„Wir stehen an der Seite der Ukraine“

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Pressekonferenz des Kanzlers nach dem Europäischen Rat „Wir stehen an der Seite der Ukraine“

In seiner Pressekonferenz nach dem Europäischen Rat in Brüssel hat Kanzler Scholz der Ukraine die Unterstützung der Europäischen Union zugesichert. Zudem betonte er, dass die Wettbewerbsfähigkeit „eine zentrale Herausforderung für die Zukunft Europas” sei.

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Donnerstag, 20. März 2025
Auf dem Foto zu sehen ist Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Pressekonferenz nach dem Europäischen Rat.

In seiner Pressekonferenz nach dem Europäischen Rat sprach Bundeskanzler Olaf Scholz über die Ergebnisse der Gespräche in Brüssel.

Foto: Bundesregierung/Ronny Hartmann

Die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine weiter zu erhöhen – dieses Ziel stand im Mittelpunkt der Beratungen des Europäischen Rates am Donnerstag in Brüssel. Ebenso diskutierten die Staats- und Regierungschefs die Frage, wie die eigene Sicherheit und Verteidigung in Europa und damit verbunden auch die europäische Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden könne. 

Das Wichtigste aus dem Statement in Kürze

  • Unterstützung der Ukraine: Kanzler Scholz unterstrich, dass 26 Mitgliedstaaten ihre Unterstützung für die Ukraine erneut bekräftigt hätten: „Wir stehen an der Seite der Ukraine.“ Daher habe der Europäische Rat erneut die militärische und finanzielle Unterstützung für die Ukraine bestätigt. Den Vorschlag Präsident Selenkyjs für einen dreißigtägigen Waffenstillstand für die Energieinfrastruktur begrüßte Scholz als Chance und Grundlage für die weitere Perspektive für die Ukraine. Außerdem müsse der Ukraine als demokratischer, souveräner Staat auch der Weg in die Europäische Union weiterhin offen stehen.
  • Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Europas: Der Kanzler hob hervor, wie wichtig es sei, „dass wir alle mehr ausgeben müssen für die Verteidigung“. Deutschland ist mit mehr als 90 Milliarden Euro das Land in der EU, das am meisten Geld in seine Verteidigung investiert. Diese Größenordnung auch in den nächsten Jahren zu halten, sei aber „eine schwierige Aufgabe“, so Bundeskanzler Scholz. Die Änderung des Grundgesetzes bilde daher eine gute Grundlage, „um mehr Geld für Verteidigung und Investitionen in die Infrastruktur ausgeben zu können.“ 
  • Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit: Der Kanzler betonte zudem, dass aus dem Reden nun praktische Politik werden müsse: Bürokratieabbau und Erleichterungen bei europäischen Regeln seien hier vordringlich. Kern einer erfolgreichen Wettbewerbspolitik in Europa ist für Kanzler Scholz eine Kapitalmarktunion. Privates Vermögen müsse einfacher in Projekte, Unternehmen und Ideen investiert werden können, so Scholz. Wir müssen alle „Beschränkungen beseitigen, die dazu führen, dass dieses viele Geld, das in Europa vorhanden ist, nicht in das Wachstum unserer Volkswirtschaft investiert wird”.  

Lesen Sie hier die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 20. März 2025.

Sehen Sie hier das Pressestatements:

11:06

Video Statement des Kanzlers nach dem Europäischen Rat

Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:

Bundeskanzler Olaf Scholz:

Einen schönen guten Abend. Ich freu mich, dass ich über den Europäischen Rat heute berichten kann, und ich will das gern mit einer Eingangsbemerkung machen: Er war sehr gut vorbereitet – das war schon etwas, was man über die Letzten sagen kann – und wir haben uns in den letzten Sitzungen immer mehr über politische Fragen unterhalten, die uns alle gemeinsam bewegen, und immer weniger mit Redaktionsarbeit beschäftigt. Eine wirkliche Verbesserung der Zusammenarbeit im Europäischen Rat. Und auch die heutige Diskussion hat nochmal gezeigt, wie wertvoll das ist, weil man sich dann nicht mit Komma und Satzstellung beschäftigt, sondern mit der Frage: Worum geht es hier eigentlich? Und was sind die Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben?

Zuallererst: Wir haben uns natürlich erneut mit der Lage der Ukraine beschäftigt. Der russische Angriffskrieg findet unverändert mit großer Brutalität statt. Und deshalb ist es ganz, ganz wichtig, dass hier auch in dem Gespräch mit Präsident Selenskyj klar wird, dass die Europäische Union – und ganz ausdrücklich 26 der Mitgliedstaaten – für sich noch einmal festhalten: Wir stehen an der Seite der Ukraine. Sie kann sich auf uns verlassen, wir werden sie nicht allein lassen. Und das bedeutet natürlich zuallererst, dass wir auch die militärische Unterstützung im Sinne von Waffenhilfe für die Zukunft weiter organisieren werden. Neben all dem, was wir in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben, insbesondere mit der gemeinsamen Kreditgewährung durch die G7 Staaten, wo die Europäische Union einen substanziellen Anteil trägt. Aber auch mit all den anderen Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Deutschland wird auch in diesem Jahr wieder das Land sein, das in Europa am allermeisten Unterstützung gewährleistet. Mit der jetzt bevorstehenden Verfassungsänderung ist die Grundlage dafür geschaffen, dass wir auch in diesem Jahr 7 Milliarden Euro zur Verfügung stellen werden, für Waffenhilfe. Das ist mit riesigem Abstand der größte Betrag, und das ist etwas, was wir tun, damit das Land seine Unabhängigkeit und Souveränität verteidigen kann. Darum geht es auch, wenn wir jetzt diskutieren. Und wenn jetzt die Gespräche zwischen Russland und der Ukraine stattfinden, zwischen den USA und Russland und der Ukraine und den USA und natürlich all den anderen Beteiligten. Ich bin sehr dankbar, dass wir sowohl in dem Format hier als auch zum Beispiel in dem E3-Format mit Großbritannien, Frankreich und Deutschland sehr darauf gedrungen haben, dass diese Gespräche jetzt stattfinden können. Und zwar nicht über die Köpfe der Ukraine hinweg, sondern dass sie sich unmittelbar entlang ihrer Interessen auch entfalten können. Wir haben nun die Chance, dass es – zumindest was die Energieinfrastruktur betrifft – einen Waffenstillstand geben kann, der sich auch ausweiten kann, darüber wird nun weiter gesprochen. Und es ist sehr gut, dass der ukrainische Präsident diesen dreißigtägigen Waffenstillstand auch vorgeschlagen hat und dass die USA ihn gegenüber Russland auch vortragen. Und wir müssen dafür Sorge tragen, dass das auch zustande kommt, weil es die Grundlage dafür sein kann, dass wir darüber hinaus eine gute Perspektive für die Ukraine entwickeln können. Die muss vor allem zwei Dinge beinhalten. 

Erstens. Dass die Ukraine ihren Weg als demokratischer, souveräner Staat in die Europäische Union hinein gehen kann. Das haben die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine auf dem Maidan und bei vielen anderen Gelegenheiten entschieden. Das ist ihre klare Entscheidung. Das ist der Grund, warum mit großer Kraft und mit unglaublicher Opferbereitschaft die ukrainischen Bürgerinnen und Bürger ihr eigenes Land verteidigen und es gegen den Angriff schützen, der von außen vorgetragen worden ist. Und deshalb darf das nicht infrage gestellt werden und kein Ergebnis herauskommen, das diesen Weg abbricht. 

Zweitens. Die Ukraine wird in Friedenszeiten auch eine starke Armee haben müssen. Und die darf nicht gefährdet werden, durch irgendwelche Friedensverständigungen. Und sie muss im Übrigen auch finanziert werden. Das wird eine Aufgabe aller internationalen Freunde der Ukraine sein. Der europäischen, aber auch aller anderen, dass das gelingt. Denn die Wirtschaftskraft des Landes wird nicht ausreichen für die Größe der Armee, die notwendig ist, um sicher vor dem nächsten Angriff zu sein. Das ist dann auch die wichtigste Sicherheitsgarantie, über die hier geredet wird. 

Aus meiner Sicht ist es sehr gut, dass wir in Europa jetzt immer wieder zusammenkommen – in diesem Gremium, dem Europäischen Rat, bei den Treffen in unterschiedlicher Konstellation, in London und Paris zuletzt, aber auch bei vielen anderen Gelegenheiten, insbesondere wenn unsere Vertreterinnen und Vertreter mit den USA darauf gedrungen haben, dass sich dieser Prozess jetzt in diese Richtung entwickeln kann. Heute kann man nicht sagen, wie das ausgehen wird, aber es ist ganz entscheidend, dass wir einen klaren Standpunkt haben. Und dieser ist hier heute noch einmal bekräftigt worden.

Natürlich ist bei dieser Gelegenheit wichtig, dass wir - wenn auch nicht so ausführlich wie die letzten Male – die Frage der Verteidigungsfähigkeit der europäischen Staaten noch mal aufgegriffen haben. Das bedeutet, dass wir alle mehr ausgeben müssen für die Verteidigung. Deutschland zählt jetzt zu den Ländern, die oberhalb von 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben und nach den Berechnungen, die die NATO durchführt, sind das über 90 Milliarden Euro im Jahr. Das ist mit großem Abstand der größte Betrag in der Europäischen Union. Er entspricht der Größe des Landes, aber ist sichtbar mehr, als die Nächstplatzierten gewissermaßen für diese Aufgabe aufwenden. Aus meiner Sicht wird die Herausforderung ja dann besonders erkennbar, wenn man weiß, dass das eine schwierige Aufgabe sein wird, diese Größenordnung auch in den nächsten Jahren zu halten. Und dass es noch schwieriger wird, wenn es darum geht, noch mehr zu tun, was alle gemeinsam für richtig finden. Insbesondere, wenn aus den Erwägungen der NATO dann zusätzliche Fähigkeitsziele erwachsen, die erforderlich machen, dass wir da mehr investieren. 

Deshalb ist es – auch das will ich noch einmal erwähnen, ich habe es am Anfang schon getan – gut, dass als Ergebnis der von mir ausgelösten vorgezogenen Bundestagswahlen diese Geldfrage, die Finanzfrage, auch tatsächlich geklärt wird. Denn sie war der Grund, warum die alte Regierung nicht mehr weiterarbeiten konnte in Deutschland. Dass es keine Verständigung darüber gab, wie man die Aufgabe der Ukraineunterstützung und der Verteidigung weiter finanziert, allein für dieses Jahr. Und es hat jetzt ein Ergebnis gegeben, wo sogar noch das aktuelle Parlament in dieser Woche beschlossen hat – bevor das neue sich konstituiert – dass wir die Verfassung ändern, um mehr Geld für Verteidigung und Investitionen in die Infrastruktur ausgeben zu können. Und wenn morgen der Bundesrat, wonach es aussieht, das auch unterstützt, dann wird es so sein, dass wir diese Grundlage geschaffen haben. 

Wir haben uns dann hier beim Europäischen Rat auch über die Wettbewerbsfähigkeit unterhalten – eine zentrale Herausforderung für die Zukunft Europas. Da geht es um viele Themen, die alle schon lange auf der Agenda stehen, die aber jetzt wegkommen müssen von den Redepulten und hinkommen müssen zu der praktischen Politik. Das gilt insbesondere für den Bürokratieabbau und für die Erleichterung beim Umgang mit europäischen Regeln. Die Kommission hat sich dort Ehrgeiziges vorgenommen. Das muss alles real werden. Insbesondere gilt das für die Regelung zur Berichterstattung über Nachhaltigkeit und über die Einhaltung sozialer Kriterien im internationalen Bereich und Lieferketten. Dort ist unsere gemeinsame Überzeugung, dass es jetzt ein „Stop The Clock“ geben muss, dass die Regelungen aktuell erstmal nicht so sofort anzuwenden sind, wie sie erstmal aufgeschrieben sind und dass wir die Zeit bis zum Sommer nutzen, zu einer erheblichen Reduzierung der Anforderungen an Berichtspflichten zu kommen, sodass sie bewältigbar sind für die Unternehmen. Ich glaube, dass das eine gute Sache ist. Neben vielen anderen Dingen, die da diskutiert werden. 

Im Mittelpunkt der Wettbewerbsfähigkeit Europas steht aber die Kapitalmarktunion. Auch das will ich hier noch einmal kurz erwähnen. Das ist auch etwas, was wegkommen muss aus der Fachleutedebatte und sich hin entwickeln muss zu einer Debatte der politischen Führung. Warum? Weil es sonst nicht vorangeht und weil es die wahrscheinlich wichtigste Frage für die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist. Wir sehen gerade viele amerikanische Unternehmen, die etwa Satellitenkonstellationen betreiben, Raumschiffe in die Welt schicken, in großer Zahl alle möglichen anderen Dinge zustande bringen und die über den Kapitalmarkt der US finanziert worden sind. Es geht um Equity Investitionen, also Aktien, Beteiligungen, all das. Und obwohl Europa ein größerer Wirtschaftsraum ist und obwohl in Europa mehr Geld vorhanden ist, funktioniert dieser Mechanismus nicht in gleicher Weise. Wenn in Deutschland und Europa – auch in allen anderen Ländern Europas – darüber diskutiert wird, wir bräuchten eine große Recheninfrastruktur, diskutieren alle sofort über den Staat. Über Steuermittel, die eingesetzt werden müssen, in großem Umfang. Amerikanische Präsidenten können solche Initiativen vorstellen und zahlen gar nichts dazu, weil große Unternehmen, über den Kapitalmarkt refinanziert, diese Investitionen tätigen. Und da wir die Möglichkeiten dazu haben, müssen wir all die Beschränkungen beseitigen, die dazu führen, dass dieses viele Geld, das in Europa vorhanden ist, nicht in das Wachstum unserer Volkswirtschaft investiert wird, sondern irgendwo landet, Und das ist, glaube ich, die große Aufgabe, vor der wir stehen. Ich habe den Eindruck, das ist begriffen und deshalb darf man hoffen, dass das für die Zukunft auch eine zentrale Rolle spielt. 

Letzte Bemerkung zu den Beratungen, die wir im Europäischen Rat hatten. Wir haben uns natürlich einmal informell auch unterhalten über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen, also die fiskalischen Handlungsoptionen der Europäischen Union. Das war eine gute, konstruktive Diskussion. Die Kommission wird im Sommer mit ihren ersten Vorschlägen kommen. Irgendwann in 2027 wird es wahrscheinlich eine längere Klausur geben, wo dann darüber entschieden werden muss, wie es nun wirklich sein soll. Aber die Herausforderungen sind ja ganz offensichtlich. Es sind viele Dinge zu tun, auch neue Aufgaben dazugekommen, und die Handlungsspielräume, um das aus den nationalen Budgets durch höhere Beiträge an die Europäische Union zu finanzieren, sind auch nicht größer geworden, sondern eher kleiner, angesichts der ganzen Aufgaben, die auch zu bewältigen sind, zur Verteidigungsfähigkeit der Länder und all diese anderen Aufgaben. Also wichtig, dass damit früh begonnen wird. Lösung in zwei Jahren.

Fragerunde im Anschluss

Frage: Herr Bundeskanzler, das war ja heute voraussichtlich ihr letzter regulärer Gipfel, zumindest. Was sehen Sie als Ihre größte europapolitische Errungenschaft? Und was halten Sie für die größte Herausforderung für Ihren voraussichtlichen Nachfolger Friedrich Merz, auf die EU bezogen?

Bundeskanzler Olaf Scholz: Wenn die Europäische Union gut funktioniert, bleibt sie immer eine Gemeinschaftsleistung. Und deshalb wird es niemanden geben, der berechtigterweise für sich sagen kann, das war die größte Errungenschaft. Ich jedenfalls würde jedem raten, sich da zurückzuhalten und ein bisschen mehr Demut walten zu lassen. Aber auf alle Fälle ist es so, dass wir ja doch große Krisen bewältigt haben. Für mich war das schon eine Aufgabe als Finanzminister mit dem europäischen Wiederaufbaufonds. Der ist zustande gekommen, entsprechend dem Design, das sich entwickelt habe. Und dass der so sehr dazu beigetragen hat, dass wir durch diese Krise gekommen sind, ist etwas, was nach wie vor hilfreich ist und uns übrigens auch aktuell in den gegenwärtigen Debatten hilft. Wir haben es im Übrigen geschafft, sowohl die Energiekrise als auch die Herausforderungen, die mit notwendig mehr Anstrengung für Verteidigung und mit der Unterstützung der Ukraine verbunden sind, zu bewältigen. Alles Sachen, von denen keiner geglaubt hat, dass Europa sie bewältigen kann, angesichts der Uneinigkeit über viele Fragen. Das Gegenteil war der Fall und es ist am Ende gut gelungen. Das will ich gerne dazu sagen. Dass wir es im Übrigen auch noch geschafft haben, die jahrelange Blockade migrationspolitischer Entscheidungen aufzulösen, ist sicherlich richtig, denn das bleibt ja in beiden Hinsichten eine große Aufgabe. Wie attraktiv wir sind für die Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften aus aller Welt in unsere Länder und wie wir es gleichzeitig hinbekommen, dass wir die Entscheidung darüber, wer kommt, selbst treffen und die irreguläre Migration begrenzen können. Und da sind doch Dinge gelungen, die viele Jahre nicht gelungen sind. Ansonsten habe ich das Gefühl, dass die ernsthaften Debatten, wie sie heute auch stattgefunden haben, helfen, dass man da zusammenkommt.

Frage: Herr Bundeskanzler, die sozialdemokratische Parteienfamilie hat heute ein Papier verabschiedet zur gemeinsamen Verschuldung. Inwieweit waren Sie daran beteiligt? Da geht es ja nochmal um den strittigen Punkt, wo Sie immer sagen, dass die deutsche Position klar ist. War das mit Ihrer Zustimmung? War das dagegen?

Bundeskanzler Scholz: Also ich habe mich heute auf die Beratung hier im Europäischen Rat konzentriert und will aber gerne folgendes sagen: Die Position, die Deutschland in dieser Frage hat, ist bekannt. Vielleicht darf ich aber gerade im Hinblick auf den europäischen Wiederaufbaufond sagen, dass da auch eine Aufgabe existiert, die jetzt zu lösen ist, um überhaupt ernsthaft über die Frage: „Wie geht es weiter in Europa?“ zu diskutieren. Bestandteil dieses Designs war die Aufnahme von Krediten durch die Europäische Union, um einerseits daraus Zuwendungen zu finanzieren und zur anderen Hälfte Darlehen möglich zu machen. Das letzte ist kein allzu großes Problem, die müssen ja zurückgezahlt werden. Und so wie jetzt auch mit dem Vorschlag, den die Europäische Kommission zur Finanzierung der Verteidigung macht, mit der Nutzung des Headrooms, der Mittel der Europäischen Union, Darlehen zu vergeben, ist es attraktiv für Länder, die sich dadurch besser verschulden können als allein. Für Deutschland nicht, aber gut. Und was die Rückzahlung betrifft, die ja spätestens 2028 beginnt, war klar und fest vereinbart, das soll aus European own resources erfolgen. Und da ist definitiv zu wenig passiert. Und ohne die Auflösung dieser Frage braucht man sich keiner weiteren Debatte zuzuwenden. European own resources sollten auch own Resources sein und nicht andere Formen, auf die nationalen Budgets zurückzugreifen. Das sind die beiden Dinge, die real passiert sind – oder die drei. CBAM--Europäisches CO2-Grenzausgleichssystem ist extra, aber bringt nichts, war auch nicht dazu gedacht, große Einnahmen zu generieren und wird auf die Dauer eher weniger generieren, weil ja andere Länder entsprechende Regeln treffen und dann keine CBAM--Europäisches CO2-Grenzausgleichssystem mehr erhoben wird. Und außerdem ja die Debatte der Industrie richtigerweise darauf gerichtet ist, dass es ja aus den Einnahmen auch so etwas wie eine Exportsubventionierung geben muss für den Wettbewerb mit Ländern, die keine solchen zusätzlichen Belastungen für hohe CO2-Expositionen haben. 

Dann hat es eine stärkere Nutzung der Mittel aus dem Emissionshandelserlösen der Europäischen Union gegeben, das ist aber auch nur eine Umverteilung gewesen. Von den bisher den Mitgliedstaaten zustehenden Einnahmen auf die Kommission, also keine neue Einnahme, sondern nur eine Reduzierung der Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten. Und das gleiche gilt für diese eigenwillige plastic tax. Die tax heißt, in Wahrheit aber auch nur eine durch statistische Maßnahmen errechnete Abführung aus den Mitgliedstaatenhaushalten ist. Also, es ist nichts passiert. Obwohl alle wissen, 2028, braucht man 20 Milliarden, 25 Milliarden je nach Zinssatz, für die Rückzahlung der aufgenommenen Kredite. Sonst reduziert das ja das Budget der Europäischen Union. Und deshalb rate ich allen, bevor sie fantasievolle Diskussionen beginnen, dass sie mal diese Frage auflösen, und zwar mit etwas, das echte Vorschläge sind, über die es auch einen eigenen Konsens geben kann oder die nicht zur Reduzierung der nationalen Handlungsspielräume führen. Denn das ist ja eigentlich die Idee der own resources.

Frage: Die Frage zum Handelskonflikt mit den USA. Lässt sich bei diesem Handelskonflikt eine weitere Eskalation noch verhindern? Wie schätzen Sie ein, dass die Kommission jetzt in einem ersten Schritt Maßnahmen auf Mitte April verschoben hat? Und stimmt es, dass Sie gesagt haben, offenbar, man solle cool bleiben und sich mit Überreaktionen jetzt zurückhalten? Besten Dank.

Bundeskanzler Scholz: Europa ist wirtschaftlich stark – der größte Wirtschaftsraum der Welt, was seine ökonomische Kraft betrifft. Und auf der Basis können wir, sollten wir handeln. Das bedeutet, dass man cool bleiben muss, dass man klar sein muss und entschieden, dass man sich nicht einschüchtern lässt und dass man gleichzeitig diese Kraft aber nutzt, um das Ziel zu verfolgen, dass es keine Welle des Protektionismus gibt, die die weltwirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt und vielleicht für viele Jahre weltweit zu einer wirtschaftlichen Depression führt. In den USA aber auch in vielen anderen Ländern. Aber das geht natürlich nicht, wenn man über die eigene Kraft keine Klarheit hat. Und die ist groß. Aber, wer über solche Kraft verfügt, muss die Fähigkeit besitzen, dann auch das eigentliche Ziel nie aus dem Blick zu verlieren, nämlich dass man am besten mit wenig Zöllen und kooperativ miteinander das wirtschaftliche Wachstum der Regionen der Welt und der Länder der Welt voranbringt. Das waren ja keine schlechten Ziele. Und die Globalisierung hat seit den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts ein großes wirtschaftliches Wachstum für die ganze Welt ermöglicht und Milliarden Menschen wohlhabender gemacht. Warum sollte diese Entwicklung jetzt plötzlich abgebrochen werden? Wir haben also etwas zu diskutieren. Und da gehören dann diese Grundsätze dazu, die ich eben gesagt habe. Besinnen auf die eigene Kraft, entschlossenes Handeln und Coolness.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich möchte zur Ukraine noch mal zurückkommen, wenn Sie erlauben. Sie haben davon gesprochen, dass das, was jetzt passiert, zu einem Prozess – und ich habe das als Friedensprozess verstanden – zu einem Friedensprozess führen könnte. Jetzt haben Sie betont, wie wichtig es ist, dass die Ukraine mit am Tisch ist. Dass nichts über die Ukraine hinweg entschieden wird. Was jetzt noch fehlt, ist eigentlich, welche Rolle die Europäer dabei spielen. Ob auch die Europäer am Tisch sitzen. Das hat der finnische Präsident Stubb gestern vorgeschlagen, dass man so etwas wie einen Vermittler vielleicht nominiert, der die europäischen Interessen einbringt. Was können Sie zu diesem Punkt sagen? Haben Sie eine Vorstellung, wie es dazu kommen könnte, dass die Europäer – jetzt nicht verteilt auf NATO, Briten, Franzosen und so weiter – sondern gemeinsam am Verhandlungstisch später einmal teilnehmen könnten?

Bundeskanzler Scholz: Es ist erstmal wichtig gewesen in letzter Zeit – und darum habe ich mich bemüht, darum haben sich die schon genannten E3, Deutschland, Großbritannien und Frankreich bemüht, darum hat sich die Kommission bemüht, die Kommissionspräsidentin, der Ratspräsident und die Hohe Beauftragte –, dass es eine Situation gibt, dass die Unterstützung der Ukraine durch die USA fortgesetzt wird. Das ist erreicht worden, auch durch die Zusammenkünfte in Saudi-Arabien. Und den Vorschlag eines dreißigtägigen Waffenstillstands anzustreben, auf den Russland immer nur mit Einwendungen reagiert, und wo es ja auch immer noch nicht so ist, dass wir jetzt sagen können, die wollen das wirklich, sondern sie haben viele “ja, aber“ formuliert. Darüber sollte sich niemand eine Illusion machen. Aber, es ist ein Schritt, der jetzt erst mal als Statement da ist und als Handlungsmöglichkeit, wo dann ja all die Sprüche getestet werden können, die von russischer Seite in letzter Zeit gemacht worden sind. Aus meiner Sicht sind es auch die verschiedenen Formate, die, wenn wir uns eng miteinander absprechen und miteinander kooperieren, diesen Effekt haben müssen. Es gibt da keinen Weg. Das Entscheidende ist, dass nicht über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden wird. Und ohne Europa geht sowieso nichts. Es geht nicht nur um unsere Nachbarschaft, es geht um einen Staat, der sich entschieden hat, den Weg in die Europäische Union zu gehen und den wir dazu auch eingeladen haben. Es geht ganz viel um die wirtschaftliche, fiskalische und militärische Kraft Europas, wenn es um die Perspektive der Ukraine geht und ihre Sicherheit. Aber eben auch mit unserer Absicht, nicht allein um Europa, sondern die internationalen Freunde der Ukraine sollten im Spiel bleiben, insbesondere die USA.

Frage: Herr Bundeskanzler, die Diskussion um die Kapitalmarktunion soll die Fachleutedebatte verlassen, sagen Sie. Das ist jetzt schon zum zweiten Mal passiert in den Gipfelschlussfolgerungen. Da wird sehr ausführlich darauf eingegangen. Man hat sich darauf geeinigt, seit dem letzten Mal ist kaum etwas passiert. Seit 2015 ist kaum etwas passiert, seit 2020 ist kaum etwas passiert, was die Kommission gestern vorgelegt hat, wird gleich schon wieder als maximal von mittelhohem Ambitionsniveau kritisiert. Warum sollten wir glauben, dass jetzt in dieser Sache, auf die sich alle einigen können, wo alle sagen: „Ja, das müssen wir jetzt mal machen!“, ein Durchbruch gelingt? Sobald es auf Ministerebene ankommt, wird alles wieder zerstückelt.

Bundeskanzler Scholz: Ihre Aufzählung ist ja mehr als wahr. Das ist auch der Grund, warum ich mich mit dem französischen Präsidenten zusammen entschlossen habe, das Thema wegzuholen aus der Finanzministerberatung. Da wird es weiter eine Rolle spielen, soll es auch, aber zu sagen: „Das muss jetzt endlich gelingen!“. Und da gibt es auch noch genug Themen, über die man sich auch streiten kann. Am Ende des Tages geht es um die Frage: Trauen wir uns zu, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass dieser große Wirtschaftsraum seine existierende Fähigkeit, Wachstum zu finanzieren, über Kapitalmärkte auch nutzt? Und es kann nicht so sein, dass man das für ein Fachleutethema hält. Wenn man das nicht wichtig genug findet, und das dahin delegiert, wird das nix. Denn da gibt es viele kleine Details, mit denen man sich auskennen kann, wenn man mal vom Fach war. Aber es gibt auch ganz viele Sachen, die einfach politisch gewollt werden müssen. Wir müssen uns in die Lage versetzen, dass große Mengen Kapital jahrelang in das Wachstum von Unternehmen investiert werden. In neue, aber auch schon bestehende. Und da sind unsere Möglichkeiten nicht genutzt, obwohl sie da sind. Und deshalb ist es gut, dass wir doch sehr viel Zeit auch auf diese Debatte verwandt haben. Und ich würde sagen, es hilft dann in solchen Sachen auch, wenn man den Eindruck haben kann, da sitzen jetzt 27 Vertreter von Ländern, die alle nach Hause gehen und das Thema schon so meinen. Damit ist noch nichts entschieden, aber es ist eine bessere Ausgangsbasis, als wenn man vom Sprechzettel was abliest. Mehr kann ich Ihnen nicht bieten, aber es ist schon etwas.

Frage: Herr Bundeskanzler, wegen der Positionierung Ungarns ist es jetzt heute zum zweiten Mal in Folge nicht gelungen, eine gemeinsame Positionierung zum Ukrainekonflikt zu formulieren. Und es entsteht der Eindruck, dass die EU als 27er-Gruppe, angesichts einer der wahrscheinlich größten sicherheitspolitischen Herausforderungen ihrer Geschichte, handlungsunfähig ist. Wie denken Sie, wie kann es, wie sollte es mit Ungarn weitergehen? Wie kann dieses Problem gelöst werden?

Bundeskanzler Scholz: Zunächst mal teile ich Ihre Einschätzung nicht. Wir sind ja handlungsfähig, dann zu 26, was ja nur wiedergibt, was der Fall ist und offensichtlich. Aber diese Handlungsfähigkeit ist ja bewiesen worden. Und wir haben auch alle Wege gefunden, das Notwendige zu tun. Ob es nun Sanktionsregime betrifft, oder Mittel, die wir mobilisiert haben. Das ist ja wirksam geworden. Und ohne die riesigen Mittel, die wir mobilisiert haben, wäre die Ukraine ja gar nicht in der Lage gewesen, sich zu verteidigen. Ich will das noch einmal sagen. Das sind schon riesige Beträge, um die es da geht für die Europäische Union, und, wenn ich das sagen darf, auch für Deutschland als Land. Wir sind ja wirklich der zweitgrößte Unterstützer weltweit, der größte in Europa, mit riesigem Abstand auch laufend und immer noch, sowohl was Waffenhilfe als auch fiskalische Hilfe betrifft. Wenn man die Kosten für Flüchtlinge einrechnet, ist es nach manchen Berechnungen sogar fast 70 Prozent von dem, was die USA gemacht haben, als Deutschland. Und für Europa insgesamt gilt jedenfalls, dass wir uns da nicht verstecken müssen mit den Dingen, die wir tun. Trotzdem legt das ja geradezu nahe, dass wir die Diskussion über die Frage nie vergessen: „Wie können wir uns institutionell auch in die Lage versetzen, dort einfacher geschlossen aufzutreten? Sie wissen, dass ich schon immer der Auffassung bin, dass wir die Möglichkeit nutzen sollen, mit Zweidrittelmehrheit, qualifizierter Mehrzeit Entscheidungen zu treffen im Europäischen Rat. In den Fragen der Außenpolitik habe ich heute übrigens nicht verheimlicht, dass ich unverändert dieser Meinung bin. Und ich glaube, dass die Zahl derjenigen, die verstehen, warum das richtig ist, wächst. 

Zuruf: Das geht nicht ohne Ungarn

Bundeskanzler Scholz: Das geht nicht ohne, aber die Welt ist jetzt erstmal so. Ohne uns geht auch nichts, als Europäische Union. Das wissen auch alle Mitgliedstaaten.

Frage: Herr Bundeskanzler, wie würden Sie den Zustand der Initiative von Kaja Kallas zur Unterstützung der Ukraine, aktuell beschreiben? Und was haben Sie in den Jahren am Gipfeltisch ganz persönlich von Ihren Kolleginnen und Kollegen gelernt?

Bundeskanzler Scholz: Also was das Erste betrifft. Die Europäische Union hat eine ganze Reihe von sehr umfassenden Initiativen gestartet. Ich habe eben schon erwähnt, wie wir verschiedene Mittel europäischer Fonds mobilisiert haben, um die Ukraine zu unterstützen. Die Mitgliedstaaten haben sehr viel gemacht, auch was die Ausbildung von ukrainischen Soldatinnen und Soldaten betrifft. Deutschland voran, aber viele andere auch. Wir haben auch bilateral sehr viel an Hilfe organisiert und das ist ja ein Gemeinschaftswerk. Die Konstruktion Europas, gut verstehend und im Blick habend. Dazu zählt auch der 50 Milliarden Dollar Kredit der G7 aus den windfall profits. Auch das ist ja etwas, was sehr bewusst, sehr frühzeitig auf den Weg gebracht wurde, damit in diesem Jahr die Ukraine sich auf etwas verlassen kann, trotz der Turbulenzen, die überall passieren und passieren können, auch politisch. Und das hat ja seine Stabilisierung jetzt auch tatsächlich bewirkt. Und nun geht es eben darum, dass auch weiter das Commitment von allen hoch bleibt. Für Deutschland gilt es ja eh. Das habe ich geschildert. 

Ich habe viele interessante Gespräche geführt, auch viel gelernt über die politischen Verhältnisse in anderen Ländern. Was im Übrigen sehr dabei hilft, auch immer locker zu bleiben bei all dem, was einem auch selbst begegnen kann. Das würde ich vielleicht auch als das interessanteste Mitbringsel befinden. Ansonsten sind da auch viele mir begegnet, mit denen ich wirklich eng freundschaftlich verbunden bin.

Frage [englisch]: Herr Bundeskanzler, werden Sie der letzte deutsche Bundeskanzler sein, der die Sicherheit des Nuklearschirms der USA genießen wird? Und was bedeutet das für Deutschland?

Bundeskanzler Scholz: Nein. Damit brauche ich Ihre zweite Frage nicht beantworten.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich würde noch mal gern zum Thema Ukraine zurückkommen. Es gab ja immer wieder starke Statements von der Europäischen Union, dass man mit am Verhandlungstisch sitzen möchte. Dass man ja auch die Ukraine immer unter-stützen möchte, auch wenn die USA jetzt da ausfallen sollten. Nun ist auf diesem Gipfel öfter von einem neuen Realismus zu hören gewesen, dass man vielleicht eben doch, wenn die USA sich jetzt zurückziehen, sich erstmal diesen Gegebenheiten beugen muss, dass man halt eben am Verhandlungstisch da nicht direkt dabeisitzt und trotzdem halt noch die Hoffnung hat, die USA irgendwie zu beeinflussen in diesen Verhandlungen. Teilen Sie da auch eine gewisse Ernüchterung, die sich heute in Brüssel breit gemacht hat?

Bundeskanzler Scholz: Zunächst einmal: Friedensverhandlungen gibt es nicht. Es wird weitere Gespräche zwischen den USA und Russland geben, Gespräche zwischen den USA und der Ukraine, es wird auch Gespräche geben der USA mit Vertretern Europas, ganz besonders Großbritannien, Frankreich und Deutschland, aber eben auch der Europäischen Union als Ganzes. Das Gleiche gilt für die Ukraine. Und wir sind gar nicht in der Situation, wo man sich über die Zusammensetzung eines großen Runden Tisches mit verschiedenen Beteiligten, auch über den Kreis der bisher Benannten hinaus, Gedanken machen müsste und sollten deshalb auch nicht so tun, als wäre das so. Es ist erstmal ein guter Schritt gewesen, dass es uns gelungen ist – nachdem die Sache in die falsche Richtung sich zu entwickeln drohte –, dass die USA klargestellt haben, sie unterstützen die Ukraine weiter. Das war ein großer Gewinn und ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass man nicht aus einem Moment heraus eine unkluge Entscheidung trifft. Es ist im Interesse der Ukraine und des Friedens und der Sicherheit in Europa, dass die USA im Spiel sind. Das gilt für diese konkrete Situation, das gilt aber insgesamt auch für das, was uns ja ohnehin zusammenführt in der Nordatlantischen Allianz und der Zusammenarbeit dort.