Partnerschaft zwischen Deutschland und „Nordic 5“ richtungsweisend für EU

  • Bundesregierung | Startseite
  • Bundeskanzler

  • Schwerpunkte

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek 

  • Service 

Pressekonferenz von Bundeskanzler Merz und Ministerpräsident Orpo in Turku Partnerschaft zwischen Deutschland und „Nordic 5“ richtungsweisend für EU

Deutschland und die nordischen Staaten hätten „sehr viele Gemeinsamkeiten“, vor allem in der Sicherheits- und Europapolitik, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz am Dienstag in Turku. Das mache die Partnerschaft wertvoll, stabil und richtungsweisend für die EU.

19 Min. Lesedauer

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Dienstag, 27. Mai 2025
Bundeskanzler Friedrich Merz mit Finnlands Ministerpräsident Petteri Orpo auf einem Segelschiff in Turku.

Bundeskanzler Merz traf Finnlands Ministerpräsident Orpo zu einem bilateralen Gespräch.

Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann

„Deutschland und die nordischen Staaten sind einander sehr nahe, nicht nur geographisch, sondern auch kulturell und politisch.“ Mit diesen Worten dankte Bundeskanzler Friedrich Merz dem finnischen Ministerpräsidenten Petteri Orpo in einer gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstag für die Einladung nach Turku.

Merz war am Montag in die älteste Stadt Finnlands gereist und hatte dort als Ehrengast an einem Abendessen beim Gipfeltreffen der fünf nordischen Staaten (N5) Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden teilgenommen. Neben den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der N5 waren auch politische Vertreterinnen und Vertreter von Grönland, Färöer und Åland anwesend. Nach dem Gespräch mit Orpo wurde Merz am Dienstag auch vom finnischen Staatspräsidenten Alexander Stubb empfangen.

Lesen Sie hier das Wichtigste in Kürze:

  • Sicherheit im Ostseeraum stärken: Sicherheitsfragen nahmen Kanzler Merz zufolge sowohl bei den bilateralen Gesprächen als auch im N5-Rahmen breiten Raum ein. Hybride Angriffe, gekappte Kabel und beschädigte Pipelines bedrohten allesamt die Sicherheit – „Wir nehmen das gemeinsam sehr ernst.“ Schutzmaßnahmen seien zum Beispiel die NATO-Mission „Baltic Sentry“, aber auch die gegen Russland verhängten EU-Sanktionen und eine sehr enge Zusammenarbeit im Bereich Krisenmanagement. Auch die russische Schattenflotte werde mit dem 17. Sanktionspaket der EU ins Visier genommen. „Putin versteht nur die Sprache der Stärke, nicht der Schwäche.”
  • Irreguläre Migration bekämpfen: Die Sicherung der EU-Außengrenzen sei vordringlich. Merz sprach Finnland „höchste Anerkennung“ für die Sicherung der EU-Außengrenzen aus. Es gebe kein zweites Land in der EU mit einer so langen Außengrenze mit Russland – mehr als 1.300 Kilometer. Russland und Belarus instrumentalisierten Migration hier als Teil der hybriden Kriegsführung gegen den Westen. „Wir werden das nicht hinnehmen“, bekräftigte der Bundeskanzler. Finnland werde nicht allein gelassen. „Die Außengrenzen Finnlands sind auch unsere Außengrenzen“, betonte Merz.
  • Ukraine entschlossen unterstützen: Der Krieg gegen die Ukraine fordere Europa und dessen Freiheit heraus. Dennoch lasse sich bereits jetzt feststellen: „Russland hat sich verkalkuliert.“ Statt Europa zu spalten und die NATO zu schwächen, habe der Angriffskrieg gegen die Ukraine genau das Gegenteil bewirkt. Durch den Beitrtt Schwedens und Finnlands sei die NATO stärker geworden denn je zuvor, unterstrich Bundeskanzler Merz. Er kündigte an, die gemeinsame Unterstützung für die Ukraine fortzusetzen und auszubauen.

Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)

Ministerpräsident Petteri Orpo:

Verehrte Medienvertreterinnen, es ist mir eine große Freude, Bundeskanzler Friedrich Merz hier in Turku willkommen heißen zu können, in Turku, einer Stadt, die seit den Zeiten der Hanse ein zentraler Knotenpunkt in den Beziehungen Finnlands und Deutschlands war, einer Stadt, in der auch heute bedeutende Unternehmen wie Meyer und Bayer tätig sind.

Gute Beziehungen sind keine Selbstverständlichkeit. Sie werden im Dialog und durch Vertrauen aufgebaut. Deshalb ist es an und für sich schon von großer Bedeutung, dass wir die Möglichkeit hatten, die gemeinsame Zeit heute hier zu nutzen. Deutschland ist ein wichtiger Partner für Finnland, politisch, wirtschaftlich und auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit. Uns verbindet eine lange Geschichte, aber auch eine gemeinsame Auffassung von der Zukunft Europas.

Das gestrige Abendessen in der Burg von Turku mit den Staats- und Regierungschefs und die Gespräche, die heute Morgen stattgefunden haben, zeigen, wie eng unsere Zusammenarbeit ist. Wir haben uns, Friedrich, zum ersten Mal bereits vor ungefähr drei Jahren in Verbindung mit der EVP getroffen, als wir beide noch Oppositionsführer waren. Da wir in Finnland so gut in der Krisenvorsorge sind, war es eine große Freude, dem deutschen Regierungschef diese Einladung zur Konferenz schon im vergangenen Winter auszusprechen, das heißt, bevor du Bundeskanzler wurdest.

In der europäischen Sicherheit steht Deutschland im Mittelpunkt. Die Rolle Deutschlands in der Unterstützung der Ukraine war lebenswichtig. Der Beschluss, die Verteidigungsaufwendungen bedeutend zu steigern, ist vom Standpunkt ganz Europas aus eine historische Wende. Besonders wichtig ist das auch für uns, das nördliche Europa. Hier im Norden wissen wir dieses Engagement für die gemeinsame Sicherheit hoch zu schätzen. Mit Friedrich haben wir jetzt ausgezeichnete Gespräche über die Sicherheit Finnlands, des Nordens und der Ostsee gehabt. Die Ostsee ist vom politischen Standpunkt der Sicherheit aus ein wichtiges Objekt. Gemeinsam müssen wir für die Sicherheit der Ostgrenze Finnlands sorgen, denn sie ist die Außengrenze Europas. Das müssen wir gemeinsam tun.

Wir brauchen Führerschaft und einen gemeinsamen Willen, um auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit und Verteidigung Europas stärken zu können. Darüber haben wir heute Morgen gesprochen. Du hast bereits gezeigt, dass Deutschland den Willen und die Fähigkeit hat, sich in dieser Arbeit seiner Verantwortung zu stellen. Wir vertrauen darauf, dass Deutschland als großes Mitgliedsland auch den Willen hat, Lösungen zu finden, die die Europäische Union stärken.

Für uns ist wichtig, dass der nächste mehrjährige Finanzrahmen der Europäischen Union auf Augenmaß und dem Verständnis um die Notwendigkeit der Verstärkung gegenüber den großen Herausforderungen aufbaut. Es geht um die Verstärkung der Verteidigungs- und der Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig müssen wir auch ganz konkret verstehen, worum es auf diesem Erdteil geht, denn unsere Grenzen sind die Außengrenzen der NATO und der EU.

Deutschland ist für Finnland ein ganz zentraler Handelspartner. Wir haben viele gemeinsame Interessen. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Kooperation insbesondere beim „Green Deal“, in der Digitalisierung und der Verteidigungsindustrie vertiefen können. Wir sind an vorderster Front in Quantentechnologie, künstlicher Intelligenz und Dateninfrastruktur. Auch Finnland hat Deutschland viel zu geben.

Vielen Dank für diesen Besuch und für die Freundschaft, Friedrich!

Bundeskanzler Friedrich Merz:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Petteri Orpo, zunächst herzlichen Dank für den Empfang hier in Turku, deiner Heimatstadt. Es ist auch mein erster Besuch als Bundeskanzler in Finnland. Ich freue mich deshalb sehr, dass ich hier sein kann. Mir war vor allem wichtig, sehr früh zu Beginn meiner Amtszeit am Treffen der nordischen Regierungschefs teilzunehmen. Noch einmal herzlichen Dank für die Einladung, die ich vor einigen Wochen bekommen und die ich gern angenommen habe, denn Deutschland und die nordischen Staaten sind einander sehr nahe. Nicht nur geografisch, sondern auch kulturell und politisch stehen wir einander sehr nah. Es gibt in so gut wie allen Bereichen, vor allem aber in der Sicherheitspolitik, in der Europapolitik und vielen anderen Bereichen sehr viele Gemeinsamkeiten. Deutschland und Finnland, die nordischen Staaten insgesamt sind hierbei sehr eng beieinander. Das macht unsere Partnerschaft wertvoll; es macht sie stabil, und es macht sie auch richtungsweisend für die gemeinsame Politik in der Europäischen Union.

Ich habe heute die Freude, mit Ministerpräsident Petteri Orpo und später auch mit Staatspräsident Alexander Stubb zusammenzutreffen. Wir kennen einander seit vielen Jahren, auch aus der gemeinsamen politischen Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei.

Deutschland und Finnland sind einander insgesamt und seit vielen Jahrzehnten mit einer tiefen Freundschaft verbunden. Wir sind enge Partner in der Europäischen Union. Seit gut zwei Jahren sind wir auch Verbündete im nordatlantischen Bündnis der NATO. Finnland macht unsere Allianz stärker. Denn wir können viel lernen, insbesondere in den Bereichen von Gesamtverteidigung, ziviler Krisenvorsorge und der Abwehr hybrider Bedrohungen.

Ich will in diesem Zusammenhang gern noch einmal an meinen Besuch in der Zivilschutzanlage Merihaka in Helsinki im Januar des vergangenen Jahres erinnern. Das war für mich besonders eindrucksvoll, weil ich einmal gesehen habe, wie sich ein Land auf zivile Verteidigung vorbereitet und was ein Land leisten kann, wenn es über Jahrzehnte mit einer solchen Situation umzugehen weiß und die entsprechende Infrastruktur vorhält und ausbaut. Das ist sicherlich wegweisend und beispielgebend für viele andere Länder, auch für Deutschland.

Bei unseren bilateralen Gesprächen heute wie auch beim Treffen der nordischen Regierungschefs gestern haben wir vor allem über die Sicherheit im Ostseeraum gesprochen. Ich nenne als Beispiele nur die sogenannten hybriden Angriffe, gekappte Kabel, beschädigte Pipelines. Sie alle bedrohen unsere Sicherheit. Wir nehmen das gemeinsam sehr ernst. Wir schützen uns auch dagegen, zum Beispiel durch den NATO-Einsatz Baltic Sentry, auch durch Sanktionen der Europäischen Union und durch eine sehr enge Zusammenarbeit im Bereich des Krisenmanagements.

Wir haben ausführlich über die russische Schattenflotte gesprochen. Diese Schattenflotte ist auf der einen Seite eine ernsthafte Gefahr für unsere Sicherheit. Auf der anderen Seite hilft diese sogenannte Schattenflotte Moskau, den Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren. Deswegen haben wir in der Europäischen Union mit dem 17. Sanktionspaket weitere dieser sogenannten Geisterschiffe gelistet. Wir werden diesen Druck aufrechterhalten und verstärken, denn nach unserer festen Überzeugung und Einschätzung versteht Putin nur die Sprache der Stärke, nicht der Schwäche.

Wir haben schließlich auch das Thema der irregulären Migration diskutiert. Ich will Finnland wirklich höchste Anerkennung für die Sicherung der europäischen Außengrenzen aussprechen. Es gibt kein zweites Land in der Europäischen Union, das eine so lange Außengrenze hat wie Finnland, und hier eine so lange Außengrenze zu Russland, über 1.300 Kilometer. Wir wissen, dass über diese Grenze wie auch über andere die Migration als Teil der hybriden Kriegsführung gegen uns instrumentalisiert wird. Wir werden das nicht hinnehmen, weder von Russland, noch von Belarus. Deswegen ist der Schutz der europäischen Außengrenzen auch und gerade hier in Finnland eine gemeinsame Aufgabe, eine Aufgabe, die wir nicht allein dem Land überlassen, sondern die Außengrenzen Finnlands sind auch unsere Außengrenzen, auch die Außengrenzen der Bundesrepublik Deutschland. Das ist also eine gemeinsame Aufgabe Europas. Wir wollen deswegen die strengen Asylregeln der Europäischen Union gemeinsam zügig umsetzen und alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu stoppen.

Wir haben ausführlich über den Krieg in der Ukraine beraten. Dieser Krieg fordert uns alle heraus. Er fordert uns auch in der Freiheit heraus, die wir in Europa haben. Aber man kann es wohl heute schon so sagen: Russland hat sich verkalkuliert. Statt Europa zu spalten und die NATO zu schwächen, hat dieser Angriffskrieg gegen die Ukraine genau das Gegenteil bewirkt. Er hat den Zusammenhalt gestärkt, und er hat auch die NATO gestärkt, denn die NATO ist um Finnland und Schweden gewachsen und damit stärker geworden, als sie vorher war.

Tag für Tag verhindern wir, dass Moskau einen Keil zwischen uns treibt, auch zwischen Europa und die USA. Das wollen wir gemeinsam verhindern. Deswegen sind wir uns mit unseren nördlichen Nachbarn einig, dass wir unsere Unterstützung für die Ukraine fortsetzen und ausbauen werden. Dazu werden wir den Sanktionsdruck gegen Russland weiter erhöhen.

Meine Damen und Herren, ich will aber nicht nur auf die Sicherheitsaspekte eingehen, sondern ich will es auch unter einem anderen Blickwinkel beleuchten. Petteri Orpo hat es bereits gesagt. Finnland und Deutschland sind einander auch durch gemeinsame wirtschaftliche Aktivitäten eng verbunden. Es gibt Unternehmen aus Finnland, die im südlichen Teil Europas und in Deutschland stark sind. Umgekehrt gibt es Unternehmen aus Deutschland, die hier in Finnland sehr stark sind. Wir haben die Ostsee deshalb immer auch, so wie historisch gewachsen, als einen gemeinsamen Wirtschaftsraum verstanden. Heute bietet dieser Wirtschaftsraum neues Potenzial zum Beispiel für preisgünstigen Offshore-Windstrom und gemeinsame Wasserstoffprojekte. Auch hierbei gilt: Wenn wir uns besser vernetzen und enger kooperieren, profitieren wir gemeinsam von wettbewerbsfähigen Energiepreisen.

Schließlich werden wir uns gemeinsam mit den nordischen Staaten – das habe ich heute Morgen mit dem schwedischen Ministerpräsidenten beim Frühstück besprochen – sehr nachhaltig dafür einsetzen, dass wir in der Europäischen Union den Rückbau der Bürokratie weiter voranbringen. Wir werden das auch im Europäischen Rat gemeinsam vortragen. Wir werden die Europäische Kommission und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in ihren Bemühungen um den Rückbau der europäischen Bürokratie gemeinsam unterstützen. Dabei hat sie die Unterstützung des Nordens, und dabei hat sie auch die Unterstützung zwischen den nordischen Staaten und der Bundesrepublik Deutschland. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir das gestern und heute noch einmal gemeinsam so miteinander verabreden konnten. Ursula von der Leyen kann sich auf diese Unterstützung verlassen.

Insofern bin ich dankbar für den Dialog, den wir hatten, den wir fortgesetzt haben und den wir auch in Zukunft fortsetzen. Ich will nicht unerwähnt lassen, dass ich Petteri Orpo zu einem offiziellen Besuch in die Bundesrepublik Deutschland eingeladen habe. Ich freue mich, dass die Teams bereits in Kontakt sind, um ein geeignetes Datum zu finden. Ich freue mich also auf den Gegenbesuch in Deutschland.

Frage: Sie haben gestern angekündigt, dass es keine Reichweitenbeschränkung für Waffen in der Ukraine mehr gibt. Was bedeutet das? Was heißt das in der Konsequenz? Ebnen Sie damit auch den Weg für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern?

Herr Ministerpräsident, die „New York Times“ hat Satellitenbilder von der russisch-finnischen Grenze veröffentlicht, die zeigen, dass dort verstärkt russische militärische Aktivitäten stattfinden. Was tun Sie gegen diese Bedrohung, und was wünschen Sie sich ganz konkret von den NATO-Partnern, um diese Grenze zu schützen?

Bundeskanzler Merz: Sie sehen an Ihrer letzten Bemerkung, wie wichtig es ist, dass wir nicht nur das eigene Territorium beachten und beobachten, sondern auch genau hinschauen, was jenseits der Grenze unseres eigenen Territoriums geschieht. Wenn ich „unser eigenes“ sage, dann meine ich damit vor allen Dingen das NATO-Territorium hier, aber auch das Territorium der Ukraine, das wir mit Unterstützung der ukrainischen Armee so zu schützen versuchen, dass die Ukraine in der Lage ist sich zu verteidigen.

Das Thema Reichweitenbegrenzung der eingesetzten Waffen hat vor einigen Monaten und einigen Jahren einmal eine Rolle gespielt. Soweit ich es weiß  und so habe ich es gestern wiedergegeben, haben die Länder, die Reichweitenbegrenzungen auferlegt haben, diese Auflagen längst aufgegeben. Insofern habe ich gestern in Berlin etwas beschrieben, was schon seit Monaten der Fall ist, nämlich dass die Ukraine das Recht hat, die Waffen, die sie geliefert bekommt, auch jenseits der eigenen Landesgrenzen gegen militärische Ziele auf russischem Staatsgebiet einzusetzen. Das ist aus meiner Sicht notwendig; denn wer nur einen Angriff auf dem eigenen Territorium abwehrt, kann sich nicht genug verteidigen. Verteidigen kann sich nur derjenige, der auch in die Lage versetzt wird, militärische Basen anzugreifen, die auf dem Territorium des Angreifers liegen. Insofern wird die Ukraine damit seit langer Zeit richtigerweise in die Lage versetzt, sich wirklich gegen die russische Aggression zu verteidigen.

Ministerpräsident Orpo: Das ist eine sehr wichtige Frage für uns. Es ist ja so gelaufen, dass Russland die Ukraine angegriffen hat, und das hat dazu geführt, dass Finnland und Schweden der NATO beigetreten sind. Wir wollten dadurch unsere eigene Sicherheit verstärken, aber auch die Sicherheit von Europa. Jetzt hat Russland darauf reagiert, indem es die militärische Präsenz in den nahegelegenen Gebieten verstärkt hat. Dies beschreibt aber auch die unvorhersehbare Aggressivität von Russland, die die Sicherheit von ganz Europa beeinträchtigt.

Deshalb haben wir hier in Finnland vieles getan. Wir haben beschlossen, unser Verteidigungsbudget von 2,5 Prozent auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Wir müssen die Verteidigung im Ostseeraum verstärken, in Finnland und allgemein im Norden Europas. Dafür brauchen wir unsere Verbündeten. Wir müssen Vorsorge treffen, wir müssen vorsorglich planen. Deshalb gilt unser Dank Bundeskanzler Merz, auch dafür, dass er heute hier ist und gestern schon hier war, und dafür, dass er mehrfach angesprochen hat, wie bedeutend der Ostseeraum ist und wie wichtig er vom Standpunkt der Sicherheit aus ist. Man hat auch Verständnis für unsere lange Grenze zu Russland. Wir in Finnland haben sehr gut Vorsorge getroffen, aber wir brauchen dafür auch unsere Verbündeten und speziell Deutschland.

Frage: Herr Bundeskanzler Merz, ich habe eine Frage zu den Bemühungen für eine Feuerpause in der Ukraine: In welcher Weise müsste man auf Russland in dieser Situation Druck ausüben, damit es zu einer solchen Feuerpause kommt? Denn es sieht jetzt so aus, als ob Wladimir Putin offensichtlich nicht wirklich an einer Feuerpause interessiert sei. Was sagen Sie dazu?

Bundeskanzler Merz: Die Erfahrungen der letzten drei Wochen zeigen ja, dass die Bemühungen, die wir gemeinsam in der Europäischen Union, aber auch gemeinsam mit Großbritannien und mit den Vereinigten Staaten von Amerika unternommen haben, um hier zu einer Feuerpause zu kommen, bis jetzt nicht erfolgreich waren. Ich habe mir allerdings auch von Anfang an keine Illusionen gemacht, dass das sehr schnell gehen könnte. Wir haben aber einen Versuch unternommen, der ja auch bis hin zum Vatikan gereicht hat. Wenn die russische Seite noch nicht einmal bereit ist, eine Einladung des Vatikans oder eine Vermittlung des Vatikans anzunehmen, auch auf anderem Territorium zu einem Treffen zu kommen, dann zeigt das, dass Putin und Russland im Augenblick offensichtlich kein Interesse daran haben, zu einer Feuerpause, zu einem Waffenstillstand oder gar zu einem Friedensabkommen zu kommen.

Das heißt in der Konsequenz, dass die Ukraine sich weiter verteidigen muss und dass wir unsere Anstrengungen eher noch verstärken müssen, damit die Ukraine sich verteidigen kann. Ich weise immer wieder darauf hin, dass man, wenn man in die Geschichte schaut, wie Kriege zu Ende gehen, sieht: Sie gehen in der Regel zu Ende durch wirtschaftliche oder durch militärische Erschöpfung einer der beiden Seiten oder beider Seiten. Davon sind wir in diesem Krieg offensichtlich noch weit entfernt. Deswegen rechne ich damit, dass wir uns möglicherweise noch auf eine längere Dauer einzustellen haben, was aber an unserer Entschlossenheit, die Ukraine zu unterstützen, nichts ändert.

Ich sage das auch deswegen so klar und deutlich, weil es hier nicht allein um die territoriale Integrität der Ukraine geht. Wenn es darum ginge, wäre es schon Grund genug, ihr zu helfen. Aber es geht um viel mehr; das zeigt der Bericht ihres Ministerpräsidenten und das zeigen die Berichte, die ich gestern Abend bei dem Abendessen mit den nordischen Staats- und Regierungschefs gehört habe. Es wird der gesamte Raum gefährdet, in dem wir leben, es wird die politische Ordnung von Grund auf infrage gestellt, die wir uns mit Russland nach 1990 gemeinsam gegeben haben. Und wenn das der Fall ist, dann ist der Fall eingetreten, in dem wir uns alle gemeinsam verteidigen müssen. Deswegen bin ich heute so dankbar, in einem Land zu sein, das der NATO beigetreten ist; denn das ist Ausdruck dieses gemeinsamen Willens, uns gegen diese Aggression zu verteidigen. Wir werden bedroht, und dagegen verteidigen wir uns. Da wird es unter meiner Führung mit dieser Bundesregierung keinen Zweifel geben, dass wir alles tun werden, um uns dagegen zu verteidigen. Es ist die oberste Pflicht einer jeden Regierung, auch meiner, die Freiheit unserer Länder, unseres Territoriums, unserer Bevölkerung zu verteidigen. Genau das ist die Herausforderung, vor der wir zurzeit stehen.

Ministerpräsident Orpo: Ich könnte das noch weiterführen. Das war eine ganz ausgezeichnete Antwort. Es geht ja gerade darum, dass wir verstehen müssen, dass Russland eine wirkliche militärische Bedrohung bleibt, und darauf müssen wir reagieren. Unsere Vision und unser Wille laufen darauf hinaus, dass Europa in ungefähr fünf Jahren in der Lage sein muss, sich selber zu verteidigen, und dass wir weniger abhängig sind von anderen, also etwa von den Vereinigten Staaten. Wir müssen uns also selbstständig verteidigen können. Europa muss eine militärische Macht sein, sodass es niemandem in den Sinn käme, Europa anzugreifen  auch Russland sollte es nicht in den Sinn kommen. Jetzt ist dafür der Zeitpunkt  nicht morgen und auch nicht nächstes Jahr, sondern jetzt, und die Beschlüsse im Rahmen der Europäischen Union und innerhalb der NATO-Mitgliedstaaten müssen jetzt gefällt werden. Deshalb haben wir entsprechende Konferenzen. Wenn wir dies alles machen, senden wir eine starke Botschaft an Russland aus, dass wir auf diese Bedrohung reagieren und antworten werden.

Was die Friedensverhandlungen angeht, wo müssen wir gerade die Ukraine militärisch stützen. Russland ist nicht dabei, den Krieg zu gewinnen – unter riesigen Verlusten gewinnen sie immer nur ein paar Kilometer. Wir müssen eine klare Nachricht aussenden, dass wir die Ukraine militärisch unterstützen, dass es so nicht weitergehen kann und dass wir Sanktionen verhängen. Auf diese Weise müssen wir Russland an den Verhandlungstisch bekommen. Das ist der richtige Weg.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben Israel gestern ungewöhnlich scharf für das Vorgehen in Gaza kritisiert. Was folgt daraus nun konkret? Die Vorgängerregierung hat ja bis zuletzt Rüstungsexporte an Israel genehmigt und sich auch öffentlich dazu bekannt. Werden Sie diese Linie fortsetzen oder wird es einen Rüstungsexportstopp geben? Stehen Sie weiter zu dem EU-Assoziierungsabkommen mit Israel? Es gibt ja mehrere EU-Staaten, die da eine Überprüfung fordern.

Herr Ministerpräsident, auch in Finnland gibt es eine Diskussion über die Haltung zu Israel. Unter anderem wird über Sanktionen gegen einzelne israelische Minister diskutiert. Können Sie sich einen solchen Schritt vorstellen?

Bundeskanzler Merz: Ich will zunächst einmal sagen: Es bleibt dabei, dass auch die von mir geführte Bundesregierung das Existenzrecht Israels ohne Wenn und Aber verteidigt. Die Sicherheit und die Existenz Israels sind, so wie wir das seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten sagen, Teil unserer deutschen Staatsräson. Es bleibt auch dabei, dass wir ohne Wenn und Aber den Terror der Hamas verurteilen. Die Hamas muss die Geiseln freigeben und die Waffen niederlegen.

Gleichzeitig ist es kein Widerspruch dazu, wenn wir sagen: Wir sind mehr als besorgt über die Intensivierung der militärischen Aktivitäten der israelischen Armee in Gaza und wir sind bestürzt über das Schicksal und das furchtbare Leiden der dortigen Zivilbevölkerung. Deswegen stehen wir in engem Austausch mit der israelischen Regierung, bitten die israelische Regierung und fordern sie auch auf, humanitäre Hilfe zuzulassen und die Ernährungssicherheit zu gewährleisten, Wasserversorgung zu ermöglichen, Ernährung zu ermöglichen für die Bevölkerung im Gazastreifen. Ich will, so wie ich es gestern bereits gesagt habe, hinzufügen: Die massiven militärischen Schläge der israelischen Armee im Gazastreifen lassen für mich keine Logik mehr erkennen, wie sie dem Ziel dienen, den Terror zu bekämpfen und die Geiseln zu befreien.

Insofern sehe ich das, was da gerade auch in den letzten Tagen geschehen ist, sehr, sehr kritisch. Noch einmal: Wir stehen in engem Kontakt und Austausch mit der israelischen Regierung. Aber das, was da gerade in den letzten Tagen passiert ist, das erscheint mir als nicht mehr zwingend notwendig zur Verteidigung des Existenzrechts Israels und zur Bekämpfung des Terrorismus der Hamas. Dort wird die Zivilbevölkerung im Übermaß in Mitleidenschaft gezogen. Ich gehöre zu denen, die das mit Bedacht sagen, und ich gehöre auch nicht zu denen, die das zuerst gesagt haben. Ich glaube, es steht jeder deutschen Regierung gut an, das nur mit größter Zurückhaltung auch öffentlich zu sagen. Aber mir erschien und erscheint der Zeitpunkt gekommen, zu dem ich öffentlich sagen muss, dass das, was da gegenwärtig passiert, nicht mehr verständlich ist. Deswegen werden wir den Dialog mit der Regierung in Israel intensivieren und auch versuchen zu helfen. Wie weit unsere Hilfe reicht, ist Gegenstand auch interner Beratungen der Bundesregierung. Die sind noch nicht abgeschlossen, und ich bitte um Verständnis dafür, dass wir das zunächst in der Bundesregierung besprechen und dann Entscheidungen treffen. Die werden gegebenenfalls auch nicht öffentlich sein.

Ministerpräsident Orpo: In der Tat ist das, was wir in den letzten Tagen im Gazastreifen gesehen haben, in keiner Weise akzeptabel. Dem Leiden, das dort verursacht wird, und dem Töten müssen ein Ende gesetzt werden. Die humanitäre Hilfe muss dort ankommen, und zwar unmittelbar. Wir müssen Druck auf Israel ausüben, sodass die Hilfe wirklich ans Ziel kommt. Es geht aber auch darum, dass Hamas nicht verhindern darf, dass die humanitäre Hilfe ankommt. Die Geiseln müssen befreit werden. Was dort die zu Grunde liegende Ursache ist, rechtfertigt diese Dinge nicht. Deshalb müssen wir eine unmittelbare Feuerpause und Verhandlungen über einen stabilen Frieden herbeiführen; denn das ist die einzige nachhaltige Lösung.

Wir müssen also, wie der Bundeskanzler sagte, müssen direkt mit Israel verhandeln, aber auch mit den arabischen Ländern, um ein Verständnis dafür zu gewinnen, dass wir Druck auf Israel und auf die beteiligten Parteien ausüben, sodass wir zu einer Feuerpause und zu Friedensverhandlungen gelangen. Das ist unbedingt notwendig. Daran müssen wir auch gemeinsam arbeiten, und das machen wir ja. Die Rolle von Deutschland ist auch in dieser Sache sehr groß – es ist ein großes Land. Wir sind auf jeden Fall mit dabei, wenn es darum geht, eine Lösung anzustreben. Dies ist eine ganz schlimme menschliche Katastrophe, und wir müssen in der Lage sein, da einzugreifen.