Rede des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller,

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Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Föderalismus ist wichtig, aber jetzt geht es um die Zukunftsaufgaben und Herausforderungen dieses Planeten. Alle vier Jahre legt die Bundesregierung ihren Bericht zur Entwicklungspolitik vor. Ich kann Ihnen und auch denen, die draußen zuschauen, sagen: Es ist eines der spannendsten Dokumente. Es lohnt sich, diesen zu lesen.

Die Welt hat sich in diesen vier Jahren dramatisch entwickelt: Kriege in der Ukraine, in Syrien, im Jemen, die Hungerkrise – bis heute aktuell am Horn von Afrika –, die Bevölkerungsentwicklung. Jede Woche kommt eine Stadt wie Berlin, jedes Jahr ein Land wie Deutschland mit 80 Millionen zusätzlich auf den Planeten. Zwischenzeitlich gibt es 65 Millionen Flüchtlinge, davon rund 90 Prozent in den Entwicklungsländern.

Die Digitalisierung ist auch in Afrika angekommen. Wir sind vernetzt. Die Globalisierung, Handelswege und Wertschöpfungsketten machen die Welt zum globalen Dorf.

Die Politik – nicht nur die Entwicklungspolitik – muss sich ändern und hat sich geändert. Das ist zentral: Wir haben reagiert und uns neu aufgestellt.

Entwicklungspolitik ist heute nicht mehr Randthema. Das mögen Sie auf den Tribünen vielleicht noch anders sehen, weil der Entwicklungsminister auf der Regierungsbank ganz hinten im Eck "drangeklebt" ist. Aber das werden wir in der neuen Legislaturperiode ändern, lieber Volker Kauder. Die Entwicklungspolitik gehört in die Mitte, ins Zentrum – auch im Kabinett.

Sie fragen natürlich zu Recht: Was passiert? Gibt es Erfolge? – Ja, ich kann Ihnen sagen: Wir haben mit dem Klimavertrag von Paris im Jahre 2015 weltweit den Durchbruch erzielt. Mit der Agenda 2030 haben wir einen Zukunftsvertrag, mit dem wir die globale Entwicklung in den Grenzen unseres Planeten gestalten können. Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern es gibt jetzt ein Umsetzungsproblem. Es geht darum, diese Vorgaben in nationale Politik umzusetzen.

Diesen Paradigmenwechsel hin zu einer gemeinsamen Zukunftspolitik gestaltet Deutschland. Federführend gehen wir voraus. Zwischenzeitlich sind wir unter den 195 Nationen weltweit der zweitgrößte Geber nach den USA.

Daran sehen Sie: Die Bundesregierung hat den Stellenwert der Entwicklungspolitik neu definiert und sie entscheidend aufgewertet. Dafür gilt mein ganz besonderer Dank unserer Bundeskanzlerin und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen – und zwar aller Fraktionen. Die einen wollen noch viel mehr – dazu gehöre ich auch –, die anderen bremsen ein Stück weit. Aber auch hier werden wir in der neuen Legislaturperiode zusätzliche Akzente setzen müssen.

In dieser Legislaturperiode ist der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) um 35 Prozent gestiegen. Während der Kanzlerschaft von Angela Merkel hat sich der absolute Ansatz verdoppelt. Das 0,7-Prozent-Ziel ist erstmals erreicht. Es gilt natürlich, das auch für die Zukunft zu halten, auch wenn die Aufwendungen für Flüchtlinge einmal weniger werden.

Aber ich sage auch: Für Europa – die Europäische Union, unsere Freunde –, aber auch für die USA sollte klar sein: Wer das Zwei-Prozent-Ziel bei den Militärausgaben anstrebt, muss erst einmal das 0,7-Prozent-Ziel bei der Entwicklungshilfe umsetzen. Mehr Panzer schaffen nicht mehr Frieden. Dafür müssen sich auch einbringen: die Chinesen, die Russen, die arabische Welt und alle anderen. Es ist nicht hinnehmbar, dass acht Länder auf der Welt 90 Prozent des Hilfsvolumens zur Verfügung stellen und die anderen wegsehen.

Wir können stolz darauf sein, was wir alle gemeinsam in dieser Legislaturperiode geleistet haben. Dabei freue ich mich besonders, dass der Stellenwert unserer Aufgabe heute ein anderer ist.

Das zeigt sich nicht nur am Aufwuchs im Haushalt. Unsere Themen sind auch Schwerpunkt der internationalen Agenda. Denken Sie an den G7- und an den G20-Gipfel. Mein Dank gilt hier besonders unserer Kanzlerin. Sie handelt national und gestaltet global. Ihr Herz schlägt auch für Afrika.

Ebenso erhalte ich große Unterstützung vom Finanzminister. Wolfgang Schäuble setzt jetzt gemeinsam mit dem BMZ mit der Initiative "Compact with Africa" einen ganz neuen Akzent. Unser Marshallplan-Konzept findet nicht nur hier Unterstützung, sondern auch bei der Afrikanischen Union, im Europäischen Parlament in Brüssel, wo es in dieser Woche Thema ist, und in den einzelnen Ressorts. Wichtig ist mir: Wir beschreiben nicht nur Probleme und Herausforderungen, wir haben Lösungen.

Ich möchte Ihnen das kurz andeuten:

Wir bekämpfen das Kriegs- und Flüchtlingselend. In den vergangenen vier Jahren haben wir zwölf Milliarden Euro in den Krisengebieten der Welt – vor Ort – investiert. Damit haben wir Überleben gesichert und Kindern – allein in und um Syrien herum waren es eine Million Kinder – Schulbesuch und Ausbildung ermöglicht. In der Türkei wurden 8.000 Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet, um in den Flüchtlingscamps zu unterrichten. Wir haben Beschäftigung geschaffen. Das Programm "Cash for Work" erleichtert eine Rückkehr. Auch den Wiederaufbau haben wir eingeleitet.

Eine Welt ohne Hunger ist möglich. Das ist keine Vision. Hunger ist Mord, weil wir eine Welt ohne Hunger schaffen können. Wir zeigen, wie es geht. Wir reden nicht nur. Die 14 Innovationszentren in Afrika und Indien zeigen, wie wir die Nahrungsmittelproduktion steigern können.

Wir investieren in nachhaltige Klima- und Umweltkonzepte. Ich habe vergangene Woche in China mit dem chinesischen Handelsminister ein gemeinsames Zentrum für nachhaltige Entwicklung auf den Weg gebracht. Mit Indien werden wir demnächst hier in Deutschland Verträge unterzeichnen, um die Solarpartnerschaft weiter voranzubringen.

Mit Projekten in Höhe von 1,5 Millionen Euro liegt unser Schwerpunkt in Afrika. Der Marshallplan zeigt die Herausforderung, aber auch die Lösungswege. Wir stärken Frauen. Wir stärken die Bildung und sind bei der Bildung größter bilateraler Geber. Mein Ziel ist, 25 Prozent des Etats für Bildung bereitzustellen. Bildung, Bildung, Bildung ist die Voraussetzung für Entwicklung.

Wir sind erfolgreich im wichtigen Feld der Gesundheit. Ebola ist in diesen Tagen wieder aufgetreten. Wir bauen Strukturen zur Hilfe in Westafrika. Unser Beitrag – den Kolleginnen und Kollegen dafür vielen Dank – bei der Impfallianz (GAVI) und der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) wurde wesentlich erhöht.

Wir schaffen neue Strukturen, was mir ganz besonders wichtig ist. Mit öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit lösen wir die Probleme und die Herausforderungen der Welt nicht. Wir brauchen dazu mehr Privatinvestitionen. Dazu brauchen wir aber auch ein neues Instrumentarium zur Risikoabsicherung für Privatinvestitionen in Afrika und in Indien, insbesondere für mittelständische Betriebe.

Wir brauchen aber auch fairen Handel. Nur mit der Verankerung von ökologisch-sozialen Standards in weltweiten Lieferketten, wie wir dies mit unserem Textilbündnis zeigen, einer Blaupause, schaffen wir langfristig Gerechtigkeit und Chancenausgleich. Standards müssen Standard werden. Die Widerstände sind noch enorm, auch national. Aber ich sage klar: Die weltweiten Märkte brauchen Regeln. Ein Markt ohne Regeln führt zu Ausbeutung von Mensch und Natur.

Globalisierung schafft Chancen, aber auch Verlierer. Wenn heute zehn Prozent der Weltbevölkerung 90 Prozent des Einkommens und Vermögens besitzen – zehn Prozent, das sind Sie und wir alle – und 20 Prozent der Weltbevölkerung – das sind wir in den Industrieländern – 80 Prozent der Ressourcen für unser Leben, für unseren Konsum und für unseren Wohlstand verbrauchen, dann haben wir ein weltweites Gerechtigkeits- und Verteilungsproblem. Glauben Sie nicht, dass wir unseren Wohlstand auf Dauer auf dem Rücken Afrikas und der Entwicklungsländer aufrechterhalten können, ohne dass die Menschen aus diesen Ländern zu uns kommen und sich dann das holen, was ihnen zusteht.

Jeder von Ihnen muss und kann mitwirken. Wenn Sie sich heute früh die Haare gewaschen haben, dann ist in dem Shampoo Palmöl aus Indonesien enthalten. Sie haben sich Kleidung angezogen, die Näherinnen in Bangladesch für einen Hungerlohn angefertigt haben. Sie haben Kaffee getrunken, für den Kinder in Westafrika die Kaffeebohnen für einen Hungerlohn, einen Sklavenlohn geerntet haben. Wir erfreuen uns unseres Wohlstands auf dem Rücken dieser Länder.

Ein afrikanischer Bischof sagte mir vor kurzem: "Afrika ist nicht arm. Ihr habt es arm gelassen." Das müssen wir ändern. Globalisierung gerecht gestalten, das ist möglich. Es bedarf nur des Willens, des Mutes und der Verantwortung zur Umsetzung. Ein Weiter-so bei Konsum, Wachstum und Ressourcenverbrauch weltweit hätte verheerende Folgen.

Die Klimaveränderung hätte verheerende Folgen: Klimaveränderung und Erderwärmung sind in Ostafrika angekommen. Hunger, Katastrophen, Elend, Not und Kriege lösen schon jetzt gewaltige Wanderungsbewegungen auch in Richtung Europa aus. Deshalb sind wir verpflichtet, auf ein Leben in Würde für alle hinzuarbeiten. Wir sind verpflichtet, den Planeten Erde, die Schöpfung, für die kommenden Generationen zu erhalten. Das ist eine große Aufgabe, eine lohnende Aufgabe für uns alle.