Der Westbalkan ist ein Teil der europäischen Familie

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Berlin-Prozess: Gipfeltreffen in Berlin Der Westbalkan ist ein Teil der europäischen Familie

Die Zukunft der sechs Westbalkanländer liegt in der Europäischen Union, so Bundeskanzler Scholz bei der Westbalkankonferenz in Berlin. Es sei „höchste Zeit“, dass den Worten in Sachen EU-Beitrittsperspektive auch konkrete Taten folgten.

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Montag, 14. Oktober 2024
Bundeskanzler Olaf Scholz beim Familienfoto zum Balkangipfel.

Bundeskanzler Olaf Scholz mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Westbalkankonferenz.

Foto: Bundesregierung/Thomas Köhler

Er wird den Berlin-Prozess „gerne und mit höchster Priorität“ fortsetzen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag in einer Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim Gipfel des Berlin-Prozesses zum Westbalkan im Bundeskanzleramt in Berlin.

Damit Europa in der EU zusammenwachsen kann, hat Deutschland vor zehn Jahren den Berlin-Prozess geschaffen. Das Ziel lautete, alte Gräben auf dem Balkan zu überwinden, neue Verbindungen zu knüpfen und die sechs Westbalkanländer  - Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Serbien – enger miteinander zu verbinden. 

Der Begriff „Westbalkan“ hat neben der geografischen auch eine politische Bedeutung. Er wurde beim EU-Gipfel 1998 in Wien in den EU-Sprachgebrauch eingeführt und bezieht sich auf diejenigen Staaten der Balkanhalbinsel, die noch keine EU-Mitglieder sind. Daher werden neben Albanien momentan die jugoslawischen Nachfolgestaaten Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro sowie Serbien zu den Westbalkanstaaten gezählt – nicht jedoch Slowenien und Kroatien, die der EU 2004 beziehungsweise 2013 beigetreten sind.

Das Wichtigste aus dem Pressekonferenz in Kürze:

  • Aktionsplan für Regionalen Markt: Beim Treffen unterzeichneten die Gipfel-Teilnehmer einen „Aktionsplan für den Gemeinsamen Regionalen Markt“, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit noch enger zu gestalten.
  • Zusammenarbeit stärken: Weitere Abkommen und Erklärungen der Westbalkankonferenz betreffen die Förderung des Studentenaustausches, die Bekämpfung irregulärer Migration und organisierter Kriminalität oder auch eine Verpflichtung, die Grüne Agenda für den Westbalkan bis 2030 zügiger umzusetzen. Deutschland unterstützt letzteres mit der Regionalen Klimapartnerschaft Deutschland-Westbalkan.
  • Gräben überwinden: Mit Blick auf den Normalisierungsdialog zwischen Serbien und Kosovo, der „nicht zufriedenstellend“ laufe, appellierte der Kanzler, Konflikte der Vergangenheit zu überwinden. Auch in anderen Ländern sei nationalistische, spaltende Rhetorik eine Gefahr für das Zusammenwachsen und das Zusammenleben in Frieden und Wohlstand. Umso wichtiger sei die regionale Initiative zu gutnachbarschaftlichen Beziehungen, die alle sechs Westbalkanstaaten heute angenommen hätten.

Lesen Sie hier die Schlussfolgerungen PDF, 157 KB, barrierefrei des Gipfeltreffens des Berlin-Prozesses.

25:29

Video Pressekonferenz nach dem Gipfeltreffen des Berlin-Prozesses

Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

Bundeskanzler Olaf Scholz: Meine Damen und Herren, liebe Ursula, die sechs Staaten des westlichen Balkans sind Teil der europäischen Familie. Ihre Zukunft liegt in der Europäischen Union. Diese Erkenntnis ist nun wahrlich nicht neu, sondern den sechs Staaten vor mehr als 20 Jahren von der Europäischen Union in Thessaloniki gegeben worden. Es wird also höchste Zeit, dass diesen Worten auch konkrete Taten folgen.

Damit das geschieht, damit Europa in der Europäischen Union zusammenwachsen kann, hat Deutschland vor nun auch schon zehn Jahren den sogenannten Berlin-Prozess geschaffen. Seit 2014 bemühen wir uns, auf dem Westbalkan Gräben zu überwinden, sie zuzuschütten, neue Verbindungen zu knüpfen und die sechs Länder enger miteinander zu verbinden.

Mein Dank gilt an dieser Stelle zunächst meiner Vorgängerin, die diesen Prozess seinerzeit ins Leben gerufen hat, einen Prozess, den ich gerne und mit höchster Priorität fortsetze. Nicht zuletzt die Zeitenwende macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Europa zusammenwächst. Durch den Berlin-Prozess haben wir, die Länder des westlichen Balkans und die europäischen Partner gemeinsam neuen Schwung in der und für die Region erzeugt, geleitet von den Prinzipien der Solidarität, der Gleichheit und der Kooperation.

Diese Prinzipien haben auch unser heutiges Jubiläumstreffen geprägt, ein Treffen, bei dem wir wichtige Fortschritte erreicht haben, die konkret das Leben der Bürgerinnen und Bürger in der Region erleichtern. Ein Beispiel ist der gerade unterzeichnete Aktionsplan für den Gemeinsamen Regionalen Markt. Darin vereinbaren die sechs Staaten eine noch engere wirtschaftliche Zusammenarbeit für einen Wirtschaftsraum, der 17 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner einschließt. Er wird helfen, und das ist mir persönlich sehr wichtig, die Sozial- und Arbeitsstandards zwischen den Ländern der Region noch besser zu koordinieren und die Mobilität zwischen den Staaten weiter zu erleichtern.

Ein zweites Beispiel ist das Mobilitätsabkommen zur Förderung des Studentenaustausches. Das Abkommen legt fest, dass Studentinnen und Studenten von Hochschulen oder auch Universitäten sich in der ganzen Region besuchen können. So wächst eine Generation enger zusammen. Sie lebt, sie lernt und sie studiert miteinander.

Außerdem ist heute eine gemeinsame Erklärung vereinbart worden, um bei der Bekämpfung irregulärer Migration und organisierter Kriminalität enger zusammenzuarbeiten, sowie ein Aktionsplan zur Bekämpfung von Plastikmüll und eine Verpflichtung, die grüne Agenda für den Westbalkan bis 2030 zügiger umzusetzen. Deutschland unterstützt das mit der regionalen Klimapartnerschaft zwischen Deutschland und dem Westbalkan, die wir im vergangenen Jahr geschaffen haben. Bereits die Hälfte der bis 2030 vorgesehenen 1,5 Milliarden Euro wird bis Jahresende ausgezahlt sein.

All diese Beispiele belegen, wie der Berlin-Prozess konkret dabei hilft, Grenzen zu überwinden - zwischen den Ländern und auch in den Köpfen. Wie wichtig das ist, zeigt sich leider jeden Tag aufs Neue. Immer noch erschweren Konflikte der Vergangenheit die Zusammenarbeit heute. Auch darüber haben wir gesprochen. Der Dialog zur Normalisierung zwischen Serbien und Kosovo läuft nicht zufriedenstellend. Ich bestehe beiden Partnern gegenüber darauf, dass sie die eingegangenen Verpflichtungen vollständig umsetzen. Das ist wichtig für die Bürgerinnen und Bürger und für eine Zukunft dieser beiden Länder in der Europäischen Union. Auch in anderen Ländern müssen wir nationalistische, spaltende Rhetorik feststellen. Das ist eine Gefahr für das Zusammenwachsen und das Zusammenleben in Frieden und Wohlstand. Klar ist: Nur gemeinsam werden diese Staaten der Europäischen Union beitreten können.

Umso wichtiger ist die regionale Initiative zu gutnachbarschaftlichen Beziehungen, die alle sechs Westbalkanstaaten heute angenommen haben. Damit betonen sie ihre Bemühungen um Versöhnung und partnerschaftliche Lösung von Konflikten.

Gerade ist es gelungen, beim Mitteleuropäischen Freihandelsabkommen, CEFTA, weiterzukommen. Das wird die regionale Zusammenarbeit auf ein neues Niveau heben. Deutschland und der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für den westlichen Balkan, Manuel Sarrazin, haben sich seit mehr als einem Jahr für diesen Schritt eingesetzt, und ich danke Kosovo dafür, im Vorfeld dieser Entscheidung wieder dauerhaft einen Grenzposten für serbische Waren zu öffnen. Das ist der Geist des Berlin-Prozesses - das Zusammenwachsen einer Region zu fördern, die so viel mehr verbindet als trennt.

Meine Damen und Herren, wir blicken zurück – auf zehn Jahre Berlin-Prozess und damit auf eine Erfolgsgeschichte. Ich bin entschlossen, sie mit großem Engagement fortzuschreiben, und ich hoffe, dass es nicht noch einmal zehn Jahre braucht, bis alle sechs Staaten endlich zu EU-Mitgliedern geworden sind. Schönen Dank!
Jetzt hat die Präsidentin der Kommission das Wort, liebe Ursula!

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission: Herzlichen Dank! Guten Tag! Wir hatten ein sehr gutes Treffen. Herzlichen Dank, lieber Olaf, dass du dieses Treffen ausgerichtet hast. Ich habe mich sehr gefreut, hier am zehnten Jahrestag des Berlin-Prozesses teilzunehmen!

Zunächst einmal gab es Gelegenheit, auf ein Jahrzehnt des Fortschritts zurückzublicken, zusammen mit unseren Partnern auf dem westlichen Balkan; denn der Berlin-Prozess war immer der Architekt, der Befürworter und der Anker für ein solides Band zwischen uns. Wir sind dankbar dafür.

Sehr viel hat sich verändert. Es gab viele Konflikte. Turbulenzen haben innerhalb der Europäischen Union ein geschärftes Bewusstsein geschaffen, das Bewusstsein, dass eine größere Union auch eine stärkere Union ist und dass es unsere Verantwortung ist, neue Mitgliedskandidaten näher an uns heranzuführen. Deshalb haben wir dem westlichen Balkan die gleichen Solidaritätsmaßnahmen angedeihen lassen, die wir auch innerhalb der Union ergriffen haben.

Ein Beispiel ist die Energiekrise. Wir haben den Haushalten der Staaten auf dem westlichen Balkan durch unser Energieunterstützungspaket in Höhe von einer Milliarde Euro geholfen, mit den hohen Energiekosten umzugehen. Wir bauen jetzt mit 30 Milliarden Euro im Rahmen eines Investitionsplans die Infrastruktur auf, um den westlichen Balkan unabhängig zu machen. Des Weiteren haben wir ein Programm zum Zivilschutz. Wir alle haben gesehen, dass es Waldbrände gab und auch die Überschwemmungen in Bosnien-Herzegowina. Wir haben die Länder parallel zum europäischen Pfad unterstützt.

Mein zweiter Punkt: Das war vor zehn Jahren nicht der Fall, aber heute ist die Erweiterung ganz oben auf unserer Tagesordnung. Wenn wir in die Zukunft blicken, dann sehen wir eine Zukunft, in der alle sechs Länder des westlichen Balkans Teil der Europäischen Union sind. Um dorthin zu gelangen, müssen wir Lehren aus der Erweiterungsrunde 2004 ziehen.

Die erste Voraussetzung ist die Anpassung und Übernahme unserer Werte, der Respekt für Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit.

Die zweite Bedingung ist die frühe wirtschaftliche Integration. Deshalb spielt der Berlin-Prozess eine Schlüsselrolle. Er war immer die treibende Kraft hinter der wirtschaftlichen regionalen Integration. Der Berlin-Prozess ist also eine Förderung für den regionalen Markt geworden. Es ist wichtig, dass dieser Gemeinsame Regionale Markt reibungslos funktioniert. Denn das ermöglicht es den Ländern, Handel zu treiben, Innovationen voranzubringen und Arbeitsplätze zu schaffen. Es bringt die Region näher an uns heran und die Wirtschaft näher an unseren Binnenmarkt.

Ich begrüße also die Einigung, die auch auf Ebene von CEFTA gefunden wurde. Ich begrüße insbesondere, dass Einschränkungen zu Exporten von Serbien nach Kosovo aufgehoben werden. Ich beglückwünsche beide Seiten zu ihrem politischen Willen, und ich gratuliere dir, Olaf, zum Erfolg in den Vermittlungsbemühungen. Denn das ist ein konkreter Schritt hin zur Normalisierung. Ich begrüße heute auch die Unterzeichnung des neuen Aktionsplans zum Gemeinsamen Regionalen Markt. Je besser der Gemeinsame Regionale Markt funktioniert, desto besser werden die Wirtschaften des westlichen Balkans in unseren Binnenmarkt integriert werden können.

Das ist mein dritter und letzter Punkt. Wir brauchten eine Brücke zwischen dem Gemeinsamen Regionalen Markt und dem Europäischen Binnenmarkt. Diese Brücke ist unser Wachstumsplan für den westlichen Balkan, Investitionen in Höhe von sechs Milliarden Euro. Es ist kein Zufall, dass ich diesen Wachstumsplan vergangenes Jahr beim Gipfel in Tirana vorgestellt habe. Der Grund ist ganz einfach. Der Wachstumsplan und der Berlin-Prozess sind miteinander verknüpft. Mit dem Wachstumsplan öffnen wir die Tür zu bestimmten Sektoren des Binnenmarktes. Um diese Öffnung zu nutzen, müssen die Länder des westlichen Balkans Reformen voranbringen. Diese Reformen werden durch europäische Investitionen in jedem einzelnen Land unterstützt. Der Fortschritt ist greifbar. Wir haben unsere Partner gebeten, im Rahmen dieses Wachstumsplans ihre eigene Reformagenda zu erarbeiten. Fünf von sechs Reformagenden werden diese Woche angenommen. Das bedeutet, dass vor Jahresende Auszahlungen in Höhe von sechs Milliarden Euro im Rahmen dieses Wachstumsplans getätigt werden können. Das wäre ohne den Berlin-Prozess nie möglich gewesen. Die harte Arbeit im Rahmen des Berlin-Prozesses ist eine Erfolgsgeschichte. Es ist eine lange Straße, aber wir bewegen uns nach vorn.

Vielen herzlichen Dank, dass du den Berlin-Prozess heute hier ausgerichtet haben!

Frage: Herr Bundeskanzler, in Ihrer Eingangsrede sprachen Sie von einer neuen Dynamik im Normalisierungsprozess zwischen Serbien und Kosovo. Wie stellen Sie sich diese neue Dynamik konkret vor, und welche Schritte halten Sie für entscheidend, um Fortschritte in diesem langwierigen Konflikt zu erzielen?

Meine zweite Frage geht an Sie beide. Den Berlin-Prozess gibt es seit zehn Jahren. Es hat ein bisschen den Eindruck hinterlassen, dass das auf Kosten der Demokratie in diesen Ländern gegangen ist. Milorad Dodik spricht immer noch von einem Unabhängigkeitsreferendum. Serbien bekräftigt seine strategische Partnerschaft mit Russland auch nach dem Ukrainekrieg. Gleichzeitig verlegt es weiterhin Militär in die Nähe der kosovarischen Grenze.

Sind Sie sicher, dass der Berliner Prozess, der auch nationalistische Akteure miteinbezieht, diese Kräfte nicht unbeabsichtigt stärkt? Wäre es nicht sinnvoller, die Strategie zu überdenken und verstärkt die demokratischen Kräfte in der Region zu unterstützen?

Bundeskanzler Scholz: Schönen Dank für die Frage. Zunächst einmal ist es ganz klar: Wir sind sehr froh darüber, dass wir die Entwicklung des Gemeinsamen Regionalen Marktes voranbekommen und dass wir jetzt dieses Abkommen abgeschlossen haben. Sie konnten der Zeremonie ja beiwohnen. Das war für uns sehr wichtig. Dazu mussten Serbien und Kosovo Voraussetzungen schaffen, damit das auch tatsächlich möglich ist, zuletzt die Grenzöffnung.

Insofern ist da Dynamik in dieser Entwicklung. Wir haben auch Vereinbarungen, die zwischen den Ländern abgeschlossen worden sind, wo wir immer nur sagen: Wir wünschen uns, dass die jetzt vollständig auf beiden Seiten umgesetzt werden. Denn was man nun tun muss, ist letztendlich schon zwischen allen besprochen. Das ist eine gute Ausgangsposition, in der wir nicht verharren sollten, sondern die Dynamik des heutigen Tages, an dem wir hier zusammengekommen sind, dann auch für weiteren Fortschritt nutzen.

Insgesamt, glaube ich, kann man für diese Region insgesamt sagen   und nicht nur, was die beiden Länder betrifft: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass all diese Staaten, die sich irgendwann gemeinsam in der Europäischen Union befinden wollen, nicht ständig versuchen, den Prozess mit bilateralen Vorbehalten aufzuhalten. Es bleibt eine Verständigung zwischen der Europäischen Union und dem einzelnen Land, und die muss „merit-based“ sein, die muss darauf beruhen, dass man den europäischen Acquis erarbeitet, akzeptiert, im eigenen Land einführt, und dann ist man sehr dicht beim Beitrittsprozess. Das werden wir weiter unterstützen.

Ich glaube, hier ist sehr viel gelungen. Ohne die Arbeit, die wir gemeinsam geleistet haben, aber auch viele andere, wäre das nicht möglich gewesen. Es ist Prestige und Commitment, dass wir als Deutschland hier unbedingt investieren, damit alle Staaten am Ende in der Europäischen Union landen.

Natürlich ist das ein Problem – das war ja die zweite Frage – , dass es so lange dauert. 20 Jahre ist das nun seit der Entscheidung oder dem Angebot in Thessaloniki her. Es braucht dann immer wieder Geduld, sich dranzumachen. Und darum ist auch dieser Berlin-Prozess so wichtig, weil er in Wahrheit ein klares Commitment darstellt. Alle wissen: Da sind welche, die wollen das wirklich, auf die können wir uns verlassen, und wenn wir uns in unseren Ländern anstrengen, dann wird sich das auch auszahlen. – Und darauf können sich wirklich alle verlassen.

Präsidentin von der Leyen: Ich möchte dem noch etwas hinzufügen: Natürlich haben wir in den letzten 20 Jahren eine lange Phase gesehen, in der Erweiterung nicht auf der Tagesordnung stand   im Gegenteil, sie war ausgeschlossen. Das hat sich in den letzten Jahren komplett verändert. Ich muss auch sagen, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine Klarheit geschaffen hat. Man muss sich entscheiden, dass man auf der richtigen Seite der Geschichte stehen will, auf der Seite des Völkerrechts. Alle Länder, die sich um EU-Mitgliedschaft bewerben, waren ganz klar und haben sich auf die Seite der Demokratie und der Verteidigung des Völkerrechts gestellt.

Ein zweites Element, das abgesehen vom politischen Element wichtig ist, ist die wirtschaftliche Entwicklung. Wir wissen, dass eine der Erfolgsgeschichten innerhalb der Europäischen Union und der Erweiterung der Europäischen Union der Zuwachs an BIP, an Wachstum und Wohlstand ist. Das ist der Grund, warum wir an diesem Wachstumsplan arbeiten   zusammen mit dem Berlin-Prozess, der die Tür für den Zutritt zum Binnenmarkt teilweise öffnet, sodass mehr Handel passieren kann   und das einen positiven Effekt auf den Wohlstand in diesen sechs Staaten haben wird.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich hätte ganz gerne noch einmal nach dem Handelsabkommen CEFTA gefragt. Vielleicht können Sie noch einmal kurz erläutern, was die praktischen Vorteile sind. Denn die Ökonomen sagen ja, dass diese sechs Länder von ihrer Wirtschaftsstruktur her so ähnlich sind, dass ein Handelsvertrag zwischen ihnen nicht ganz so viel bringen könnte. Vielleicht können Sie noch einmal erläutern, wo da die konkreten Vorteile sind.

Und an Sie beide noch einmal die Frage, weil Sie das jetzt eben betont haben, nach dem Beitrittsdatum: Herr Bundeskanzler, Sie haben eben gesagt, dass diese sechs Länder nur im Block beitreten können – wenn ich das richtig verstanden habe, dann würde ich nachfragen, wie Sie das sehen – und das keine weiteren zehn Jahre dauert. Heißt das, dass wir uns darauf einstellen können, dass es Beitritte schon vor 2030 geben wird? Rumänien und Bulgarien sind ja auch beigetreten, ohne dass alle Kriterien erfüllt waren. Danke.

Bundeskanzler Scholz: Noch einmal zu dem Abkommen, das da abgeschlossen ist: Das ist natürlich notwendig. Es sind auch viele Dinge damit verbunden. Das ist ja eigentlich das Irritierende. Das sind Länder, die nicht so groß sind, die dicht beieinanderliegen und die mehr Handel mit Deutschland als untereinander haben   manchmal, nicht immer.

Aber es ist jedenfalls etwas, wo unglaublich viel zusätzliches Wachstum generiert werden kann, wenn die rechtlichen Barrieren, die nun über die Jahre entstanden sind, wo Dinge unterschiedlich geregelt sind, die einen einfachen Austausch von Waren, Gütern und Dienstleistungen erschweren – auch von Personen, die in anderen Ländern arbeiten wollen – , aufgehoben werden.

Das gilt auch für die Infrastruktur: ausreichende Grenzübergänge, die dann auch funktionieren, wo man nicht ständig kontrolliert wird und im Stau steht. Dass das alles dort passiert, hat etwas mit der Frage zu tun, dass wir auch Infrastrukturen zwischen den Ländern weiterentwickeln, damit die Ressourcen gemeinsam genutzt werden können. Und alles das ist mit diesen Dingen auf den Weg gekommen.

Ansonsten bleibt es dabei, dass wir eine gemeinsame Perspektive für alle entwickeln wollen. Aber es wird Länder geben, die sehr schnell fertig werden   das kann man schon absehen   und alle Bedingungen erfüllen; die werden wir nicht aufhalten. Das, glaube ich, ist niemandes Sicht der Dinge. Aber alle müssen wissen, dass sie in einer gemeinsamen Zukunft sein werden und man sich nicht wechselseitig blockieren kann, sondern man letztendlich nur durch das, was man selber macht, den Raum dafür schafft, dass man beitreten kann.

Präsidentin von der Leyen: Und vielleicht darf ich noch hinzufügen: Warum ist CEFTA so wichtig, die Deblockade des Prozesses? Es ist ganz wichtig, dass es den politischen Willen zur Zusammenarbeit gibt.

Die Psychologie dahinter ist ebenfalls wichtig. Der Wachstumsplan ist ganz klar und besagt: Du kannst die anderen nicht blockieren, sie müssen an ihren eigenen Wachstumsplänen arbeiten   den einzigen, den sie blockieren, bist du selbst. Wenn man also die Vorzüge des Binnenmarkts genießen möchte, muss man seine Hausaufgaben machen und hat keine Konflikte mit den anderen.

Was die zweite Frage betrifft: Es ist ein Prozess, der auf Verdiensten beruht, und es wird ein solcher Prozess bleiben. Je mehr Beitrittskandidaten nach vorne schreiten, desto besser ist es. Es gibt aber unterschiedliche Geschwindigkeiten, Errungenschaften und Erfolge. Wir werden das am Ende sehen. Wir sollten uns aber ganz klar an die Prinzipien halten, dass es ein Prozess ist, der auf Verdiensten basiert.

Frage: Herr Bundeskanzler, Taiwan hat sein Militär in die höchste Alarmstufe versetzt, weil es eine chinesische Militärübung gab. Wie besorgt sind Sie und wie reagieren Sie darauf?

Frau Kommissionspräsidentin, die USA haben neue Sanktionen gegenüber Iran angekündigt. Plant die EU etwas Ähnliches, und wann wird das passieren?

Bundeskanzler Scholz: An der Politik, die wir über viele Jahre verfolgen, was Taiwan betrifft, ändert sich in dieser Situation nichts. Wir schauen natürlich genau hin. Für uns ist auch immer klar: Wir gehen davon aus, dass niemand versucht, mit Gewalt an der Situation, wie sie zwischen Taiwan und der Volksrepublik stattfindet, etwas zu ändern   was uns nicht davon abhält, die Dinge genau zu betrachten.

Präsidentin von der Leyen: Ich kann Sie darüber informieren, dass der Rat heute eine Entscheidung zu Sanktionen gegen Iran getroffen hat. Der Grund ist, dass Iran den russischen Drohnenterror unterstützt. Unschuldige Menschen sind getötet worden, und das wäre nicht möglich ohne den Nachschub aus dem Iran. Deshalb senden wir mit diesen Sanktionen gegen Iran eine klare Botschaft aus: Die Unterstützung von Terror und dieser illegale Krieg haben ernstzunehmende Konsequenzen.

Frage: Es kommt nicht häufig vor, dass Sie gemeinsam vor die Presse treten; deswegen würde ich gerne die Gelegenheit ergreifen, Sie etwas grundsätzlicher zu Ihrer Zusammenarbeit zu fragen. Zuletzt haben sich da ja größere, tiefere Gräben aufgetan, vor allen Dingen beim Thema der Strafzölle auf chinesische E-Autos. Man kann hier fast schon von einem Zerwürfnis reden. Was bedeutet das für Ihre weitere Zusammenarbeit?

Vor allen Dingen an Sie, Frau von der Leyen: Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie bis Ende des Monats noch zu einer Lösung mit China kommen, sodass diese Strafzölle nicht in Kraft treten?

Bundeskanzler Scholz: Wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf: Nur weil man etwas fragend in den Raum wirft, wird es noch kein Fakt. Wir jedenfalls telefonieren sehr eng und oft miteinander, auch direkt und ohne die ganzen technischen Möglichkeiten, die wir haben, uns durch andere verbinden zu lassen. Das ist immer sehr intensiv und ausführlich und hilft auch dabei, die Politik miteinander zu koordinieren.

Natürlich gibt es Fragen, die ich als deutscher Bundeskanzler zu lösen habe, und auch über diese Fragen haben wir gesprochen. Ich will gerne sagen: Das ist unverändert. Ich habe auch den Eindruck, unsere gemeinsame Hoffnung ist, dass es bis Ende Oktober eine Verständigung mit China geben wird.

Präsidentin von der Leyen: Die Zusammenarbeit ist gut und sie ist intensiv. In der Tat, man kann unterschiedliche Positionen haben, aber deshalb arbeiten wir gemeinsam am Fortschritt Europas.

Hier geht es um Ausgleichszölle – das ist ganz wichtig – , die in diesem sehr klaren Verfahren verhängt werden. Es geht darum, dass wir Fairness für den Produktionsstandort Europa herstellen und dass wir ein „level playing field“ haben. Das ist das Entscheidende: Dass diejenigen, die zu unserem Markt kommen, unter fairen Wettbewerbsbedingungen hier auf diesem europäischen Binnenmarkt konkurrieren, und dass wir keine Verzerrungen dadurch haben, dass außerhalb der Europäischen Union in der Produktion große Subventionen gegeben werden.

Wir verhandeln mit China, zum Beispiel darüber, was der Ausgleich sein kann, der statt der Ausgleichszölle angeboten wird. Da geht es um die Frage von Preisverpflichtungen, die im Raum stehen, und um Investitionen in Europa. All dies sind Fragen, die auf dem Tisch sind. Wie immer bei Verhandlungen gilt: Man hat erst alles verhandelt, wenn auch das letzte Stück verhandelt ist. Wichtig ist, die Verhandlungen können und würden auch über den Tag hinausgehen, an dem die Ausgleichszölle in Kraft treten würden. Es ist wichtig zu wissen, dass der Verhandlungsprozess nicht abrupt unterbrochen würde, wenn die Ausgleichszölle in Kraft treten, sondern dass ein Verhandlungsprozess auch weitergehen kann. Entscheidend ist für uns ein Ausgleich für die Subventionen, die in China bei der Produktion gegeben werden.