Bundeskanzler Merz und Ministerpräsident Tusk bei gemeinsamer Pressekonferenz in Warschau
Bei seinem Antrittsbesuch in Polen bekräftigt Bundeskanzler Merz seinen Willen, sich „mit aller Kraft” für eine enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Polen einzusetzen. Eine starke deutsch-polnische Partnerschaft sei bedeutend für Europas Wachstum und Wohlstand.
34 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Mittwoch, 7. Mai 2025

Bundeskanzler Friedrich Merz würdigte unter anderem Polens Anstrengungen beim Schutz der EU-Außengrenze.
Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler
„Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, aber auch ein persönliches Bedürfnis, unmittelbar nach meiner Wahl zum Bundeskanzler nach Polen zu kommen“, betonte Bundeskanzler Friedrich Merz in Warschau. Nach seinem Besuch in Paris war der Bundeskanzler am ersten Amtstag zum Antrittsbesuch in die polnische Hauptstadt gereist. Dort wurde er von Ministerpräsident Donald Tusk begrüßt und mit militärischen Ehren empfangen.
Das Wichtigste des Statements in Kürze:
- Erinnern und Gedenken: Eine gemeinsame Zukunft für die enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Polen könne es nur mit der Erinnerung an die schmerzliche Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges geben. „Deutschland wird die Millionen Opfer der deutschen Besatzung Polens niemals vergessen“, betonte Merz und versprach die rasche Errichtung eines Denkmals in Berlin, um der polnischen Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken.
- Ausbau der Infrastruktur: Merz und Tusk hoben die Bedeutung eines weiteren Ausbaus der Infrastruktur zwischen Deutschland und Polen hervor. Es müsse in Zukunft genauso selbstverständlich sein, nach Warschau zu reisen wie nach Brüssel, sagte der Kanzler.
- Sicherheit Europas gewährleisten: Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sei es immer wichtiger, Europa zusammenzuhalten, zu verteidigen und die Zukunft gemeinsam zu gestalten, so Merz. Er würdigte Polens gewaltige Anstrengungen, um Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Gleichzeitig versprach er, dass auch Deutschland in den kommenden Jahren hunderte Milliarden Euro in die Verteidigung investieren werde.
- Solidarisch mit der Ukraine: Auch bei der Unterstützung der Ukraine wollen Deutschland und Polen zukünftig noch enger zusammenarbeiten – bilateral und im Weimarer Dreieck. Polen übernehme mit seiner laufenden EU-Ratspräsidentschaft bereits eine besondere Verantwortung für Europa. Die EU müssse den Sanktionsdruck auf Russland erhöhen und auch in der zivilen Unterstützung ein verlässlicher Partner bleiben. Zudem solle sie gemeinsame europäische Regeln entwickeln und verträgliche Grenzkontrollen einführen.
Lesen Sie hier die Mitschrift des Pressekonferenz:
(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte
anhand der Simultandolmetschung.)
Ministerpräsident Donald Tusk:
Vielen Dank! Ich begrüße Sie noch einmal aufs Herzlichste in Warschau, lieber Herr Bundeskanzler, lieber Freund. Ich freue mich sehr, dass es nach vielen Jahren unserer engen Zusammenarbeit und unserer persönlichen Freundschaft möglich ist, dass wir jetzt als Bundeskanzler und Premierminister zusammenarbeiten können. Wir haben diese reale Chance, dass die deutsch-polnischen Beziehungen auf eine bestmögliche Art und Weise gestärkt werden können, sodass sie für Polen, Deutschland und ganz Europa förderlich sind.
Ich kenne sehr gut deine Ansichten, ich kenne deine Einstellung gegenüber Polen, gegenüber unseren Beziehungen, gegenüber Europa, und ich weiß ausreichend viel darüber, um heute optimistisch auf die Zukunft unserer Beziehungen zu blicken. Wir alle hier in Warschau, in Polen, haben diese Geste mit größter Freude und Genugtuung aufgenommen, dass du gleich am ersten Tag nach der Vereidigung die Zeit gefunden hast, um Paris und Warschau zu besuchen. Das zeigt sehr deutlich, wie wichtig die deutsch-polnischen Beziehungen für die Zukunft Europas, aber auch für die Zukunft der Welt sind, und wie wichtig ein starkes Europa ist. Ein starkes Europa kann nur bestehen, wenn wir gemeinsam dafür verantwortlich sind.
Wir treffen uns geradezu symbolisch – du mit Präsident Macron in Paris, du und ich hier in Warschau. In einigen Stunden bin ich in Nancy in Frankreich. Ich werde dort einen polnisch-französischen Vertrag unterzeichnen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in der nächsten Zeit die Zeit finden werden, uns zu treffen.
Ich möchte euch überreden, dass wir dieses Treffen des Weimarer Dreiecks organisieren, das nicht immer gut genug ausgenutzt wurde. Ich bin geradezu ein Veteran dieser deutsch-polnisch-französischen Aktivitäten. Denn die Zukunft Europas hängt davon ab, wie dieses Dreieck funktionieren wird. Dazu braucht es neue Energie, neuen Elan. Ich weiß, du stehst dafür, du setzt dich dafür ein. Dafür herzlichen Dank.
Wir haben uns schon ausgetauscht, und wir werden uns nach dieser Pressekonferenz noch über Dinge austauschen, die nicht so einfach sind.
Das ist natürlich die Ukraine. Wir haben hier identische Ansichten. Wir werden die Ukraine wie bisher in ihrem Kampf für Souveränität und territoriale Integrität unterstützen. Ich weiß, in dir habe ich einen Partner, der entschlossen ist, hier aktiv zu sein.
Wir haben uns darüber ausgetauscht, was wirklich die Schwäche und das Problem in allen Ländern der EU ist: Das sind Migrationen, das ist die Migrationsproblematik bei euch, bei uns in ganz Europa. Wir haben uns schon darüber ausgetauscht. Es gibt Ängste, es gibt Emotionen. Das nimmt direkten Einfluss auf das politische Schicksal nicht nur Deutschlands und Polens, sondern von ganz Europa. In Übersee beobachten wir die gleiche Problematik. Ich bin sehr glücklich und zufrieden, dass wir gemeinsam nach symmetrischen Lösungen, nach europäischen Lösungen suchen. Unsere Sorge gilt der Erhaltung von Schengen; das sollte wirklich sehr wichtig sein. Ich verstehe das Bedürfnis einer verstärkten Grenzkontrolle; aber diese Grenzkontrolle sollte vor allem den Außengrenzen der Europäischen Union gelten.
Es war nicht einfach, meine europäischen Partnerinnen und Partner davon zu überzeugen, dass sie wirklich sehr ernst die polnische Ostgrenze als eine gemeinsame Verantwortung zu betrachten haben. Ich weiß, ich werde in dir einen Partner finden, der sehr gut versteht, dass der Schutz der Grenze zu Belarus und Russland, also der polnischen Grenzen zu diesen Staaten, in der gemeinsamen Verantwortung von ganz Europa, also auch von Deutschland ist. Ich möchte, dass alle wissen, dass Polen die gesamte Last für den Schutz, für die Verteidigung dieser Grenze, auf sich nimmt. Wir haben Milliarden von Złoty in eine Infrastruktur investiert, die es erlaubt, illegale Migration aufzuhalten, dem Einhalt zu gebieten. Es ging darum, die Sicherheit zu erhöhen angesichts einer potenziellen Gefahrenlage seitens des östlichen Nachbarn.
Wir haben die Route der illegalen Migration durch Belarus und Russland hier abgedichtet; illegale Schlepperbanden haben wir aufhalten können. Wir erwarten nicht nur Verständnis, sondern auch Unterstützung in diesen Aktivitäten. Wir können uns nicht vorstellen, dass Polen zum Gegenstand irgendwelcher Aktivitäten in der EU werden kann – Polen, das die größten Lasten auf sich genommen hat, was Migration, auch die Flüchtlingswelle aus der Ukraine, anbelangt. Wir haben die größten Lasten für den Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union übernommen. Vielen Dank für das Verständnis der diesbezüglich polnischen Position.
Wir haben auch über andere Dinge gesprochen, nicht nur über Kriege und Migrationen. Wir haben über unsere Infrastrukturambitionen gesprochen. Wir müssen uns einfacher und zügiger bewegen können, von Berlin nach Warschau, weiter nach Paris. Ich freue mich sehr, dass diese fünf Minuten ausreichend waren, um sagen zu können, dass diese Schnellzüge, diese Eisenbahnverbindungen wirklich eingerichtet werden müssen. Wir brauchen gemeinsame Investitionen, wir sind dazu bereit. Es braucht eine Zusammenarbeit in der NATO-Infrastruktur.
Du kannst dich erinnern: Wir sind im gleichen Alter. Ich kann mich noch an die Jahre erinnern, als die NATO-Infrastruktur eigentlich an der Elbe zu Ende war. Da hat sie geendet. Sie muss am Bug, also an der Ostgrenze der Europäischen Union, enden. Ich zähle sehr darauf, dass es hier eine enge Zusammenarbeit geben wird, und ich werde das auch bewerkstelligen.
Ich möchte noch einmal hervorstreichen, dass das ein sehr wichtiger Plan für die Polen ist. Es ist auch sehr wichtig – das fühlen wir hier alle –, dass diese Verantwortung für Europa von uns gemeinsam getragen wird. Wir werden viele Stunden, Tage, Wochen und Monate haben, um Details auszuarbeiten.
Noch einmal: Vielen herzlichen Dank! Mit voller Verantwortung kann ich heute allen sagen: Wir erleben eine neue Öffnung – vielleicht die wichtigste in den letzten Jahren – in den deutsch-polnischen Beziehungen. Vielen herzlichen Dank, dass du mit uns zusammen hier bist.
Bundeskanzler Friedrich Merz:
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Donald Tusk, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich mich sehr freue, dass ich heute in Warschau sein kann. Als Donald Tusk und ich uns vor einigen Wochen das letzte Mal hier in Warschau getroffen haben, habe ich ihm zugesagt, dass ich im Falle meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland versuchen werde, am selben Tag erst in Paris und dann in Warschau zu sein. Ich freue mich, dass das heute möglich wurde. Ich bedanke mich sehr herzlich für den außerordentlich freundlichen Empfang hier in der polnischen Hauptstadt.
Wir beide kennen uns seit vielen Jahren. Wir haben uns zuerst in Brüssel getroffen und haben dann die gute Zusammenarbeit bis hin zu einer persönlichen Freundschaft weiterentwickelt. Deswegen ist das für mich heute auch ein besonderer Tag, dass ich hier sein kann und mit Donald Tusk vor diese Presse treten darf. Das ehrt mich, und das freut mich.
Es bleibt gleichwohl richtig, dass unsere gemeinsame Geschichte ‑ wir werden in wenigen Stunden daran erinnern – für immer durch die Ereignisse überschattet bleibt, die gerade in dieser Stadt stattgefunden haben. Wir Deutsche haben im Zweiten Weltkrieg unermessliches Leid über unsere polnischen Nachbarn gebracht und mit dem deutschen Überfall auf Polen und nicht zuletzt mit der fast vollständigen Zerstörung dieser Stadt Warschau eine wirklich sehr schwere Schuld auf uns geladen. Die große Verantwortung, die aus dieser Schuld erwächst, bleibt; die nehmen wir ernst und die nehmen wir an.
Es kann eine gemeinsame Zukunft zwischen unseren beiden Ländern auch in der Europäischen Union nicht geben ohne die Erinnerung an diese Vergangenheit. Deswegen erlauben Sie mir, dass ich das sage: Deutschland wird die Millionen Opfer der Besetzung Polens niemals vergessen. Wir wollen dem Erinnern und dem Gedenken an die Opfer in Deutschland einen festen Ort geben. Die rasche Errichtung eines Denkmals für die Opfer der deutschen Aggression und Besatzung in Polen ist auch mir persönlich ein sehr wichtiges Anliegen. Ich freue mich deshalb, dass wir in einem ersten Schritt in den nächsten Wochen in Berlin ein temporäres Denkmal eröffnen werden, bevor dann eine dauerhafte Lösung folgt. Die Bundesregierung wird dieses mit Nachdruck verfolgen.
Aber über die Erinnerung an die Vergangenheit wenden wir uns der Zukunft zu, und diese Zukunft wollen wir gemeinsam gestalten. In der engen Partnerschaft zwischen Polen und Deutschland liegt ein sehr großes Potenzial. Deutschland und Polen sind zwei große Mitgliedsländer der Europäischen Union. Polen ist unser großer Nachbar im Osten. Deswegen haben wir hier auch eine ganz konkrete Verabredung miteinander getroffen, nämlich dass wir diese Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern in den nächsten Jahren vertiefen und ausbauen wollen.
Donald, du hast bereits einige Themen angesprochen. Lass mich aus meiner Sicht dazu auch etwas sagen.
Das Thema Sicherheit und Verteidigung sowie die Zusammenarbeit bei Migration und die Sicherung der östlichen EU-Außengrenze sind gemeinsame Anliegen unserer beiden Länder und Regierungen.
Wir wollen aber auch gemeinsam in die Zukunft unserer Länder und in die Infrastruktur unserer Länder investieren. Ich teile deine Forderung nach einer besseren Infrastruktur zwischen Polen und Deutschland. Ich konnte es dir eben schon in unserem persönlichen Gespräch sagen: Wir haben im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verabredet, dass wir die Infrastruktur nach Osten genauso gut ausbauen wollen wie die Infrastruktur nach Westen. Wir wollen, dass wir Schnellzugverbindungen nach Stettin und Warschau haben, dass es also genauso selbstverständlich für uns Deutsche ist, nach Osten, nach Warschau oder nach Prag, zu reisen, wie wir das seit vielen Jahren wie selbstverständlich zum Beispiel nach Brüssel oder Paris tun können. Das werden wir mit großem Nachdruck verfolgen und versuchen, diese Prozesse zu beschleunigen.
Es bleibt gleichwohl das große Thema unserer Sicherheit. Das ist eine Sicherheit, die wir gemeinsam im NATO-Bündnis versuchen zu gewährleisten. Russland ist und bleibt bis auf Weiteres die größte Bedrohung für unsere Sicherheit. Es bleibt eine Bedrohung für das euroatlantische Verhältnis. Polen als unmittelbarer und direkter Nachbar von Russland und Belarus ist hier besonders exponiert. Deswegen haben wir großes Verständnis für diese besondere Situation des Landes. Unsere Abschreckung und unsere kollektive Verteidigungsfähigkeit müssen wir deshalb schnell und glaubwürdig stärken.
Wir wissen und erkennen in hohem Maße an, dass Polen große und gewaltige Anstrengungen unternimmt, um auch dieses gerade für das östliche NATO-Gebiet zu tun. Wir haben in Deutschland – das weiß Donald Tusk – das deutsche Grundgesetz geändert, um entsprechende Ausgaben zu ermöglichen. Wir werden in den nächsten Jahren viele hundert Millionen und Milliarden in die Verteidigung investieren. Das ist unsere gemeinsame Verteidigung, die wir in Europa weiter ausbauen müssen.
Ich will daran erinnern, dass bereits jetzt polnische und deutsche Piloten gemeinsam den polnischen Luftraum schützen. Wir schützen damit die gesamte Europäische Union und das NATO-Bündnis. Deutsche Patriot-Einheiten sichern den polnischen Flughafen, den Flugplatz Rzeszów, den wir alle kennen, und deutsche Schiffe sind im Rahmen der NATO-Mission „Baltic Sentry“ auch vor Polen im Einsatz in der Ostsee.
Meine Damen und Herren, wir wollen auch die Zusammenarbeit der Regierungen in den nächsten Jahren weiter verbessern und intensivieren. Deutsch-polnische Regierungskonsultationen stehen an; die letzten haben im Sommer des letzten Jahres stattgefunden. Wir wollen das aufnehmen und die Zusammenarbeit intensivieren, und wir wollen gemeinsam auch in der Außen- und Sicherheitspolitik, im Ausbau der Infrastruktur, große Anstrengungen unternehmen.
Deutschland und Polen gehören zu den großen Unterstützern der Ukraine. Das gilt politisch, militärisch und auch bei der Aufnahme Geflüchteter. Deswegen erlauben Sie mir, dass ich auch dazu ein Wort sage.
Wir wollen gemeinsam die europäische Einwanderungs- und Asylpolitik fortentwickeln. Deutschland wird hier mit anderen zusammen darauf drängen, dass wir, wo immer möglich, gemeinsame europäische Regeln entwickeln, und wir werden auch Grenzkontrollen vornehmen in einer Art und Weise, die für unsere Nachbarn verträglich ist.
Ich will Ihnen sagen, dass ich auf dem Weg hierher noch mit dem neuen deutschen Bundesinnenminister, mit meinem Kollegen Alexander Dobrindt, Kontakt hatte und ihn gebeten habe, diesen Kontakt jederzeit mit den europäischen Nachbarn zu suchen. Es ist kein nationales Problem der Bundesrepublik Deutschland. Es ist ein gemeinsames europäisches Problem, das wir hier gemeinsam lösen wollen.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne werden wir auch in den nächsten Wochen und Monaten eng zusammenarbeiten. Ich freue mich sehr darauf. Ich werde die Kabinettskollegen bitten, sehr schnell und unmittelbar den Kontakt mit den jeweiligen Amtsinhabern auf polnischer Seite aufzunehmen. Ich freue mich auf diese Zusammenarbeit.
Ich kenne dieses Land auch aus der beruflichen Perspektive. Ich habe dieses Land in den letzten Jahren aus beruflicher Perspektive kennen und schätzen gelernt. Es ist eines der leistungsfähigsten und stärksten Länder in der Europäischen Union mit einer jungen, englischsprachigen Bevölkerung. Dieses Land, unser größter europäischer Nachbar, ist wirklich eines der Leistungsträger in der Europäischen Union.
Ich will einfach sagen: Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit. Und noch einmal ganz herzlichen Dank, Donald, für dieses freundliche Empfangen heute hier in deiner Hauptstadt. Das ist mir persönlich eine große Ehre, aber es ist auch eine Verpflichtung auf den Ausbau der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern. Ganz herzlichen Dank.
Lesen Sie hier die Fragerunde im Anschluss:
Frage: Herr Ministerpräsident, Sie haben von Migration gesprochen. Die neue Regierung hat ja eine andere Migrationspolitik. Während wir hierhin gefahren sind, hat der Innenminister angekündigt: Es gibt mehr Kontrollen, es gibt mehr Zurückweisungen, und diese erfolgen in Absprachen mit den Nachbarn. Deshalb die Frage: Gab es mit Ihrer Regierung Absprachen? Wie beurteilen Sie diese neue deutsche Migrationspolitik?
Herr Bundeskanzler, Sie hatten im Wahlkampf einen faktischen Aufnahmestopp am ersten Tag versprochen. Dies ist nun der erste Tag. Ist das der faktische Aufnahmestopp? Kommt da noch mehr? Haben Sie das mit Herrn Tusk und mit unseren anderen Nachbarn besprochen?
Ministerpräsident Tusk: Jeder Staat hat das Recht und auch die Verpflichtung, seine Grenzen bzw. sein Hoheitsgebiet vor illegalen Grenzübertritten zu schützen. Das bestreitet auch keiner. Aus polnischer Sicht ist das, wie bereits gesagt, eine Priorität, und ich bin zutiefst überzeugt, dass die volle Konzentration auf den Schutz der Außengrenzen im Interesse von allen ist, also nicht nur von Deutschland und von Polen. Deshalb haben wir so viel investiert, und das kostet wirklich sehr viel. Das hat uns nicht nur viel Geld gekostet, sondern wir haben an der polnischen Grenze jeden Tag Zwischenfälle, und es gibt auch von den belarussischen Geheimdiensten organisierte Gewaltakte. Gestern wurde ein polnischer Soldat an der Grenze verletzt. Das ist ein Krieg, den man an der Grenze zu Belarus kaum noch als hybride bezeichnen kann.
Ich werde von der neuen deutschen Bundesregierung, von dem Herrn Bundeskanzler, also erwarten, dass es eine volle Zusammenarbeit gibt, um die Außengrenzen der Europäischen Union effizient voll zu schützen. Wir haben diesbezüglich mit einer großen Entschlossenheit über das notwendige Maß hinaus unsere Aufgabe erfüllt. Ich meine hier die Präsenz von fast zehntausend Soldaten, Grenzwächtern, Polizisten an der Grenze mit Belarus, die jeden Tag im Einsatz sind. Wir machen das auch deshalb, damit keine internen Kontrollen nötig sind. Schengen ist unser gemeinsamer Erfolg. Dass die deutsch-polnische Grenze eine freie Grenze ist und sich unsere Menschen frei in beiden Richtungen bewegen können, liegt im Interesse von Deutschland und von Polen, und das ist dann möglich, wenn wir uns voll auf den Schutz der Außengrenzen konzentrieren.
In jedem EU-Staat sind die Emotionen in Sachen Migration wirklich auf höchstem Niveau, auch bei ganz einfachen Menschen. Es gibt Ängste, und jeder Staat, jedes Land antwortet auf diese Ängste, so wie es kann. Deutschland wird diejenigen in sein Gebet hineinlassen, die erwünscht sind. Wir werden hier nur diejenigen reinlassen, die wir akzeptieren. Ich will es nicht leugnen: Wir werden sicherlich sehr viele Themen haben, die wir zu besprechen haben, damit es weder entsprechende Fakten noch auch nur den Eindruck gibt, dass irgendjemand – darunter auch Deutschland – jetzt Migrantengruppen nach Polen schicken möchte; denn das würde Polen nicht akzeptieren.
Wie dem auch sei, wir sprechen uns absolut dafür aus, dass wir die europäischen Regelungen, das europäische Recht wirksam einsetzen. Es kann aber nicht so sein, dass wir in diesem Teil der Welt die größten Opfer aufbringen, weil Europa als Ganzes nicht imstande war, früher für seine Grenzen Sorge zu tragen. Polen ist hier derjenige Staat, der am wenigsten daran schuld ist. Ich rechne daher sehr damit, dass es volles Verständnis gibt. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, damit unsere Staatsgebiete und die gesamte EU vor der illegalen Migration verteidigt werden können, geschützt werden können. Wir werden hier sehr hart sein und wir werden entschlossen sein. Wir rechnen aber sehr mit einer Zusammenarbeit auf gegenseitiger Basis.
Zu den Ankündigungen zu verschärften Grenzkontrollen: Jeder Versuch dieser Art ist verknüpft mit größeren Problemen, vor allem für die Anwohner. Sie wissen ja, dass tausende Polen in Deutschland arbeiten, also hier wohnen und drüben arbeiten. Sie wissen, was es heißt, wenn man Pendler über die Grenze ist, in der Frühe aufstehen muss, um zur Arbeit zu fahren, und es dann plötzlich Grenzkontrollen gibt. Wir sollten daher schauen, dass wir nicht das kontrollieren, was offen sein sollte, sondern dass wir das kontrollieren, was illegale Migration ist. Diesbezüglich werde ich sehr hartnäckig sein, wie Sie sich denken können.
Ich möchte jetzt nicht die Atmosphäre kaputtmachen, aber wir sind nicht dazu da, jetzt vorzuspielen, dass alles super ist. Wir wissen aber, dass die Beziehungen auch diesbezüglich sehr partnerschaftlich und voller Verständnis sein werden. Die schlimmste Lösung wäre, wenn jetzt plötzlich alle Kontrollen einführen. Wenn jemand früher oder später Kontrollen an der Grenze zu Polen einführt, wird Polen auch seinerseits Kontrollen einführen. Das hätte langfristig aber keinen Sinn. Das Einzige, was Sinn hat, ist ein gemeinsamer Schutz der gesamten Europäischen Union vor Außengefahren. Darauf zähle ich.
Das war jetzt nicht die Frage, aber wir haben uns eben auch darüber unterhalten, wie sich Deutschland im Zusammenhang mit der Ukrainehilfe beim Schutz der Infrastruktur engagiert. Wir haben über die Patriot-Luftabwehrraketensysteme zum Schutz des Flughafens in Rzeszów gesprochen. Wir bedanken uns sehr herzlich für die sehr zügige Reaktion, als die Amerikaner ihre Patriots zurückgezogen haben.
Ich möchte auch, dass Sie alle sich dessen bewusst werden, dass diese Präsenz von Soldaten und Infrastruktur, also dieser Luftabwehrsysteme, nicht nur im deutschen und polnischen Interesse liegt, sondern auch im Interesse der Ukraine und von ganz Europa. Deshalb bin ich mit dem Vorschlag an den Herrn Kanzler getreten, dass man vielleicht erwägt, die deutschen Patriot-Systeme dort bis Ende des Jahres zu stationieren. Ich kann natürlich nicht erwarten, dass man innerhalb einer Stunde hier antwortet, aber ich danke für das Verständnis. Es wäre in unserem gemeinsamen Interesse, wenn diesbezüglich eine positive Entscheidung getroffen werden könnte. Wir werden natürlich nach alternativen Lösungen suchen, aber es wäre gut, wenn wir den Schutz dieses Standortes, der so wichtig für die Sicherheit Europas ist, langfristiger planen können.
Wir kennen uns allzu gut und wir verstehen uns allzu gut, um nicht auch zu wissen, dass es auch viele schwierige Gespräche geben wird. Die Migration ist eines dieser schwierigen Themen. Wir müssen aber, wie du gesagt hast, europäische Lösungen finden, und europäische Lösungen dürfen nicht darin bestehen, dass ein europäischer Staat dem anderen Probleme bereitet. Vielmehr wir müssen uns gemeinsam anstrengen, damit diese Gefahren ausgeräumt werden können und damit keine Probleme entstehen, die uns alle betreffen. Ich bin überzeugt, dass wir hier auch gemeinsame Lösungen finden werden können.
Bundeskanzler Merz: Ich bin Donald Tusk zunächst sehr dankbar, dass er anerkennt – und das ist, glaube ich, auch eine ganz einfache Selbstverständlichkeit –, dass alle Mitgliedstaaten das Recht haben, auch den Zugang auf ihr Territorium zu regulieren. Nun haben wir gleichzeitig seit vielen Jahren – seit über 30 Jahren – einen europäischen Binnenmarkt, und wir haben den Schengen-Raum. Wir beide kommen ja auch aus der europäischen Politik und wissen, wie wertvoll dieser Schengen-Raum und wie wertvoll dieser europäische Binnenmarkt für uns alle ist. Das gilt insbesondere für die Regionen, die in Grenznähe sind. Der kleine Grenzverkehr, der im täglichen Miteinander über die Grenzen hinweg notwendig ist, ist ein wichtiger Faktor, auch für Arbeitsplätze und Wohlstand in den jeweiligen Regionen. Deswegen haben wir ein gemeinsames Interesse daran, dass der Schengen-Raum erhalten bleibt, dass der freie Personenverkehr in der Europäischen Union im Binnenmarkt erhalten bleibt, und wir wollen alles tun, um genau das zu schützen – und übrigens auch weiter auszubauen. Ich habe mit Emmanuel Macron heute auch genau darüber gesprochen, wie wir die Vollendung bzw. die weitere Entwicklung des europäischen Binnenmarktes erreichen können. Wir wollen ja nicht zurück, sondern wir wollen nach vorn und wir wollen versuchen, gemeinsam auch weitere Integrationsschritte auf den Weg zu bringen.
Das Thema Migration ist ein Thema, das wir gemeinsam in Europa lösen müssen und wollen. Ich darf das, glaube ich, sagen: Wir haben am letzten Sonntag noch miteinander telefoniert und wir haben das auch abgestimmt, so wie wir übrigens auch im Koalitionsvertrag mit der SPD vereinbart haben, dass wir in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn entsprechende Grenzkontrollen vornehmen. Genau das geschieht im Augenblick, genau das geschieht auch durch den deutschen Bundesinnenminister am heutigen Tag, und wir werden uns gemeinsam um bessere europäische Regeln bemühen.
Ich weiß auch aus der deutschen Sicht um die Verantwortung des Schutzes der europäischen Außengrenzen, die wir als Deutsche nicht haben. Aber natürlich sind es auch unsere gemeinsamen europäischen Außengrenzen, und wir überlassen den Schutz dieser europäischen Außengrenzen nicht allein den Staaten – wie zum Beispiel dem Land Polen –, die diese europäischen Außengrenzen haben. Wir empfinden es als eine Verpflichtung, diese europäischen Außengrenzen auch mit deutscher Unterstützung und Hilfe besser zu schützen, als uns das in der Vergangenheit gelungen ist.
Insofern, denke ich, werden wir hier zu guten Lösungen kommen. Das Ziel ist ein gemeinsames Ziel, nämlich die irreguläre Migration drastisch zu senken. Daran arbeiten wir gemeinsam und alle zusammen in gutem europäischem Geist.
Frage: Herr Bundeskanzler, haben Sie nicht Angst, dass verschärfte Grenzkontrollen eine solche Lawine zur Folge haben werden, dass auch andere Länder dies einführen werden möchten?
Eine Frage an Herrn Premierminister Tusk: Nach diesen Gesprächen, die hier stattgefunden haben, gibt es die Hoffnung, dass die Zusammenarbeit im Rahmen des Weimarer Dreiecks belebt werden kann. Sehen Sie das auch so, und wenn ja, in welchen Bereichen?
Bundeskanzler Merz: Ich will das sehr klar und sehr deutlich beantworten: Wenn wir alle zusammen in der Europäischen Union an diejenigen, die sich auf den Weg nach Europa machen, und vor allen Dingen an die Schlepperorganisationen das Signal geben, dass diese Wege ohne gültige Einreisemöglichkeiten in Zukunft sehr viel schwieriger werden und dass wir sie auch irgendwann schließen, dann ist das ein richtiges und gemeinsames gutes Signal. Wir wollen auch die Rückwirkungen auf diejenigen sehen, die diese Fluchtmigration organisieren und ermöglichen. Wir schließen diese Wege gemeinsam in Europa, und wir gehen gemeinsam vor in der Europäischen Union. Sie wissen es vermutlich: Es gibt eine Initiative einiger Länder der Europäischen Union, nämlich von Dänemark, den Niederlanden und Italien – es haben sich viele Länder dieser Initiative angeschlossen –, jetzt noch einmal die gemeinsame europäische Asyl- und Einwanderungspolitik zu verschärfen. Meine Bundesregierung, die neue Bundesregierung, wird sich dieser Initiative anschließen, und wir werden versuchen, hier gemeinsam zu entsprechenden Entscheidungen zu kommen. Wir wissen, dass wir am Ende in einer Welt leben, in der wir diese Antwort in der gesamten Europäischen Union nur zusammen geben können. Das ist auch das Ziel der neuen Bundesregierung.
Ministerpräsident Tusk: Noch zu den Grenzkontrollen: Wir haben auch ein starkes Argument. Die Grenze zu Belarus und zu Russland ist eine dichte Grenze, und wir haben an der belarussischen Grenze jeden Tag sehr viele Dutzende, manchmal hunderte von Versuchen der Grenzüberschreitung durch organisierte Migrantengruppen. So ist es praktisch nicht mehr möglich, diese Grenze illegal zu passieren. Wie Sie wissen, werde ich mich bei der nächsten Sejm-Sitzung mit dem Anliegen an das polnische Parlament, an den Sejm, wenden, dass unsere neuen Vorschriften verlängert werden, durch die zeitweilige Asylanträge derjenigen, die diese Grenze illegal passiert haben, gestoppt werden. Als ich vorgeschlagen habe, dass die Asylanträge in Zusammenhang mit diesem organisierten Migrationsdruck an der Grenze gestoppt werden, gab es Ängste, dass Europa das nicht akzeptieren würde und nicht verstehen würde. Der heutige Bundeskanzler und damalige Oppositionsleader war einer der Ersten, der gesagt hat: Ja, da habt ihr unsere Unterstützung, wir verstehen euch. Das war sehr hilfreich für uns, das möchte ich ganz offen sagen. Das ist heute etwas Offensichtliches, das sind Standardlösungen, die angewendet werden, und niemand bestreitet das in Europa. Ganz am Anfang brauchte es aber diese Unterstützung, und ich werde daran denken und nicht vergessen, wer mir diese Unterstützung so vorzüglich gewährt hat.
Wir unterhalten uns darüber heute auch mit Litauen. Auch dort gibt es Versuche, diese Grenze zu passieren. Wir schlagen aber nicht vor, die Grenze zu Litauen zu schließen. Das wäre der allerletzte Schritt. Wir unterstützen Litauen und wir geben ein gutes Beispiel, ein Vorbild, wie sie die litauisch-belarussische Grenze zu schützen haben. Nur das ist die richtige Vorgehensweise. Deshalb hoffe ich sehr, dass dieses Modell, dass wir unsere Außengrenzen – nicht nur zu Belarus – durch gemeinsame europäische Bemühungen schützen, weiter vervielfältigt werden kann. Das Schwierigste ist natürlich die Meeresgrenze; die Grenze auf dem Festland ist etwas anderes. Wir wissen, dass das ganz schwierig ist, aber wir müssen uns der Aufgabe stellen.
Herr Bundeskanzler, ich weiß und zähle sehr darauf, – und ich bin da auch sehr fest entschlossen –, dass diese Politik der Rückführung der Migranten, das heißt, der Rücksendung all jener, die illegal nach Europa gekommen sind, eine wirksame Politik ist. Da kann Deutschland mit einer großen Unterstützung unsererseits rechnen, und das gilt auch in die andere Richtung. Wir werden gemeinsam Modelle ausarbeiten, damit diese Rückführung wirklich praktiziert wird und damit die Schlepperbanden und Schurkenstaaten, die das organisieren, wissen, dass das nichts taugt und es letztendlich nichts bringt, wenn sie diese Formen der illegalen Migration betreiben.
Wir haben hier heute einen ganz besonderen Gast, nämlich den neuen deutschen Bundeskanzler, und wollen uns daher auf die deutsch-polnischen Beziehungen konzentrieren. Als wir hier in Polen die Wahlen gewonnen haben und dann auch in Deutschland die Koalition entstanden ist, wussten wir aber beide sofort und schon von Anfang an, dass die Stärkung des Weimarer Dreiecks etwas Wichtiges ist. Das Weimarer Dreieck gibt es seit vielen Jahren, das klingt schön, und es gibt Treffen; aber die politische Effizienz dieses Weimarer Dreiecks war nicht immer adäquat, entsprach nicht immer der politischen Stärke dieser drei Staaten. Manchmal waren die französisch-deutschen, manchmal die französisch-polnischen und manchmal die polnisch-deutschen nicht die besten. Es ist Zeit, das zu beenden. Das ist nicht nur symbolisch, sondern wir betrachten das sehr ernst. Wir werden uns in der nächsten Zeit in verschiedenen Formaten sehr intensiv treffen. Ich bin überzeugt, dass wir uns auch im Format des Weimarer Dreiecks treffen werden. Wir werden auch Großbritannien zu dieser Zusammenarbeit einladen wollen – alle sind diesbezüglich sehr aufgeschlossen –, damit dieses Viereck dann Verantwortung übernimmt.
Sie haben gefragt, was heute die Hauptaufgabengebiete des Weimarer Dreiecks sind: Das ist natürlich die breit verstandene Sicherheit, das sind aber auch gemeinsame Investitionen in die Infrastruktur und gemeinsame Investitionen in die Munitionsproduktion, also in Munitionsfabriken. Das könnten gemeinsame Investitionen in Polen, in Deutschland und in Frankreich sein, und es wird solche Investitionen auch geben. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir gemeinsam mit dem Herrn Bundeskanzler und mit dem Herrn Präsidenten von Frankreich Europa überraschen werden, und zwar nicht nur, was das Tempo der Treffen betrifft, sondern auch, was praktische Entscheidungen über Investitionen anbelangt.
Sicherheit, breit verstanden, von Polen, Deutschland, Frankreich und von ganz Europa, das ist die Priorität, der Schwerpunkt, nicht nur als Leitspruch der polnischen Präsidentschaft. Wir werden alles unternehmen, damit das zum Faktum wird, nicht nur im ukrainischen Kontext. Natürlich ist die Ukraine heute der Schlüsselstaat, was die Sicherheit anbelangt. Aber schauen wir uns an, was seit gestern zwischen Indien und Pakistan passiert, die Turbulenzen, die die internationale Weltordnung infrage stellen. Jemand hat mich heute gefragt: Herr Premierminister, was ist denn da los? Die Welt wird verrückt. – Wir sind auch als Weimarer Dreieck dazu da, diese Weltordnung zu stabilisieren. Es gibt immer mehr Gefahren. Deshalb müssen wir uns solidarisch zeigen und auch fähig sein, das zu überwinden, was manchmal Interessenkonflikte sind, um diese gemeinsame Sicherheit aufzubauen. Ich bin dazu sehr entschlossen, und ich weiß, der Bundeskanzler ist es auch.
Frage: Herr Bundeskanzler, ich möchte nach dem Thema des Geldes fragen – haben Sie darüber schon gesprochen, oder werden Sie noch darüber sprechen? –, und zwar im Zusammenhang mit der Verteidigungsfinanzierung. Der polnische Premierminister hat den Vorschlag von „defence bonds“ in Europa gemacht, gemeinsamen Anleihen. Sind Sie bereit, mit der neuen Regierung auch neue Wege in Europa zu gehen? Sollte man Verteidigungsausgaben nicht generell stärker gemeinsam finanzieren, in erheblichem Umfang – Munitionsfabriken wurden eben schon erwähnt –, weil Deutschland zwar die finanziellen Mittel hat, aber einige andere Länder nicht?
Erlauben Sie eine Zusatzfrage, weil Sie eben auch die deutsche Verantwortung für die Besatzung in Polen im Zweiten Weltkrieg erwähnt haben. Meine Frage an den neuen Bundeskanzler: Wie halten Sie es mit dem Thema von Reparationen? Wird das in Ihrem Gespräch zur Sprache kommen, und was ist Ihre Position?
Bundeskanzler Merz: Herr Rinke, zuerst zu dem letzten Thema. Die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit möglichen Reparationen sind abgeschlossen, was aber nicht heißt, dass wir nicht über gemeinsame Projekte, gemeinsame Ideen miteinander sprechen können, wie wir uns die Zukunft gemeinsam vorstellen.
Dies hat etwas mit Ihrer ersten Frage zu tun, nämlich mit der Frage, wie wir die Verteidigungsfähigkeit der europäischen Mitgliedstaaten der NATO, aber auch der Europäischen Union insgesamt dauerhaft sichern. Sie wissen, dass ich persönlich skeptisch gegenüber neuen Verschuldungsinstrumenten der Europäischen Union bin. Das ist während der Coronakrise einmal eine Ausnahme gewesen. Das sollte eine Ausnahme bleiben, was allerdings nicht heißt, dass wir von den europäischen Fiskalregeln nicht auch besondere Möglichkeiten eröffnen, etwa im Bereich der Verteidigung. Dieser Vorschlag wird in Brüssel ja bereits seit längerer Zeit diskutiert. Wenn Sie vor dem Hintergrund sehen, was wir in Deutschland mit der Änderung des Grundgesetzes im Hinblick auf unsere Verteidigungsausgaben getan haben, dann sehen Sie, dass es genau dieser Mechanismus ist. Wir ermöglichen zusätzliche Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des BIP ohne Bindung an die Schuldengrenze des Grundgesetzes. Etwas Ähnliches können wir uns für den europäischen Fiskalpakt oder die europäischen Fiskalregeln vorstellen. Wir werden hier gemeinsame, große Anstrengungen unternehmen müssen.
Ich will allerdings einen Hinweis in diesem Zusammenhang geben. Wir brauchen in Europa bei der Beschaffung größere Stückzahlen. Das ist mir mindestens genauso wichtige wie die finanziellen Ressourcen. Wir produzieren viel zu kleine Stückzahlen. Wir brauchen gemeinsame Standards, und wir brauchen in Europa eine Vereinfachung der Systeme. Diese Europäische Union innerhalb der NATO, die NATO-Mitgliedstaaten in Europa, sie erlauben sich eine viel zu große Zahl unterschiedlicher Systeme. Im Vergleich zu Amerika liegen wir in Europa wirklich weit zurück, was die Möglichkeiten betrifft, die wir eigentlich hätten. Ich werde also auch als deutscher Bundeskanzler zunächst einmal darauf drängen, dass wir die Systeme in Europa harmonisieren und ihre Zahl drastisch reduzieren und dass wir dann einfachere Standards haben und mit einfacheren Standards und reduzierter Zahl der Systeme einfach zu größeren Stückzahlen kommen.
Um es einmal sehr einfach zu sagen: Wir brauchen wesentlich mehr Ausrüstung und Rüstung für das Geld, das wir heute schon zusammen in Europa ausgeben. ‑ Das hat für mich Priorität, bevor wir uns über noch größere Summen unterhalten. Dabei wissen wir gleichzeitig, dass wir alle ‑ ‑ ‑ Dabei ist Polen übrigens viel weniger betroffen als viele andere Mitgliedstaaten in Europa. Polen hat schon seit längerer Zeit sehr hohe Verteidigungsausgaben. Ich meine, ihr seid mittlerweile bei fast fünf Prozent des BIP.
Ministerpräsident Tusk: 4,7 Prozent, fünf Prozent nächstes Jahr.
Bundeskanzler Merz: Also sogar darüber. Darüber können wir in Deutschland im Augenblick gar nicht sprechen. Wir liegen deutlich darunter. Wir werden die nationalen Anstrengungen also verstärken müssen. Dann müssen wir die europäischen Beschaffungssysteme verbessern, mit den drei Aspekten, die ich gerade genannt habe.
Ministerpräsident Tusk: Polen entwickelt sich in dem schnellsten Tempo in Europa überhaupt. Wir sind, was das Wirtschaftswachstum anbelangt, eigentlich eher ein sehr gutes Beispiel für alle, auch für unsere westlichen Nachbarn in den letzten zehn, 15 Jahren, aber auch dieses Jahr und kommendes Jahr. In diesen Zeiten ein Wirtschaftswachstum in Höhe von drei Prozent zu erreichen, das ist, wie ihr wisst, ein gutes, beneidenswertes Ergebnis. Das bekomme ich überall, wo auch immer ich bin, zu spüren. In Europa höre ich das von allen.
Wir möchten niemanden um Geld bitten. Wenn Europa es wünscht und versteht, dass die Finanzierung der europäischen Sicherheit wirklich eine Fiskalpflicht für ganz Europa sein sollte, dann sind wir besser gerüstet, dann sind wir besser für die Verteidigung Europas und unserer Staaten gegen eine potenzielle Aggression vorbereitet. Aber es ist die Aufgabe Polens. Derzeit geben wir, wie Herr Bundeskanzler gesagt hat, prozentual im Verhältnis zum BIP das Meiste in Europa aus. Wir wollen das Niveau von ungefähr fünf Prozent ziemlich lange aufrechterhalten. Ich will nicht unbedingt imponieren, aber unser Ziel ist es, die stärkste und größte Armee in Europa zu besitzen. Zahlenmäßig haben wir dieses Ziel schon erreicht. Aber wir wollen auch die stärkste Armee in Europa werden. Auch das werden wir innerhalb der nächsten fünf Jahre meistern. Wir werden die stärkste Armee in Europa haben.
Nicht, dass wir Großmachtpläne hätten – ich bin ein vernünftiger Politiker –, sondern wir befinden uns an einem Ort und in einer Zeit, wo wir keine andere Lösung haben. Wir müssen zur Militärmacht aufwachsen. Gleich, ob das allen gefällt oder nicht, wir werden es werden.
Wenn Europa in diesem Projekt mit uns zusammenarbeiten will, dann können wir das viel einfacher und viel schneller bewerkstelligen. Mit Blick auf die Geschichte ist es nicht so einfach, das als polnischer Premierminister zu sagen. Ich möchte sehr, dass sich auch Deutschland schneller, zügiger und intensiver rüsten kann. Deutschland militärisch auszurüsten ist kein populäres Schlagwort in Polen, aber wir leben in anderen Zeiten, und es sind andere Gefahren. Natürlich liegt es in unser aller Interesse, dass alle europäischen Staaten diese Verteidigungsaufgaben genauso ernst wahrnehmen wie Polen.
Dabei rechne ich sehr auf den Bundeskanzler. Wir haben uns lange darüber unterhalten, dass es keine Zweifel gibt, insbesondere nicht jetzt, nach der russischen Aggression in der Ukraine, in der gemeinsamen Definition, wer der Feind ist, wer die Gefahr ist, wer der Alliierte ist, wer der Bündnispartner ist, welche Grenze zu verteidigen ist. Diese gemeinsame Definition ist die vielleicht wichtigste Errungenschaft der letzten Monate. Wir sollten der Ukraine dankbar dafür sein, dass sie sich so lange verteidigt. Das hat es uns allen ermöglicht, auch in Berlin, zu sehen, dass der Feind woanders liegt und dass wir bereit sein müssen, zu kämpfen und uns zu verteidigen, wenn wir in dieser schwierigen Zeit überleben wollen.
Die diplomatische Entscheidung über Reparationen ist, wie ich gesagt habe, in den kommunistischen Zeiten gefallen. Wir hatten damals nichts zu sagen. Nicht wir haben damals darüber entschieden, ob Deutschland das wirklich wiedergutgemacht hat, was an Verlusten und an Tragödien in Polen passiert ist, natürlich nicht. Ob das überhaupt vorstellbar ist! Ich bin Historiker. Ich bin aus Danzig. Ich könnte hier stundenlang darüber reden, wie diese Rechnungen aussehen. Diese Rechnungen wurden nie ausgeglichen. Es gab nie eine wirkliche Wiedergutmachung.
Wir werden nicht darum bitten. Das ist auch eine Frage, die von allen Seiten zu überdenken ist. Ich möchte mich sehr darauf konzentrieren, dass Polen und Deutschland ihre sichere Zukunft aufbauen. Ob es einmal Zeit für eine wahre Wiedergutmachung geben wird, werden wir sehen.
Frage: Herr Premierminister, am Freitag fliegen Sie nach Nancy, um den polnisch-französischen Vertrag mit weitgehenden Sicherheitsgarantien zu unterzeichnen. Wird Ähnliches mit Großbritannien erwogen? Können wir etwas Ähnliches auch mit Deutschland haben? Die Zeiten sind unsicher. Wir wissen nicht, wie lange die Amerikaner noch hier bleiben werden.
Eine Anschlussfrage an die Migrationsfragen: Sie haben hier eine sehr entschlossene Position Deutschland gegenüber eingenommen. Dieses Thema wird von der AfD angekurbelt. In den Umfragen liegt die AfD schon ganz vorn. Wir wissen nicht, ob sie nicht in ein paar Jahren die Macht übernehmen wird. Ist es da nicht vielleicht doch besser, jetzt Grenzkontrollen einzuführen, als in fünf Jahren die AfD zu haben?
Herr Bundeskanzler, Sie haben in Paris gesagt, Deutschland werde die Ukraine unterstützen, solange dies notwendig sei. Wir wissen nicht, wie lange Donald Trump die Ukraine unterstützen wird. Was glauben Sie, kann die Ukraine ohne Amerika überleben? Welche Sicherheitsgarantien braucht es für die Ukraine, damit Putin nicht erneut angreifen kann? Wird die Ukraine eines Tages NATO-Mitglied werden, oder wie soll man sich das vorstellen?
Ministerpräsident Tusk: Heute Abend ist es nicht unsere Rolle, den polnisch-französischen Vertrag, den wir am Freitag in Nancy unterzeichnen werden, im Detail zu kommentieren. Aber in der Tat ist dieser Vertrag aus unserer Sicht von einmaliger Natur. Der Wortlaut des Entwurfs bekommt noch den letzten Schliff. Ich schaue in Richtung des Ministers: War das gestern oder vorgestern? – Vorgestern hatten wir ein langes Telefonat mit Präsident Macron, damit wirklich alle Details besprochen und aufgeführt werden können. Das ist ein historischer Augenblick, um die Sicherheit zu stärken. Dieser Vertrag über die gegenseitige Hilfestellung in Situationen der Gefährdung oder der Aggression, natürlich unter Berücksichtigung der französischen Möglichkeiten in so manchen Verteidigungsaspekten, das ist aus unserer Sicht ein Gamechanger, etwas sehr Positives.
Wir wollen auch mit Großbritannien einen solchen Vertrag unterzeichnen. Diese Arbeiten dauern an.
Gemeinsam mit unseren westlichen Nachbarn sind wir in der NATO und in der Europäischen Union. Dort gibt es eindeutige Beistandsgarantien in Fällen der Gefährdung. Wir haben auch einen deutsch-polnischen Vertrag. Wir unterhalten uns heute darüber, ob dieser deutsch-polnische Vertrag eine Erneuerung braucht. Wie auch Herr Bundeskanzler gesagt hat, ist es wichtig, dass wir uns auf praktische Dinge konzentrieren. Statt eines Vertrages ist es wichtiger, eine große, starke Brücke über die Oder oder einen Tunnel unterhalb der Oder zu bauen. Wenn es eine Gefahrenlage gibt, dann wäre es mir lieber, dass für das, was aus dem Westen nach Polen fließt, die Möglichkeiten, die Korridore da sind, Brücken oder Tunnel. Wir haben uns auch ohne Worte verständigt, dass die Entscheidungen über die gemeinsamen Investitionen, die Polen wirklich endgültig auch militärisch mit dem Westen Europas verbinden werden, zum Faktum werden. Ich wäre glücklicher, wenn wir das auszubauen beginnen. Dann können wir Verträge unterzeichnen, ganz menschlich. Ich habe die Gelegenheit gehabt, diesen Pragmatismus und diesen praktischen Ansatz des neuen Bundeskanzlers kennenzulernen. Ich weiß, dass wir hierbei eine gemeinsame Sprache sprechen und finden werden.
Die AfD, das ist Ihr Problem, Herr Bundeskanzler. Ich habe meine AfD hier in Polen. Ich tue, was ich kann. Man tut, was man kann, und irgendwie haben wir das bisher bewerkstelligt.
Bundeskanzler Merz: Wir arbeiten gemeinsam an der Lösung von Problemen, die auch zum Erstarken einer solchen gesichert rechtsextremen Partei in Deutschland geführt haben. Wir lassen uns gleichzeitig nicht jeden Tag von dieser Partei in Angst und Schrecken versetzen. Das Gegenteil ist richtig.
Wir sind seit gestern im Amt. Wir gehen konzentriert an die Arbeit. Wir versuchen auch herauszufinden, wo nicht nur die gemeinsamen europäischen Interessen, sondern wo auch die gemeinsamen bilateralen Interessen und Chancen liegen. Ich sehe im deutsch-polnischen Verhältnis sehr große Chancen. Ich habe das hier zu Beginn bereits gesagt. Wir sind zwei Länder, die auch wirtschaftlich und politisch sehr eng miteinander verbunden sind. Wenn wir die Infrastruktur weiter ausbauen, so wie ich es beschrieben habe, dann können wir einen weiteren Beitrag dazu leisten.
Ich will es noch einmal betonen. Wir haben jetzt angesichts der globalen Lage große Chancen, etwas zu tun, was wir eigentlich schon seit vielen Jahren hätten tun müssen, nämlich zum einen unsere Verteidigung zu stärken, zum anderen aber auch unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit zu intensivieren. Genau das werden wir tun. Ich bin Donald Tusk wirklich ausgesprochen dankbar dafür, dass wir hierbei ein gemeinsames Verständnis haben und gemeinsame Ideen entwickeln und dass auch unsere Regierungen sehr eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten werden.
Deshalb will ich es noch einmal sagen. Dies ist für mich ein außerordentlich erfreulicher Besuch, aber auch ein ehrenvoller Besuch. Ich freue mich, dass ich heute hier sein kann und dass wir auch im Verhältnis unser beider Länder zueinander ein neues Kapitel aufschlagen und jetzt gemeinsam die Themen lösen, die uns beschäftigen, in Europa, aber auch im bilateralen Verhältnis zueinander.
Beim Thema der Ukraine – Sie haben es herausgehört – haben wir eine absolut übereinstimmende, gemeinsame Meinung, eine gemeinsame Haltung, und wir werden das auch in allen Institutionen, in denen wir Mitglieder sind, in der NATO, in der Europäischen Union, im Weimarer Dreieck, gemeinsam zum Ausdruck bringen. Hier wird es große Übereinstimmungen und große Gemeinsamkeiten geben.