Austausch zu gemeinsamen Herausforderungen

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Besuch des Kanzlers in der Türkei Austausch zu gemeinsamen Herausforderungen

Bundeskanzler Scholz besuchte den türkischen Präsidenten Erdoğan in Istanbul. Sie sprachen insbesondere über bilaterale Fragen und internationale Konflikte. Dieser Austausch sei richtig und wichtig, so der Kanzler in der gemeinsamen Pressekonferenz. 

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Samstag, 19. Oktober 2024
Bundeskanzler Scholz links und Präsident Erdogan rechts schauen sich hinter hölzernen Rednerpulten an. Im Hintergrund die Nationalflaggen beider Länder und ein orientalisches Wandgemälde. Im Vordergrund Stuhlreihen.

Im Anschluss an das gemeinsame Treffen traten Kanzler Scholz und Präsident Erdoğan vor die Presse.

Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann

Bundeskanzler Olaf Scholz ist am Samstag zu einem Besuch zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach Istanbul gereist. In der gemeinsamen Pressekonferenz verwies der Kanzler darauf, dass Deutschland und die Türkei gesellschaftlich eng miteinander verwoben seien. Auch seien die beiden Länder durch eine lange Tradition der Zusammenarbeit verbunden: „Der deutsch-türkische Freundschaftsvertrag feiert sein 100. Jubiläum“, sagte der Kanzler.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Gemeinsame Unterstützung der Ukraine: Deutschland und die Türkei würden eng an der Seite der Ukraine stehen. Russlands Aggression bedrohe die gesamte europäische Friedensordnung. Deswegen sei man sich einig, dass man im „NATO-Bündnis sehr geschlossen und sehr entschlossen“ handeln müsse, so Scholz.
  • Vorrang für politische Lösungen im Nahen Osten: Um einen Flächenbrand im Nahen Osten noch zu verhindern, sind Deeskalation, ein Waffenstillstand und politische Lösungen nötig. Es brauche einen glaubwürdigen politischen Prozess hin zu einer Zweistaatenlösung. „Darum bemühen wir uns weiter trotz aller Rückschläge“, sagte der Bundeskanzler.
  • Wichtiges Engagement der Türkei: Deutschland werde die Türkei weiter dabei unterstützen, die Folgen des syrischen Bürgerkriegs mit seinen hohen Flüchtlingszahlen zu bewältigen, sagte der Kanzler. Das gelte national genauso wie im Rahmen der Europäischen Union. 
  • Gute wirtschaftliche Beziehungen: Das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und der Türkei erreichte im vergangenen Jahr 55 Milliarden Euro und damit einen neuen Rekordstand. „Darauf können und wollen wir aufbauen“, sagte Scholz.

Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)

Präsident Recep Tayyip Erdoğan: Herr Bundeskanzler, werte Delegationsmitglieder, werte Vertreter der Presse, ich darf Sie ganz herzlich begrüßen! Herr Bundeskanzler, werte Delegation, ich darf Sie auch hier noch einmal herzlich willkommen heißen!

Sie wissen, in diesem Jahr feiern wir 100 Jahre Freundschaftsabkommen mit Deutschland. Mein werter Freund, Herr Bundespräsident Steinmeier, war ja in diesem Jahr im April in der Türkei und hat uns besucht. Heute ist der Herr Bundeskanzler mit seiner werten Delegation hier. Ich freue mich, Sie hier empfangen zu dürfen!

Die Türkei und Deutschland sind Bündnispartner, sind zwei große Staaten, und alles, was zwischen großen Staaten an Beziehungen anfällt, unterhalten wir und haben wir. In der letzten Zeit gibt es zwischen unseren Ländern hochrangige Gespräche und Besuche, die abgestattet worden sind, und das ist ein Indiz für die Beziehungen dieser beiden großen Staaten.

Der Motor dieser Beziehung sind unsere menschlichen Beziehungen, unsere gemeinsamen Interessen. In Deutschland leben mehr als 3,5 Millionen Menschen aus der Türkei, die türkische Gemeinschaft, und über 6 Millionen Menschen kommen jedes Jahr in die Türkei und besuchen unser Land. Wir wünschen uns, dass diese Zahl noch weiter ansteigt.

Unsere Gespräche heute haben wir auf der doch vielfältigen Agenda aufgebaut. Die Beziehungen zwischen unseren Ländern haben wir in den verschiedenen Facetten umfassend behandelt und besprochen. Unser bilaterales Handelsvolumen hat 50 Milliarden Dollar erreicht. Unser Ziel ist es, die 60 Milliarden Dollar zu erreichen. Für dieses Ziel setzen wir uns ein, und wir wollen intensiv daran arbeiten.

Werte Vertreter der Presse, mit Bundeskanzler Scholz haben wir wichtige Kapitel besprochen, darunter auch die Rüstungsindustrie und die Zusammenarbeit. Die Probleme, die wir in der Vergangenheit bei der Beschaffung von entsprechenden Produkten gehabt haben, haben wir jetzt zurückgelassen, und wir wollen in diesem Bereich zusammenarbeiten. Diesbezüglich gab es auch von meinem Freund Bundeskanzler Scholz Unternehmungen und Bemühungen, und dafür möchte ich noch einmal meine Würdigung zur Sprache bringen und mich bedanken.

In den Gesprächen haben wir natürlich über die türkische Gemeinschaft in Deutschland gesprochen, aber auch über islamfeindliche, ausländerfeindliche Strömungen in Europa, die immer stärker werden. In vielen Ländern gibt es momentan sogar Koalitionen, die über diese Strömungen, diese extremen Parteien, die stärker werden, gebildet werden. Das macht natürlich auch unsere Menschen, die dort leben, unruhig. Wir sind natürlich sehr froh über die vereinende Haltung Deutschlands diesbezüglich, und wir haben in diesem Rahmen auch über die Situation hinsichtlich der PKK und der FETÖ-Terrororganisation gesprochen, die auch die öffentliche Sicherheit in Deutschland beeinträchtigt. Der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus ist sehr wichtig; auch das haben wir unterstrichen. Wir haben auch noch einmal gemeinsame Schritte unterstrichen, wie wir daran arbeiten können.

Auch über regionale und globale Konflikte und Probleme haben wir uns ausgetauscht. Diesbezüglich haben wir auch über die Schlüsselfunktion Deutschlands in der Europäischen Union gesprochen, die für uns auch sehr wichtig ist, und auch über die EU-Beziehungen haben wir gesprochen. Ich habe diesbezüglich auch unsere Erwartungen an meinen werten Kollegen weitergetragen. Die Modernisierung der Zollunion, aber auch die Visaliberalität sind wichtige Schritte, die seitens der Europäischen Union unternommen werden müssen, und diese Schritte sind im Interesse beider Seiten.

Auch der Völkermord Israels in Gaza, aber auch die Situation in den besetzten palästinensischen Gebieten und in Libanon sind Themen gewesen, die wir behandelt haben. Das menschliche Drama geht dort leider weiter. Ich habe in der Vergangenheit schon oftmals zur Sprache gebracht, dass wir dringend einen dauerhaften Waffenstillstand brauchen, dass humanitäre Hilfe dorthin verbracht werden muss und dass auf Israel entsprechender Druck ausgeübt werden muss. Wir müssen als internationale Gemeinschaft alles tun, damit das ermöglicht wird. Solange in Palästina, aber auch in Libanon die Massaker weitergehen, wird es in dieser Region und darüber hinaus keinen Frieden geben. Über 50.000 Menschen haben in dieser Region ihr Leben verloren, sind getötet worden. Menschen, die ein Gewissen haben, alle politischen Akteure rufen wir auf, dass sie Initiative ergreifen und dass sie gegen die aggressive Politik Israels vorgehen. Wir als Türkei sind seit dem ersten Tag an mit unserer gewissenhaften Haltung auf dem Standpunkt, dass wir in dieser Form weitermachen werden.

In diesem Sinne möchte ich mich bei meinem werten Freund und bei seiner Delegation noch einmal recht herzlich bedanken. Ich hoffe, dass unsere Sitzungen fruchtbar sind.

Bundeskanzler Olaf Scholz: Guten Tag – merhaba! Herr Staatspräsident, vielen Dank für die Gastfreundschaft. Es ist gut, dass ich die Gelegenheit habe, Ihren Besuch in Berlin heute zu erwidern.

Die Türkei und Deutschland haben eine lange Tradition der Zusammenarbeit. Das wird besonders in diesem Jahr deutlich, denn der deutsch-türkische Freundschaftsvertrag feiert sein 100. Jubiläum – Sie haben selbst darauf hingewiesen. Das ist ein ganz, ganz wichtiges Datum, das auch die Qualität unserer Beziehungen und ihre weitere Entwicklung unterstreicht.

Es ist richtig und wichtig, dass wir beide zu den Fragen, die unsere Länder bilateral betreffen, aber auch zu den Herausforderungen, denen wir uns gemeinsam in der Welt gegenübersehen, in einem engen Austausch miteinander stehen. Ich will deshalb auch mit den Krisen und Konflikten beginnen, die uns umtreiben.

Russlands Überfall auf die Ukraine haben wir beide als eklatanten Bruch des Völkerrechts verurteilt. Unsere Länder stehen eng an der Seite der Ukraine. Wir unterstützen die Ukraine dabei, sich zu verteidigen. Darauf kann sich das Land auch verlassen. Gleichzeitig sind wir darum bemüht, auszuloten, wie es gelingen kann, dass dieser Krieg nicht immer weitergeht. Russlands Aggression bedroht die gesamte europäische Friedensordnung. Wir sind uns einig, dass wir deshalb im NATO-Bündnis sehr geschlossen und sehr entschlossen handeln müssen.

Eine zweite Krise, die uns in dieser Zeit sehr beschäftigen muss, ist der Konflikt im Nahen Osten. Es ist kein Geheimnis, dass wir da auch unterschiedliche Sichtweisen auf Israel haben. Der mörderische Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober war ein furchtbares Verbrechen und hat natürlich auch die Bewohnerinnen und Bewohner in Gaza in ein furchtbares Unglück gestürzt. Klar ist, gegen einen solchen Angriff muss man sich verteidigen können.

Wir sind uns einig, dass Deeskalation, ein Waffenstillstand und politische Lösungen notwendig sind, um einen Flächenbrand im Nahen Osten zu verhindern. Es braucht einen glaubwürdigen politischen Prozess hin zu einer Zweistaatenlösung – dem Staat Israel und einem lebensfähigen Staat für die Palästinenser. Darum bemühen wir uns weiterhin, trotz aller Rückschläge, die wir auch sehen.

Neben diesen geopolitischen Fragen haben wir auch ausführlich Themen besprochen, die das deutsch-türkische Verhältnis betreffen. Länder, die gesellschaftlich so eng miteinander verwoben sind wie unsere, haben eine Vielzahl bilateraler Themen. Dazu gehört zum Beispiel die Frage von Flucht und Migration. Wir erkennen ausdrücklich an, was die Türkei dabei seit vielen Jahren leistet. Ich habe unterstrichen, dass wir sie weiter dabei unterstützen werden, die Folgen des syrischen Bürgerkrieges mit seinen hohen Flüchtlingszahlen zu bewältigen, national genauso wie im Rahmen der Europäischen Union.

Die wirtschaftlichen Beziehungen unserer beiden Länder entwickeln sich gut. Unser bilaterales Handelsvolumen erreichte im vergangenen Jahr – das wurde schon gesagt – die rekordverdächtige Marke von 55 Milliarden Euro. Darauf können wir und wollen wir auch aufbauen.

Erlauben Sie mir noch ein Wort zu den türkisch-griechischen Beziehungen. Sie wissen, wie sehr uns dieses Verhältnis am Herzen liegt. Mit Freude sehe ich, dass sich die Beziehungen seit geraumer Zeit in eine sehr gute Richtung entwickeln. Ich möchte meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass dieser Weg, der zu dauerhaft stabilen und guten nachbarschaftlichen Beziehungen führen kann, entschlossen weiter beschritten wird.

Am Herzen liegt mir auch die Weiterentwicklung des Verhältnisses zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Es war ein positives Signal, dass der türkische Außenminister im August dieses Jahres erstmals seit fünf Jahren wieder am informellen Rat der EU-Außenminister in Brüssel teilgenommen hat.

Schönen Dank.

Fragerunde im Anschluss:

Frage: Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung hat viele Jahre nur sporadisch Rüstungsexporte in die Türkei genehmigt. Das scheint sich nun zu ändern. Behandelt die Bundesregierung die Türkei jetzt wie jeden anderen NATO-Partner oder gibt es weiter Beschränkungen? Haben Sie dem türkischen Präsidenten Ihre Zustimmung beim Thema Eurofighter signalisiert?

Herr Präsident, Sie sprechen immer wieder von einem Völkermord an den Palästinensern durch Israel. Trägt Deutschland mit seinen Waffenexporten an Israel Ihrer Meinung nach dazu bei? Unterstützen Sie die entsprechende Klage Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof dazu?

Bundeskanzler Scholz: Ich will die Fragen, die da an mich und uns gerichtet worden sind, gerne beantworten. Die Türkei ist Mitglied der NATO, und deshalb gibt es von uns immer wieder auch Entscheidungen, in denen es zu konkreten Lieferungen kommt; das ist selbstverständlich. Solche Entscheidungen haben wir auch in jüngster Zeit getroffen, und es wird da auch weitere geben.

Es gibt natürlich manche Projekte, die erst am Anfang stehen. Das von Ihnen angesprochene ist eines, das die britische Regierung vorantreibt und zu dem jetzt Verhandlungen begonnen worden sind. Insofern ist das etwas, das sich weiterentwickeln wird bzw. jetzt von dort aus vorangetrieben wird.

Ich will noch einmal sagen, dass unser Standpunkt natürlich so ist, dass sich alle an das Völkerrecht halten müssen und dass der Vorhalt, der zum Beispiel mit der Klage Nicaraguas verbunden ist, von Deutschland nicht geteilt wird. Wir haben dazu eine ganz andere Haltung eingenommen und sind der festen Überzeugung, dass Israel das Recht hat, sich gegen den Angriff zu verteidigen.

Präsident Erdoğan: Zunächst einmal: Über 50.000 Menschen sind getötet worden, was ein Massaker ist. Das ist der Stand. Darum geht es, und leider sind Kinder, Frauen und ältere Menschen getötet worden. Angesichts der Tötung dieser Menschen hat zunächst einmal Südafrika eine Klage begonnen. Wir haben uns daran beteiligt. Dies wurde dann noch einmal von vielen anderen Ländern in der Welt belebt, und eines dieser Länder sind wir; denn wir sprechen hier von der Tötung von 50.000 Menschen und von über 100.000 Menschen, die verletzt worden sind. Was den Einsatz von F35-Kampfjets betrifft, so kann man, glaube ich, nicht sagen: Das habt ihr gut gemacht und das ist in Ordnung. Ansonsten müsste man ja die Frage stellen: Wohin geht das Ganze und warum gibt es dieses Gericht in Den Haag? Genau aus diesem Grund stellt man dort ja einen solchen Antrag. Das ist das, was getan worden ist. Ich glaube, wenn sich die Pressevertreter anschauen, was der israelische Außenminister sozusagen gegen meine Person gesagt hat, dann sollten Sie vielleicht noch einmal überlegen, warum das der Fall ist.

Frage: Ich hätte zwei Fragen; da nur zwei zugelassen wurden, haben wir unter uns Kollegen gesammelt.

Die erste Frage geht an den türkischen Präsidenten: Die deutsche Bundesregierung setzt seit fast zehn Jahren auch auf die Türkei - Sie haben es gerade angesprochen –, wenn es um Fragen der Migration geht. Nun heißt es, man möchte das noch weiter ausbauen. Unter anderem sucht Deutschland Partner bei der Abschiebung syrischer Straftäter, und da wurde die Türkei ins Spiel gebracht. Herr Erdoğan, wie kann Ihre Regierung Deutschland und die EU in Migrationsfragen unterstützen, wenn Sie in dieser Frage innerhalb der türkischen Bevölkerung schon massiv unter Druck stehen?

Meine Frage an den Bundeskanzler: Deutschland hat die Türkei in der Vergangenheit für Menschenrechtsverletzungen kritisiert, beispielsweise wenn die türkische Armee Ortschaften beschossen hat, in denen sich PKK -Kämpfer verschanzt hatten und wenn dabei dann Zivilisten verletzt wurden oder ums Leben kamen. Nun sagte die deutsche Außenministerin diese Woche im Bundestag in Bezug auf Israels Vorgehen in Gaza, dass der Schutz ziviler Orte wie Schulen erlöschen würde, wenn sich Terroristen darin verschanzten. Diese Rede wurde international diskutiert, auch hier in der Türkei, und es heißt auch in den türkischen Medien, da würde mit zweierlei Maß gemessen. Ist das jetzt eine Richtungsänderung innerhalb der deutschen Politik? Das heißt, wird man sich zukünftig mit Kritik an der Türkei zurückhalten? Falls nicht, wie will die Bundesregierung ihre Glaubwürdigkeit in Menschenrechtsfragen erhalten?

Präsident Erdoğan: Die Frage ging jetzt nicht an mich, oder? – Ich würde mich freuen, wenn Sie die Frage an mich bitte noch einmal stellen.

Frage: Präsident Erdoğan, Sie hatten ja gesagt, dass die Bundesregierung und die türkische Regierung seit vielen Jahren auch in der Migrationspolitik eng zusammenarbeiten. Deutschland würde das ja gerne ausbauen; man sucht beispielsweise Kooperationspartner, um syrische Straftäter zurückzuschieben. Meine Frage ist: Wie können Sie der EU und Deutschland weiter in Migrationsfragen helfen, wenn Sie in dieser Frage innenpolitisch, also unter der eigenen Bevölkerung unter Druck stehen?

Präsident Erdoğan: Ich sollte vielleicht ganz klar und deutlich sagen, dass aus Syrien zunächst einmal an die vier Millionen Flüchtlinge in die Türkei gekommen sind. Momentan sind es 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge, die sich in der Türkei aufhalten. Sie sind in der Türkei untergebracht. In der Ära von Frau Merkel haben wir Gespräche darüber geführt, wie wir diese Menschen unterstützen können. Momentan gibt es hinsichtlich dieses Themas der syrischen Flüchtlinge eigentlich die Situation, dass unsere Türen immer offen gewesen sind. Insbesondere in Kriegsphasen sind das Menschen, die natürlich aus diesen Regionen in die Türkei kommen können, auch aus dem Libanon. Wenn also Menschen aus dem Libanon in die Türkei kommen sollten, sind unsere Türen, Tore und Grenzen offen gewesen. Im Libanon gibt es übrigens auch Turkmenen, sozusagen unsere Landsleute, die dort leben. Die würden wir auch aufnehmen. Wir halten sozusagen unsere Tore offen. Unsere Türen sind offen für diese Menschen.

Bundeskanzler Scholz: Ich will mich zunächst einmal für die gute Kooperation mit der Türkei bedanken, auch die zwischen der EU und der Türkei, was die Migrationspartnerschaft betrifft. Es ist auch sehr richtig, dass das jetzt weiter fortgesetzt werden soll und dass die EU auch einen finanziellen Beitrag für die große Herausforderung leistet, vor der die Türkei deshalb steht. Es ist gut, dass das fortgesetzt wird; das will ich ausdrücklich an dieser Stelle unterstreichen. Ich bedanke mich auch für die immer praktische, gute Kooperation mit der Türkei in vielen Migrationsfragen.

Ich will aber, was die Frage der Rückführung von Straftätern aus Deutschland betrifft, sehr klar sagen: Es war richtig, dass wir einen Rückführungsflug nach Afghanistan organisiert haben, und wir suchen Wege, wie wir das auch im Hinblick auf Syrien hinbekommen können. Straftäter müssen zurückgeführt werden. Es ist für die deutsche Gesellschaft wie für alle anderen Gesellschaften nicht aushaltbar, dass jemand ein Schutzrecht in Anspruch nimmt und dann in der Gesellschaft kriminell wird, die ihm Schutz gewährt. Ich glaube, diese Klarheit muss existieren.

Die Dinge sind nicht immer ganz einfach. Deshalb arbeiten wir mit sehr vielen zusammen, um das jeweils in jedem Einzelfall gut hinzubekommen, und freuen uns über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit, die wir in der ganzen Welt in dieser Hinsicht mit vielen haben.

Ich will, was die zweite Frage betrifft, noch einmal sagen, wie unsere Haltung ist: Israel hat das Recht, sich zu verteidigen. Es muss sich dabei an das Völkerrecht halten. Das ist eine Anforderung, die selbstverständlich ist und sich aus der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland seit langer Zeit ergibt. Wir haben uns immer für humanitäre Hilfe eingesetzt, die nach Gaza gelangen muss, und dafür, dass es genug ist. Wir haben ausdrücklich betont, dass wir in einer Zweistaatenlösung eine Perspektive suchen und dass jetzt mit der Freilassung der Geiseln, die die Hamas genommen hat, die Möglichkeiten für einen Waffenstillstand genutzt werden müssen. Das liegt auf dem Tisch. Das ist schon lange möglich.

Diesen Satz will ich aber auch sagen: Deutschland hat nicht die Einschätzung ‑ das habe ich eben schon in meiner vorherigen Antwort gesagt ‑, dass der Vorwurf des Völkermords berechtigt und gerechtfertigt ist. Das ändert aber nichts daran, und das will ich auch ausdrücklich unterstreichen, dass es kein geteiltes Leid in dem Sinne geben kann, dass man, wenn Kinder, wenn unschuldige Zivilisten sterben, nicht immer mit denen mitleidet und das Schicksal bedauert, das sie erleiden. Ich finde, dass Opfer von Kriegen überall auf Welt als solche Opfer betrauert werden müssen und dass sie unser Mitgefühl verdienen. Trotzdem ist das ja eine juristische Frage, und da ist die Position Deutschlands bekannt.

Frage: Wenn Sie gestatten, stelle ich jeweils eine Frage an beide. Herr Präsident Erdoğan, die erste Frage geht an Sie. Sie haben ja gesagt, dass Islamfeindlichkeit in der letzten Zeit in Europa immer stärker geworden sei. Wir haben das natürlich auch bei den Wahlen oder vor den Wahlen immer wieder sehen können. Es gab auch im Rahmen der Maßnahmen sicherlich positive Schritte. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?

Präsident Erdoğan: Was meinen Sie genau?

Zusatzfrage: Ich meine die Islamphobie. Vor den Wahlen gab es das auch in Deutschland recht verbreitet, und nach den Wahlen gab es doch teilweise positive Entwicklungen. Wie sehen Sie das?

Die nächste Frage geht an Herrn Olaf Scholz. Zu Israel haben Sie zwar schon sehr viel gesagt, aber unter den EU-Ländern gibt es unterschiedliche Haltungen. Italien und Spanien sind beispielsweise, wenn es um ein Waffenembargo geht, unterschiedlich eingestellt, oder es gibt Länder, die Palästina auch als Staat anerkannt haben. Aber sie haben natürlich in der Vergangenheit ein Leid erfahren, klar. In Bezug auf die Rüstungsindustrie: Unterstützen Sie Israel weiterhin? Stellt Sie das nicht unter politischen Druck?

Präsident Erdoğan: In Europa gibt es leider eine weitverbreitete islamfeindliche Strömung. Ich muss leider sagen: Auch in Deutschland ist die Islamfeindlichkeit verbreitet und wird fortgesetzt. Da sind allen voran die PKK und die FETÖ-Terrororganisation zu nennen, die das sozusagen mit vorantreiben. Wir sollten gegen diese Terrororganisationen gemeinsam vorgehen. Ein gemeinsamer Kampf sollte gemeinsam betrieben werden. Wir haben auch darüber gesprochen, dass wir im Rahmen der Terrorismusbekämpfung in Deutschland gemeinsam vorangehen, sowohl mein Außenminister als auch der Chef des Nachrichtendienstes. Sie werden im Rahmen der gegenseitigen Unterstützung solidarisch gegen den Terror vorgehen.

Bundeskanzler Scholz: Vielleicht ein paar Worte zur Frage nach der Islamfeindlichkeit: Es ist ganz klar, dass jede Form von menschenverachtender Ausgrenzung nicht akzeptiert werden kann – Antisemitismus nicht, Islamfeindlichkeit nicht, und auch andere religiöse Gruppen dürfen nicht angefeindet werden, Menschen überhaupt nicht. Ich glaube, dass das Gute in modernen Gesellschaften und Demokratien ist, dass das Miteinander von Menschen unterschiedlicher Religionen und unterschiedlicher Ansichten möglich ist und dass man sich in einer pluralen Demokratie eine gemeinsame Zukunft schaffen kann. Deshalb ist das im Hinblick auf die Religionsfreiheit für Deutschland auch eines der Prinzipien, das für uns ganz obenan steht und auf das sich auch jeder verlassen kann.

Klar, es gibt auch islamistischen Extremismus, der bekämpft werden muss, genauso wie es anderen Extremismus gibt, den wir bekämpfen. In diesem Zusammenhang will ich ausdrücklich sagen: Unter den europäischen Ländern ist Deutschland sehr erfolgreich, wenn es etwa darum geht, Straftaten der PKK zu verfolgen. Das werden wir auch weiterhin in unserer Zusammenarbeit machen, weil es angesprochen wird.

Was die Frage der Haltung der europäischen Staaten betrifft: Es hat gerade ein Gipfel in Europa stattgefunden, ein Europäischer Rat in Brüssel, von dem ich am Donnerstag zurückgekehrt bin, um dann die Gespräche mit President Biden und mit meinen Freunden aus Frankreich und Großbritannien zu führen, um die besondere Situation insbesondere in der Ukraine zu beraten. Es gibt eine gemeinsame Beschlussfassung in der Europäischen Union, trotz der Unterschiede, die natürlich existieren.

Ich will ausdrücklich sagen, dass Deutschland natürlich eine besondere Verantwortung für das Existenzrecht Israels hat, nicht wegen des Leids, das wir erfahren haben, wie Sie gefragt haben, sondern wegen des Leids, das Deutsche verursacht haben, indem sie Millionen Menschen während der Nazi-Diktatur verfolgt und ermordet haben, insbesondere europäische Juden. Das ist die Wahrheit. Deshalb hat Deutschland da eine Aufgabe.

Aber ansonsten gilt das, was ich vorher gesagt habe: Unsere Haltung zu Israel und zum Konflikt im Nahen Osten entwickelt sich entlang der Pfade, die ich da beschrieben habe. Es wäre gut, wenn jetzt alle einen Beitrag dazu leisten könnten, dass es jetzt einen Waffenstillstand mit einer Freilassung der Geiseln geben kann. Es gibt dazu Vorschläge von den USA, von Katar und Ägypten, die auf dem Tisch liegen, und denen sollte jetzt einmal zugestimmt werden.

Frage: Meine Frage geht an beide, zunächst an Sie, Herr Präsident. Die israelische Aggression breitet sich ja aus. In Gaza gibt es weitere Angriffe, aber auch im Libanon und in anderen Ländern. Die Gefahr durch die Konflikte, die sich ausdehnen, bringen Sie immer wieder zur Sprache, Sie machen darauf aufmerksam. Aber manche Länder unterstützen Israel weiterhin. Wie schätzen Sie das ein?

Herr Bundeskanzler, zwischen beiden Ländern gibt es tief verwurzelte Beziehungen. In Deutschland gibt es fünf Millionen Menschen aus der Türkei. Der Handel zwischen beiden Ländern hat ein großes Volumen. Haben Sie bei den Gesprächen in diesem Zusammenhang auch darüber gesprochen, wie man die Beziehungen weiter ausbauen kann?

Dann gibt es natürlich das Visaproblem. Haben Sie das besprochen? Was sagen Sie dazu, dass die Anträge auf Schengen-Visa überwiegend abgelehnt werden?

Präsident Erdoğan: Zunächst einmal ist die Einstellung Israels und Netanjahus ganz klar und deutlich, diesen Krieg nicht in einem bestimmten Rahmen zu halten, sondern ihn auf das Gebiet auszudehnen. Die Möglichkeiten, die Israel in der Hand hat, sind im Vergleich zu denen anderer Länder immens groß. Auch die F-35-Kampfjets setzt Israel ein, natürlich entsprechende Raketen und entsprechende Munition, wenn wir von Haubitzen usw. ausgehen. All diese Munition liegt natürlich vor.

Israel dehnt den Krieg, zunächst begonnen in Gaza, in eine Region aus. Bis wohin ist das jetzt gegangen? Bis in den Libanon. Auch im Libanon wird es natürlich weiterhin Massaker geben, und Netanjahu setzt das weiterhin fort. Viele der Anführer auf der anderen Seite sind ja getötet worden. Das ist fast schon eine Art Lust, die sie dadurch verspüren, dass diese Menschen getötet werden. Sie freuen sich dann, und das Ganze wird gefeiert. Die Einstellung der USA ist nicht ganz anders. Das setzen sie in dieser Form weiter fort.

Für Israel sind Munition, Waffen, Fahrzeuge, Gerätschaften usw. sowie die Beschaffung alles kein Problem. All das bekommen sie, und durch diese Möglichkeiten und Mittel fährt Israel in dieser Region mit den Massakern weiter fort.

Demgegenüber sind wir in Bezug auf Lebensmittel und Munition momentan in der Situation, dass wir insbesondere, wenn es um Lebensmittel geht, um die humanitäre Hilfe geht, um die Einstellung zu dem, was wir tun können ‑ ‑ ‑ Der türkische Rote Halbmond hilft dort. Diese Lebensmittel werden weiter dorthin verbracht, und das werden wir auch in Zukunft tun.

Bundeskanzler Scholz: Zunächst einmal: Humanitäre Hilfe muss überall hingelangen können. Das ist ganz zentral. Deutschland ist im Übrigen eines der Länder, die am allermeisten humanitäre Hilfe leisten, zusammen mit vielen anderen, und das auch schon immer in großem Umfang getan haben. Das ist jetzt sehr wichtig. Wir tun auch alles dafür, dass möglichst viel zum Beispiel nach Gaza oder andere Orte in der Region gelangt. Das ist jetzt notwendig.

Was die Frage betrifft, wie man dort aus der Situation herauskommen kann, sage ich noch einmal: Es gibt einen Vorschlag für einen Waffenstillstand und eine Freilassung der Geiseln, was Gaza betrifft, und es gibt eine Resolution der Vereinten Nationen, die Resolution 1701, die eine Waffenstillstandslinie, einen Rückzug hinter den Fluss Litani, vorschreibt. Wenn das umgesetzt und eingehalten wird, dann sind wir, glaube ich, ganz schnell in der Situation, dass der Libanon nicht Gefahr läuft, dass dort jetzt ein langanhaltender Krieg stattfindet. Das wäre in der Tat auch sehr wichtig und sehr gut. Insofern gibt es auch schon eine Grundlage für das, was jetzt zu passieren hat.

Im Hinblick auf die Frage Nummer zwei: Was war das Stichwort?

Zusatz: Die Frage betraf die bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland.

Bundeskanzler Scholz: Schönen Dank noch einmal für die Erinnerung an das Stichwort! – Die bilateralen Beziehungen – das haben wir beide hier gesagt – entwickeln sich sehr gut, und sie werden auch weiter ausgebaut. Wir haben auch besprochen, dass wir zum Beispiel das Format der Regierungskonsultationen fortsetzen, das wir schon vor langer Zeit begonnen hatten und in dem es jetzt schon länger eine Pause gegeben hat. Das ist vielleicht ein sichtbares Zeichen. Es gibt viele bilaterale Strukturen, die wir haben, was wirtschaftliche Fragen betrifft, was Außenpolitik betrifft, was Fragen auch der Rüstungskooperation betrifft. Die sind wieder belebt worden, und das ist, glaube ich, ein guter Schritt. Deutschland ist in der Europäischen Union auch aktiv dabei, immer dafür zu werben, dass sich die Beziehungen zwischen Europa und der Türkei gut entwickeln können. Dass wir da unterwegs sind, weiß die Türkei auch, und das wird auch so bleiben.

Was Visen betrifft, ist es so, dass die Konsulate Deutschlands in der Türkei diejenigen sind, die die meisten Visen für Deutschland erteilen. Hier werden also die meisten ausgestellt. Das ist etwas, das wir auch immer weiter beschleunigen, weil es eine unglaublich große Zahl an Visen ist, die da zu erteilen ist. Wir werden mit der Verbesserung der Verfahren, mit der Digitalisierung und mit vielen Maßnahmen, die wir ergreifen, versuchen, auch noch viel schneller zu werden, was die Visaerteilung betrifft. Das ist auch notwendig. Wir sind gerade sowieso dabei, unsere weltweiten Konsulate zu digitalisieren und die ganzen Prozesse so auszurichten, dass wir möglichst viel schnell und zügig entscheiden können. Das ist ein berechtigtes Anliegen. Wir haben uns in letzter Zeit auf ganz konkrete Gruppen konzentriert, auf Geschäftsleute, Leute, die Messen besuchen wollen, zum Beispiel Studenten – das ist sehr wichtig – oder – auch das ist wichtig – auch Lkw-Fahrer. Wir werden weiter dranbleiben. Ich weiß von der Botschafterin und auch von allen, die in Deutschland im Auswärtigen Amt für die konsularischen Aufgaben zuständig sind, dass das für alle eine große Priorität hat.