aber wir haben damals noch nicht ausreichend verstanden, dass das, was in Aleppo und Mossul passiert, für Essen oder Stuttgart relevant sein kann. Damit müssen wir umgehen, und das wird Veränderungen in unserer Politik mit sich bringen, zugunsten der Außenpolitik und zugunsten der Entwicklungspolitik, weil wir uns immer fragen müssen: Was bedeutet welche Maßnahme für uns hier zu Hause?
Ich glaube, es ist klar, dass wir dazu einen langen Atem und Geduld brauchen. Wir brauchen vor allen Dingen auch Partner.
Ich will mit dem Syrien-Konflikt beginnen. Es ist vollkommen klar, dass die eigentliche, wirkliche Lösung nur in einer politischen Lösung liegen kann. Natürlich hat sich gestern durch den Abschuss eines russischen Flugzeuges durch die Türkei die Lage noch einmal verschärft, und wir müssen jetzt alles dafür tun, eine Eskalation zu vermeiden. Natürlich hat jedes Land das Recht, sein Territorium zu sichern. Aber auf der anderen Seite wissen wir, wie angespannt die Situation im Augenblick ist, in Syrien und seiner Umgebung. Ich habe gestern mit dem türkischen Ministerpräsidenten gesprochen und darum gebeten, alles zu tun, um die Situation zu deeskalieren.
Ich möchte unserem Außenminister Frank-Walter Steinmeier danken. Ich glaube, es war bei der Einbringung des Haushalts, als Ihre Reisen in den Iran und nach Saudi-Arabien bevorstanden. Ich glaube, wir haben alle gar nicht zu hoffen gewagt, dass es so schnell geht, dass jetzt Akteure an einem Tisch sitzen, die wichtig und abdingbar sind für die Lösung des Syrien-Konflikts: Russland, die USA, die Europäer, die arabischen Staaten, der Iran und die Türkei.
Es gibt durchaus hoffnungsvolle Entwicklungen, die jetzt hoffentlich nicht zu weit zurückgeworfen werden durch das, was gestern passiert ist. Es gibt Ideen für einen politischen Übergangsprozess. Ich weiß, wie schwierig es ist, vor allen Dingen die Akteure in Syrien an einen Tisch zu bekommen. Aber es gibt keinen anderen Weg, der uns einer dauerhaften Lösung näherbringt. Des-halb wünsche ich weiterhin allen Teilnehmern dieser Verhandlungen allen Erfolg; wir werden sie mit aller Kraft unterstützen.
Nur so wird es möglich sein, sich auch darauf zu konzentrieren, was nach meiner Auffassung im Augenblick nicht anders als militärisch zu lösen ist. Das ist der Kampf gegen den IS. Es muss ein gemeinsamer Kampf der Weltgemeinschaft sein, um deutlich zu machen: Wir erteilen dem Terrorismus und der Brutalität solcher Organisationen eine klare Absage.
Mit der Bekämpfung der Fluchtursachen hat sich auch der EU-Afrika-Gipfel, der Sondergipfel, am 12. November in Valletta befasst. Wir haben einen Aktionsplan mit den afrikanischen Staaten verabschiedet, bei dem es auf der einen Seite um bessere wirtschaftliche Perspektiven afrikanischer Länder und auch um bessere Möglichkeiten legaler Migration geht. Wir zum Beispiel werden im Bereich der Zurverfügungstellung von Ausbildungsplätzen, Stipendienplätzen und anderen mehr tun.
Auf der anderen Seite hat es aber auch deutliche Diskussionen darüber gegeben, dass die Zivilgesellschaften in Afrika durch ihre politischen Führungen mehr Transparenz und mehr Klarheit bekommen müssen. In Zeiten des Smartphones kann man nicht mehr so regieren, wie das früher geschehen ist. Das gilt auch für Afrika. Denn eines ist klar: Je mehr in Herkunftsländern dafür Sorge getragen werden kann, dass Menschen sich nicht auf den gefährlichen Weg aus ihrer Heimat machen, umso besser wird es gelingen, Fluchtursachen zu bekämpfen, sodass Flüchtlinge gar nicht mehr den Weg antreten.
Wir haben zusätzlich zu unserer Entwicklungshilfe, die wir leisten – das sind etwa 20 Milliarden Euro seitens der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten der Europäischen Union –, einen Treuhandfonds von 1,8 Milliarden Euro aufgelegt, um genau diese Aufgaben zu erfüllen.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird seinen gesamten Etataufwuchs von über 850 Millionen Euro auf die akute Fluchtursachenbekämpfung konzentrieren. Die gesamte Entwicklungszusammenarbeit mit einem Etat von 7,4 Milliarden Euro im Haushaltsentwurf 2016 arbeitet genau am Erhalt von Lebensgrundlagen und an der Schaffung von Zukunftsperspektiven.
Die Bekämpfung von Fluchtursachen war auch Thema auf dem G20-Gipfel in Antalya. Hier ist vor allen Dingen noch einmal über das humanitäre Engagement gesprochen worden. Noch haben wir es nicht geschafft, dass der UNHCR und das Welternährungsprogramm im Jahr 2016 auf einen Haushalt blicken können, der ausreicht, um die notwendigen Aufgaben zu erfüllen. Wir alle haben wieder die Warnrufe des UNHCR in diesen Tagen erlebt. Ich will deutlich machen: Die Bundesregierung hat ihre Pflicht getan. Wir haben unsere Ansätze gesteigert. Wir werden weiterhin bereit sein, das Notwendige zu tun. Europa hat sich bewegt. Aber wir werden nicht nachlassen, hier die ganze Welt in die Verantwortung zu nehmen. Es ist wirklich nicht nur eine europäische Angelegenheit, sondern die ganze Welt ist hier verantwortlich. Deshalb werde ich am 4. Februar 2016 gemeinsam mit David Cameron, der norwegischen Premierministerin Erna Solberg und dem Emir von Kuwait eine Konferenz in London durchführen, wo es genau um die humanitäre Unterstützung geht, damit wir am Ende des Jahres 2016 nicht wieder so dastehen wie am Ende des Jahres 2015.
Wenn wir über internationale Anstrengungen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise sprechen, ist die Türkei ein Schlüsselpartner für die Europäische Union. Die Türkei ist unser Nachbar. Sie liegt an der anderen Seite unserer Außengrenze. Schauen wir uns einmal die Nachbarn der Türkei an. Das sind der Iran, der Irak und Syrien. Das sind Länder, die wir entweder dringend benötigen für die Lösung des Konflikts in Syrien oder in denen der IS bereits Teile des Landes beherrscht. Aus diesem Grund hat die Türkei mit mehr als zwei Millionen Flüchtlingen aus Syrien und Irak eine große Aufgabe zu bewältigen. Ich will an dieser Stelle allerdings Jordanien und den Libanon nicht vergessen. Was diese Länder leisten, ist bemerkenswert und sollte uns ab und zu nachdenklich stimmen. Ich glaube aber, gerade am Beispiel der Türkei wird klar, dass es in unserem ureigenen Interesse liegt, dass die Türkei die Bewältigung der Aufgabe, die Flüchtlinge zu beherbergen, meistern kann. Wenn wir wieder zu geordneten und rechtlichen Verhältnissen an den Außengrenzen der Europäischen Union kommen wollen, dann bedarf es einer Kooperation mit der Türkei. Donald Tusk hat zu einem EU-Türkei-Gipfel am Sonntag eingeladen. Wir arbeiten an einer gemeinsamen Agenda, die aufbaut auf dem Gedanken guter nachbarschaftlicher Beziehungen. Da spielt natürlich die Öffnung von Kapiteln im Zusammenhang mit dem Beitrittsprozess eine Rolle. Da spielt auch das Thema Visaliberalisierung eine Rolle. Für uns spielt es eine Rolle, dass wir ein Rückführungsabkommen wollen, das nicht nur zum Ziel hat, dass türkische Bürger in die Türkei zurückgenommen werden, sondern uns auch in die Lage versetzt, Bürger von Drittstaaten in die Türkei zurückzuschicken. Aber wir haben hier eine gemeinsame Verantwortung.
Ich möchte daran erinnern: Gestern hat der NATO-Rat getagt angesichts des Abschusses des russischen Flugzeuges. Die Türkei und Griechenland sind NATO-Mitgliedstaaten. Aber im Verhältnis zwischen diesen beiden Partnern innerhalb der NATO herrscht im Augenblick Illegalität auf der Ägäis. Es kann uns alle nicht kaltlassen, dass die falschen Leute aus dem Elend und dem Leid der Flüchtlinge noch ein Geschäft machen. Deshalb müssen wir Illegalität durch Legalität ersetzen. Das liegt in unserem Interesse und im Interesse der Türkei. Das heißt wirksamer Schutz in Kooperation mit der Türkei an der Außengrenze, Bekämpfung der Schleuserkriminalität und Verbesserung der Perspektiven der Flüchtlinge in der Türkei, was ihre Lebenssituation angeht. Das erfordert von uns Unterstützung auf materielle Art und Weise, auch durch Geld. Die Türkei hat bereits sieben Milliarden bis acht Milliarden Euro ausgegeben. Sie hat 700 Millionen Euro als internationale Unterstützung bekommen. Die Türkei hat gesagt: Ihr als unsere Nachbarn müsst uns bei der Bewältigung dieser Aufgabe auch helfen. – Ich finde das ist richtig. Deshalb wird das Teil der EU-Türkei-Migrationsagenda sein.
Zweitens– auch das gehört dazu – wird es darum gehen, wie wir auch durch legale Kontingente einen Beitrag dazu leisten können, dass die Türkei entlastet wird. Deshalb sind solche europaweit zu vereinbarende Kontingente ein Weg, aus Illegalität Legalität zu machen, aber auch die Prozesse besser zu ordnen und zu steuern und in Kombination mit der Bekämpfung der Fluchtursachen dann auch die Zahl der bei uns ankommenden Flüchtlinge zu reduzieren. Auch das ist unser Ziel.
Diese Aufgabe, wie ich sie jetzt dargestellt habe, erfordert natürlich Kraft, sie erfordert auch ein Stück Geduld, und sie erfordert Nachdruck. Das ist aber nach meiner festen Auffassung der Weg, den wir beschreiten müssen, um die Probleme zu lösen; denn die simple Abschottung wird nicht unser Problem lösen.
Dazu brauchen wir die Europäische Union als Ganzes. Die Erscheinung Europas ist im Augenblick verbesserungsmöglich, sage ich einmal.
Wir wissen, dass man in Europa oft einen langen Atem braucht, wir wissen, dass man oft dicke Bretter bohren muss, aber wir alle spüren: Wir stehen hier schon an einer entscheidenden Stelle. Wir haben die internationale Finanzkrise bewältigt, wir haben die Euro-Krise in großen Teilen gelöst. Wir sind noch nicht ganz am Ende; die Lehren haben wir noch nicht daraus gezogen.
Jetzt ist sozusagen der zweite Pfeiler der europäischen Integration in einer sehr schwierigen Situation. Es geht um die Frage, wie wir mit den innereuropäischen Freiheiten umgehen. Dafür steht der Schengen-Raum, dafür steht, dass wir vor Jahren im Vertrauen aufeinander die eigentlichen Grenzkontrollen an die Außengrenzen der Europäischen Union abgegeben haben. Ähnlich wie bei der Wirtschafts- und Währungsunion ist man auch bei diesem Schritt, der Schaffung des Schengen-Raums, im Grunde nicht ganz bis zum Ende dessen gegangen, was man hätte politisch lösen müssen.
Bei der Wirtschafts- und Währungsunion hat man zwar den Stabilitäts- und Wachstumspakt gemacht, aber wir haben uns nicht ausreichend darüber verständigt, in welche Richtung sich unsere Volkswirtschaften wirklich entwickeln wollen und welche Befugnisse die Europäische Kommission hat, wenn das in die falsche Richtung läuft.
Bei der Schaffung des Schengen-Raums und der Verlagerung der Kontrollen auf die Außengrenzen hat man den letzten Schritt, nämlich sich darüber Gedanken zu machen, wie denn bei einem Bewährungsdruck, einem großen Druck auf die Außengrenzen, die Solidarität innerhalb der Europäischen Union aussieht, wie denn die Mandate aussehen, wie denn die Verteilung aussieht, nicht getan. Darüber hat man sich nicht geeinigt.
Genauso wie wir für die nachhaltige Erhaltung des Euros die letzten Schritte gehen müssen, müssen wir jetzt auch hier die nächsten Schritte gehen, weil sich erwiesen hat, dass das derzeitige System allein nicht ausreicht. Deshalb ist eine solidarische Verteilung von Flüchtlingen je nach Wirtschaftskraft und Gegebenheiten, wobei die Bereitschaft zu einem permanenten Verteilungsmechanismus gegeben sein muss, nicht irgendeine Petitesse, sondern sie berührt die Frage, ob der Schengen-Raum auf Dauer aufrechterhalten werden kann.
Nun frage ich aber auch: Was ist unsere, die deutsche Rolle? Ist die deutsche Rolle die, als Erster zu sagen: „Das geht nicht“? Oder ist die deutsche Rolle, als größte Volkswirtschaft in der Mitte Europas zu sagen: „Wir probieren es immer wieder und wieder“? Wir erleben die Flüchtlingsbewegung in dieser Dramatik noch nicht einmal ein halbes Jahr. Wenn wir eines Tages gefragt werden: „Habt ihr einen EU-Türkei-Gipfel versucht, habt ihr versucht, eure Außengrenzen zu schützen, habt ihr versucht, in Libyen eine Interimsregierung aufzubauen, habt ihr versucht, Hotspots aufzubauen“, und wir antworten: „Ein halbes Jahr hatten wir nicht die Kraft, ein halbes Jahr lang war uns zu lang, wir haben das nicht gemacht“, dann würde ich sagen, dass wir einen Riesenfehler gemacht haben. Das ist das, was nicht geht.
Immerhin haben wir kleine Erfolge, auf denen wir aufbauen können. 160.000 Flüchtlinge, schutzbedürftige Flüchtlinge, sollen aus den Hotspots verteilt werden. Der Aufbau der Hotspots gestaltet sich schwierig, aber es wäre nicht richtig, zu sagen, es geschehe gar nichts. Wir werden von deutscher Seite, von österreichischer Seite, von schwedischer Seite hier auch noch einmal Druck machen. Wir sind im ständigen Gespräch mit der griechischen Regierung. Dafür will ich werben. Ich glaube, wir brauchen die Hotspots; ich bin überzeugt, wir brauchen sie. Sie sind inbegriffen in den Schutz der Außengrenzen.
Aber wer sagt: „Ihr baut jetzt für 50.000 oder vielleicht noch mehr Menschen Unterkünfte; ihr müsst nicht nur registrieren, sondern ihr müsst von dort aus auch die Rückführung vornehmen, wenn die Bleibewahrscheinlichkeit klein ist, und ihr müsst die Verteilung durchführen“ – obwohl Griechenland nicht genau weiß, mit welcher Begeisterung die anderen europäischen Mitgliedstaaten Griechenland die Flüchtlinge abnehmen –, muss bedenken: Nur wenn die innereuropäische Solidarität wirklich sicher ist, wird man mit Engagement und Leidenschaft solche Hotspots in seinem eigenen Land aufbauen. So hängen die Dinge eben sehr eng zusammen, und trotzdem gibt es aus meiner Sicht dazu keine vernünftige Alternative. Deshalb werden wir mit Hochdruck daran arbeiten.
Natürlich haben wir nationale Aufgaben. Auch da muss man im Übrigen feststellen, dass wir vieles in ziemlich kurzer Zeit zustande gebracht haben. Was leitet uns dabei? Dabei leitet uns der Grundsatz, dass die, die bei uns Schutz bekommen müssen – nach der Genfer Flüchtlingskonvention, die allerwenigsten ja nach dem Asylrecht, oder nach dem subsidiären Schutz –, von uns eine Bleibeperspektive bekommen, und zwar je schneller, umso besser, um dann auch die notwendigen Integrationsschritte einleiten zu können.
Aber die Bürgerinnen und Bürger sagen mit Recht auch: Wenn wir ein Rechtsstaat sind, wenn wir ein großzügiges Asylrecht haben, wenn wir die Genfer Flüchtlingskonvention einhalten wollen, wenn wir subsidiären Schutz geben, wenn wir auch noch viele Duldungen ermöglichen, dann erwarten wir aber auch, dass diejenigen, die in einem ebenso rechtsstaatlichen Verfahren als Bewerber auf einen Schutzstatus abgelehnt wurden, das Land wieder verlassen müssen, damit die, die Schutz brauchen, diesen Schutz von uns bekommen.
Darum drehen sich viele unserer Maßnahmen. Denn die Menschen werden sagen: Okay, wenn schon bestimmte rechtliche Vorschriften an der Außengrenze nicht eingehalten werden können, dann erwarten wir doch wenigstens, dass in Deutschland das, was zur Ordnung und Steuerung getan werden kann, getan wird.
Deshalb war der Schritt richtig, dafür zu sorgen, dass Herr Weise das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit leitet. Das ist nicht nur deshalb richtig, weil die Bearbeitungsprozesse jetzt beschleunigt werden können, da die Bundesagentur für Arbeit aus der Zeit von fünf Millionen Arbeitslosen über große Fähigkeiten und auch Erfahrungen verfügt, wie man mit einer großen Zahl von Menschen solche Prozesse vernünftig organisiert, sondern auch, weil wir damit sicherstellen, dass der Weg für die, die einen Schutzstatus haben, in die Integration in den Arbeitsmarkt sehr gut funktionieren kann, weil wir hier keine Doppelarbeit mehr machen. Ich bin sowohl Thomas de Maizière als auch Andrea Nahles sehr dankbar, dass sie ohne die üblichen Fragen „Was ist meins, was ist deins, und was könnte mir verloren gehen?“ diesem Schritt zugestimmt haben. Das war ein Beispiel für tolle, schnelle und wirklich effiziente Politik.
Alle unsere Maßnahmen, die wir jetzt ergriffen haben und die wir noch umsetzen werden, haben im Grunde das Ziel, eine schnellere Abarbeitung der Asylanträge zu ermöglichen. Sie haben das Ziel, Kommunen, Bund und Ländern eine Verantwortungsgemeinschaft zu geben, so wie wir es jetzt mit der Übernahme von Kosten bei der Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes gemacht haben. Damit ist der Bund in einer völlig neuen Verantwortung, wie er sie im Zusammenhang mit Asylbewerbern nie hatte. Wir haben materielle Anreize verringert, die dazu beitragen könnten, dass Flüchtlinge hierbleiben und versuchen, immer wieder Gründe dafür zu finden, dass sie nicht ausreisen müssen. Wir haben deutliche Erfolge bei der Rückführung der Flüchtlinge des westlichen Balkans. Wir haben jetzt die ersten Rückführungen auf der Grundlage des Laissez-Passer-Verfahrens vorgenommen. Das heißt, auch wenn Pässe nicht da sind, kann eine Rückführung erfolgen. Die Balkanstaaten haben ihre Bereitschaft zur Aufnahme erklärt. Wir haben als Bund die Verantwortung übernommen und haben gesagt: Bei den Rückführungen der abgelehnten Asylbewerber wird der Bund die Passangelegenheiten regeln, weil es für die Länder zum Teil natürlich schwer ist, jeweils Pässe von Ländern wie Burkina Faso oder Bangladesch zu besorgen. All das sind notwendige Maßnahmen, genauso wie die Beschleunigung der Asylverfahren notwendig sind.
Ich denke, nachdem Bundestag und Bundesrat das Asylpaket I in einem ziemlich guten Tempo beschlossen haben, werden wir uns in den nächsten Tagen auch auf das Asylpaket II, dem wir noch einige Maßnahmen hinzufügen werden, einigen können; denn auch hiermit werden wichtige Dinge geregelt.
Wir müssen schon über diese Fragen sprechen. Es ist ein Unterschied, ob man 30.000 Asylbewerber hat oder 800.000. Es muss geklärt werden: Wer braucht den Schutz, und wer muss unser Land wieder verlassen?
Deshalb ist noch etwas ganz wichtig: Es wäre ein geradezu tolles Beispiel föderaler Zusammenarbeit, wenn es gelingen würde, einen einheitlichen Flüchtlingsausweis zu haben, den der Flüchtling immer wieder vorzeigen kann – beim Antrag in der Kommune, bei Landesangelegenheiten und bei Fragen des BAMF, bei den Gerichten und bei der Bundesagentur für Arbeit –, sodass nicht doppelt, dreifach, vierfach und fünffach Registrierungen erfolgen. Das wäre vernünftig. Dass wir erst eine Flüchtlingskrise brauchen, um so etwas zu schaffen, gehört auch zu den Besonderheiten Deutschlands. Da sieht man: In Krisen können auch Chancen liegen. Das, glaube ich, wird uns auch später noch bewusst werden.
Natürlich ist da noch das Thema der Integration. Wenn in Syrien einmal Frieden wäre, dann würden viele derer, die heute einen Aufenthaltsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention haben, auch wieder zurück in ihre Heimat gehen. Ich plädiere auch dafür, dass wir ihnen nicht einreden, dass sie das nicht tun sollten; denn die Idee, dass man auf der Welt nur in Deutschland gut leben kann, wird von den sieben Milliarden Weltenbürgern nicht geteilt. Das geht von ganz einfachen Fragen des Klimas bis hin zu Ausbildung, Verwandtschaft, Bekanntschaft und Freunden – niemand verlässt leichtfertig sein Land. Wenn die Bedingungen, in dieses Land zurückzukehren, wieder gegeben sind, dann haben wir und die Flüchtlinge einen Riesenerfolg gemeinsam erreicht. Deshalb gilt der Aufenthaltsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention auch erst einmal nur für drei Jahre. Aber wir wissen nicht, wie die Zukunft ist, und deshalb plädiere ich dringend dafür, schnell mit der Integration zu beginnen; denn alles, was man hier lernt, kann man in jedem Leben nutzen – sowohl bei uns als auch in Syrien.
Ich sage ganz ausdrücklich: Wir machen Angebote zur Integration. Gemessen an dem, was sonst auf der Welt bezüglich der Integration von Flüchtlingen passiert, können wir, würde ich mal sagen, stolz auf das sein, was wir anbieten: Integrationskurse, Sprachkurse, Einarbeitung in die Arbeitswelt, Praktika und vieles andere mehr. Ich bedanke mich auch bei der deutschen Wirtschaft, dass sie ihre Bereitschaft, sich diesem Thema zu öffnen, von Anfang an ganz offen gezeigt hat.
Aber wir müssen auch sagen: Wir erwarten von den Menschen, die zu uns kommen, die bei uns Schutz bekommen, dass sie – das steht im Übrigen schon in der Genfer Flüchtlingskonvention – unsere Werteordnung, unsere gesetzliche Ordnung akzeptieren und dass sie auch ihren aktiven Beitrag dazu leisten, sich im Land zu integrieren. Die Sprache hat dabei einen zentralen Wert. Diese Erwartung müssen und dürfen wir auch klar aussprechen.
Dass wir die Flüchtlingsaufgabe stemmen können, hängt auch damit zusammen, dass wir in den letzten Jahren gut gewirtschaftet haben. Dass es trotz einer solchen Aufgabe, trotz völlig neuer Aufgaben des Bundes möglich ist, jetzt hier im November einen Haushalt für 2016 zu beschließen, der weiterhin ein ausgeglichener Haushalt ist, das spricht für unsere wirtschaftliche Stärke, und das spricht dafür, dass man gut wirtschaften soll, um nicht voraussehbare oder nicht vorhergesehene Aufgaben meistern zu können.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat gestern gesagt: Wir werden im nächsten Jahr natürlich ein Stück auf Sicht fahren. – Aber das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts, im Übrigen keine Eintagsfliege, sondern jetzt zum dritten Mal hintereinander geschafft, ist etwas, was wir nicht aufgeben sollten. Das sage ich ganz klar.
Wenn es sachliche Gründe gibt, darf man sich nie einmauern, aber man darf jetzt auch nicht so tun, als ob die Flüchtlingsaufgabe ein guter Grund ist, von allen Grundsätzen von früher abzuweichen. Das wird sicherlich noch manche Diskussion erfordern.
Wir haben eine Rekordbeschäftigung von 43,4 Millionen. Wir haben einen Rekord bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Wir haben ihn – das sage ich auch mit Blick auf meine eigenen Befürchtungen; daraus mache ich gar keinen Hehl – trotz des Mindestlohns, und das ist eine gute Bilanz. Dass wir die geringste Zahl von jugendlichen Arbeitslosen haben, ist auch gut.
Trotzdem dürfen wir auch angesichts der Tatsache der Flüchtlinge die 2,79 Millionen Arbeitslosen in Deutschland nicht vergessen, und das kann uns nicht ruhen lassen. Gerade den vielen, die unter 30 oder auch unter 35 sind, können wir nicht sagen: Passt mal auf, die einzige Möglichkeit, die wir für euch noch im Blick haben, sind viele Jahre Hartz IV. – Deshalb unterstütze ich alle Bemühungen, auch das nicht aus dem Blick zu nehmen und immer wieder zu schauen, wie wir Menschen helfen können, in den Arbeitsprozess zu kommen, die schon lange bei uns leben.
Wir müssen jetzt natürlich auch aufpassen – das haben wir oft besprochen –, dass wir nicht Konkurrenzen zwischen denen bekommen, die den Weg in den Arbeitsmarkt bei uns über Jahre nicht gefunden haben, und denen, die Flüchtlinge sind. Das ist auch ein Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden. Deshalb müssen die Anstrengungen bei denen, die schon viele Jahre bei uns sind, im Grunde genauso verstärkt werden, wie die Anstrengungen bei der Integration der Flüchtlinge.
Angesichts der großen Aufgaben, die wir haben und die uns täglich beschäftigen, geraten Dinge, die sonst geradezu revolutionär gewesen wären, etwas in den Hintergrund. Ich will an dieser Stelle nur an all die Maßnahmen erinnern, die wir im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung unternommen haben: die beiden Gesetze, den neuen Pflegebegriff – ein jahrelanges Projekt –, die Frage der Verbesserung der Palliativmedizin – nach der neulich sehr beeindruckenden Diskussion natürlich auch im Zusammenhang mit Sterbehilfe – und natürlich auch die Maßnahmen, die wir im Bereich des Krankenhauses unternommen haben; also alles Dinge, die unsere soziale Absicherung noch einmal zukunftsfester machen und die auf die Aufgaben aufgrund des demografischen Wandels eingehen.
Erinnern will ich auch an die Beschlüsse – darüber haben wir neulich gerade mit Herrn Gabriel im Kabinett gesprochen –, die wir zur Energie- und Klimawende gefasst haben. Über all diese Energiebeschlüsse hätten wir sicherlich kontrovers diskutiert. Aber sie wären sozusagen ein ganz anderes Thema gewesen, weil wir hier in der Tat die Wende zu einer neuen Energiepolitik, aber auch die Annäherung an marktwirtschaftliche Mechanismen im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energien sehr stetig, sehr beständig vollziehen. Wir werden ja im nächsten Jahr noch einmal einen schönen Kraftakt haben, wenn es um die nächste Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und um die Ausschreibung der zukünftigen Volumina geht. Das wird sicherlich noch eine harte Aufgabe werden.
Wir haben eine anspruchsvolle digitale Agenda, bei der wir vorangekommen sind. Wir haben – allen Augurenrufen zum Trotz – die Frequenzen versteigert. Das war gar nicht so einfach, und es war nicht absehbar, ob das so schnell gelingt. Wir haben damit Fördermittel für den Ausbau der Breitbandanbindung. Wenn man vor ein, anderthalb Jahren noch gefragt hat: „Wird Alexander Dobrindt es schaffen, dass wir unser Ziel, 50 MBit pro Sekunde bis 2018, wirklich erreichen?“, so redet man heute darüber, dass wir mehr brauchen. Okay. Aber keiner fragt mehr, ob wir das schaffen, und das ist doch auch einmal eine gute Botschaft.
Wir haben unser Wort gehalten bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Wir liegen mit 14,5 Milliarden Euro in 2015 in der Spitzengruppe der Europäischen Union. Jeder spürt ja, dass die Entwicklung eines verlässlichen Deutschlands in der gesamten Forschungslandschaft viele Forscher aus dem Ausland wieder zu uns gebracht hat, sowohl im außeruniversitären Bereich als auch im universitären Bereich.
An der Stelle will ich dann doch noch sagen – Eckhardt Rehberg hat es bei der gestrigen Debatte über den Finanzhaushalt sehr ausführlich gemacht –: Unser Beitrag dort, wo es notwendig ist und wo unsere Bundesziele betroffen sind, dass zum Beispiel universitäre Forschung nicht absackt gegenüber außeruniversitärer Forschung, indem wir dann das BAföG übernommen haben, unsere Beiträge zur Unterstützung von Kommunen und Ländern sind so groß wie bei keiner Bundesregierung zuvor.
Da ich weiß, dass es ja immer weitere Forderungen geben wird, will ich sagen: Wir können erst einmal stolz sein auf das, was wir machen, und sollten uns da wirklich den Schneid nicht abkaufen lassen. Es ist unglaublich, was da ging.
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, wieder eine Rückkehr zu einem globalen Thema. Am Montag beginnt in Paris die Klimakonferenz. Die Frage, wie wir mit dem Klimawandel umgehen, wie wir ihn bewältigen, inwieweit wir eine Hoffnung haben auf die Einhaltung des Ziels, dass die Erderwärmung nicht größer als zwei Grad ist, wird für zukünftige Generationen viel zum Umgang mit der Frage von Flucht und Fluchtursachen beitragen.
Wir haben eine Konferenz in Paris, die gut vorbereitet ist, besser als die in Kopenhagen. Ich möchte Frau Hendricks und ihrem Team danken. Wenn ich mit dem französischen Präsidenten spreche, wird immer wieder auch gesagt, wie gut wir hier deutsch-französische Zusammenarbeit ganz praktisch zeigen. Ich möchte auch dem Entwicklungsminister für seine Beiträge im Zusammenhang mit dem Klimaschutz danken. So wird jetzt auf dieser Pariser Konferenz 14 Tage lang sehr intensiv darüber gesprochen, ob es einen Pfad gibt, den wir dort einschlagen können und der uns glaubwürdig hin zur Erreichung des Zwei-Grad-Zieles führt.
Wir haben Abstriche machen müssen, wenn man das Kioto-Protokoll als durchgehend völkerrechtlich verbindlichen Plan mit verbindlichen Reduktionszielen sieht. Im Gegenzug haben wir aber doch bemerkenswerte Verpflichtungen von etwa 130 Ländern – ich kenne die im Moment aktuelle Zahl nicht –, die jetzt ihren Beitrag zum Klimaschutz der Öffentlichkeit präsentieren. Der bemerkenswerteste dabei ist vielleicht der chinesische: Das erste Schwellenland macht hier deutlich, dass es bereit ist, seine CO2-Emissionen zu reduzieren. Das zielt auf das Jahr 2030; das ist noch lange hin. Aber immerhin – ich denke nur einmal an die Diskussionen vor zehn Jahren, als es noch einen unglaublichen Gegensatz zwischen Industrie- und Schwellenländern gab –, sehen wir da Fortschritte. Jetzt müssen wir es schaffen, völkerrechtlich verbindlich einen Überprüfungsmechanismus zu verabreden, damit glaubwürdig vermittelt werden kann, dass dieses Jahrhundert ein Jahrhundert der schrittweisen Dekarbonisierung ist.
Deutschland wird sich hier intensiv einbringen. Ich hoffe auf einen Erfolg dieser Klimakonferenz. Sie könnte auch ein wunderbares Signal gegen Terror, gegen Krieg und zur Bekämpfung der Fluchtursachen sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selten haben wir so hautnah erlebt, wie unser eigenes deutsches Handeln und Tun in eine globale Welt eingebettet ist. Dieses Jahr hat uns in umfänglicher Weise bewusst gemacht: Wir leben in einer gemeinsamen Welt. Wir können, wenn jeder seinen Beitrag leistet, in Zusammenarbeit die Probleme bewältigen. – Ich bin davon überzeugt, oder andersherum: Wir schaffen das. Aber es wird vieler Anstrengungen bedürfen und auch eines hohen Maßes an neuem Denken.