Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier,

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"Deutschland, die Europäische Union und Russland: Partnerschaft für die Zukunft"

Sehr geehrte Gräfin Lambsdorff,
sehr geehrter Herr von Studnitz,
sehr geehrter Herr Botschafter Kotenjov,
sehr geehrter Herr Dr. Friedrichs,
sehr geehrte Damen und Herren!

In dem im letzten Jahr erschienenen Buch "Der Russland-Komplex" hat der Historiker Gerd Koenen die wechselvolle Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen beschrieben, die dem letzten Jahrhundert ihren oft blutigen Stempel aufgedrückt hat.

Alles war da: Faszination, Anziehung, aber auch Abstoßung, ja erbitterte Feindschaft. Alles hat sich fast unentwirrbar miteinander verschlungen – und es brauchte die analytische Schärfe und Sprachmächtigkeit eines Gelehrten wie Koenen, um diesen "Komplex" auch nur einigermaßen wieder in seine Bestandteile zu zerlegen.

Koenen beschließt sein großartiges Buch mit einem Blick auf die Gorbymanie der Wendezeit und schreibt dann: "Seither sind die Deutschen und die Russen in eine historische Normallage zurückgekehrt, die nicht zuletzt darin besteht, sich mit nüchternen Augen anschauen zu müssen... Den geheimnisvollen, erwachenden 'Osten' gibt es nicht mehr, und auch der 'Westen' in dem 1917 und 1947 formulierten Sinne ist dabei, sich aufzulösen."

Das ist unsere Situation. Die Mythen sind zerstoben. Nüchternheit ist angesagt. Aber Nüchternheit bedeutet nicht Routine und Resignation. Es bedeutet:

  • ein klarer Blick für die strategischen Chancen deutsch-russischer – oder sollen wir heute besser sagen: europäisch-russischer Zusammenarbeit;
  • ein offenes, freundschaftliches Wort bei Entwicklungen, die uns Sorge bereiten;
  • und geduldige Arbeit an einer Beziehung, die auch ohne Mythen reich ist an Geschichte, reich an gegenseitiger Befruchtung und – lassen Sie es mich bei aller gebotenen Nüchternheit sagen: reich an gemeinsamer Zukunft.

Das deutsch-russische Forum hat sich zu einem zentralen Ort des deutsch-russischen Dialogs entwickelt. Das Forum und der noch junge Petersburger Dialog haben heute ihren festen Platz im engen Netz zivilgesellschaftlicher Verbindungen und Kontakte.

Für Ihr Engagement danke ich Ihnen sehr. Denn ich weiß: Ohne ein solches Netz bewegt sich Politik im luftleeren Raum.

In seiner historischen Rede vor dem Deutschen Bundestag im Jahre 2001 hat Präsident Putin sich klar zu einer europäischen Verankerung Russlands bekannt. In einer kühnen Vision hat er damals angeboten, die Ressourcen und Potenziale Russlands mit denen Europas zu vereinigen. Hinter einem solchen Angebot steckt weit mehr als eine geographische Orientierung, dahinter steht ein Bekenntnis: zu gemeinsamen Wurzeln, gemeinsamer Kultur und gemeinsamer Zukunft.

Und es ist Ausdruck einer geschichtlichen Erfahrung: Die Modernisierung Russlands braucht Europa, unsere Hilfe, unsere Sympathie, unser Engagement. Niemandem ist damit gedient, wenn Russlands Entwicklung in Abgrenzung vom Westen erfolgt. Russland braucht den Rückhalt Europas bei seinem schwierigen Weg hin zu Marktwirtschaft und Demokratie.

Deutschland hat auf das Angebot Präsident Putins eine klare Antwort gegeben: Russland ist uns in Europa willkommen. Ohne ein festes Band mit Russland bleibt Europa unvollständig. Wir wünschen uns ein Russland, das als europäische Macht eng mit der EU und der Nato verbunden ist und mit uns gemeinsam in der Welt Verantwortung für Stabilität und Frieden übernimmt.

Die Bundeskanzlerin und ich haben bei unseren Antrittsbesuchen in Moskau deshalb ein klares Bekenntnis abgelegt: Auch die neue Bundesregierung will die strategische Partnerschaft mit Russland fortsetzen und ausbauen.

Russland bleibt für Deutschland und die EU ein unentbehrlicher Partner. Unentbehrlich deshalb, weil wir den Beitrag Russlands zu Sicherheit und Stabilität auf dem europäischen Kontinent brauchen. Gerade auf dem Balkan – Stichwort Kosovo – ist eine konstruktive Rolle Russlands besonders gefragt. Nur gemeinsam werden wir verhindern, dass die Kräfte der Vergangenheit wieder die Oberhand gewinnen.

Unentbehrlich aber auch bei der Bewältigung globaler Probleme. Denken wir nur an Themen wie Energiesicherheit, den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen Drogenschmuggel oder Nuklear-Proliferation.

Wie wichtig Russlands Rolle auf der internationalen Bühne ist, erleben wir derzeit bei der iranischen Nuklearfrage. Ihre Lösung ist die gegenwärtig drängendste Aufgabe der internationalen Politik.

Scheitert die internationale Staatengemeinschaft mit ihrem Bemühen, den Iran glaubwürdig und überprüfbar auf eine ausschließlich friedliche Nutzung der Kernenergie festzulegen, ist ein atomares Wettrüsten im Nahen und Mittleren Osten die fast unvermeidliche Folge.

Die USA, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland arbeiten zusammen mit Russland an einer diplomatischen Lösung. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht nach wie vor der russische Vorschlag, die Anreicherung auf russischem Staatsgebiet unter internationaler Kontrolle vorzunehmen.

Leider ist der Iran auf diesen Vorschlag bisher nicht eingegangen. Deshalb haben wir einvernehmlich beschlossen, den Forderungen der IAEO durch den Gang in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Nachdruck zu verleihen.

Dabei ist klar: Die Befassung des Sicherheitsrates bedeutet nicht das Ende der Diplomatie. Unsere Hand bleibt ausgestreckt. Gemeinsam mit Russland und den anderen beteiligten Staaten werden wir alles tun, um den Iran davon zu überzeugen, dass eine vollständige Kooperation mit der IAEO und der internationalen Gemeinschaft auch in seinem Interesse liegt.

Russland steht in diesem Jahr in einer doppelten internationalen Verantwortung: erstmals hat es die Präsidentschaft der G8 übernommen. Und ab Mitte des Jahres wird es auch den Vorsitz des Europarats einnehmen. Dies bedeutet Anerkennung und Verantwortung zugleich.

Mit seiner Auswahl der Arbeitsschwerpunkte für den G8-Gipfel hat Russland sich dieser Verantwortung gestellt. Wir werden in Sankt Petersburg gemeinsame Antworten suchen auf so drängende Fragen wie die Energiesicherheit, die Bekämpfung von Infektionskrankheiten und die verstärkte Zusammenarbeit auf dem Bildungssektor. Auf all diesen Gebieten wollen wir gemeinsam eine zukunftsorientierte Politik konzipieren und in die Tat umsetzen.

Außenpolitische Themen in einem traditionellen Sinne sind dies alles nicht. Doch sind sie für uns alle von zentraler Bedeutung. Die Trennlinien zwischen Innen- und Außenpolitik lassen sich nicht mehr scharf ziehen. In dem Maße, wie sich der klassische Begriff der Staatensouveränität an der neuen Wirklichkeit der globalisierten Welt bricht, verliert auch die Unterscheidung von Innen- und Außenpolitik an Relevanz.

Viele Aufgaben sind durch Nationalstaaten allein nicht mehr lösbar. Transnationalen Problemen kann nur mit kooperativen transnationalen Lösungen begegnet werden.

Präsident Putin hat kürzlich darauf verwiesen, dass der Aufbau eines zuverlässigen Systems der Energiesicherheit zu den strategischen Aufgaben der G8 und der internationalen Gemeinschaft gehört. Es gehe darum, eine Architektur des Weltenergiesystems zu schaffen, das uns und unseren Nachkommen Konflikte um die Energieversorgung erspare. Wir brauchen neue kooperative Ansätze, die die Interessen von Energieproduzenten, Energiekonsumenten und Transitländern ausbalancieren und Konflikte auf der Basis von Streitschlichtung regeln.

Ich habe in dem Zusammenhang verschiedentlich an die guten Erfahrungen erinnert, die wir in den 70er und 80er Jahren mit dem Helsinki-Prozess und dem Aufbau kollektiver Sicherheitsstrukturen gemacht haben. Ein solcher kooperativer Ansatz scheint mir jedenfalls ein erfolgversprechenderer Weg zu sein als jüngste Ideen von einem Zusammenschluss der Energie-Habenichtse, wie er von manchen unter der Überschrift "Energie-Nato" propagiert wird. "Ein Bündnis gegen wen?", fragt man sich! Und was sollen die Konsequenzen sein?

Wo liegen heute die größten Chancen, um die gemeinsamen Potenziale Russlands und Europas noch besser zur Geltung zu bringen.

Folgende vier Punkte scheinen mir dabei besonders erfolgversprechend zu sein:

Erstens: Die Anpassung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens der EU mit Russland und die gemeinsame Gestaltung der vier Räume auf die wir uns geeinigt haben, bieten die Chance, unsere Beziehung auf eine solider Grundlage weiter zu entwickeln. Die Gestaltung der vier Räume in Wirtschaft, innerer und äußerer Sicherheit, Forschung, Bildung und Kultur bietet Möglichkeiten, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Nur: Wir müssen es beidseitig wollen!

Zweitens: Im Rahmen des Nato-Russland-Rates arbeiten wir schon heute eng und vertrauensvoll zusammen. Ich begrüße die russische Initiative, im Nato-Russland-Rat eine vertiefte Form der Zusammenarbeit zu suchen. Ich könnte mir vorstellen, den Nato-Russland-Rat künftig noch stärker als Forum eines noch offeneren politischen Dialoges zu nutzen.

Drittens: Konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle waren und sind Kernelement unserer strategischen Partnerschaft mit Russland. Der KSZE-Vertrag markierte einst das Ende des Ost-West Gegensatzes sowie den Beginn einer qualitativ neuen Phase der sicherheits- und rüstungskontrollpolitischen Kooperation.

Sein Regelwerk zur Begrenzung und Schaffung von Transparenz bezüglich schwerer konventioneller Waffen bleibt ein verlässlicher Stabilitätsanker.

Mit Blick auf jüngste Entwicklungen frage ich mich im übrigen, ob nicht überhaupt die Themen Abrüstung und Nichtweiterbreitung stärker auf die internationale Agenda gehören.

Viertens: Wir wollen, dass sich die strategische Partnerschaft mit Russland auch in der Zusammenarbeit in der gemeinsamen Nachbarschaft bewährt.

Unter den gemeinsamen Nachbarländern nimmt die Ukraine einen besonderen Platz ein. Bei meinem Besuch in der Ukraine vor wenigen Wochen haben meine ukrainischen Gesprächspartner den Wunsch nach Integration in die EU und Nato deutlich artikuliert.

Wir verstehen den Wunsch nach weiterer Annäherung der Ukraine an die euroatlantischen Strukturen. Bereits jetzt gibt es den Nato-Ukraine-Rat und die europäische Nachbarschaftspolitik. Die Formen und die Geschwindigkeit weiterer Annäherung liegen aber auch in der Hand der Ukraine. Sie hängen von Leistungsfähigkeit und Bereitschaft bei der Durchführung der erforderlichen Reformen ab, zu denen wir ermutigen und die wir unterstützen. Ich hoffe, dass im Ergebnis der Parlamentswahlen eine Regierung zustande kommt, die in dieser Richtung gestaltungsfähig ist.

Jede Regierung in der Ukraine hat aber auch Verantwortung für möglichst konfliktfreie Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland. Im Dreieck EU-Russland-Ukraine müssen die drei Seiten möglichst gleich lang sein. Gestörte Beziehungen zwischen zwei dieser drei Partner destabilisieren die Region. Die Voraussetzung für regionale Stabilität ist allerdings, dass alle Seiten aufhören, in traditionellen Einflusssphären und in Kategorien geopolitischer Rivalität zu denken.

Dann verbessern sich auch die Chancen, Konflikte zu lösen, die heute, 15 Jahre nach Auflösung der Sowjetunion, zu einem Anachronismus geworden sind. Ich spreche von den so genannten "frozen conflicts" in Moldau und im südlichen Kaukasus. Hier sehe ich durchaus Möglichkeiten, gemeinsam mit Russland verstärkte Anstrengungen zu einer Lösung zu unternehmen.

Während die Ukraine kommenden Sonntag in freien und fairen Wahlen über die Zusammensetzung ihres Parlamentes entscheiden kann, wird den Menschen in Weißrussland dieses Recht noch immer vorenthalten. Jedenfalls entsprechen die Wahlen, die letzten Sonntag dort stattgefunden haben, nach dem Urteil der OSZE nicht europäischen Standards. Ich habe mich in den europäischen Gremien gegen eine von manchen verlangte, von vielen befürwortete Containment-Politik gewandt. Sie hilft den Menschen in Weißrussland nicht. Aber die politische Führung in Belarus sollte wissen: Autoritarismus und Repression passen nicht in das Europa des 21. Jahrhunderts!

Verantwortung gegenüber Nachbarn gilt für Deutsche und Russen im besonderem Maße. Wir wissen, dass die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Russland manchmal auch mit Misstrauen beäugt werden. Für die Staaten zwischen Deutschland und Russland haben die deutsch-russischen Beziehungen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs allzu häufig keine gute, ja manchmal eine zerstörerische Rolle gespielt.

Unsere bilateralen Beziehungen sind immer mit Erinnerungen, aber auch mit Interessen Dritter verknüpft. Das wissen wir, und das werden wir bei der Gestaltung unserer Beziehungen nicht vergessen.

In diesem Sinne liegt uns Deutschen ganz besonders an guten Beziehungen zu unseren östlichen EU-Partnern, insbesondere zu Polen und den baltischen Staaten. Und wir wollen alles tun, um auch diese Staaten für einen Umgang mit Russland zu gewinnen, der historische Belastungen und kritische Punkte in den gegenwärtigen Beziehungen nicht ausblendet, aber auch das große Potential einer partnerschaftlichen Politik im Blick behält.

Frieden, soziale Sicherheit und Wohlstand in Europa haben ihr Fundament in Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Marktwirtschaft und einer lebendigen Zivilgesellschaft. Und ich bin sicher: Dieses Fundament kann auch die Grundlage für Russlands zukünftige Entwicklung sein.

Natürlich ist der Weg dorthin nicht einfach. Immer wieder können Rückschritte drohen. Wir beobachten die innenpolitische Entwicklung in Russland und wir erheben da unsere Stimme, wo wir Grund zur Beunruhigung sehen.

Ich habe bei meinem Besuch in Moskau Anfang Dezember auch unsere ehrliche Sorge über den damaligen Stand der russischen Gesetzgebung zur Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen zum Ausdruck gebracht. Und ich hatte bei meinen Gesprächen den Eindruck, dass unsere Argumente durchaus ernstgenommen werden.

Präsident Putin hat öffentlich unterstrichen, dass Nichtregierungsorganisationen bei der Kontrolle des Staats und seiner Behörden eine wichtige Rolle zukommt. Das entspricht auch unserer eigenen Erfahrung.

Wir wollen unsere russischen Partner beim Wort nehmen und wir werden natürlich verfolgen, ob eine neue Praxis auf der Grundlage des Gesetzes über Nichtregierungsorganisationen, das nächsten Monat in Kraft tritt, zivilgesellschaftliches Engagement einschränkt oder behindert.

Ich bin überzeugt: Der Wandel in Russland wird ebenso wenig vom Staat allein gestaltbar sein wie bei uns. Russland braucht daher eine lebendige und unabhängige Zivilgesellschaft. Freie Medien und eine kritische Öffentlichkeit werden der russischen Entwicklung nicht schaden, sondern sie fördern. Und wir wissen aus der russischen Philosophie und Literatur: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsvielfalt sind keine Russland fremden Kategorien. Sie haben große Denker dieses Landes stets bewegt und motiviert.

Es geht nicht darum, Russland ein Modell aufzwingen. Es muss seinen eigenen Weg im Einklang mit europäischen Werten finden. Ich bin fest davon überzeugt: Manche Sorge wird umso eher gehört, wenn sie auch Verständnis zeigt für die Probleme und Dilemmata russischer Politik.

In diesem Sinne hat Deutschland und hat die EU auch ihre Unterstützung für die Stabilisierung des Nordkaukasus angeboten.

Denn wir sind überzeugt, dass es ohne eine Stabilisierung des wirtschaftlichen und regionalen Umfeldes keine Lösung des Tschetschenien-Konflikts geben wird. Bildungsmöglichkeiten für die Jugend und die gezielte Ausbildung von Verwaltungs- und Justizpersonal, das zivilen Anforderungen entspricht, können dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Ich habe eingangs auf die engen deutsch-russischen Beziehungen hingewiesen. Unsere Bilanz ist in jeder Hinsicht eindrucksvoll. Wir pflegen einen vertrauensvollen und offenen Dialog auf allen Ebenen. Und unsere wirtschaftlichen Beziehungen sind eine Erfolgsgeschichte.

Deutschland ist seit langem der wichtigste Wirtschaftspartner Russlands. Mit einem Exportzuwachs von über 15 Prozent im letzten Jahr ist Russland einer der am schnellsten wachsenden Märkte für deutsche Produkte.

Mehr als 3.500 deutsche Unternehmen sind in zahlreichen Wirtschaftsbereichen in Russland tätig. Die Bundesregierung hat sich dabei auch das Ziel gesetzt, gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen zu unterstützen.

Erfreulicherweise investieren immer mehr russische Unternehmen auch in Deutschland. Dies ist ein Zeichen für die zunehmende Integration Russlands in die Weltwirtschaft, die wir weiter fördern wollen.

Dem weiteren Ausbau unserer Wirtschaftsbeziehungen räumen wir hohe Priorität ein. Dazu gehört unsere Energiepartnerschaft, aber auch die Zusammenarbeit in Zukunftssektoren wie der Luft- und Raumfahrt, der Hoch- und Informationstechnologie und der Telekommunikation.

Und was mir besonders wichtig ist: Auch die Zusammenarbeit im Energiebereich ist keine Einbahnstraße. Russland ist ein riesiger Markt für moderne Technologie zur Steigerung der Energieproduktivität, für Wärmedämmung und regenerative Energietechniken.

Die deutsch-russischen Beziehungen sind keine auf die Wirtschaft beschränkte Zweckgemeinschaft. Sie erstrecken sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Davon zeugen schon allein die rund hundert Städtepartnerschaften und Tausende von deutsch-russischen Bürgerinitiativen.

Wirklich tragfähig und belastbar wird das deutsch-russische Verhältnis erst durch die persönlichen Kontakte der Menschen quer durch alle Schichten. Diese Bindungen können gar nicht hoch genug veranschlagt werden – auch weil sie gegen negative Klischees oder Stereotypen immunisieren, die leider noch immer allzu oft vorherrschen.

Die Zukunft unserer Beziehungen hängt entscheidend von der jungen Generation ab. Aber auch im Zeitalter globaler Vernetzung sind enge kulturelle und menschliche Bindungen zwischen jungen Deutschen und Russen keine Selbstverständlichkeit. Nur wenn deutsche und russische Jugendliche einander begegnen, Interesse aneinander entwickeln und die Sprache des Partnerlandes lernen, hat das deutsch-russische Verhältnis eine lebendige Basis.

Wir haben uns daher entschieden, den Schüler- und Jugendaustausch weiter zu intensivieren.

Ich möchte an dieser Stelle erinnern, dass die Idee zur Förderung des Schüler- und Jugendaustausches aus der Arbeit des deutsch-russischen Forums und des Petersburger Dialogs hervorgegangen ist. Mit sichtbaren Projekten wie dem deutsch-russischen Jugendforum oder einer bilateralen Konferenz mit Schülern und Jugendlichen in Jekaterinburg wurden die Regierungen beider Länder in die Pflicht genommen. Schließlich mündete die Arbeit in einen Erfolg: die Stiftung deutsch-russischer Jungendaustausch wurde ins Leben gerufen.

Ich freue mich, dass in Kürze die Koordinierungsbüros in Hamburg und Moskau ihre Tätigkeit aufnehmen. Die gemeinsame Trägerschaft durch Bundesregierung, Stiftungen und Wirtschaft ist ein gelungenes Beispiel von Public Private Partnership. Es kann auch für andere Bereiche zukunftsweisend sein.

Auch im Wissenschaftsaustausch haben wir schon vieles erreicht. In den letzten drei Jahren profitierten mehr als 15.000 Studenten, Dozenten und Forscher von den gewachsenen Austauschmöglichkeiten. Dieses engmaschige Netz wollen wir ausbauen. Ich freue mich daher ganz besonders, dass das Deutsche Historische Institut in Moskau im vergangenen Herbst seine Arbeit aufgenommen hat.

Wie eng gerade die kulturellen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sind, erfahren wir in Berlin auf Schritt und Tritt. Nirgendwo in Deutschland werden die historischen und kulturellen Bande zwischen Deutschen und Russen so deutlich wie hier. Und nirgends hat sich der historische Knoten der deutsch-russischen Beziehungen so dramatisch zusammengezogen wie hier in Berlin.

Karl Schlögel hat in einem wunderbaren Buch über die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen Berlin als "Ostbahnhof Europas" bezeichnet. Die Salonkultur der 20er und 30er Jahre, in der sich ein Vladimir Nabokov neben zahlreichen anderen Russen bewegte, mag zwar verflossen sein, geblieben ist aber ein Berlin, das die Bindungen zwischen Deutschen und Russen weiter eindrucksvoll verkörpert.

Dies belegt auch die große Zahl der hier lebenden Menschen mit Russisch als Mutter- oder Zweitsprache. Und nicht ohne Stolz können wir sagen, dass sich Berlin zu einem Kompetenzzentrum für die Beschäftigung mit dem Osten Europas und Russlands entwickelt hat, mit einer europa- und weltweiten Attraktivität.

Maßgeblichen Anteil an der Erfolgsgeschichte der deutsch-russischen Beziehungen haben private Organisationen wie das Deutsch-Russische Forum. Ich möchte an dieser Stelle aber auch den Vertretern zahlreicher anderer Vereinigungen und Stiftungen hier in diesem Raum danken, die sich um den deutsch-russischen Austausch bemühen. Ich möchte Sie ermuntern, auf Ihrem Weg fortzufahren.

Wir brauchen Ihre Impulse. Mit Ihrem Engagement befördern sie nicht nur die deutsch-russischen Beziehungen, sondern tragen auch langfristig zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen in Russland bei. Damit wird der Dialog der Bürger zu einem Katalysator für die Integration Russlands in Europa.

Auf beiden Seiten, in Russland und in Deutschland, brauchen wir mehr "Außenpolitik der Bürger". Die deutsch-russischen, die europäisch-russischen Beziehungen sind zu wichtig, längst aber auch zu lebendig, als dass sie von Regierungsvertretern und Diplomaten allein gepflegt werden könnten.

Sie, die sich für die Partnerschaft und Freundschaft mit Russland engagieren, antworten damit zugleich auf die deutsch-russische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sie tragen zur Versöhnung bei und bauen Fundamente für ein neues, nun in der Tat gemeinsames Europa.

Ergebnis dieser Versöhnung ist, dass heute in Russland sehr viel Sympathie für uns Deutsche zu finden ist, trotz allem, was in den Tragödien zweier Weltkriege geschehen ist. Gleichfalls ist das Interesse und die Anteilnahme von Deutschen an den Entwicklungen in Russland bewundernswert.

Die deutsch-russischen Beziehungen leben vor allem vom individuellen Engagement, vom Beispiel und vom Vorbild einzelner Personen.

In diesem Sinne freut es mich ganz besonders, dass das Deutsch-Russische Forum den "Dr. Friedrich Joseph Haass-Preis für deutsch-russische Verständigung" in diesem Jahr an Dr. Martin Friedrichs verleiht.

Sie, Herr Dr. Friedrichs, waren über 18 Jahre in Moskau als Arzt des Auswärtigen Amtes an der Deutschen Botschaft tätig und haben sich intensiv für die deutsch-russische Kooperation im Gesundheitswesen engagiert. Sie haben das in einer Weise getan, die weit über Ihren dienstlichen Auftrag hinausreichte.

Auch nach Ihrer Pensionierung 1996 blieben Sie als Koordinator medizinischer Projekte Russland bis zum heutigen Tag eng verbunden.

Durch Hilfe zur Selbsthilfe haben Sie dazu beigetragen, dass die Kindersterblichkeit durch Leukämie in Russland wesentlich reduziert werden konnte. Für Ihr außerordentliches Engagement möchte ich Ihnen hiermit persönlich danken.

Schließen möchte ich mit einem Zitat Lew Kopelews, dieses großen Förderers der deutsch-russischen Verständigung. Lew Kopelew hat einmal gesagt:

"Toleranz, Moral, Menschlichkeit –
die Ideale und Träume der deutschen und russischen Aufklärer,
sind keine wirklichkeitsfremden Utopien.
Sie sind Wegweiser für unsere Gegenwart und Zukunft."

Lassen Sie uns, bei aller gebotenen Nüchternheit, an diesem Wegweiser festhalten. Dann werden weder Deutschland noch Russland in die Irre gehen.