„Es bleibt viel zu tun, aber Nicht-Sprechen ist keine Option“

Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Außenpolitik, Russland.

Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin. 

Foto: Bundesregierung/ Bergmann

Im Gespräch mit Wladimir Putin, dem Präsidenten der Russischen Föderation, thematisierte Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Vielzahl bilateraler und internationaler Herausforderungen. Die reichten von den sich entwickelnden Handelsbeziehungen und Fragen der bilateralen Zusammenarbeit bis hin zu Fragen der Arbeitsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen in Russland. Auch wenn es derzeit Differenzen mit Russland gebe – bei allen Meinungsverschiedenheiten sei sie „sehr sehr froh, dass wir miteinander sprechen“.

Gesprächskanäle offenhalten

Es habe „schlimmste Tiefen und gute Zeiten“ gegeben, beide Länder hätten sich politisch auseinanderentwickelt in den letzten Jahren. Dennoch lautete Merkels Bilanz ihrer zahlreichen Treffen mit dem russischen Präsidenten: „Es bleibt viel zu tun, aber Nicht-Sprechen ist keine Option.“ Reden, Argumente austauschen, „und immer wieder dicke Bretter bohren“ sei die bleibende Aufgabe. Deshalb habe sie sich immer bemüht, die Gesprächskanäle offenzuhalten.

Es ist die erste Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Moskau seit ihrem letzten Arbeitsbesuch im Januar 2020 . Am Grab des Unbekannten Soldaten im Alexandergarten des Kreml-Palastes legte die Bundeskanzlerin einen Kranz nieder. Im Namen Deutschlands gedachte sie damit der Opfer des Überfalls der Hitler-Truppen auf die damalige Sowjetunion am 22. Juni 1941.

Ein Schwerpunkt: Afghanistan

Die dramatischen Entwicklungen in Afghanistan rückten auch dieses Thema in den Vordergrund der Begegnung. Nach der Machtübernahme der islamistischen Taliban gelte es nun, Racheakte und Gräueltaten an der Zivilbevölkerung zu verhindern, so die Kanzlerin. Außerdem wäre es „sehr schade“, wenn erreichte Fortschritte etwa in der Gesundheitsvorsorge oder im Schulwesen zunichte gemacht würden. Dazu sei gemeinsames Handeln entsprechend der Vorgaben der Vereinten Nationen notwendig.

Als ständiges Mitglied im VN-Sicherheitsrat ist Russland hier ein unverzichtbarer Akteur, wenn es um die politische Lösung des Konflikts geht. Es gehe auch darum, sich einem Wiederaufflammen des Terrors des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS) entgegenzustellen, betonte Merkel. Sie erinnerte an die Anschläge auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. Hier liege auch der Ursprung der militärischen Intervention seitens einer breiten Staatenkoalition.

Zivilgesellschaft unter Druck

Kanzlerin Merkel verurteilte außerdem die bedrückende Situation des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Seine Inhaftierung in einem Straflage sei „nicht akzeptabel“, denn sie fuße auf einem Urteil, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits 2017 als unrechtmäßig disqualifiziert habe. Die Täterschaft für Nawalnys Vergiftung auf russischem Boden mit einem verbotenen Nervenkampfstoff vor genau einem Jahr ist seitens der russischen Strafverfolgungsbehörden weiterhin ungeklärt. Sie fordere deshalb Nawalnys umgehende Freilassung, so Merkel.

Im Vorfeld der russischen Parlamentswahl im September beklagte die Kanzlerin außerdem die schwierige Situation der dortigen Zivilgesellschaft. Sie habe Putin daher „dringend gebeten“, die einem Betätigungsverbot gleichkommende Listung von drei deutschen Nichtregierungsorganisation aufzuheben. Gerade im „Deutschlandjahr“ dreißig Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion wäre die Arbeit der ursprünglich auch im Petersburger Dialog aktiven Vereine „ein sehr wichtiges Zeichen“ für gesellschaftliche Vielfalt und demokratischer Partizipation, forderte Merkel von Putin.

Dauerthema Ukraine-Konflikt

Auch wenn die vor gut einem Jahr bekräftigte Vereinbarung zur Einhaltung der Waffenruhe im Großen und Ganzen hält: Politische Fortschritte in den ostukrainischen Separatistengebieten Donezk und Lugansk, wie sie im Minsker Maßnahmenkatalog von 2015 festgelegt und auf dem letzten Gipfeltreffen im Normandie-Format bestätigt wurden, bleiben weiter aus. Das konstatierte die Kanzlerin gegenüber dem russischen Präsidenten. Sie aber wären zur Befriedung der Ostukraine dringend geboten. Sie werde sich deshalb „im Interesse der Menschen“ weiter bemühen, noch in den nächsten Wochen eine Tagesordnung für ein weiteres Spitzentreffen im Normandie-Format zustande zu bringen.

Es dürfe nicht sein, dass die Stagnation in diesem „einzigen Format, das wir zur Verfügung haben, um die Streitthemen miteinander zu diskutieren“, in einer „Sackgasse“ ende. Man müsse das Normandie-Format „pfleglich behandeln“, darin waren sich Merkel und Putin einig. Dass Deutschlands negative Haltung zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim feststehe, „versteht sich von selbst“, stellte die Kanzlerin in diesem Zusammenhang nochmals klar.

In der Ostukraine stehen Sicherheitsfragen vor allem bei der notwendigen Organisation von Kommunalwahlen im Vordergrund. Auch sind der vollständige Abzug ausländischer Truppen und das Wiedererlangen der Souveränität der Ukraine über ihre Ostgrenze weiterhin offene Probleme. Russland müsse hier dringend seinen Einfluss auf die Separatisten geltend machen, so Merkel. Sie wolle sich ihrerseits bei ihren Gesprächen mit der ukrainischen Führung für Fortschritte einsetzen.

Internationale Themen

In dem Vieraugengespräch mit Präsident Putin ging es ebenfalls um das Thema Nord Stream 2. Dieses Projekt „mit europäischem Charakter“ stehe kurz vor der Fertigstellung und sollte unter der Bedingung zu Ende gebracht werden, dass die Ukraine Gastransitland bleibt, betonte die Kanzlerin. Deutschland setze sich auch für die Fortschreibung des Gasliefervertrages über das Jahr 2024 hinaus ein. Das hätten auch die USA gefordert, und darum werde sich der neue Sonderbeauftragte, Graf Waldersee, als erfahrener Vermittler bemühen. Denn: „Wir fühlen uns verantwortlich“, sagte Merkel.

Hinsichtlich der Situation an der Grenze von Belarus zu Litauen stellte die Kanzlerin klar: „Ich verurteile aufs Schärfste, dass von Lukaschenko Menschen als hybride Waffen eingesetzt werden.“

Bei den Konflikten in Libyen und Syrien würden Deutschland und Russland versuchen, sich abzustimmen und Lösungen zu finden, beispielsweise in einem reziproken Prozess ausländische Söldner abzuziehen.