„Europa muss sich strategisch aufstellen“

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Pressekonferenz von Bundeskanzler Merz und dem luxemburgischen Premierminister Frieden „Europa muss sich strategisch aufstellen“

Deutschland und Luxemburg kooperieren eng – bilateral, grenzüberschreitend und auf europäischer Ebene. „Wir gestalten unsere Nachbarschaft mit Luxemburg gemeinsam“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz beim Besuch von Premierminister Luc Frieden in Berlin.

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Dienstag, 1. Juli 2025
Luc Frieden und Friedrich Merz an Rednerpulten vor internationalen Flaggen

Bundeskanzler Merz und Premierminister Frieden sind sich einig, dass die europäische Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden muss.

Foto: Bundesregierung / Guido Bergmann

Das heutige Treffen bot nun auch offiziell Gelegenheit für einen intensiven Austausch als Nachbarn. Der Kanzler resümierte: „Die Zusammenarbeit zwischen Luxemburg und Deutschland ist ganz außergewöhnlich gut.“ Das gelte sowohl für die Kooperation auf Regierungsebene als auch bei gemeinsamer Schulbildung, im polizeilichen Bereich oder bei der Verkehrsplanung.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Irreguläre Migration bekämpfen – den Schengenraum erhalten: Mit Blick auf Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen unterstrich der Kanzler, man wolle die Freizügigkeit im Schengen-Raum „natürlich erhalten“. Sie werde aber auf Dauer nur funktionieren, wenn sie nicht missbraucht werde von denen, die „die irreguläre Migration befördern.“ Hierfür brauche es bessere gemeinsame europäische Lösungen. Um die derzeitigen Einschränkungen so gering wie möglich zu halten stünden die Innenminister beider Länder im engen Kontakt.
  • Offenen und regelgebundenen Handel ermöglichen: Europa müsse sich auch in der Handelspolitik strategisch aufstellen. Es gelte dabei insbesondere die Rahmenbedingungen für die gesamte Wirtschaft besser und flexibler zu gestalten. „Wir setzen uns daher sehr nachdrücklich für das neue Handelsabkommen mit den MERCOSUR-Staaten ein“, so der Kanzler. Auch darüber hinaus wolle man weitere Handelsabkommen abschließen und habe hierzu gemeinsam die EU-Kommissionspräsidentin ermutigt, diesen Weg weiterzugehen.
  • Wettbewerbsfähigkeit stärken: Deutschland und Luxemburg setzen sich gemeinsam für einen modernisierten, flexibleren und einfacheren mehrjährigen Finanzrahmen ab 2028 ein. Auch wenn der Beschluss in Brüssel nicht einfach sein werde, liege die Priorität auf Sicherheit, Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit in Europa. „Das ist der Dreiklang, den wir miteinander teilen”.

Sehen Sie hier das Video des Pressestatements:

27:01

Video Pressekonferenz von Bundeskanzler Merz und dem luxemburgischen Premierminister Frieden

Lesen Sie hier das gesamte Pressestatement:

Bundeskanzler Friedrich Merz:

Meine Damen und Herren, ich heiße den Premierminister unseres Nachbarlandes Luxemburg, Luc Frieden, herzlich willkommen. Lieber Luc, herzlich willkommen in Berlin! Ich freue mich sehr, dass du meiner Einladung gefolgt bist, heute Morgen nach Berlin zu kommen. Wir haben uns in der vergangenen Woche zweimal getroffen, zunächst beim NATO-Gipfel in Den Haag und dann am Tag darauf beim Europäischen Rat in Brüssel. Wir haben dort gemeinsam viele Weichen für die Zukunft der europäischen Sicherheit und für die Zukunft der Europäischen Union gestellt.

Wir hatten heute Gelegenheit, uns bilateral zwischen Deutschland und Luxemburg auszutauschen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass wir das so schnell tun konnten. Wir beide kennen uns seit vielen Jahren, aber dass wir das jetzt in dieser Funktion mit einem offiziellen Besuch in Deutschland begleiten können, das freut mich sehr.

Wir gestalten unsere Nachbarschaft mit Luxemburg gemeinsam, zusammen auch mit vielen Grenzgängern zwischen Deutschland und Luxemburg, zwischen Luxemburg und Deutschland. Es gibt eine gemeinsame Schulausbildung im Schengen-Lyzeum. Über die Kooperation unserer Regierungen bis hinunter in die Polizeibehörden und bis zur gemeinsamen Verkehrsplanung können wir eigentlich nur sagen: Die Zusammenarbeit zwischen Luxemburg und Deutschland ist ganz außergewöhnlich gut.

Wir haben ein aktuelles Thema, nämlich die Grenzkontrollen zu unseren europäischen Nachbarn, die wir angeordnet haben, um die hohe Zahl der Migranten zu reduzieren und die irreguläre Migration entschlossen zu bekämpfen. Wir beide schätzen die großen Vorteile des europäischen Binnenmarktes und vor allem die Freizügigkeit im Schengen-Raum. Darauf haben wir in unserem gemeinsamen Gespräch auch noch einmal Bezug genommen. Wir wollen diesen Schengen-Raum natürlich erhalten. Aber die Freizügigkeit im Schengen-Raum wird auf Dauer nur dann funktionieren, wenn sie von denen, die insbesondere mit Schleuserkriminalität die irreguläre Migration befördern, nicht missbraucht wird. Wir sind uns einig, dass sich Europa strategisch aufstellen muss. Das gilt auch für die Migrationspolitik. Das gilt für unsere gemeinsamen Initiativen, auch für die gemeinsame europäische Einwanderungs- und Asylpolitik.

Das gilt aber auch für die Handelspolitik. Wir beide kommen aus der Privatwirtschaft und wissen sehr zu schätzen, was es bedeutet, wenn politische Rahmenbedingungen so sind, dass freier und offener Handel möglich ist. Das ist zwischen Luxemburg und Deutschland seit Jahrzehnten der Fall. Wir sind einander in der Nachbarschaft auch wirtschaftlich eng verbunden. Aber wir wollen auch einen offenen und regelgebundenen Handel für die Volkswirtschaften über unsere beiden Länder hinaus. Wir setzen uns daher sehr nachdrücklich für das neue Handelsabkommen mit den MERCOSUR-Staaten ein. Wir wollen auch über MERCOSUR hinaus Handelsabkommen abschließen. Wir beide haben die EU-Kommissionspräsidentin in der vergangenen Woche ermutigt, diesen Weg weiterzugehen.

Wir setzen uns gemeinsam auch für einen neuen, modernisierten, flexibleren und einfacheren mehrjährigen Finanzrahmen ab dem Jahr 2028 ein, der in Brüssel ja noch beschlossen werden muss. Wir wissen, dass das nicht einfach wird. Aber die Priorität liegt für uns auf Sicherheit, Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit. Das ist sozusagen der Dreiklang, den wir miteinander teilen: Sicherheit, Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit in Europa. Davon werden insbesondere unsere beiden Länder sehr profitieren.

In diesem Sinne noch einmal ganz herzlich willkommen in Berlin! Ich freue mich sehr, dass wir den bilateralen Austausch fortsetzen können und dass du heute mein Gast in Berlin bist.

Premierminister Luc Frieden:

Vielen Dank! – Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kenne den deutschen Bundeskanzler schon sehr lange, seit mehr als 20 Jahren, nicht als Bundeskanzler, sondern als Politiker und als Freund. Wir beide haben – das hat auch eine Zeitung kürzlich geschrieben – in unserer Vita sehr vieles gemeinsam, nämlich Erfahrung in der Politik, eine lange Zeit in der Wirtschaft und jetzt die Position an der Spitze unserer jeweiligen Regierungen.

Ich habe heute in dem Gespräch, für das ich sehr dankbar bin, gemerkt, dass wir als Regierungschefs unserer beider Länder sehr viel gemeinsam in Europa teilen und gemeinsam bewerkstelligen wollen. Wir wollen ein Europa, das wettbewerbsfähig ist, ein Europa, das einen Binnenmarkt hat, der es uns erlaubt, unsere Produkte und Dienstleistungen in einem größeren Markt zu verkaufen und dabei Wohlstand in unseren jeweiligen Staaten und Arbeitsplätze zu schaffen. Darum geht es letztendlich; es geht darum, Sicherheit und Wohlstand zu schaffen.

Auch deshalb bin ich sehr dankbar dafür, dass ich heute, am Anfang Ihrer ersten Amtszeit als Bundeskanzler, hier sein kann. Wir brauchen ein starkes, stabiles und wettbewerbsfähiges Deutschland. Deshalb ist ein Besuch in Berlin für einen Luxemburger nicht nur ein Besuch bei einem Nachbarn, bei einem Freund, sondern es ist viel mehr als das. Was in Deutschland geschieht, unter anderem wirtschaftspolitisch, das hat einen großen Einfluss auf die Nahbarstaaten. Wir haben sehr viele Unternehmen, die Zulieferer der deutschen Wirtschaft sind. Deshalb sind die Rahmenbedingungen, die die Bundesregierung für Deutschland schafft, zum Teil ein Motor für den Rest Europas und sicherlich für mein Land. Deshalb, lieber Friedrich Merz, kann ich Sie nur unterstützen, damit Sie mit der Reformagenda, die Sie angekündigt haben, weiterkommen. Denn wir brauchen Wachstum in Europa, damit Wachstum zu Wohlstand führt.

Wir haben in unseren beiden Ländern in den letzten Jahren zum Teil eine Rezession gehabt. In Luxemburg haben wir seit dem vergangenen Jahr wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung, und ich möchte, dass das in Luxemburg so weitergeht. Aber jedenfalls hängen wir eng miteinander zusammen. Wir wollen das aus der politischen Mitte heraus in unseren Staaten erreichen. Ich kann Ihnen sagen: Sie werden Luxemburg an Ihrer Seite finden, wenn wir diese Reformagenda auch in Europa weiterbringen.

Wir haben die Kommission ermutigt, und sie ist unter Kommissionspräsidentin von der Leyen auf diesen Weg gegangen, damit wir eine Vereinfachung der Regulierungen auf den Weg bringen. Denn auch das belastet unsere Unternehmen. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen brauchen einen Binnenmarkt. Aber sie brauchen auch ein einfacheres Regelwerk, damit sie produzieren und innovieren können und nicht den ganzen Tag hinter dem Schreibtisch verbringen, um administrative Arbeit zu erledigen. Ich denke, wir werden in diesem Thema weiterkommen, und ich freue mich auf diese Zusammenarbeit.

Ich denke auch, dass wir heute ein neues Kapitel in den deutsch-luxemburgischen Beziehungen aufschlagen können. Wir haben über sehr viele Bereiche gesprochen, die zukunftsweisend sind. Wir haben über eine mögliche Kooperation im Bereich der Satelliten, sowohl zivil als vor allem auch militärisch, gesprochen. Der Krieg wird heute und morgen anders geführt als vor 50 oder 80 Jahren. Wir wollen also schauen, wie wir dabei enger miteinander zusammenarbeiten können. Luxemburg ist ein großer Satellitenstandort, und es ist die die Intention der luxemburgischen Regierung, weiter auch in neue Satellitenkapazitäten zu investieren und sie auch unseren Partnern in der NATO und in der Europäischen Union zur Verfügung zu stellen.

Wir wollen auch prüfen, wie wir im Bereich der künstlichen Intelligenz enger zusammenarbeiten können. Das sind große Anliegen, und dabei muss Europa souverän sein. Das alles kostet viel Geld. Wenn wir das zusammen tun, sind wir natürlich stärker. Ich begrüße die Offenheit Deutschlands, Luxemburg und andere Staaten in diese Überlegungen mit einzubeziehen. Luxemburg ist schon heute ein Standort, an dem es große Datenzentren gibt und an dem wir KI-Forschungszentren auch im Europäischen Verbund haben. Wir werden mit unseren Nachbarn weiter daran arbeiten.

Ein weiteres Thema, das für uns beide wichtig ist, ist natürlich das der Energieversorgung. Auch dabei ist Luxemburg ein enger Partner Deutschlands. Ja, ich kann sagen, dass wir in diesem Bereich zu einem großen Teil von Deutschland abhängen. Deshalb haben wir noch einmal über diese Zusammenarbeit und auch über die Verbindungen geredet, darüber, wie wir das weiter verstärken können. Auch hierbei spielt Europa eine Rolle. Wir brauchen eine Energieversorgung, die uns in Europa unabhängig macht.

Letzter Punkt, der Bundeskanzler hat es angesprochen: Wir glauben sehr an die grenzüberschreitende Kooperation im Schengen-Verbund. Schengen ist ein Ort in Luxemburg an der Grenze zu Deutschland und Frankreich. Es ist also ein Herzensanliegen von uns, dass Schengen weiterlebt. Ich habe großes Verständnis für einige Maßnahmen, die die neue Bundesregierung im Kampf gegen illegale Immigration und gegen Schleuser unternommen hat. Wir teilen diese Sorgen, und ich begrüße es, dass die beiden Innenminister, die Deutschlands und Luxemburgs, auch auf unsere Anweisung hin sehr eng miteinander kooperieren, damit wir eine verstärkte Polizeikooperation haben, die auch dazu führen kann, dass die Grenzkontrollen durch die verstärkte Polizeikooperation vermindert oder abgeschafft werden können.

Wir stehen zum Prinzip, dass illegale Immigration nicht tolerierbar ist. Dafür brauchen wir starke Außengrenzen. Die Innengrenzen dürfen auch unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht stören. Wir sind sehr dankbar für die 55.000 deutschen Grenzgänger aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland, die jeden Tag zum Arbeiten zu uns kommen, die mit uns leben und arbeiten. Wir wollen das Leben dieser Menschen natürlich so einfach wie möglich gestalten. Ich schätze es sehr, Herr Bundeskanzler, dass Sie sich auch die Sorgen dieser deutschen Pendler und der luxemburgischen Unternehmen – das ist eine gegenseitige Freundschaft und Abhängigkeit –, so verständnisvoll anschauen.

Es gibt also viele Themen, über die wir geredet haben. Ich könnte noch über die Kapitalmarktunion usw. reden. Wir werden in den nächsten Jahren vieles eng miteinander abstimmen und zusammen zu einem erfolgreichen Europa und zu einer sehr engen Beziehung zwischen Deutschland und Luxemburg führen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit, lieber Friedrich!

Bundeskanzler Merz

Vielen Dank!

Lesen Sie hier die Fragerunde im Anschluss:

Frage: Ich möchte eine Frage zu den Grenzkontrollstellen stellen. Herr Bundeskanzler, Sie haben es erwähnt: Es gibt eine hohe Zahl von Grenzpendlern. Ein wichtiger Teil der Arbeitsbevölkerung in Luxemburg passiert zweimal täglich die Grenze. Die Grenzkontrollen sind natürlich eine große Belastung.

Sie haben offensichtlich darüber diskutiert. Gibt es in irgendeiner Form Bewegung in dem Dossier? Können Sie Luxemburg in irgendeiner Form entgegenkommen, was das angeht?

Bundeskanzler Merz: Vielleicht darf ich Eines ganz grundsätzlich vorwegschicken, so wie ich es eben auch einführend kurz gesagt habe: Wir wollen den Schengen-Raum erhalten, und wir wollen die Freizügigkeit im Schengen-Raum nicht einschränken.

Wir müssen zurzeit Grenzkontrollen durchführen, weil der Schutz der europäischen Außengrenzen nicht hinreichend gewährleistet ist. Wir wissen, dass das eine Maßnahme auf Zeit ist. Wir wissen, dass diese Maßnahme zum Teil auch im Grenzverkehr Einschränkungen mit sich bringt. Wir wollen diese Einschränkungen so klein wie möglich halten. Wir wollen diejenigen, die täglich pendeln, in ihrer Arbeit nicht behindern. Wir haben über die Frage gesprochen – ich denke, ich darf das sagen –, dass unsere Innenminister nun auch einmal die Möglichkeit miteinander besprechen, gemeinsam Kontrollen im Hinterland der jeweiligen Grenzen durchzuführen.

Wir sind uns in dem Ziel völlig einig, dass wir die irreguläre Migration und den illegalen Grenzübertritt bekämpfen müssen. Das wollen wir tun. Aber wir wollen das mit Mitteln tun, die diejenigen so wenig wie möglich beeinträchtigen, die legal, legitim und beruflich jeden Tag vielleicht sogar bis zu zweimal eine Grenze überschreiten müssen. Diese Menschen im Großraum Luxemburg/Saarland/Rheinland-Pfalz – ich habe selbst einmal ein paar Jahre in Saarbrücken gelebt; deswegen kann ich diesen Raum einschätzen – betrachten diese Region nicht als eine Region, die von Grenzen beeinträchtigt wird, sondern sie betrachten diese Region als ihren Arbeitsplatz, als ihre Heimat, ohne dass sie diese Grenzen physisch wahrnehmen. Insofern möchte ich dieses Gefühl auch respektieren und berücksichtigen, auch bei allem, was wir tun.

Ich werbe um Verständnis dafür, dass wir Maßnahmen ergreifen müssen, um die irreguläre Migration zurückzudrängen, und die Maßnahmen, die die Bundesregierung seit nunmehr ziemlich genau acht Wochen ergriffen hat, tragen ja auch erste Früchte. Aber wir wissen, dass wir am Ende nur gemeinsame europäische Lösungen erreichen können, und da sind wir gemeinsam auf einem guten Weg in der Europäischen Union.

Frage: Ich habe ebenfalls eine Frage zur Migration. Auch an der deutsch-polnischen Grenze droht die Lage gerade zu eskalieren. Premierminister Donald Tusk hat vor zwei Tagen erzählt, dass er sich an die Bundesregierung gewandt habe, auch speziell an Sie, Herr Bundeskanzler, mit der Bitte um die rasche Erklärung der Situation und der Zurückweisungen. Was war oder was ist Ihre Antwort an Herrn Tusk? Was ist auch Ihre Idee hinsichtlich einer Deeskalation? Denn dort ist die Lage noch einmal etwas, sage ich einmal, emotionaler als in Luxemburg.

Dann habe ich noch eine Frage. Die polnische Regierung überlegt gerade heute, noch vor der Sommerpause ihrerseits ebenfalls Grenzkontrollen an der Grenze einzuführen.

Herr Premierminister Frieden, was halten Sie von der bisherigen Praxis der Bundesregierung, die Urteile verschiedener Gerichte erst einmal abzuwarten und sich bis dahin halt in dem Raum zu bewegen, in dem man nicht so richtig rechtliche Klarheit hat, was richtig und was nicht richtig ist?

Bundeskanzler Merz: Ja, ich kann das gerne beantworten. Wir, Donald Tusk und ich, haben in der letzten Woche in Brüssel darüber gesprochen. Wir haben auch in Den Haag darüber gesprochen, weil Donald Tusk auch in Den Haag gewesen ist. Wir haben die Gespräche am Wochenende auch noch einmal fortgesetzt, und es hat gestern Abend ein langes Telefonat zwischen den beiden Innenministern gegeben.

Wir befinden uns mit der polnischen Regierung in ganz engem Austausch, um die Belastungen so gering wie möglich zu halten. Wir kennen die Sorgen der polnischen Regierung. Wir wissen, dass die polnische Regierung jetzt auch an der Grenze zu Litauen Grenzkontrollen durchführen will, um auch den illegalen Grenzübertritt von Litauen nach Polen zu begrenzen. Wir haben hier also ein gemeinsames Problem, das wir gemeinsam lösen wollen.

Ich will hier noch einmal klarstellen, weil das in einigen Medien in Polen wohl berichtet worden ist: Es gibt aus Deutschland keine Rückführungen von bereits in Deutschland angekommenen Asylbewerbern nach Polen. Die gibt es nicht, und die wird es auch nicht geben. Es wird hier zum Teil behauptet, es gäbe sozusagen einen regelrechten Rückführungstourismus aus Deutschland heraus nach Polen, und die würden dann praktisch über die Grenze zurück nach Polen geschafft. Das ist nicht der Fall. Solche Fälle gibt es nicht. Es gibt die Zurückweisungen an den europäischen Binnengrenzen bzw. den deutschen Außengrenzen, und wir sprechen mit Polen genauso wie mit Luxemburg darüber, wie wir die Belastungen so gering wie möglich halten können und wie wir wirklich nur die Fälle erfassen, in denen der Versuch eines illegalen Grenzübertritts unternommen wird.

Vielleicht noch diese Ergänzung dazu: Auch mit der polnischen Regierung sprechen wir über gemeinsame Kontrollen im jeweiligen Grenzhinterland, also sowohl auf der deutschen Seite als auch auf der polnischen Seite.

Ich kann hier nur sagen: Es gibt sowohl zwischen den Regierungschefs, also zwischen Donald Tusk und mir, als auch zwischen den Innenministern eine sehr enge, sehr kollegiale, freundschaftliche Kooperation, weil wir ein gemeinsames Problem gemeinsam lösen wollen.

Premierminister Frieden: Ich habe da wenig hinzuzufügen. Ihre Frage unterstreicht, dass diese Themen überall in Europa die gleichen sind. Wir müssen gegen illegale Migration aktiv sein. Deshalb gibt es auch den europäischen Asyl- und Migrationspakt. Der muss schnell umgesetzt werden. In diesem Rahmen müssen vielleicht je nach Region auch die richtigen Anpassungen gefunden werden.

Es ist wichtig: Wir leben in einem europäischen Rechtsstaat. Dort gibt es Instrumente, und die müssen dann von jedem Staat natürlich auch im europäischen Geiste angewandt werden. Deshalb möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass der Schutz der Außengrenze unabhängig von Urteilen in einigen Ländern als eine gemeinsame Aufgabe für uns alle gilt. Luxemburg hat nur eine Außengrenze; das ist der Flughafen. Aber wir wissen, dass das, was es in Italien, Griechenland, Polen und anderswo gibt, auch unsere Grenze ist. Deshalb haben wir eine Verantwortung, diese Außengrenzen zu stärken.

Wir möchten, dass der Binnenmarkt funktioniert. Wir möchten, dass Freizügigkeit für die Bürger, die Arbeitnehmer, aber auch für Touristen und Studierende besteht. Deshalb hängen wir so sehr an Schengen, weil Schengen und der Euro für viele Bürger eigentlich die Symbole dessen sind, was Europa bedeutet. Aber wir dürfen die Probleme nicht kleinreden. Deshalb begrüße ich es, dass wie in dem Fall zwischen Deutschland und Polen, den der Bundeskanzler eben angesprochen hat, auch zwischen Deutschland und Luxemburg diese enge Diskussion geführt wird. Ich möchte mich deshalb auch noch einmal ausdrücklich bei den Innenministern Dobrindt für Deutschland und Gloden für Luxemburg bedanken, die fast täglich im Austausch stehen, um zu schauen, wie wir durch Polizeikooperation das Ziel erreichen und zugleich auch die Freizügigkeit mittelfristig erhalten können. Das ist sehr wichtig. Natürlich muss das immer in einem Rahmen geschehen, in dem die Gesetze respektiert werden, und deshalb gibt es auch Gerichte, die das überprüfen. Aber, wie gesagt, die Problematik ist da, und einfach wegzuschauen ist keine Lösung. Ich glaube, alle unsere Regierungen in Europa haben das erkannt, und wir gehen dieses Thema energisch an, ohne auf die Grundprinzipien Europas zu verzichten.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie waren letzte Woche in Brüssel bei einer Gruppe, die sehr migrationskritisch ist und auch weitere Verschärfungen fordert; so liest man. Würden Sie sich wünschen, dass sich der Premierminister Luxemburgs dieser Gruppe anschließt?

Dann habe ich die Frage an Luc Frieden, ob er auch daran teilnehmen würde.

Bundeskanzler Merz: Ich habe eine Einladung der italienischen Ministerpräsidentin, der dänischen Ministerpräsidentin und des niederländischen Ministerpräsidenten angenommen, die eine solche Gruppe gebildet haben, um noch einmal auch über weitere Verschärfungen des europäischen Asyl- und Einwanderungsrechts nachzudenken. Aus diesen drei Ländern sind mittlerweile 21 geworden, die an diesen Diskussionen teilnehmen. Ich habe das hier für niemand anderen zu beanspruchen. Ich bin hingegangen, weil ich Interesse an diesen Themen habe und weil ich mit den drei Ministerpräsidenten jeweils individuell auch schon vorher darüber gesprochen hatte, ob wir hier zu gemeinsamen, besseren europäischen Lösungen kommen können. Das ist genau der Grund, warum ich hingegangen bin.

Ich möchte, dass wir dieses Problem gemeinsam und europäisch lösen – mit der Betonung auf „gemeinsam“ und „europäisch“ –, und ich bin für jeden Vorschlag und jede Idee dankbar, die uns einer Lösung dieses Problems näherbringt. Deutschland ist vielleicht ein in der Mitte Europas gelegenes Land mit den mit Abstand höchsten Zahl in Bezug auf irreguläre Migration, das daran ein besonders großes Interesse hat. Ich bin sehr dankbar, dass Luc Frieden hier gerade noch einmal gesagt hat: Auch wenn wir keine europäischen Außengrenzen haben, die europäischen Außengrenzen sind auch unsere gemeinsamen Außengrenzen. – Wenn ich Kollegen in der Europäischen Union finde, die der Meinung sind, wir sollten diese Aufgabe gemeinsam lösen, dann schließe ich mich einer solchen Gruppe an und diskutiere genau diese Lösungen, wie wir gemeinsam unsere europäischen Außengrenzen besser schützen können.

Premierminister Frieden: Ich wurde zu dieser Sitzung nicht eingeladen, und ich habe auch kein Bedürfnis gesehen, an solchen Sitzungen teilzunehmen. Ich finde es prinzipiell gut, dass sich Staaten, die sich in Brüssel treffen und spezifische Themen haben, auch am Rande dieser Ratssitzung treffen. Für uns gilt bei diesem Thema, dass wir das im Europäischen Rat diskutieren, was ja auch diese Kollegen danach machen. Aber ich finde grundsätzlich, dass Brüssel ein Ort ist, an dem nicht nur die offizielle Sitzung stattfindet, sondern am Rande auch sehr viel Austausch stattfindet. Das hilft uns. Das spart Zeit. Ich habe letzte Woche auch mit dem Bundeskanzler gefrühstückt. Wir waren nicht alleine, sondern wir waren mit anderen christdemokratischen EVP-Regierungschefs zusammen. Ich finde, das ist sehr hilfreich. Deshalb finde ich solche Treffen produktiv. Ich muss nicht an jedem Treffen teilnehmen.

Für uns gilt bei diesen Themen: Wir müssen den Asyl- und Migrationspakt Europas umsetzen. Das Resultat zählt. Den Weg dorthin kann man unterschiedlich gehen, aber das sind wichtige Themen, die unsere Bürger beschäftigen, und wir sind auch dafür da, um zu helfen, die Probleme unserer Bürger zu lösen. Deshalb begrüße ich jede Art von Initiative in diesem Sinne, auch wenn ich selbst nicht an diesem Treffen hinsichtlich dieses Themas teilgenommen habe und auch nicht teilnehmen werde.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich hätte zwei kurze Fragen an Sie.

Im Nachgang zum NATO-Gipfel wird wieder über einen europäischen nuklearen Schutzschirm diskutiert. Der Unionsfraktionschef hat gefordert, dass Deutschland in der Debatte eine Führungsrolle einnehmen soll. Sehen Sie das auch so?

Da morgen die Sitzung des Koalitionsausschusses stattfinden wird, habe ich eine innenpolitische Frage. Aus der Union gibt es Kritik an den Regierungsplänen zur Stromsteuer. Sehen Sie da die Notwendigkeit, noch einmal in Richtung einer Stromsteuerentlastung für alle umzusteuern?

Bundeskanzler Merz: Was den nuklearen Schutzschirm betrifft, bin ich zunächst einmal der Auffassung, dass wir alles tun sollten, um auch für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, die nukleare Teilhabe mit den Vereinigten Staaten von Amerika aufrechtzuerhalten, was nicht bedeutet, dass wir nicht auch auf europäischer Seite darüber sprechen können, wie wir einen entsprechenden atomaren Schutz für unser Territorium mittelfristig bzw. langfristig organisieren können. Ich habe bis jetzt nur das französische Gesprächsangebot angenommen, hierüber einmal in Ruhe mit der französischen Regierung zu sprechen. Außer der Tatsache, dass wir vereinbart haben, darüber zu sprechen, gibt es diesbezüglich bis jetzt keine weiteren Initiativen. Aber ich bin offen, darüber zu sprechen. Das ist aber eine Aufgabe, die sich allenfalls in der sehr, sehr langen Perspektive stellt, weil es da doch eine große Zahl von Fragen zu beantworten gilt, die ganz sicher den Zeitraum überschreiten, innerhalb dessen wir jetzt zunächst einmal mit den vorhandenen Strukturen die Verteidigungsfähigkeit Europas verbessern müssen.

Wir werden morgen im Koalitionsausschuss natürlich auch über das Thema der Energiepreise sprechen. Wir haben ja auch für die privaten Haushalte und für eine ganz große Zahl von Unternehmen in Deutschland bereits Entlastungen beschlossen. Ob wir über diese Entlastungen hinausgehen können, werden wir morgen besprechen. Das wird auch in den parlamentarischen Beratungen noch zu besprechen sein. Alles, was unsere Haushaltsmittel möglich machen, ist denkbar, aber wir müssen eben auch den Haushalt ausgleichen.

Ich will mir gerne die Bemerkung erlauben: Wir haben jetzt innerhalb von acht Wochen, die wir am heutigen Tag genau im Amt sind, einen Entwurf eines Bundeshaushalts 2025 aufgestellt und sind bei der Haushaltsplanung für 2026, was die Vorgängerregierung über Monate hinweg nicht erreicht hat. Wir sind hier also einen großen Schritt weitergekommen. Ob es noch besser werden kann, darüber werden wir morgen im Koalitionsausschuss und dann ab der nächsten Woche auch im Parlament sprechen.

Herzlichen Dank, frohes Schaffen, bis bald!