Europäische Sicherheit gemeinsam stärken

  • Bundesregierung | Startseite
  • Bundeskanzler

  • Schwerpunkte

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek 

  • Service 

Pressekonferenz von Bundeskanzler Merz und dem NATO-Generalsekretär Rutte Europäische Sicherheit gemeinsam stärken

Das transatlantische Bündnis solle im Kern so erhalten und weiterentwickelt werden, wie in den vergangenen 75 Jahren, sagte Bundeskanzler Merz bei seinem Antrittsbesuch bei NATO-Generalsekretär Rutte in Brüssel.

16 Min. Lesedauer

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Freitag, 9. Mai 2025
Merz und Rutte schütteln sich die Hand und schauen dabei freundlich in die Kamera.

Merz und Rutte sind sich einig, dass die NATO stärker und effizienter werden muss.

Foto: Bundesregierung / Jesco Denzel

Am dritten Tag seiner Amtszeit besuchte Bundeskanzler Friedrich Merz das NATO-Hauptquartier in Brüssel. Gemeinsam mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte betonte er die Bedeutung der transatlantischen Partnerschaft und die Notwendigkeit gemeinsamer Anstrengungen zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Europas. Im Mittelpunkt standen die Unterstützung der Ukraine, der Ausbau militärischer Effizienz und die Vorbereitung auf den bevorstehenden NATO-Gipfel in Den Haag.

Deutschland ist seit 70 Jahren Mitglied der NATO . Als größte europäische Volkswirtschaft trägt Deutschland maßgeblich zur kollektiven Verteidigungsfähigkeit bei. Es führt unter anderem eine Kampfbrigade in Litauen, überwacht den Luftraum im Baltikum und leistet umfangreiche militärische Unterstützung für die Ukraine – im Dienst gemeinsamer Sicherheit, Frieden und Freiheit im Bündnis.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Erhöhte Verteidigungsausgaben und Effizienzsteigerung: Deutschland habe die Finanzierung seiner Verteidigung deutlich erhöht, indem Ausgaben oberhalb von einem Prozent des BIP nicht mehr der Schuldenbremse unterliegen. Gleichzeitig werde eine Effizienzsteigerung bei der militärischen Beschaffung durch europäische Partner angestrebt, um den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO zu stärken.
  • Russischer Angriff und politische Ordnung: Den russische Angriffskrieg auf die Ukraine verstehe man als Angriff auf die territoriale Integrität und die gesamte politische Ordnung Europas seit 1990 – er sei ein Konflikt, der weit über die Ukraine hinausgehe.
  • Waffenstillstand und zukünftige Unterstützung: US-Präsident Trump habe Kanzler Merz zuvor in einem Telefonat über seinen Plan für einen 30-tägigen Waffenstillstand in der Ukraine informiert, dem sich auch Deutschland und andere europäische Staaten anschließen würden, sagte Merz. Russland müsse nun entscheiden, ob es eine längere Waffenruhe ermögliche, um Raum für einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Deutschland werde die Ukraine auch nach einem möglichen Friedensabkommen weiterhin unterstützen.

Lesen Sie hier das gesamte Pressestatement:

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)

Generalsekretär Mark Rutte:

Lieber Friedrich, Herr Bundeskanzler, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zum Bundeskanzler! Es ist eine Ehre und Freude, Sie nur wenige Tage nach Ihrem Amtsantritt heute hier im Hauptquartier der NATO begrüßen zu dürfen.

Deutschland ist eine führende Kraft in Europa, und Sie spielen eine zentrale Rolle innerhalb der NATO. Ihre Beiträge zu unserer kollektiven Sicherheit sind substanziell. Deutschland führt unsere vorgelagerten Landstreitkräfte in Litauen, die Sie zu einer ganzen Brigade aufbauen. Sie führen Luftüberwachung im Himmel über dem Baltikum durch, liefern Unterstützung für Transport, Schlüsselrouten und kritische Infrastruktur in der Ostsee.

Deutschland ist auch der größte europäische Bereitsteller militärischer Hilfe für die Ukraine. Das hilft den Menschen in der Ukraine, ihre Freiheit und ihre Souveränität zu verteidigen. Ihr Bekenntnis zu unserer gemeinsamen Sicherheit ist bedeutsam für Deutschland, bedeutsam für Europa und für das gesamte Bündnis. Erst letzte Woche hatte ich die Freude, Präsident Steinmeier und Minister Pistorius hier empfangen zu dürfen, um 70 Jahre deutsche Mitgliedschaft in der NATO zu feiern – ein bedeutender Meilenstein, der auch Ihr Engagement widerspiegelt und zeigt, dass wir die Dinge mit einem starken Willen und Tatkraft zum Besseren wenden können.

Sie haben bereits bedeutsame Führungsqualitäten bewiesen, noch bevor Sie ins Amt gekommen sind. Dank der Änderungen an der Schuldenbremse sind jetzt höhere Verteidigungsausgaben möglich. Eine wirklich historische Einigung wurde hier erzielt. Diese Art entschiedenen Handelns ist genau das, was wir brauchen, um eine stärkere, fairere und schlagkräftigere NATO aufzubauen. Wir müssen sicherstellen, dass unser Militär die Möglichkeiten hat, die sie braucht, um abzuschrecken und sich zu verteidigen, damit unsere Milliarden Menschen in Sicherheit leben können.

Gemeinsam werden wir also daran arbeiten, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen und die industriellen Verteidigungskapazitäten auf beiden Seiten des Atlantiks aufzubauen. Die Stärkung unserer Abschreckung und Verteidigung ist hier von Bedeutung, und wir müssen das Signal aussenden, dass wir nicht nur geeint sind und nicht nur entschlossen sind, sondern auch vollumfassend in der Lage sind, robuste und kollektive Verteidigung angesichts jeglicher Bedrohung zu leisten. Das wird das Hauptaugenmerk unseres Gipfels in Den Haag nächsten Monat sein.

Es liegt also viel Arbeit vor uns. Aber ich weiß, ich kann mich auf Ihre Führungskraft verlassen, und Deutschland kann auf eine starke NATO zählen.

Noch einmal herzlichen Glückwunsch! – Herr Bundeskanzler, Sie haben das Wort.

Bundeskanzler Friedrich Merz:

Lieber Mark, meine Damen und Herren, herzlichen Dank für das freundliche Willkommen hier im NATO-Hauptquartier in Brüssel! Ich schließe damit einen Tag bei den europäischen Institutionen und bei der NATO ab.

Mark Rutte und ich, wir kennen uns seit langer Zeit. Ich bin auch schon als Oppositionsführer gern seiner Einladung gefolgt, hier zu sein. Ich freue mich, dass ich heute die Gelegenheit habe, am dritten vollen Tag meiner Amtszeit als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland einen Besuch bei der NATO zu machen.

Mark Rutte hat es selber gesagt: Die NATO besteht seit 75 Jahren. Deutschland ist seit 70 Jahren Mitglied dieses Bündnisses, des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses. Dieses Bündnis ist aber weit mehr als ein Verteidigungsbündnis, es ist ein politisches Bündnis der transatlantischen Ausrichtungen zwischen Amerika und Europa. Ich will das gleich zu Beginn sagen: Ich hoffe sehr und gehe auch davon aus, dass wir dieses transatlantische Bündnis im Kern so erhalten und weiter fortentwickeln, wie es in den letzten 75 Jahren entwickelt wurde. Das ist auch meine feste Erwartung für den NATO-Gipfel in deiner Heimatstadt Den Haag im Juni in wenigen Tagen.

Meine Damen und Herren, es sind unsere Entscheidungen, die wir zu treffen haben. Wir, die Alliierten, entscheiden über unsere Verteidigungsfähigkeit und damit auch über unsere Sicherheit in Freiheit und Frieden. Wir haben dazu in Deutschland bisher einen starken Beitrag geleistet. Deutschland muss aber mehr leisten – wir wissen, dass es mehr leisten muss. Deswegen sind wir zu der Entscheidung gekommen, schon vor der Konstituierung des 21. Deutschen Bundestages, vor der Wahl der neuen Regierung, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu ändern und auch die Möglichkeiten für die Finanzierung unserer Verteidigung deutlich zu erhöhen. Wir werden jetzt oberhalb von einem Prozent des deutschen Bruttoinlandproduktes Verteidigungsausgaben nicht mehr auf die Schuldenbremse anrechnen müssen. Das heißt, wir können wirklich das machen, was ich in Berlin gesagt habe: „whatever it takes“. Wir können das Geld ausgeben, das notwendig ist, um die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses zu sichern.

Ich will allerdings auch hier hinzufügen: Es geht nicht allein um mehr Geld, sondern es geht auch sehr klar und prioritär um die Erhöhung der Effizienzen. Ich will mit drei Worten beschreiben, was ich darunter verstehe: Das erste ist Vereinfachung, „simplification“; das zweite ist Standards, „standardization“; und das dritte ist „Economies of Scale“, Stückzahlen. Wir müssen in Europa dazu kommen, und das ist eine europäische Sache. Es ist keine Sache des NATO-Bündnisses als Ganzes, sondern es ist eine Sache der europäischen NATO-Partner, dazu zu kommen, dass wir sehr viel effizienter beschaffen und dass wir eben auch sehr viel größere Stückzahlen produzieren. Wir brauchen mehr Material für das Geld, das wir ausgeben. Darauf werde ich auch immer wieder hinweisen und dafür werde ich auch bereit sein, Zugeständnisse zu machen, was etwa Produktionsfähigkeiten und weitere Effizienzgewinne betrifft.

Mark Rutte und ich, wir stimmen vollkommen überein: Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist ein Frontalangriff nicht nur gegen die territoriale Integrität, sondern gegen die gesamte politische Ordnung Europas nach 1990. So müssen wir es auch unseren Ländern, unseren Wählerinnen und Wählern erklären. Es ist nichts, was eine rein territoriale Begrenzung etwa auf die Ukraine hat. Das wäre für sich schon tragisch genug, aber es ist weitaus mehr. Es ist ein massiver Angriff gegen unsere politische Ordnung.

Ich bin sehr dankbar, dass ich gestern Abend Gelegenheit hatte, mit dem amerikanischen Präsidenten darüber zu sprechen. Er hat mich über seinen Plan eines 30-tägigen bedingungslosen Waffenstillstandes in der Ukraine informiert. Ich schließe mich dem ausdrücklich an. Ich weiß auch, dass die französische Regierung, die britische Regierung und die polnische Regierung das genauso sehen. Es gibt jetzt eine Chance, über den heutigen Tag hinaus, der ja in Moskau mit einer großen Militärparade gefeiert wird und mit dem ein Waffenstillstand verabredet werden konnte, und über dieses Wochenende hinaus jetzt zu einem 30-tägigen Waffenstillstand in der Ukraine zu kommen. Die Ukraine ist dafür und stimmt dem zu. Amerika hat das ausgelöst und vorgeschlagen. Die großen europäischen Staaten stimmen dem ausdrücklich zu, und ich gehe davon aus, dass das auch für die gesamte Europäische Union und auch für die NATO gilt.

Der Ball liegt jetzt ausschließlich in Moskau. Ausschließlich dort wird jetzt darüber entschieden, ob es eine Chance gibt, ab dem kommenden Wochenende, also mit Beginn der nächsten Woche, einen längeren Waffenstillstand in der Ukraine zu ermöglichen und dann auch Raum für Gespräche über einen dauerhaften Frieden in der Ukraine zu schaffen. Das ist jetzt wirklich ein weiterer Testfall, und zwar ein sehr präziser und ein sehr genauer Testfall für die Ernsthaftigkeit des Willens des russischen Präsidenten, wirklich zu einem Frieden in der Ukraine zu kommen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir darüber einen so großen Konsens haben, auch und gerade mit dem amerikanischen Präsidenten.

Wir werden die Ukraine weiterhin unterstützen. Auch nach einem Friedensabkommen wird die Ukraine gestützt und gestärkt werden müssen. Wir werden das gemeinsam tun.

Wir als deutsche Bundesregierung werden auch weiterhin daran arbeiten, den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO zu stärken. Wir haben verstanden, dass wir mehr tun müssen, als wir in der Vergangenheit getan haben, ganz unabhängig von dem Krieg in der Ukraine. Wir werden in unserem eigenen territorialen Interesse unsere Verteidigungsanstrengungen in den nächsten Jahren kontinuierlich ausweiten müssen. Wir gehen deshalb mit gemeinsamen, guten Vorschlägen in die richtige Richtung auch auf den NATO-Gipfel Ende Juni in Den Haag. Ich freue mich auf die Begegnungen dort.

Ich will aber auch ausdrücklich sagen: Vielen Dank, lieber Mark, für deine Einladung und für deine Arbeit als Generalsekretär der NATO. Dies ist eine wirklich auch persönlich sehr angenehme, sehr erfreuliche Zusammenarbeit. Wir stimmen in der politischen Bewertung der Herausforderungen, vor denen wir stehen, überein. Deswegen freue ich mich sehr auf die Zusammenarbeit mit der NATO als Ganzer, aber auch mit dem Generalsekretär aus unserem Nachbarland, den Niederlanden.

Lesen Sie hier die Fragerunde im Anschluss:

Frage: Ich werde meine Frage auf Deutsch stellen. – Herr Bundeskanzler, der NATO-Generalsekretär hat den Verbündeten vor einigen Tagen vorgeschlagen, dass sie ihre Verteidigungsausgaben auf 3,5 Prozent erhöhen plus weitere 1,5 Prozent etwa für Infrastruktur und andere Dinge, die nicht in der klassischen Definition enthalten sind. So würde man auf die fünf Prozent kommen, die auch der amerikanische Präsident als Erwartung geäußert hat. Für Deutschland würde das eine erhebliche Steigerung der Ausgaben bedeuten.

Deswegen meine Frage: Halten Sie diese Größenordnung für möglich? Halten Sie es für möglich, dass die neue Bundesregierung das erfüllt? Haben Sie seine Vorstellung davon, welche zusätzliche Anstrengung das bedeuten würde, nicht nur die 3,5 Prozent für reine Militärausgaben, sondern auch das, was oben darauf kommt? Was glauben Sie, in welchem Zeitraum können Sie ein solches Ziel erreichen?

(auf Englisch) Dann noch eine Frage an den Generalsekretär: Könnten Sie uns erklären, welche Herausforderungen es bedeutet, wenn ein NATO-Staat das Ziel, das Sie vorgeschlagen haben, erreichen muss, nicht nur die 3,5 Prozent, sondern auch die zusätzlichen 1,5 Prozent für die Infrastruktur? Ist das eigentlich nur eine Rechenaufgabe, bei der es darum geht, hochzufahren, was man schon tut, oder bedeutet das, dass ganz neue Investitionen getätigt werden müssen? Können Sie das ungefähr quantifizieren?

Generalsekretär Rutte: Ich werde hier keine Zahlen bestätigen, die Sie hier vorstellen. Ich weiß, dass es aktuell viele Gerüchte gibt. Es stimmt, dass wir innerhalb der NATO interne Gespräche darüber führen, wie es uns am besten gelingen kann, sicherzustellen, dass wir als NATO all unsere Aufgaben in der Zukunft erfüllen können, auch vor dem Hintergrund, dass wir die langfristige Bedrohung anerkennen, die durch Russland existiert. Es wird absolut einen Anstieg geben müssen, aber ich werde hier nicht über Zahlen sprechen. Wenn man die Verteidigungsausgaben erhöht, dann muss man auch die ganzen „enablers“ betrachten, die mit der Verteidigung verbunden sind. Ja, ich habe das auch immer so gesagt. Wenn wir bei zwei Prozent bleiben, dann können wir uns nicht verteidigen. Wir müssen die Verteidigungsausgaben wirklich erhöhen.

Das reicht aber nicht aus. Wir müssen auch die industrielle Basis für die Verteidigung schaffen. Das geht Hand in Hand. Wir können uns jetzt verteidigen. Aber damit wir das auch noch in fünf Jahren tun können und Abschreckung und Verteidigung auf der Ebene halten können, die wir brauchen, müssen wir viel mehr ausgeben und gleichzeitig die industrielle Basis der Verteidigung aufbauen, über den Atlantik hinweg, im ganzen euroatlantischen Bereich, auch in den USA, in Kanada und allen europäischen Ländern der NATO. Das ist absolut notwendig.

Wir müssen beides tun. Das habe ich auch vorher schon gesagt. Die Russen produzieren in drei Monaten so viel wie die NATO-Länder in einem Jahr, und wir sind 25-mal mehr.

Bundeskanzler Merz: Ich will das ausdrücklich unterstreichen. Es ergibt auch keinen Sinn, jetzt über abstrakte BIP-Anteile zu streiten. Entscheidend ist, dass wir unsere Anstrengungen in den nächsten Jahren kontinuierlich ausweiten. Nur um denen, die nicht mit der deutschen Innenpolitik vertraut sind, einmal ein Gefühl zu geben: Ein Prozent des BIP bedeutet für die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig ungefähr 45 Milliarden Euro. Wenn wir jetzt auf zwei Prozent gehen, dann sind wir also schon bei fast hundert Milliarden Euro, und das wird bei Weitem nicht ausreichen, um die Anforderungen zu erfüllen, die wir uns gegenseitig zugesagt haben. Insofern wird das ein kontinuierlicher Prozess der nächsten Jahre werden.

Ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Mehr Geld allein ist nicht die richtige Antwort. Dieser Prozess muss mit Produktionskapazitäten einhergehen. Diese Produktionskapazitäten müssen sich auf eine deutlich reduzierte Anzahl von verschiedenen Waffensystemen in der Europäischen Union konzentrieren. Wir haben viel zu viele unterschiedliche Systeme, die sehr viel Geld kosten. Die Ineffizienzen sowohl bei der Stückzahl als auch bei den Anforderungen an die Systeme müssen reduziert werden. Wir brauchen einfachere Systeme.

Ich verfolge mit großem Interesse, was die Industrie in der Ukraine in den vergangenen dreieinhalb Jahren an effizienter Produktion ermöglicht hat, unter den Bedingungen eines Angriffskrieges. Ich denke, wir können von der Ukraine sehr, sehr viel lernen, was sie auch in den letzten Jahren hinbekommen hat, zum Beispiel in der Produktion von Drohnen. Wir sind weit davon entfernt, das in ähnlicher Weise zu können, wie es die Ukraine kann.

Diese Themen gehören für mich also zwingend dazu, und deswegen werde ich nicht bereit sein, ausschließlich über Geld zu sprechen, wenn wir nicht gleichzeitig über diese drei Themen sprechen: Vereinfachung, Standardisierung und eben auch deutlich höhere Stückzahlen von weniger Systemen. Das gehört für mich Hand in Hand dazu, und ebenso, dass wir natürlich auch über die Infrastruktur sprechen, die praktisch für militärische Zwecke, aber auch für zivile Zwecke genutzt werden kann, also etwa ertüchtigte Straßen, ertüchtigte Brücken für Transporte. Das alles ist richtig. Ich will den Generalsekretär hier auch ausdrücklich darin unterstützen, dass wir das differenzieren und dass wir hier nicht einseitig ausschließlich über reine Militärausgaben miteinander sprechen.

Frage: Herr Bundeskanzler, am Wahlabend haben Sie im nationalen Fernsehen gesagt, Sie würden anzweifeln, ob die NATO zum Gipfeltreffen im Juni immer noch so existieren werde wie jetzt. Sie haben auch gesagt, dass sich die Trump-Regierung nicht so sehr um das Schicksal Europas sorgt. Haben Sie Ihre Meinung da geändert, oder stehen Sie dazu?

Bundeskanzler Merz: Ich habe nicht meine Meinung geändert, sondern ich stelle mit Freude fest, dass sich die Haltung der amerikanischen Regierung offensichtlich verändert hat, auch in der Akzeptanz dessen, was wir als europäische NATO-Partner tun. Sie erkennt an, dass wir unsere Bemühungen erheblich ausweiten, und deswegen verbinde ich auch mit dem NATO-Gipfel im Juni heute mehr als im Februar die Hoffnung, dass es uns gelingt, hier auch eine gemeinsame Strategie mit den Amerikanern zu entwickeln. Amerika ist für die Sicherheit Europas heute und für lange Zeit unverzichtbar.

Die Befürchtungen, die ich in der Wahlnacht hatte, waren insbesondere unter dem Eindruck der Münchner Sicherheitskonferenz geäußert worden, die zu dem Zeitpunkt gerade eine Woche zurück lag. Ich bin heute sehr dankbar dafür, dass ich zu einer optimistischeren Einschätzung kommen kann, was auch die Zukunft des NATO-Bündnisses betrifft.

Frage: Herr Bundeskanzler, Ihr Vorgänger Olaf Scholz stand beim Thema der NATO-Beitrittsperspektive für die Ukraine sehr, sehr stark auf der Bremse. Deswegen jetzt an Sie die Frage: Was ist Ihre Position zu dem Thema, gerade vor dem Hintergrund, dass der amerikanische Präsident die Ukraine dazu zu drängen scheint, diese Beitrittsperspektive aufzugeben?

Dann noch eine Frage an den Generalsekretär: Hoffen Sie, dass Deutschland sich jetzt der Gruppe der Länder anschließt, die eine NATO-Perspektive für die Ukraine wirklich unterstützen, und glauben Sie, dass das hier Fortschritte bringen kann?

Generalsekretär Rutte: Ja, die ganze NATO hat sich dazu bekannt, dass der Weg der Ukraine zur NATO irreversibel ist. Aber wir waren uns auch einig, dass es ohne ein Friedensabkommen eine solche Mitgliedschaft nicht geben kann. Aber, ja, es gibt langfristig diese Perspektive einer NATO-Mitgliedschaft. Das ist aber etwas Längerfristiges. Das spielt jetzt in den Friedensverhandlungen aktuell keine Rolle.

Wie ich schon gesagt habe, freue ich mich, dass der amerikanische Präsident diese Sackgasse jetzt aufgebrochen hat, und da stimme ich dem Bundeskanzler auch völlig zu. Hinsichtlich dieser 30-tägigen Waffenruhe liegt der Ball jetzt ganz klar im Spielfeld von Russland. Das sehe ich absolut auch so.

Aktuell gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen der NATO und der Ukraine. Wir haben das Zentrum in Wiesbaden, wo es um die militärische Hilfe für die Ukraine geht und wo das koordiniert wird. Dann organisieren wir gemeinsame Ausbildungsmaßnahmen für die ukrainischen Streitkräfte. Wir haben ein Zentrum in Polen, wo wir viel zusammenarbeiten. Vieles geschieht also aktuell.

Bundeskanzler Merz: Ich teile die Einschätzung des Generalsekretärs im Hinblick auf die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Ich will ergänzen: Die Ukraine hat eine Beitrittsperspektive in die Europäische Union. Die wird zeitlich sicherlich vor dem NATO-Beitritt liegen, wenn der denn dann eines Tages zustande kommen sollte. Es muss klar sein, dass die Ukraine in eigener Souveränität entscheidet, welchen Weg sie gehen will. Sie hat sich entschlossen, einen Beitrittsantrag an die Europäische Union zu stellen. Sie alle kennen die Voraussetzungen, die Kriterien für einen Beitritt in die Europäische Union. Wenn die Ukraine diese Kriterien erfüllt, dann ist sie uns ein willkommenes Mitglied in der Europäischen Union. Die Ukraine ist und muss souverän bleiben in der Entscheidung über ihre Zugehörigkeit zu politischen und militärischen Bündnissen.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, dass die Ukraine auch nach einem Friedensvertrag noch Unterstützung braucht. Würden Sie Truppen als Teil der Koalition der Willigen in die Ukraine entsenden?

Bundeskanzler Merz: Die Frage, wie wir Sicherheitsgarantien für die Ukraine ausformen, müssen wir heute nicht beantworten. Der nächste Schritt, der jetzt gegangen werden muss, ist der Waffenstillstand für 30 Tage ab dem Wochenende. Dann müssen Friedensverhandlungen geführt werden, dann braucht es einen Friedensvertrag, und je nachdem, wie die Bedingungen eines solchen Vertrages dann ausformuliert sind, stellen sich dann die Fragen etwaiger Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Das ist eine Frage, die sich heute nicht stellt, und deswegen müssen wir darauf auch heute keine Antwort geben.

Frage: Herr Bundeskanzler, Europa möchte seine Verteidigungskapazitäten ausweiten. Die Türkei hat ja hier auch viel zu bieten. Sollte das institutionalisiert werden?

Bundeskanzler Merz: Vielleicht darf ich sagen, dass wir bei unserem Mittagessen auch über die Türkei gesprochen haben und sehr hoffen, dass es uns gelingt, mit der Türkei alle weiteren Schritte der nächsten Wochen, Monate und Jahre im Hinblick auf die NATO-Mitgliedschaft zu gehen. Wir werden in der deutschen Bundesregierung auch noch über die Frage zu entscheiden haben, ob die Lieferung der Kampfflugzeuge an die Türkei freigegeben wird. Aber uns verbindet hier der feste Wille, die Türkei als ein großes Mitgliedsland der NATO auch weiterhin fest an uns zu binden, und ich werde auch eine Einladung von Präsident Erdoğan annehmen, ihn in naher Zukunft zu besuchen. Das war schon einmal für das letzte Jahr geplant; da musste ich leider kurzfristig absagen. Aber die Türkei schützt einen Raum im NATO-Gebiet, der von seiner strategischen Relevanz her gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Deswegen ist die Türkei für uns ein extrem wertvoller, wichtiger NATO-Partner. Ich werde viel und alles tun, was ich kann, um diese Partnerschaft mit der Türkei innerhalb der NATO aufrechtzuerhalten und auch weiter auszubauen.