Wider die Diktatur des Zeigbaren

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Im Wortlaut: Grütters Wider die Diktatur des Zeigbaren

Beitrag der Kulturstaatsministerin Monika Grütters in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

  • Ein Beitrag von Monika Grütters
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung

Es ist eine Schlüsselszene in "Taxi"“, dem Film des mit Berufsverbot belegten iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der auf der Berlinale 2015 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde: Hana, die Nichte Panahis, trägt die Regeln für einen "zeigbaren" Film im Iran vor, die sie für ein schulisches Filmprojekt zu beherzigen hat. Die islamischen Kleidervorschriften sind einzuhalten, Frauen und Männer dürfen einander nicht berühren, und insgesamt soll ein Film die Realität zeigen, aber nicht, wenn sie hässlich ist, denn dann ist es "Schwarzmalerei". So erweist sich der "zeigbare" Film als Dienstmagd, betraut mit der Aufgabe, ein politisch gewünschtes Weltbild instand zu halten und das Volk im Geiste dieser Weltanschauung zu erziehen.

Dass man leider auch in Demokratien nicht davor gefeit ist, die Autonomie der Kunst aus politischen Gründen - und sei es auch nur um des lieben Friedens willen - zur Disposition zu stellen, lehrte bisher vor allem der Umgang mit religiös motivierten Anfeindungen: So wurde 2006 die Mozart-Oper "Idomeneo" vom Spielplan der Deutschen Oper gestrichen, weil die Verantwortlichen die abgeschlagenen Köpfe der Religionsstifter Buddha, Jesus und vor allem Mohammeds in der Inszenierung von Hans Neuenfels für nicht zeigbar hielten. Mit der Entscheidung, ein Gedicht des Schweizer Lyrikers Eugen Gomringer auf der Fassade der Berliner Alice Salomon Hochschule übermalen zu lassen, weil es nach der Auffassung einiger Studentinnen und Studenten „unangenehm an sexuelle Belästigung“ erinnere und eine „klassische patriarchalische Kunsttradition“ reproduziere, liefert der Akademische Senat der Hochschule nun ein weiteres Beispiel für die Einhegung der Kunst auf das Feld des konfliktfrei Zeigbaren nach dem Motto "Wie es Euch gefällt".

Es gehört zum Wesen eines Kunstwerks, dass es verschiedenen Interpretationen Raum gibt, und die Mehrdeutigkeit poetischer Sprache ist genau das, was ein Gedicht von der Verlautbarung eines politischen oder wissenschaftlichen Gremiums unterscheidet. Deshalb ist es müßig, die - auch aus meiner Sicht haltlose! - Unterstellung zu kritisieren, es handle sich bei der inkriminierten Gedichtzeile "Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer" um eine sexistische Degradierung der Frau. Spätestens seit der Entscheidung, das Gedicht übermalen zu lassen, geht es ohnehin nicht mehr um die Interpretation eines Kunstwerks, sondern um unser Verhältnis zur Kunst insgesamt: um die Frage, wo jene Diktatur des Zeigbaren beginnt, die die Kunst zur politischen Erfüllungsgehilfin degradiert.

Die Diktatur des Zeigbaren beginnt dort, wo politische Machthaber, gesellschaftliche Gruppen oder auch Einzelne ihr Terrain für sakrosankt erklären. Selbstverständlich müssen Künstler auch Widerspruch und Kritik ertragen. Doch eine Kunst, die sich festlegen ließe auf die Grenzen des politisch Wünschenswerten, eine Kunst, die das überall lauernde Risiko verletzter Gefühle scheute, die den Absolutheitsanspruch religiöser Wahrheiten respektierte, die gar einer bestimmten Moral oder Weltanschauung diente - eine solchermaßen begrenzte oder domestizierte Kunst würde sich nicht nur ihrer Möglichkeiten, sondern auch ihres Wertes berauben. Gerade Deutschland, das sich Demokratie und Freiheit nach der nationalsozialistischen Verwüstung mühsam wieder erarbeiten musste, hat die Freiheit der Kunst aus gutem Grund in den Verfassungsrang erhoben. Die Kunstfreiheit - das ist die Lehre, die wir aus zwei Diktaturen gezogen haben - ist wie die Meinungsfreiheit konstitutiv für eine Demokratie. Gerade weil Künstlerinnen und Künstler nicht gefällig sein müssen, gerade weil sie irritieren und provozieren, beleben sie den demokratischen Diskurs und sind so imstande, unsere Gesellschaft vor gefährlicher Lethargie und damit auch vor neuerlichen totalitären Anwandlungen zu bewahren.

Im Übrigen sollte uns nicht zuletzt das Erstarken der Populisten den fundamentalen Wert unserer Freiheitsrechte - auch der Kunstfreiheit! - für die Demokratie einmal mehr bewusst machen. Unser demokratischer Widerstandsgeist regt sich zu Recht, wenn Künstler und Kulturschaffende verpflichtet werden sollen, "einen positiven Bezug zur eigenen Heimat zu fördern" oder "zur Identifikation mit unserem Land an(zu)regen", wie im Wahlprogramm der AfD für Sachsen-Anhalt zu lesen war. Ja, gerade jene, die ihre Macht dem bösen Spiel mit diffusen Ängsten und niederen Instinkten verdanken, fürchten die Kraft der Kunst: ihre Fähigkeit zu berühren; ihre Kraft, Schweigen und Tabus zu brechen; ihren Ehrgeiz, nicht Rädchen, sondern Sand im Getriebe der Politik zu sein.

Auch deshalb lohnt es sich, die Spannungen auszuhalten zwischen der Freiheit der Kunst und verletzten Gefühlen. Wenn ein Kunstwerk dabei Diskussionen provoziert, umso besser! Die Auseinandersetzung mit Frauenbildern in der Kunst und mit der Rolle der Frau im Kunst- und Kulturbetrieb ist allemal eine Debatte wert!  Mit Übertünchen ist es nicht getan.