Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Heiko Maas,

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Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Lage im Nahen und Mittleren Osten ist in diesen Tagen wirklich ausgesprochen ernst. Das hat unterschiedliche Gründe. Einer besteht darin, dass der Iran in der letzten Woche angekündigt hat, seine Verpflichtungen aus dem Atomabkommen zumindest teilweise auszusetzen. Und das geschah – das wissen wir alle – als eine Reaktion auf die Entscheidung der Vereinigten Staaten, Ausnahmegenehmigungen für den Ölexport und für Nichtverbreitungsvorhaben im Rahmen des Abkommens nicht weiter zu verlängern, was die Situation und die Diskussion um dieses Abkommen weiter verschärft hat.

Machen wir uns nichts vor: Zwölf Monate nach dem Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Nuklearabkommen könnte dies in absehbarer Zeit auch das Ende des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans (JCPoA) bedeuten. Dies wäre – das ist nicht nur die Auffassung der deutschen Bundesregierung, sondern der gesamten Europäischen Union – ein schwerer Rückschlag im Kampf gegen die Verbreitung von Atomwaffen. Es droht darüber hinaus ein Flächenbrand in der gesamten Region mit ernsten Folgen für die Sicherheit unserer Verbündeten, aber vor allen Dingen für unsere Sicherheit hier in Europa. Manchmal reicht ein Funke – das zeigen die Entwicklungen vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate in den letzten Tagen –, um einen solchen Brand auszulösen. Das macht uns außerordentlich besorgt. In dieser Situation, in dieser Lage steht deshalb für uns eines im Mittelpunkt: Wir müssen und wir werden alles tun, um eine militärische Eskalation zu verhindern.

Das beste und zuverlässigste Instrument dafür ist und bleibt dieses Atomabkommen. Das JCPoA war nie ein Freundschaftsdienst gegenüber dem Iran. Es war vielmehr Ausdruck unserer Sorge vor einem nuklear bewaffneten Iran. Bei Dingen, die eben hier gesagt wurden, hat man ja den Eindruck, dass die Seiten komplett verdreht wurden. Wenn wir kein Abkommen bräuchten, wäre uns deutlich wohler. Aber die Tatsache, dass ein Staat wie der Iran sich überhaupt nur durch die Zusicherung wirtschaftlicher Vorteile davon abhalten lässt, eine Atombombe zu bauen, ist doch ein Hinweis darauf, dass wir es mit einem Land zu tun haben, gegenüber dem nicht in erster Linie Vertrauen, sondern gegenüber dem auch viel Misstrauen herrscht.

Trotzdem hat der Iran – das zeigt ja auch den Wert dieses Abkommens – bislang das Abkommen eingehalten. Letztlich ist das auch ein seltener Erfolg der multilateralen Zusammenarbeit. Deshalb ist und bleibt die Tatsache, dass die Amerikaner aus diesem Abkommen ausgeschieden sind, für uns nach wie vor nicht nachvollziehbar. Denn gerade weil wir dem Iran misstrauen, wollen wir das Abkommen ja erhalten; deshalb macht es ja Sinn. Denn es bleibt jedenfalls im Moment der sicherste Weg, den Iran davon abzuhalten, Atomwaffen zu bauen. Deshalb ist die Welt mit diesem Abkommen sicherer als ohne.

Dabei ist Dreh- und Angelpunkt die europäische Geschlossenheit. Diese Geschlossenheit ist am Montag beim Außenrat in Brüssel von allen Amtskolleginnen und Amtskollegen innerhalb der Europäischen Union noch einmal bekräftigt und auch gestärkt worden. Alle 28 EU-Mitgliedstaaten stehen hinter dem Abkommen. Das ist dort noch einmal sehr deutlich geworden.

Gemeinsam mit dem britischen und dem französischen Außenminister und mit Federica Mogherini haben wir dabei aber auch die Gelegenheit genutzt, deutlich unsere Erwartungen an Teheran zu formulieren. Auch der Iran muss seine Verpflichtungen aus dem Abkommen weiterhin umsetzen, und zwar ohne irgendwelche Abstriche. Rabatte wird es mit uns, mit der Europäischen Union, in dieser Frage nicht geben.

Wir werden deshalb – das ist der Maßstab – sehr genau die unabhängigen Berichte der Internationalen Atomenergie-Organisation betrachten, wenn es darum geht, ob sich Iran an die Verpflichtungen hält oder nicht. Sie bleiben der Maßstab. Auch darüber sind wir uns innerhalb der Europäischen Union einig – unabhängig von allen Drohgebärden, die zurzeit von welcher Seite auch immer vollzogen werden.

Wir Europäer stehen zu den Verpflichtungen aus diesem Abkommen. Das haben wir in der Vergangenheit mit unterschiedlichen Instrumenten auch noch einmal deutlich gemacht. Vor einem Jahr sind die Vereinigten Staaten aus dem Abkommen ausgestiegen. Wenn wir uns nicht an die Verpflichtung halten würden und wenn wir nicht im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen würden, das, was durch den Ausstieg der Amerikaner verloren gegangen ist, zu kompensieren, wüsste ich nicht, warum der Iran von sich aus ein Interesse haben sollte, seit einem Jahr an diesem Abkommen festzuhalten. Das hat er aber, und das macht deutlich, dass auch aus Sicht Teherans dieses Abkommen ohne die Vereinigten Staaten funktionieren kann. Das ist es, worum wir uns im Moment kümmern. Niemand behauptet, dass das durch den Ausstieg der Vereinigten Staaten einfacher geworden ist.

Dass durch die Sanktionen, die die Vereinigten Staaten verhängt haben, auch das Generieren wirtschaftlicher Vorteile im Iran schwieriger geworden ist, würde doch niemand in Abrede stellen. Wir haben jedoch das Zahlungsinstrument Instex auf den Weg gebracht, und wir bereiten jetzt Schritt für Schritt die Operationalisierung desselben vor – auch das ist am Montag besprochen worden –, unter Führung der Briten zusammen mit den Franzosen und auch mit uns, um mit dem Iran in bestimmten Bereichen weiterhin Außenhandel treiben und vor allen Dingen die Versorgung mit wichtigen humanitären Gütern aufrechterhalten zu können. Dafür stehen wir im Moment in einem intensiven Kontakt mit Teheran. Wir sprechen mit Teheran darüber, wie wir dafür sorgen können, dass die wirtschaftlichen Vorteile und auch die Lieferung von humanitären Gütern fortgesetzt werden können.

Aber ich sage Ihnen auch – das war immer Sinn dieses Abkommens –: Wir nutzen diesen Dialog eben auch, um mit dem Iran über kritische Fragen zu reden, etwa seine Rolle in Syrien oder das ballistische Raketenprogramm, das wir nicht für akzeptabel halten.

In der Verantwortung für den Erhalt dieses Abkommens sind wir als Europäer aber auch nicht alleine. Die Resolution 2231 fordert alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf, die Umsetzung dieses Abkommens zu unterstützen. Deshalb stimmen wir im Moment alle Schritte, die wir gehen, eng mit den internationalen Partnern ab, aber vor allen Dingen mit denen, die am JCPoA beteiligt sind, also auch mit Russland und China, denn auch diese tragen als Mitunterzeichner eine besondere Verantwortung.

Und, ja, natürlich auch mit den Vereinigten Staaten. Darüber haben wir am Montag in Brüssel mit Außenminister Pompeo gesprochen. Dabei haben wir festgestellt: Ja, wir verfolgen die gleichen Ziele. Wir wollen einen Iran ohne Atomwaffen. Wir wollen, dass der Iran seine destruktive Rolle in der Region, in Syrien, im Jemen oder im Libanon, aufgibt. Und wir wollen, dass der Iran sein ballistisches Raketenprogramm und seine Drohgebärden gegen Israel stoppt.

Die Wege aber, die wir dafür beschreiten, unterscheiden sich, und sie unterscheiden sich mittlerweile deutlich. Wir glauben eben nicht – auch das haben wir am Montag gegenüber Außenminister Pompeo sehr deutlich gemacht –, dass uns eine unilaterale Strategie des maximalen Drucks wirklich weiterbringt. Das haben sowohl mein französischer Kollege als auch mein britischer Kollege und auch Federica Mogherini Außenminister Pompeo in aller Deutlichkeit gesagt; denn maximaler Druck birgt immer die Gefahr einer unbeabsichtigten Eskalation. Das, was in den letzten Tagen geschehen ist – die Sabotageakte auf Schiffe oder Pipelines –, sind doch Hinweise darauf, dass diese Gefahren konkret und real sind. Wenn man sich des Weiteren anschaut, welche Krisen und Konfliktherde es ansonsten in dieser Region gibt, dann brauchen wir zurzeit ganz sicher eines nicht, nämlich eine zusätzliche Zündschnur. Deshalb werden wir auch alles daransetzen, dass es so weit nicht kommt.

Nicht nur wir und nicht nur unsere französischen und britischen Partner, sondern die komplette Europäische Union – das sei auch mal erwähnt; alle reden darüber, dass es innerhalb der Europäischen Union in bestimmten Fragen nicht mehr möglich ist, Einigkeit zu erzielen, doch das hier ist ein Beispiel dafür, dass es noch funktionieren kann –, wir alle setzen auf Dialog statt auf rhetorische Aufrüstung. Wir wollen, dass das JCPoA erhalten wird, nicht nur, um auch in der Zukunft einen Iran ohne Atomwaffen zu haben, sondern auch, um auf den Iran in regionalen oder sonstigen Sicherheitsfragen einwirken zu können. Das ist die Strategie, die wir mit unseren Partnern als Europäische Union in den kommenden Tagen und in den kommenden Wochen konsequent verfolgen werden.

Schönen Dank.