Rede der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock,

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Überschwemmungen in Pakistan, die ein Drittel der Landesfläche unter Wasser setzen – was ungefähr der Fläche Deutschlands entspricht – und zehn Millionen Kinder notleidend machen. Die schlimmsten Dürren seit 40 Jahren in Äthiopien, die Millionen Kinder, Frauen und Männer in Elend und Hunger stürzen. Stürme und Waldbrände, die eine Spur der Verwüstung in den Vereinigten Staaten und Europa hinterlassen.

Das alles sind nur einige der verheerenden Auswirkungen des Klimawandels, die wir in den letzten Monaten erlebt haben. Die Klimakrise schlägt mit immer größerer Wucht zu. Sie verletzt, sie tötet und sie treibt Menschen in die Flucht. Sie bedroht Menschenleben ganz unmittelbar.

Aber die indirekten Auswirkungen der Klimakrise sind noch weitreichender. Sie destabilisieren Gesellschaften, verschärfen Konflikte in und zwischen Staaten und beeinträchtigen Frieden und Stabilität auf der ganzen Welt. In Südasien zum Beispiel bedroht die Klimakrise sozialen Zusammenhalt und Entwicklung.

Forschung von Unicef zeigt, dass dort nach Flutkatastrophen mehr Kinder die Schule abbrechen, um zu arbeiten – und Drogenmissbrauch und geschlechterbasierte Gewalt zunehmen. Das beeinträchtigt Familien, Gemeinschaften und die Rechte von Frauen – und damit die ganze Gesellschaft.

In der Sahelzone und am Horn von Afrika verschärfen die Folgen des Klimawandels bewaffnete Konflikte. In Mali erzählten mir Frauen während meines Besuchs im Sommer, dass sich Bauern, die ihren Lebensunterhalt wegen Dürren verlieren, oft terroristischen Gruppen anschließen – weil sie einfach keine andere Wahl haben.

Wenn so die Gewalt zunimmt, bleiben Wanderarbeiter den Farmen fern, da sie Angst haben, angegriffen zu werden, und die Ernteerträge und das Einkommen der Bauern verringern sich noch weiter. Das Ergebnis ist ein Teufelskreis aus Gewalt und menschlichem Leid, der die regionale Stabilität untergräbt – wie auch an vielen anderen Orten der Welt. Klimafolgen und Gewalt haben zudem 3,5 Millionen Menschen im Sahel dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen – und solche massive Migration hat destabilisierende Effekte.

Und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat gezeigt, wie Klimawandel und Konflikte auf globaler Ebene zusammenhängen. Durch die Blockade von Häfen und das Bombardieren von Getreidesilos in der Ukraine hat Russland den internationalen Getreidehandel gestört und die globale Nahrungsmittelkrise verschlimmert, die durch schlechte Ernten in verschiedenen Teilen der Welt verursacht wurde. Dank der von den Vereinten Nationen und unseren türkischen Partnern ausgehandelten Getreidevereinbarung laufen Getreideexporte aus der Ukraine nun wieder, so dass mehr Nahrungsmittel auf die internationalen Märkte gelangen und die Preise fallen.

Alle diese Beispiele – und es gibt hunderte mehr, von denen jede und jeder hier in diesem Raum erzählen könnte – zeigen: Die Klimakrise ist die größte Sicherheitsbedrohung, vor der die internationale Gemeinschaft im 21. Jahrhundert steht. Ihre Auswirkungen treffen die Verletzlichsten besonders schwer – diejenigen, die den Klimawandel am wenigsten zu verantworten haben: Millionen Frauen und Männer in Afrika, im Nahen Osten und in Asien, die nicht wissen, was sie ihren Kindern am Abend zu essen geben sollen, die unter Gewalt und Instabilität leiden.

Deshalb macht das Auswärtige Amt Klima und Sicherheit zu einem Kernanliegen seiner neuen Klimadiplomatie. Um die Bedrohung globaler Sicherheit durch den Klimawandel einzudämmen, müssen wir alle gemeinsam an zwei Prioritäten arbeiten – auf die wir uns auch für die UN-Klimakonferenz konzentrieren.

Erstens: Reduzierung von Emissionen und Erreichbarkeit des 1,5-Grad-Ziels – denn jedes Zehntel Grad weniger globale Erwärmung bedeutet weniger starke Stürme, Fluten und Dürren und daher mehr Sicherheit. Und lassen Sie mich das ganz klar sagen: Russlands Krieg gegen die Ukraine und seine Angriffe auf die europäische Energiesicherheit haben unsere Entschlossenheit, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, nicht geschmälert – ganz im Gegenteil!

Ja – und ich denke es ist wichtig, dass wir offen über diese Herausforderungen sprechen – Deutschland hat einige Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen – aber nur als Notmaßnahme für diesen Winter, für eine begrenzte Zeit.

Wichtiger aber ist: Wir verstärken gerade massiv unsere Bemühungen im Bereich Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Denn jede Windturbine und jedes Solarmodul bedeutet nicht nur weniger Emissionen, sondern auch mehr Energiesicherheit für unser Land und für die gesamte Europäische Union. Im April hat der Deutsche Bundestag daher die ehrgeizigste Gesetzgebung zum Ausbau erneuerbarer Energien seit Jahrzehnten auf den Weg gebracht.

Außerdem beschleunigt die EU das „Fit für 55”-Paket, um den Übergang zu grüner Energie in Europa voranzutreiben – uns zwar nicht nur im Energiesektor, sondern in allen Feldern unserer Industrie.

Zweitens: Unser Handeln für Klima und Sicherheit folgt einem Leitprinzip: Solidarität – und zwar nicht aus Wohltätigkeit, sondern weil es hier um Gerechtigkeit geht. Die Länder und Regionen, die heute am meisten unter der Klimakrise leiden, haben historisch am wenigsten zur globalen Erderwärmung beigetragen.

Deutschland tritt dafür ein, bei Anpassung und bei der Bewältigung von Schäden und Verlusten im Rahmen der COP27 und darüber hinaus voranzuschreiten. Das heißt, dass Industriestaaten wie mein Land ihren Verpflichtungen bei der Klimafinanzierung nachkommen. Und es bedeutet, die Auswirkungen des Klimawandels auf Sicherheit in Angriff zu nehmen, die im Zentrum der heutigen Konferenz stehen.

Es ist glasklar, dass noch sehr viel zu tun bleibt – aber gemeinsam haben wir bereits einiges erreicht. Vergangenes Jahr haben 113 Staaten die Resolution zu Klima und Sicherheit im UN-Sicherheitsrat unterstützt. Am Ende hat nur ein Land sein Veto dagegen eingelegt: Russland. Das zeigt: Eine große Mehrheit von Staaten ist sich einig, dass wir die Verbindung zwischen Klimakrise und Sicherheit angehen müssen.

Ja, 113 Staaten sind weniger als über 190 Staaten – aber sie stehen für eine große Mehrheit. Und wenn wir jetzt nicht bereit sind aufzustehen und zu kämpfen, dann geben wir keine Antwort auf die größte Herausforderung, aber auch die größte Chance für globale Zusammenarbeit in diesem Jahrhundert.

Lassen Sie uns daher unsere Einigkeit in Taten umsetzen: in einzelnen Ländern, in Regionen und auf globaler Ebene. Von neuen hitzeresistenten Getreidearten bis zur Aufklärung von Peacekeepern darüber, wie der Klimawandel Konflikte an ihrem Einsatzort beeinflusst.

Es gibt so viele Ansatzpunkte – und diese Konferenz führt Expertinnen und Experten aus allen Bereichen zusammen. Lassen Sie mich also nur ein paar Ideen für unsere Diskussionen heute vorschlagen: Wir wissen, dass Klimakrise und Sicherheit miteinander verbunden sind, aber wir brauchen nach wie vor mehr und bessere Daten über ihre vielfältigen Zusammenhänge. Seit 2020 nutzen wir in unserer „Weathering Risk“ Initiative neue Methoden wie maschinelles Lernen, um Daten für Risikoanalysen zusammenzutragen – zum Beispiel darüber, wie Dürren und Hitze der Landwirtschaft im südlichen Irak schaden und zu Konflikten zwischen lokalen Gemeinschaften führen.

Auf der Grundlage solcher Analysen können wir handeln. Wir werden etwa Solarmodule in Flüchtlingscamps in der Sahelzone installieren. Dabei beginnen wir mit unseren Partnern in Niger – und es freut mich sehr, dass wir heute hier gemeinsam bei dieser Konferenz sind. Derzeit werden in den Camps teure Dieselgeneratoren eingesetzt, um Strom zu erzeugen. Die Dieselgeneratoren in den etwa 30 Flüchtlingscamps im Sahel stoßen jedes Jahr 18.000 Tonnen CO2 aus. Um diese Emissionen zu kompensieren, müsste man 1.000 Fußballfelder Wald pflanzen – jedes Jahr.

Indem wir jetzt auf Solarenergie umstellen, sparen wir Geld, schützen das Klima und bringen den Menschen ein gesünderes und sichereres Leben. Denn im Falle eines Sicherheitszwischenfalls, eines Angriffs auf ein Camp, sind Solarpanel weniger störungsanfällig als Dieselgeneratoren. Mehr und bessere Daten sind auch entscheidend, um Frühwarnung und frühzeitiges Handeln – „early action“ – zu verbessern.

Letzten Monat habe ich einen Freiwilligen des deutschen Technischen Hilfswerks getroffen. Er war im Einsatz in Madagaskar gewesen, um die Menschen dort vor einem Zyklon zu schützen. Er sagte mir: „Zum ersten Mal ist es uns gelungen, vor Ort einzutreffen, bevor der Sturm zuschlug. Dadurch konnten wir mehr Leben retten.” Er hat Recht – und alle Praktiker wissen es: Frühwarnung und frühzeitiges Handeln retten Leben. Je mehr Daten wir sammeln und grenzüberschreitend teilen, desto früher kann Katastrophenhilfe beginnen, desto früher können wir Menschen, ihr Vieh und ihr Hab und Gut aus der Gefahrenzone holen. Daher verstärkt Deutschland seine Unterstützung für vorausschauende humanitäre Hilfe und wir investieren in multilateralen Datenaustausch.

Gleichzeitig kann es kein Ausweichen vor mehr Klimafinanzierung und Unterstützung für Schäden und Verluste geben. Denn wir leben bereits in einer 1,1 oder 1,2 Grad-Welt. Deshalb ist mehr Zusammenarbeit bei Entwicklung, Katastrophenhilfe, humanitärer Hilfe oder Finanzierungsoptionen einschließlich Versicherungslösungen so wichtig.

Als große Industrieländer, die für die meisten Emissionen verantwortlich sind, werden Deutschland und die Europäische Union die Anliegen vulnerabler Länder wie Somalia oder Guinea-Bissau ernst nehmen – und wir freuen uns, diese Staaten heute hier begrüßen zu können. Wir werden nicht wegschauen – wir werden mit Euch stehen.

Die G7 arbeiten gemeinsam mit der „Vulnerable Twenty Group“ an einem globalen Schutzschild gegen Klimarisiken. Dieses Schild wird Finanzierungs- und Schutzmaßnahmen gegen Schäden und Verluste bereitstellen. Ein Beispiel dafür sind Mikroversicherungen in Senegal, die Dorfbewohner vor Nahrungsmittelkrisen nach Dürren schützen. Und schließlich ist klar, dass der Kampf gegen gefährliche Klimafolgen mehr globale Koordination für wirksames Handeln vor Ort braucht.

Heute bringen wir daher unsere „Climate for Peace“ Initiative auf den Weg. Darüber freue ich mich sehr, denn es zeigt: Beim Kampf gegen den Klimawandel geht es am Ende um den Schutz des Friedens.

Die „Climate for Peace“-Initiative wird uns helfen, Projekte besser zu koordinieren, uns über bewährte Verfahren auszutauschen und gemeinsame Vorhaben zu starten. Ich freue mich sehr, die beitragenden Staaten und Mitglieder der Initiative heute hier zu begrüßen. Man sieht das hier im Raum und auf der Liste der Teilnehmer: Wir haben hier mit uns Außenministerinnen und Außenminister, Ministerinnen und Minister für Umwelt und Klima und Praktikerinnen und Praktiker aus der ganzen Welt – die alle gemeinsam einstehen für den Kampf gegen die Klimakrise und für den Frieden.

Wir werden gleich bei der Auftaktzeremonie für die Initiative mehr über Ihre Arbeit und Ihre Projekte hören. Denn es gibt eben keine „one size fits all“-Lösungen – und ganz bestimmt keine keine „one size fits all“-Lösungen, die von Nord nach Süd transferiert werden könnten. Wir brauchen Erfahrungen, Ideen und Antworten von überall auf der Welt.

Der Klimawandel steht im Zentrum eines Sturmes von Krisen, der über die Welt fegt und die Verletzlichsten am härtesten trifft – von Pakistan über Äthiopien bis in die Sahelzone. Er ist eine Bedrohung für Frieden, Stabilität und das Leben von Millionen von Kindern, Frauen und Männern auf der ganzen Welt.

Wir haben eine Verantwortung, ihnen beizustehen – zusammenzuarbeiten für gemeinsames Handeln, anstelle von bloßen Worten. Das ist unsere Aufgabe mit Blick auf die UN-Klimakonferenz und genau dazu sind wir heute hier. Ich bin überzeugt: Gemeinsam können wir etwas verändern.

Herzlichen Dank und nochmals ein herzliches Willkommen.