zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vor dem Deutschen Bundestag am 20. Oktober 2022 in Berlin:
- Bulletin 133-2
- 20. Oktober 2022
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben es heute mit einem sehr wichtigen Gesetz zu tun, dem Finanzstabilisierungsgesetz der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir sind in diese Legislaturperiode mit einem Defizit von 17 Milliarden Euro gestartet, das uns die Vorgängerregierung hinterlassen hat. Ich möchte hier aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich dies nicht durchgängig kritisch sehe; denn wir sind in der letzten Legislaturperiode in einer Situation gewesen, in der Strukturreformen schwer durchzuführen waren, in der vieles liegen geblieben ist beziehungsweise nicht möglich war. Daher ist es aus meiner Sicht nicht wirklich vorzuwerfen, dass es zum Defizit kam. Aber das Defizit muss behoben werden.
Ich glaube, das ist auch ein Gebot der Fairness. Wir haben mitregiert. Es gab eine schwierige Zeit. Das Defizit ist entstanden. Wir müssen es jetzt beheben. Aber nach hinten zu blicken und sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, das hilft uns hier nicht weiter, und das passiert viel zu oft in diesem Haus.
Die Grundmaxime der Reform, die wir angegangen sind, war immer mit einem Wort zu beschreiben: keine Leistungskürzungen. In der Lage, in der wir derzeit sind, kämpfen die gesetzlich Krankenversicherten mit der Energiekrise, sie kämpfen mit der Inflation, sie wissen nicht, ob die Gasversorgung über den Winter komplett dargestellt werden kann. In einer solchen Situation ist es nicht vertretbar, dass Leistungskürzungen vorgenommen werden. Daher haben wir von vornherein klargemacht: Es wird keine Leistungskürzungen geben. Dieses Versprechen haben wir einhalten können. Das 17-Milliarden-Euro-Defizit wird behoben, ohne dass es in irgendeinem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu Leistungskürzungen kommt. Das ist eine große Leistung. Ich danke den Abgeordneten dafür, dass sie diesen Weg mitgehen. Wir haben uns sogar überlegt: Wie können wir aus dieser Not, dass wir Effizienzreserven gewinnen müssen, noch etwas im Sinne einer echten Strukturreform herausholen? Da sind wir in zwei Bereiche tiefer eingestiegen:
Als Erstes lösen wir im Bereich der Arzneimittelversorgung ein Problem, das aufgrund des Drucks der Lobbygruppen über viele Jahre nie gelöst werden konnte. Das Problem lässt sich wie folgt beschreiben: In Deutschland ist es möglich – das ist in Europa in keinem anderen Land möglich –, mit Arzneimitteln auf den Markt zu kommen, die keinen gesicherten oder nur einen sehr geringen Zusatznutzen bringen im Vergleich zu bereits erhältlichen Arzneimitteln, aber trotzdem deutlich mehr – zum Teil 50 Prozent oder sogar 100 Prozent – kosten. Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, die man heutzutage im klassischen Sinne als eine Situation der Übergewinne bezeichnet.
In der Arzneimittelversorgung konnte im sogenannten AMNOG-System mit Medikamenten, die keinen zusätzlichen oder nur einen sehr geringen Nutzen gebracht haben, aber für die sehr hohe Preise aufgerufen wurden, ein sehr hoher Gewinn gemacht werden. Das Problem beseitigen wir jetzt. In Zukunft können diese Arzneimittel nur zu Preisen auf den Markt gebracht werden, die den Preisen der bereits im Markt befindlichen Arzneimittel entsprechen. Wieso sollten wir ein Arzneimittel, das nicht besser ist, deutlich besser bezahlen? Dafür gibt es keinen Grund. Das haben wir durchgesetzt; das ist eine deutliche Strukturreform im AMNOG-System. Dafür danke ich ganz herzlich.
Wir nehmen noch eine zweite Strukturreform vor, die ich für wichtig halte. Jeder weiß, dass die sogenannte Neupatientenregelung eigentlich nur auf dem Papier bestand und häufig Patienten, die es in den Praxen schon länger gab, als Neupatienten geführt worden sind, sodass wir hier mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr ausgegeben haben, ohne dass es zu einer Verbesserung der Versorgung gekommen ist. Diese Regelung streichen wir.
Was machen wir stattdessen? Für die Patienten, die schneller einen Facharzttermin bekommen, weil sie überwiesen wurden oder weil sie über die Terminservicestellen zum Facharzt gekommen sind, wird künftig sowohl dem abgebenden Hausarzt als auch dem Facharzt, der den Termin schneller vergibt, ein höheres Honorar gezahlt. Das ist eine deutliche Verbesserung; das ist ein Schritt in Richtung Abbau der Zweiklassenmedizin.
Somit schaffen wir auch hier eine Strukturreform. Wir haben eine Analyse vorgenommen und gesehen: Die Neupatientenregelung bringt uns nicht weiter. Aber wenn wir die schnelle Vergabe von Facharztterminen stärker honorieren, führt das zu schnelleren Terminvergaben. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung des Abbaus der unterschiedlichen Versorgung von Privatpatienten und gesetzlich Versicherten. Auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung, eine Verbesserung, eine Strukturreform im Rahmen eines Gesetzes, das das Defizit beseitigen wird.
Ich komme zu einem weiteren Bereich. Die Krankenkassen hatten zum Teil erhebliche Rücklagen. Zuerst haben wir diese überschätzt; dann sind diese auf etwa 2,5 Milliarden Euro geschätzt worden. Es ist jetzt nicht die Zeit, wo Krankenkassen sich prunkvolle neue Gebäude errichten oder Rückstellungen für solche Gebäude vornehmen sollten. Vielmehr gehen wir tatsächlich an die Reserven heran und bauen sie ab.
Ich glaube, wenn man den Gesetzentwurf insgesamt betrachtet, dann sieht man, dass es ein Gesetzentwurf ist, über welchen zwar viel gesprochen wurde, an dem es aber wenige Änderungen gegeben hat, seit wir ihn in das Kabinett und in den Bundestag eingebracht haben. Wir haben lange darüber diskutiert. Es ist nun ein Gesetz, mit dem wir Effizienzreserven gewinnen, mit dem wir den Beitragssatz so wenig wie notwendig erhöhen – um 0,3 Beitragssatzpunkte –, mit dem wir Rücklagen abbauen und gleichzeitig die Arzneimittelversorgung und die Facharztversorgung verbessern. Aus meiner Sicht ist es ein Gesetz aus einem Guss.
Ich darf mich ganz herzlich für die Beratungen bedanken. Ich glaube, dass wir damit einen wichtigen Schritt weiterkommen, um die GKV in dieser Krise, in dieser kritischen Zeit als etwas, das Stabilität bringt und bei der Leistungskürzungen ausgeschlossen sind, zu erhalten und um sukzessive die Versorgung der gesetzlich Versicherten zu verbessern. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.