am 31. Dezember 2006 über Hörfunk und Fernsehen:
- Bulletin 01-1
- 1. Januar 2007
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
I.
vor einem Jahr habe ich in meiner ersten Neujahrsansprache gesagt: Überraschen wir uns damit, was möglich ist! Das Jahr 2006 hat gezeigt, dass das keine bloße Redewendung sein muss.
Überraschen wir uns damit, was möglich ist! Sie wie ich denken dabei sicher zuerst an die sportlichen Höhepunkte, besonders an die Leistung von Jürgen Klinsmanns Fußballnationalmannschaft. Die hat allen Pessimisten zum Trotz eine großartige WM gespielt. Sie und viele andere haben 2006 gezeigt, was mit Fleiß, mit Zielstrebigkeit und dem Glauben an die eigenen Stärken möglich ist.
Und die Welt war in diesem Sommer wahrlich zu Gast bei Freunden. Wir Deutschen haben das Mitreißende von schwarz-rot-gold gespürt. Wir haben damit ein neues, ein schönes Bild von Deutschland in die Welt getragen. Und das trägt weiter - auch über die Wochen des Sommermärchens hinaus.
Denn ein klares Bekenntnis zu unseren Werten und Wurzeln und ein friedliches und tolerantes Zusammenleben - das sind keine Gegensätze, das geht zusammen. Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung sich vorgenommen, einen Integrationsplan für die bei uns lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erarbeiten. Sie hat auch zum ersten Mal einen ernsthaften Dialog mit Vertretern der Muslime begonnen. Nur wer zu sich selbst steht, kann Respekt von anderen erwarten.
Überraschen wir uns damit, was möglich ist! Unser deutscher Astronaut Thomas Reiter hat fast sechs Monate auf der internationalen Raumstation ISS gelebt und gearbeitet. Deutsche und europäische Wissenschaftler - sie sind Pioniere der Forschung und sie sind international spitze!
Und genauso haben die Jugendlichen Großes geleistet, die der Deutsche Industrie- und Handelskammertag als "Unsere Besten" ausgezeichnet hat. 212 Auszubildende in 182 Berufen haben in vorbildlicher Weise gezeigt, was in ihnen steckt.
Überraschen wir uns damit, was möglich ist! Auch politisch. Die Arbeitslosigkeit ist in diesem Jahr um fast eine halbe Million Menschen zurückgegangen. Die Zahl der offenen Stellen steigt. Das Wirtschaftswachstum ist doppelt so hoch wie 2005. Immer weniger Unternehmen gehen pleite, und 2007 werden wir die geringste Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung haben.
II.
Auch außenpolitisch hat Deutschland an Ansehen gewonnen. Wir sind ein geachteter und verlässlicher Partner in Europa und der Welt. "Europa gelingt gemeinsam" - das ist das Motto unserer morgen beginnenden europäischen Ratspräsidentschaft. Und ich füge hinzu: Europagelingt nur gemeinsam. Nur ein einiges Europa kann die Herausforderungen von Globalisierung, also weltweitem Handel, aber auch von Gewalt, Terror und Krieg annehmen. Ein gespaltenes Europa ist zum Scheitern verurteilt.
Verantwortung zu übernehmen - zu Hause, in Europa und der Welt - das ist am Ende immer sehr konkret. Ich danke deshalb allen Helferinnen und Helfern, ich danke den Polizistinnen und Polizisten, den Sanitätskräften, und ich danke unseren Soldatinnen und Soldaten, die im Augenblick auch unter Einsatz ihres eigenen Lebens fern der Heimat helfen, Frieden und Stabilität zu sichern.
Europa gelingt gemeinsam, und Europa gelingt, wenn alle zu Hause im eigenen Land ihre Hausaufgaben machen. Wir müssen uns also 2007 schlichtweg doppelt anstrengen - für Fortschritte in Europa und vorneweg für die Fortsetzung des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland.
Wir wollen ihn nachhaltig und dauerhaft machen. Gäben wir uns jetzt mit den ersten Erfolgen zufrieden, dann bliebe die wirtschaftliche Belebung, wie schon in der Vergangenheit viel zu oft erlebt, wieder nur ein Strohfeuer. Und alles würde nur noch schwieriger werden. Genau das wollen wir verhindern.
Dabei weiß ich sehr wohl, welche Belastungen mit manchen Entscheidungen für Sie verbunden sind, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. Auch ist der Erfolg von Reformen nie sofort zu spüren. Doch die guten wirtschaftlichen Zahlen jetzt, ganz besonders die sinkende Arbeitslosigkeit, sie zeigen, dass sich die Anstrengungen und Härten nach einiger Zeit auszahlen. Das jetzt mit dem Aufschwung ganz konkret zu erfahren, das kann uns auf dem weiteren Reformweg nur ermutigen - bei der Rente mit 67 oder der zurzeit hart umkämpften Gesundheitsreform, auch bei der Reform der Pflegeversicherung, der Unternehmenssteuerreform oder bei weiteren Arbeitsmarktmaßnahmen. Sie alle sind unverzichtbar. Sie alle werden ihre positive Wirkung nicht schon am Tag des Inkrafttretens der Gesetze entfalten. Aber nach einiger Zeit werden sie sie bringen.
Deutschland wandelt sich - Schritt für Schritt.
Wir können das nach wie vor drängendste Problem unseres Landes, die Arbeitslosigkeit, weiter in den Griff bekommen. Sie abzubauen, steht auch im kommenden Jahr im Zentrum aller Bemühungen der Bundesregierung. Wir wollen die Schuldenlasten der öffentlichen Haushalte weiter senken. So schaffen wir neue Spielräume. Für Bildung, Forschung und Entwicklung - also für Lebenschancen und damit für Arbeitsplätze. Dazu gehört auch, dass wir unsere Energieversorgung effizienter machen und den Klimaschutz vorantreiben. Das beginnt beim energiesparenden Bauen und reicht bis zu internationalen Initiativen.
Wir wollen mehr Chancen am Arbeitsmarkt insbesondere auch für die eröffnen, die es schwerer als andere haben: die Älteren, die geringer Qualifizierten, die Langzeitarbeitslosen.
Wir wollen die Erziehungskraft der Familien stärken. Dabei dürfen wir unsere Augen nicht davor verschließen, dass eine immer größer werdende Zahl von Familien heute nicht mehr allein ihre Erziehungsverantwortung wahrnehmen kann. Schicksale wie das des kleinen Kevin in Bremen zeigen das. Fassungslos haben wir sie in diesem Jahr verfolgt. Jeder einzelne von uns, aber auch der Staat - wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen oder wegschauen! Wir müssen uns einmischen!
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir sollten uns für das kommende Jahr wie für das zurückliegende Jahr wieder vornehmen: Überraschen wir uns damit, was möglich ist!
Das beginnt übrigens bei jedem von uns ganz persönlich: zum Beispiel mit einem Gespräch, einem ausgedehnten Spaziergang, einem Besuch oder indem wir mal das Handy ganz bewusst ausschalten, auch wenn dies manchem, wie zum Beispiel auch mir, zunächst einmal ungewohnt erscheinen mag. Sie werden sehen, wie gut all das für das Miteinander ist.
Und so wünsche ich Ihnen allen ein gutes, ein erfülltes und ein gesegnetes neues Jahr 2007.