Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz

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Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Mit großer Tapferkeit und Durchhaltevermögen kämpfen die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine für ihre Heimat. Putins Offensive steckt fest, trotz aller Zerstörung, die sie Tag für Tag anrichtet. Und wir sowie unsere Freunde und Partner halten zusammen. Ich habe noch die Worte im Ohr, die Präsident Selenskyj letzte Woche hier gesprochen hat: „Es ist schwer für uns, ohne die Hilfe der Welt zu bestehen.“ Deshalb sage ich heute ganz klar: Präsident Selenskyj, die Ukraine kann sich auf unsere Hilfe verlassen.

Seit Kriegsbeginn liefert Deutschland Panzer- und Luftabwehrwaffen, Ausrüstung und Munition an die Ukraine. Die Europäische Union stellt zusätzlich ein Milliarde Euro an Militärhilfe bereit. Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern haben wir Sanktionen verhängt, die ihresgleichen suchen. Über Monate hinweg haben wir sie bis ins kleinste Detail vorbereitet, damit sie die Richtigen treffen, damit sie wirken. Weltweit haben wir für Unterstützung geworben. Mein ganz besonderer Dank gilt dafür der Außenministerin Annalena Baerbock.

Und wir sehen: Die Sanktionen wirken. Russlands Wirtschaft wankt, die Börse ist weitgehend geschlossen, die Währung ist abgestürzt, es fehlen Devisen, ausländische Unternehmen verlassen zu Hunderten das Land. Doch das ist erst der Anfang. Viele der härtesten Folgen werden sich erst in den kommenden Wochen zeigen. Und: Wir schärfen die Sanktionen ständig nach.

Natürlich höre ich die Stimmen derjenigen, die eine Flugverbotszone oder Nato-Friedenstruppen in der Ukraine fordern. So schwer es fällt: Wir werden dem nicht nachgeben. In fast 80 Jahren Nachkriegsgeschichte haben wir das Unvorstellbare erfolgreich vermieden: eine direkte militärische Konfrontation zwischen unserem westlichen Verteidigungsbündnis, der Nato, und Russland. Dabei muss es bleiben.

Viele Bürgerinnen und Bürger machen sich große Sorgen, weil sie verstehen, dass sich genau dies hinter Begriffen wie „Flugverbotszone“ und „Friedenstruppen“ verbirgt. Tag für Tag erreichen mich Hunderte besorgter Briefe und E-Mails. Überall, wo man derzeit mit Bürgerinnen und Bürgern spricht, begegnet einem früher oder später die Frage: Wird es Krieg geben, auch hier bei uns? Auf diese Frage kann es nur eine Antwort geben: Die Nato wird nicht Kriegspartei. Da sind wir uns mit unseren europäischen Verbündeten und den Vereinigten Staaten einig. Das ist ein Gebot der Vernunft. Alles andere wäre unverantwortlich.

Über Jahrzehnte hinweg ist unsere Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas aus Russland gewachsen. Ja, wir werden diese Abhängigkeit beenden, so schnell, wie das nur irgendwie geht. Das aber von einem Tag auf den anderen zu tun, hieße, unser Land und ganz Europa in eine Rezession zu stürzen. Hunderttausende Arbeitsplätze wären in Gefahr. Ganze Industriezweige stünden auf der Kippe. Zur Wahrheit gehört auch: Schon die jetzt beschlossenen Sanktionen treffen viele Bürgerinnen und Bürger hart, und zwar bei Weitem nicht nur an der Zapfsäule. Sanktionen dürfen die europäischen Staaten nicht härter treffen als die russische Führung; das ist unser Prinzip. Niemandem ist damit gedient, wenn wir sehenden Auges unsere wirtschaftliche Substanz aufs Spiel setzen. Das sehen im Übrigen auch unsere Freunde und Partner so, mit denen wir diesen gemeinsamen Kurs von Beginn an so abgesteckt haben.

Die Bilder, die uns Tag für Tag aus der Ukraine erreichen, sind kaum auszuhalten. Bilder von zerstörten Wohnungen, zerbombten Krankenhäusern und belagerten Städten, von toten Soldaten und immer mehr getöteten und verletzten Zivilisten, von Frauen und Kindern, die mit dem wenigen, was sie einpacken konnten, vor Putins Bomben, Panzern und Raketen fliehen. Zugleich haben sie bei uns im Land und überall in Europa eine überwältigende Welle des Mitgefühls und der Solidarität ausgelöst. Hilfsorganisationen berichten, dass die Spendenbereitschaft in Deutschland noch nie so hoch war. Zehntausende haben den Fliehenden nicht nur ihre Herzen geöffnet, sondern auch ihre Häuser und Wohnungen. Vor allem Länder wie Polen, Tschechien, die Slowakei, Moldau, Rumänien oder Ungarn leisten Außerordentliches. Das ist ein Lichtblick in diesen dunklen Tagen. Und für diese Hilfsbereitschaft, für diese Offenherzigkeit sage ich den Bürgerinnen und Bürgern hier bei uns und in ganz Europa von ganzem Herzen Danke.

Rechtlich schafft die EU-Richtlinie, die allen Geflüchteten aus der Ukraine vorübergehenden Schutz gewährt, Klarheit. Das ist gut so. Praktisch aber stehen wir vor einer gewaltigen Aufgabe. Ich bin dankbar, dass Innenministerin Nancy Faeser sie entschlossen anpackt. Herzlichen Dank dafür!

Es ist die Pflicht und Schuldigkeit aller – Bund, Länder und Gemeinden –, im Sinne der Sache zusammenzuarbeiten, anstatt erst einmal lange über Verantwortlichkeiten zu debattieren. Deshalb bin ich froh, dass wir uns bei der Ministerpräsidentenkonferenz letzte Woche geeinigt haben, die offenen Fragen gemeinsam bis zum 7. April zu klären. Und ich bin froh, dass alle Staats- und Regierungschefs der EU vor zwei Wochen in Versailles die Bereitschaft ihrer Länder bekräftigt haben, Flüchtlinge aufzunehmen und ihre Nachbarn zu entlasten. Daran müssen wir uns jetzt alle halten.

Noch ist völlig unklar, wie viele Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine bei uns Zuflucht suchen werden. Wir wissen nur: Es werden viele sein. Noch lässt sich nicht abschätzen, wie groß der Bedarf an humanitärer Hilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau in der Ukraine sein wird oder welche Verwerfungen der Krieg weltweit verursacht. Schon jetzt warnen die Vereinten Nationen vor Hunger und Instabilität aufgrund steigender Lebensmittelpreise. Klar ist nur: Die Flüchtlinge sind hier bei uns willkommen.

Deutschland wird helfen, hier bei uns, in Europa und in der Welt. Die Bundesregierung ist dazu bereit, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Ich bin Finanzminister Christian Lindner sehr dankbar, dass er in den kommenden Wochen einen Ergänzungshaushalt ausarbeiten wird, um unser Land durch diese schwere Zeit zu bringen.

Noch etwas ist mir wichtig: Wir werden nichts unversucht lassen, bis wieder Frieden herrscht auf unserem Kontinent. Mit Präsident Selenskyj habe ich mich immer wieder über die Lage und die nächsten Schritte ausgetauscht. Und auch mit Präsident Putin habe ich in den vergangenen Tagen oft, lange und intensiv gesprochen. Putin muss die Wahrheit hören über den Krieg in der Ukraine, und diese Wahrheit lautet: Der Krieg zerstört die Ukraine; aber mit dem Krieg zerstört Putin auch Russlands Zukunft. Die Waffen müssen schweigen, und zwar sofort!

Ob die laufenden Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum Erfolg führen, vermag heute niemand zu sagen. Noch steht der Beweis aus, dass es Putin dabei nicht nur um einen Diktatfrieden geht. Eins aber steht vollkommen außer Frage: Über die Ukraine verhandeln die Ukrainerinnen und Ukrainer, ihr Präsident und seine Verhandlungsdelegation und niemand sonst! Alles aber, was wir zur Unterstützung der Ukraine bei der Suche nach einer politischen Lösung beitragen können, werden wir tun. Dass wir Europäer dabei eine zentrale Rolle übernehmen, halte ich für ganz entscheidend, und zwar nicht nur, weil sich der Krieg in der Ukraine geografisch vor unserer Haustür abspielt. Es geht um europäische Werte: um Demokratie und Freiheit und die Stärke des Rechts. Diese Werte zu erhalten und zu verteidigen, darin liegt die zentrale Aufgabe unseres Staates.

Auch hier wirkt der Krieg im Osten Europas wie ein Brennglas, weil er uns zu vermeintlich neuen, in Wahrheit aber längst überfälligen Schwerpunktsetzungen bringt. Ich spreche von der Entscheidung, deutlich mehr in unsere eigene Sicherheit und Verteidigung zu investieren. Sicherheit heißt, uns europäisch und transatlantisch so aufzustellen, dass wir uns gegen alle Angriffe verteidigen können. Das bedeutet europäische Souveränität, gerade in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, im Einklang mit der Nato. Deutschland wird dazu beitragen. Darin liegt eine nationale Kraftanstrengung für alle demokratischen Kräfte. Wir wollen daher ganz bewusst ein „Sondervermögen Bundeswehr“ errichten und in unserer Verfassung verankern. Die Ausplanung ist schon fortgeschritten; und dafür bin ich Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sehr dankbar.

Danken möchte ich auch allen, die bereit sind, diesen Weg mitzugehen, ganz ausdrücklich auch Ihrer Fraktion, lieber Herr Merz. Über die Ausgestaltung werden wir weiter miteinander reden im Sinne der Sache, im Sinne der Sicherheit unseres Landes und der Bürgerinnen und Bürger. Es ist völlig in Ordnung, dass Sie hier und an anderer Stelle dazu Ihre Vorstellungen formulieren; es soll eine gemeinsame Sache werden, die wir für unser Land tun.

Vier Ziele werden wir mit dem Sondervermögen erreichen.

Erstens: Alle Investitionen kommen, abgesichert im Grundgesetz, einem klaren Zweck zugute: unserer Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit.

Zweitens: Wir schaffen langfristige Planungssicherheit und Verlässlichkeit, die gerade für die anstehenden Großvorhaben notwendig sind.

Drittens: Wir behalten die Tragfähigkeit unserer Finanzen im Blick, einschließlich der Schuldenregel des Grundgesetzes und der Maastricht-Kriterien.

Und das Wichtigste – Viertens: Die längst überfälligen Investitionen in Verteidigung und Sicherheit gehen nicht zulasten der dringend nötigen Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft oder zulasten guter, zukunftsfähiger Arbeitsplätze, bezahlbarer Energie, fairer Renten und eines leistungsfähigen Gesundheitssystems. Denn machen wir uns nichts vor: Der Klimawandel schreitet immer weiter voran. Die Coronapandemie ist noch nicht vorbei, und die Digitalisierung hat sich in den vergangenen zwei Jahren noch einmal rasant beschleunigt mit Auswirkungen auf unseren Staat, unsere Unternehmen und jede und jeden von uns.

Ja, wir brauchen einen Staat, der für Stabilität und Sicherheit sorgt – gerade jetzt. Aber zugleich brauchen wir einen Staat, der in die Zukunft investiert, der an der Seite der Bürgerinnen und Bürger steht. Das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, das ist unser Anspruch. Wir können beides, weil Deutschland gut dasteht, auch im internationalen Vergleich. Und wir leisten beides, weil wir einen klaren Plan für dieses Land und für seine Zukunft haben.

Angesichts der enormen Herausforderungen, die vor uns liegen, will ich gar nicht auf alle Politikfelder eingehen, in denen wir die Weichen auf Aufbruch stellen. Drei große Themen aber will ich herausgreifen, weil sie die Bürgerinnen und Bürger ganz besonders beschäftigen.

Erstens: die Energie- und Klimapolitik. Ich habe den Zielkonflikt schon beschrieben, vor dem wir hier stehen. Wir müssen einerseits dringend unabhängig werden von russischem Öl und Gas, ja, von fossilen Energieträgern insgesamt. Und andererseits brauchen wir verlässliche und bezahlbare Energie. Kurzfristig heißt das: Wir sichern uns zusätzliche Kapazitäten für Kohle, Gas und Öl. Dafür bin ich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sehr dankbar.

Wir diversifizieren unsere Lieferquellen, und zwar schon in den kommenden Monaten. Dabei setzen wir auf die vorhandenen Flüssiggasterminals an der westeuropäischen Küste, und wir werden sehr viel schneller als bisher eigene LNG-Terminals bauen. Und schließlich arbeiten wir an einem Gesetz, das die großen Energiekonzerne verpflichtet, ihre Speicher mit bestimmten Mindestmengen zu füllen.

Parallel dazu entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen. Ein erstes Paket im Umfang von über 15 Milliarden Euro werden wir in den kommenden Tagen noch einmal deutlich aufstocken. Der Heizkostenzuschuss wird verdoppelt, und auch bei den gestiegenen Kosten für Mobilität werden wir die Bürgerinnen und Bürger zusätzlich entlasten.

Auch beim Europäischen Rat morgen und übermorgen wird es um eine besser integrierte europäische Energiepolitik gehen, um ein gemeinsames Vorgehen gegen Versorgungsengpässe. Und auch über die hohen Preise und spekulativen Exzesse werden wir sprechen. Ich sage aber auch ganz offen: Ein Aushebeln von Marktmechanismen oder Dauersubventionen – gerade von fossiler Energie – wird es nicht geben. Fiskalisch wäre so etwas nicht durchzuhalten, und ökologisch würden völlig falsche Anreize gesetzt.

Über die kommenden Monate hinausgedacht, gibt es daher nur eine nachhaltige Antwort auf Energieabhängigkeit und hohe Energiepreise: erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Unser Ziel – Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 – ist heute wichtiger denn je. Ich hoffe, dass wir nun wirklich alle an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, Genehmigungsverfahren für neue Windparks und Photovoltaikanlagen, Energietrassen und Speicher deutlich zu beschleunigen und Energie effizienter zu nutzen. Nicht „Jetzt mal langsam!“, sondern „Jetzt erst recht!“ – so lautet die Devise.

Bewegung wollen wir auch in die internationale Klimapolitik bringen. Unser Ziel als Vorsitz der wirtschaftsstarken Demokratien der Welt, der G7, ist ein offener, kooperativer Klimaklub. Es geht darum, mit den Ambitionierten gemeinsame Standards für klimafreundliches Wirtschaften zu etablieren, anstatt auf die Langsamsten zu warten. So entsteht ein Markt, der Klimaschutz belohnt, anstatt ihn zum Standortnachteil zu machen.

Der zweite Aspekt, den ich ansprechen möchte, ist unser Weg aus der Coronapandemie. Seit Deutschland vor ziemlich genau zwei Jahren zum ersten Mal in den Lockdown gegangen ist, hat kein anderes Thema die Bürgerinnen und Bürger so sehr beschäftigt und belastet. Fast 130.000 Menschen sind seither an Corona verstorben. Viele weitere kämpfen mit den Folgen der Infektion: gesundheitlich, wirtschaftlich und sozial.

Trotz alledem sind wir insgesamt besser durch diese Krise gekommen als viele andere Länder. Das ist kein Zufall. Wir verdanken das den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes: den Pflegekräften in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen, den Ärztinnen und Rettungssanitätern, die seit nun 24 Monaten an vorderster Front gegen das Virus kämpfen – bis zur Erschöpfung und darüber hinaus, den Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen, Erziehern und Eltern, die nervenzehrende Monate hinter sich haben zwischen Unterrichtsausfall, Homeschooling, Homeoffice und Schule unter Pandemiebedingungen, und natürlich auch den Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die sich an die Coronaregeln gehalten haben, die sich haben impfen lassen, die auf vieles verzichtet haben, was unser Leben schön und lebenswert macht. Ich finde, es ist höchste Zeit, ihnen allen dafür noch einmal zu sagen: Danke!

Doch damit ist es nicht getan. Wir werden den Weg aus der Krise solidarisch zu Ende gehen. Deshalb haben wir den Zugang zur Grundsicherung erleichtert, die Wirtschaftshilfen und die Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld verlängert. So ist der deutsche Arbeitsmarkt stabil durch die Pandemie gekommen. Die Wirtschaft kommt langsam wieder in Schwung und kann die vollen Auftragsbücher abarbeiten, auch weil Fachkräfte eben nicht entlassen wurden. Das ist gut – auch mit Blick auf die Belastungen, die der Krieg in der Ukraine für die Wirtschaft mit sich bringt und bringen wird.

In fast allen Staaten um uns herum sind die Coronabeschränkungen inzwischen gelockert oder nahezu komplett aufgehoben worden. Auch der Bundestag hat das Infektionsschutzgesetz letzte Woche angepasst. Es ermöglicht weitere Lockerungen. Die Länder erhalten aber zugleich die Möglichkeit, Einschränkungen in Kraft zu setzen, wenn die Lage das erfordert. Als Bundesregierung bleiben wir umsichtig; denn nichts wäre schlimmer, als die mühsam erreichten Erfolge aufs Spiel zu setzen. Für mich heißt das vor allem: Wir werden alles dafür tun, dass eine neue Infektionswelle unser Land im Herbst nicht wieder zum Stillstand bringt – dann vielleicht mit einer Virusvariante, die viel gefährlicher ist als Omikron.

Um ein solches Déjà-vu zu vermeiden, brauchen wir die Impfnachweispflicht. Ich bitte Sie alle: Lassen Sie uns diesen Schritt in den nächsten Wochen gemeinsam gehen! Er führt uns aus der Pandemie. Wir alle sind Teil einer Gesellschaft, und in einer Gesellschaft erfordert Freiheit für alle auch Solidarität von allen. Dieser Gedanke geht weit über die Pandemie hinaus. Vor uns liegen enorme Aufgaben: die wirtschaftliche Transformation voranbringen, die Klimakrise in den Griff bekommen, demografischen Wandel gestalten, Frieden in Europa sichern. All das wird uns nur gelingen, wenn wir als Gesellschaft solidarisch zusammenhalten.

Gesellschaftlichen Zusammenammenhalt zu stärken, das ist das dritte große Handlungsfeld der Bundesregierung. Die Bürgerinnen und Bürger müssen spüren: Jeder und jede Einzelne zählt. Mein Beitrag, meine Anstrengung wird wertgeschätzt. Zentraler Ausdruck dafür sind faire, anständige Löhne. Darum hat die Bundesregierung auch als eines ihrer ersten Vorhaben die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro auf den Weg gebracht; am 1. Oktober tritt sie in Kraft.

Wenn wir über faire Löhne, auskömmliche Renten, bezahlbare Mieten oder eine gute Absicherung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit reden, dann reden wir nicht über staatliche Geschenke, sondern über den Kitt, der unser Land zusammenhält. Um die enormen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, brauchen wir diesen Zusammenhalt.

Einen Gedanken will ich noch hinzufügen. Alle Herausforderungen, die vor uns liegen, bewältigen wir umso besser, wenn wir sie gemeinsam mit unseren Freunden und Partnern in Europa und der Welt angehen. In diesem Geist kommen morgen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, der Nato und auf meine Einladung hin auch der G7 zu einem außergewöhnlichen Gipfeltreffen in Brüssel zusammen. Auf den Tag genau 65 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge werden wir der Welt zeigen: Wir stehen zusammen. Wir stimmen uns eng ab und entscheiden auch über die nächsten Schritte gemeinsam.

Selten waren die Geschlossenheit der Europäischen Union, der Schulterschluss innerhalb der Nato und die Einigkeit der G7 so groß wie heute. Und ich bin Präsident Biden sehr dankbar, dass er dies mit seiner Reise nach Brüssel unterstreicht. Diese Geschlossenheit bleibt unser größtes Pfund im Einsatz für Frieden, Freiheit und Demokratie. Unsere Bündnisse und Allianzen werden diese Bewährungsprobe bestehen. Mehr noch: Sie werden gestärkt aus ihr hervorgehen. Geschlossen wie nie werden wir in den kommenden Monaten die Verteidigungsfähigkeit der Nato stärken, und geschlossen wie nie werden wir im Europäischen Rat morgen und übermorgen eine neue europäische Sicherheitsstrategie annehmen, den Strategischen Kompass. Damit gehen wir einen weiteren Schritt in Richtung europäischer Souveränität.

Wir erleben gerade, welche Dynamik die Zeitenwende auch auf europäischer Ebene mit sich bringt. Das werden wir nutzen. Wer Sicherheit in Europa will, der kommt gar nicht umhin, die Krisenresilienz der EU deutlich zu stärken, in der Wirtschafts- sowie in der Energiepolitik, aber auch bei neuen Technologien oder im Cyberraum. Und wer mit strategischem Blick auf die Landkarte Europas schaut, der muss doch alles daransetzen, dass wir die Länder des westlichen Balkans unterstützen, damit sie möglichst bald der Europäischen Union beitreten können. Dass wir angesichts der Tragweite solcher Entscheidungen auch unsere Entscheidungsmechanismen innerhalb der EU anpassen müssen, liegt auf der Hand. Auch da möchte ich Bewegung hineinbringen.

Große Krisen sind immer auch ein Anstoß zu Aufbruch und Veränderung. Gerade erleben wir das, trotz oder vielleicht gerade wegen des Schreckens, den der Krieg in der Ukraine auslöst. Politische Weichen werden neu gestellt in Deutschland und Europa. Der Rückhalt in der Bevölkerung dafür ist groß, weil die Bürgerinnen und Bürger spüren: Ohne Frieden ist alles nichts. Freiheit und Demokratie sind plötzlich keine abstrakten Begriffe mehr, sondern etwas, das es zu verteidigen lohnt.

Und überall in unserem Land wird Solidarität sichtbar. Millionen Menschen spenden, sie gehen zu Friedenskundgebungen, sie helfen den Geflüchteten aus der Ukraine. Mir macht das Mut, weil es zeigt, dass wir in der Krise über uns hinauswachsen, weil es zeigt, wie viel Gutes in unserem Land steckt, und weil es zeigt, was wir gemeinsam bewegen können.

Schönen Dank.