„Die Ukraine kann sich auf Deutschland verlassen“

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Kanzler in Kyjiw „Die Ukraine kann sich auf Deutschland verlassen“

Die Ukraine kann in ihrem Kampf gegen die russische Aggression weiterhin auf die unverbrüchliche Unterstützung durch Deutschland bauen. Das sagte Kanzler Scholz bei seinem Besuch in Kyjiw. Er kündigte weitere Waffenlieferungen an die Ukraine an.

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Montag, 2. Dezember 2024
Kanzler Scholz gibt eine Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Kyjiw.

Kanzler Scholz mit Präsident Selenskyj in Kyjiw: „Wir haben einen langen Atem und wir werden an der Seite der Ukraine stehen.“

Foto: Bundesregierung/Marvin Güngör

„Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine. Wir sagen, was wir tun und wir tun, was wir sagen.“ Das bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Montag in Kyjiw.

Alle wünschten „ein Ende dieses brutalen Krieges“, sagte der Bundeskanzler: „Keiner will Frieden mehr als die Ukrainerinnen und Ukrainer.“ Mit Präsident Selenskyj habe er deshalb eingehend darüber gesprochen, wie die Ukraine aus einer Position der Stärke heraus zu einem fairen, gerechten und dauerhaften Frieden kommen könne.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Deutschland hilft verlässlich: Deutschland werde in seiner Unterstützung für die Ukraine nicht nachlassen. „Uns allen ist sehr bewusst, welch heldenhaften Abwehrkampf die Ukraine seit mehr als tausend Tagen führt, seit jenem furchtbaren 24. Februar 2022, an dem Putin seinen verbrecherischen Angriffskrieg gegen euer Land begonnen hat“, so Scholz. Im begonnenen dritten Kriegswinter attackiere Russland weiter gezielt und erbarmungslos die Energieinfrastruktur der Ukraine. Putin wolle, dass Menschen frieren, die Wirtschaft in der Ukraine leide und die Produktion stagniere. „Aber wir werden nicht zulassen, dass sein zynisches Kalkül aufgeht.“ Deutschland habe der Ukraine deswegen gerade zusätzliche Winternothilfe zur Verfügung gestellt.
  • Umfangreiche Unterstützung: Nach den USA ist Deutschland mit rund 28 Milliarden Euro der größte militärische Unterstützer der Ukraine, hob Kanzler Scholz hervor. Zentral bleibe die Unterstützung für die Luftverteidigung. Deutschland habe bereits fünf komplette Iris-T SLM-Systeme, drei Patriot-Systeme und mehr als 50 Gepard-Flakpanzer samt Flugkörpern, Munition und Ersatzteilen geliefert. „Noch im Dezember werden ein sechstes Iris-T SLM-System, weitere Startgeräte für Patriot und weitere Gepard-Flakpanzer hinzukommen“, kündigte Scholz an. Weitere Waffenlieferungen würden 2025 folgen. „Das sage ich hier in Kyjiw heute ganz deutlich an die Adresse Putins: Wir haben einen langen Atem und wir werden an der Seite der Ukraine stehen – so lange, wie das nötig ist.“
  • Ukraine gehört zu Europa: Die Ukraine werde als Beitrittskandidat ihren Weg in die Europäische Union konsequent weitergehen, unterstrich Kanzler Scholz. „Dieses Versprechen haben gestern der neue EU-Ratspräsident Costa und die neue EU-Chefdiplomatin Kallas hier in Kyjiw noch einmal untermauert, und das gilt für alle von uns.“ Die Ukraine habe unter schwierigsten Bedingungen beeindruckende Fortschritte gemacht, so Bundeskanzler Scholz: „Deutschland begleitet und unterstützt euch dabei.“
06:56

Video Bundeskanzler Scholz in Kyjiw

Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:

Präsident Wolodymyr Selenskyj:

Lieber Olaf, liebe Journalistinnen und Journalisten, Delegationsmitglieder, ich freue mich sehr, den deutschen Bundeskanzler hier zu begrüßen. Das ist sein erster bilateraler Besuch in der Ukraine in der Zeit der Vollinvasion. Wir haben uns schon oft bei verschiedenen internationalen Veranstaltungen und auch in Deutschland getroffen, insgesamt 17 Mal. Ich danke dir für diese bilateralen Beziehungen. Wir haben schon mehr als 30 Mal miteinander am Telefon und online gesprochen, aber zum ersten Mal ist so ein bilateraler Besuch zustande gekommen. Das letzte Mal war noch im Juni 2022.

Dieser bilaterale Besuch ist der erste, und das ist ein symbolischer Besuch. Für die Ukraine ist es wichtig, Deutschland für eine gewichtige Rolle und sehr bemerkenswerte Unterstützung zu danken. Deutschland liegt in Europa ganz vorne bei der erteilten Unterstützung, vor allem in der führenden Rolle beim Schutz unseres Himmels. Gerade der größte Teil der Luftverteidigung wurde von Deutschland gewährt. Olaf, ich danke dir persönlich dafür. Ich danke auch der gesamten deutschen Gesellschaft. Deutsche Patriot- und IRIS-T-Systeme sowie andere Systeme, zum Beispiel Gepard-Panzer, haben schon das Leben von abertausenden Menschen gerettet, auch viele Infrastrukturobjekte.

Heute, jeden Tag und jede Nacht zeigt der russische Terror, dass diese Unterstützung erweitert werden muss. Heute Nacht ist eine russische Drohne in ein Wohnhaus in Ternopil eingeschlagen. Eine Person ist durch diese Shahed-Drohne umgekommen. Mein Beileid den Angehörigen. Weitere drei Personen wurden durch diesen Schlag verletzt. Sie haben dort die notwendige Hilfe erfahren. Aber jede Nacht gibt es neben den Hunderten von Shahed-Drohnen auch Raketenangriffe. In der Zeit dieses Herbstes wurden mehr als 347 Raketen verschiedener Typen gegen unsere Menschen eingesetzt. Die meisten waren ballistische Raketen und trafen zivile Objekte.

Wir haben mit dem Bundeskanzler heute die Verstärkung des ukrainischen Himmelsschilds gesprochen. Ich habe für die versprochene Unterstützung für das Hilfspaket in Höhe von 650 Millionen Euro gedankt. Es ist bemerkenswert, dass nicht nur der Umfang genannt wurde, sondern auch der genaue Termin, und zwar der Dezember dieses Jahres. Wenn all unsere Partner diese führende Rolle und diese Zeitgleichheit liefern könnten!

Wir haben also heute, meine Damen und Herren, unsere gemeinsame Produktion gesehen: Drohnen, die in Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen hergestellt werden. Das ist eine modernste Waffe, die sehr effizient ist und die uns auch hilft, echte Sicherheit und Frieden herzustellen. Wir müssen diese Zusammenarbeit erweitern, wir, die Ukraine und Deutschland und das ganze Europa insgesamt. Wir brauchen die Kraft unserer eigenen Wirtschaft, und das muss auch gemeinsam mit allen Partnern in Europa erweitert werden. Russland macht keine Geschenke, und wir können unseren Frieden nur durch Kraft wiederherstellen, in Zusammenarbeit der Kraft der Waffen und der Kraft der Diplomatie.

Wir haben unsere gemeinsamen Möglichkeiten der nächsten Wochen und Monate besprochen, sowohl bilateral als auch mit unseren Partnern, vor allem die möglichen Begegnungen und Vereinbarungen. Alle Möglichkeiten müssen für die Ukraine gestärkt werden. Das betrifft auch die Unterstützung der Ukraine, auch durch Deutschland als führende Kraft. Das darf nicht gemindert werden. Auch finanzielle Hilfe muss gewährt werden. Es soll auch der Druck durch Sanktionen verstärkt werden. Russland darf sich nicht an diesen Druck anpassen dürfen.

Dabei sollten wir auch noch berücksichtigen, dass als Schlüssel unserer gemeinsamen Sicherheit auf dem Kontinent die geopolitische Entschiedenheit wichtig ist. Das ist für die meisten europäischen Nationen schon beschlossen, aber nicht für die Ukraine. Für die Ukraine ist diese Frage eines Beitritts zur EU und NATO fundamental wichtig, und beide Fragen müssen auch möglichst schnell beantwortet werden. Je schneller wir die Antwort darauf bekommen, umso schneller wird den russischen aggressiven Ambitionen ein Ende gesetzt. Russland muss sich daran gewöhnen, dass ein gemeinsames Europa es versteht, sich selbst, seine Werte und das Leben seiner Menschen zu verteidigen.

Danke, Deutschland, für die Hilfe! Ich danke dir, Olaf, für diesen Besuch. Slawa Ukrajini!

Bundeskanzler Olaf Scholz:

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Wolodymyr, ich danke dir für die Einladung nach Kyjiw und den außerordentlich herzlichen Empfang hier.

Es gibt wohl kaum einen Staatschef, mit dem ich in den vergangenen drei Jahren so eng und intensiv in Kontakt gestanden habe wie mit dir. Wir telefonieren viel miteinander, mehrfach warst du bereits bei mir in Deutschland zu Gast, und unzählige Male haben wir uns auf internationalen Konferenzen und Versammlungen gesprochen. Deshalb freue ich mich, heute zum dritten Mal bei dir hier in Kyjiw zu sein.

Meine wichtigste Botschaft an dich und an alle Ukrainerinnen und Ukrainer lautet: Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine. Wir sagen, was wir tun, und wir tun, was wir sagen – das gilt.

Drei Punkte liegen mir heute besonders am Herzen.

Erstens: Die Ukraine kann sich auf uns, auf Deutschland verlassen. Wir werden nicht nachlassen in unserer Unterstützung für die Ukraine. Uns allen ist sehr bewusst, welch heldenhaften Abwehrkampf die Ukraine seit mehr als tausend Tagen führt, seit jenem furchtbaren 24. Februar 2022, an dem Putin seinen verbrecherischen Angriffskrieg gegen euer Land begonnen hat.

Wir wissen, dass Tag für Tag Menschen hier in der Ukraine getötet werden und schreckliche Verletzungen erleiden. Heute habe ich die Gelegenheit gehabt, ukrainische Soldatinnen und Soldaten in einem Militärhospital zu sprechen und sie dort zu besuchen. Sie erholen sich dort von den Verwundungen im Kampfeinsatz – und es sind schwere Verwundungen, die die Männer, die wir getroffen haben, zu erleiden hatten und mit denen sie ihr ganzes Leben weiterleben müssen; das dürfen wir nicht vergessen. Ich habe ihnen meine tiefe Anerkennung für Ihren Mut und Ihre Tapferkeit ausgesprochen. Die Begegnung mit ihnen, das persönliche Gespräch war mir wichtig und – das kann ich ausdrücklich sagen – das werde ich auch nicht vergessen.

Nun hat der Winter begonnen – der dritte Winter in diesem mörderischen Krieg –, und weiterhin nimmt Russland gezielt und erbarmungslos die Energieinfrastruktur der Ukraine unter Beschuss. Putin will, dass Menschen frieren. Der russische Präsident will, dass die Wirtschaft in der Ukraine leidet. Putin will, dass die Produktion stagniert. Aber wir werden nicht zulassen, dass sein zynisches Kalkül aufgeht. Deutschland hat der Ukraine deswegen gerade zusätzliche Winternothilfe zur Verfügung gestellt. Damit können die schlimmsten Schäden rasch repariert werden und die Wärmeversorgung kann wiederhergestellt werden.

Nach den USA ist Deutschland mit rund 28 Milliarden Euro der größte militärische Unterstützer der Ukraine. Zentral bleibt für uns die Unterstützung für die Luftverteidigung. Wir haben bereits fünf komplette IRIS-T SLM-Systeme, drei Patriot-Systeme und mehr als 50 Gepard-Flakpanzer samt Flugkörpern, Munition und Ersatzteilen geliefert. Noch im Dezember werden ein sechstes IRIS‑T SLM‑System, weitere Startgeräte für Patriot und weitere Gepard-Flakpanzer hinzukommen. Auch im nächsten Jahr, auch 2025, werden wir weitere Luftverteidigungssysteme, Haubitzen, Kampf- und Aufklärungsdrohnen, Artilleriemunition sowie sechs bewaffnete Sea‑King-Hubschrauber liefern, um nur einiges zu nennen. Das sage ich hier in Kyjiw heute ganz deutlich an die Adresse Putins: Wir haben einen langen Atem und wir werden an der Seite der Ukraine stehen – so lange, wie das nötig ist.

Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt: Putin hat keines seiner Kriegsziele erreicht. Die Ukraine ist durch diesen Krieg nicht geschlagen, sondern stärker zusammengerückt. Sie ist eine gefestigte Nation, eine Nation vereint in ihrem Kampf für ihre Freiheit und Souveränität und gegen Unterdrückung und Fremdherrschaft. Die Ukraine verfügt über moderne, gut ausgerüstete Streitkräfte, die sich nun schon so lange entschlossen gegen den Aggressor Russland zur Wehr setzen.

Eines ist klar: Wir alle wünschen uns ein Ende dieses brutalen Krieges. Keiner will Frieden mehr als die Ukrainerinnen und Ukrainer. Deswegen gilt: Unsere unverbrüchliche Unterstützung, unsere militärische Hilfe, der entschlossene Kampf gegen die russische Aggression sind die eine Seite der Medaille, und die andere Seite ist das Ausloten von Wegen, die zu einem fairen, gerechten und dauerhaften Frieden für die Ukraine führen können. Darüber, wie ihr das aus einer Position der Stärke heraus erreichen könnt, haben wir beide, Wolodymyr, heute eingehend gesprochen. Klar ist: „Nothing about Ukraine without Ukraine.“ Ich werde es nicht zulassen, dass über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden wird. Russland kann der Ukraine keinen Diktatfrieden aufzwingen.

Mein dritter Punkt: Die Ukraine wird ihren Weg in die Europäische Union konsequent weitergehen. Zu diesem Grundsatz haben wir uns bei meinem Besuch im Juni 2022 hier in Kyjiw bekannt. Kurz danach erhielt die Ukraine von der EU den Status des Beitrittskandidaten. Dieses Versprechen haben gestern der neue EU-Ratspräsident Costa und die neue EU-Chefdiplomatin Kallas hier in Kyjiw noch einmal untermauert, und das gilt für alle von uns.

Die Ukraine hat seither unter schwierigsten Bedingungen beeindruckende Fortschritte gemacht. Schon im Juni dieses Jahres konnten wir offiziell die Beitrittsverhandlungen beginnen. Ich bin überzeugt, dass die Ukraine diesen Weg konsequent weitergehen wird. Deutschland begleitet und unterstützt euch dabei.

Mein Besuch hier in Kyjiw hat mir eines heute noch einmal ganz klar gezeigt: Die Ukraine wird bestehen. Lieber Wolodymyr, unsere Herzen, die Herzen eurer europäischen Familie, sind bei euch.

Slawa Ukrajini!

Fotoreihe: Bundeskanzler Scholz in der Ukraine

Frage:

Herr Bundeskanzler, Russland eskaliert, schickt noch weitere Truppen in die Ukraine und setzt auch mehr Raketen ein. Auf welche Weise kann Deutschland die russische Position schwächen? Die Ukraine sollte in Verhandlungen aus einer starken Position heraus agieren. Deutschland liefert aber keine Taurus-Marschflugkörper, Herr Bundeskanzler.

Es gab zuletzt Personalveränderungen in der Ukraine. Vor allem wurde ein neuer Streitkräftechef der Ukraine beordert. Auch ein stellvertretender Oberbefehlshaber wurde eingesetzt. Was würden Sie also über diesen Personalwechsel sagen? Was steht der Ukraine noch bevor?

Bundeskanzler Scholz:

Ich habe es eben schon gesagt: Deutschland ist der größte Unterstützer der Ukraine in Europa, mit weitem Abstand, vor allen anderen. Bisher sind Waffen in Höhe von 28 Milliarden Euro zugesagt oder schon geliefert. Das ist eine ganze Menge. Ich will hier an dieser Stelle laut und deutlich sagen: Wir werden auch in den nächsten Jahren nicht nachlassen, die Unterstützung zu mobilisieren, die notwendig ist.

Damit das auch insgesamt gelingt, haben wir zusätzlich zu allem auch noch den 50 Milliarden-Dollar-Kredit der G7-Staaten auf den Weg gebracht. Das ist etwas, für das ich mich persönlich sehr eingesetzt habe. Wir haben immer wieder darüber gesprochen, weil es eben auch sicherstellt, dass es eine große internationale fiskalische Unterstützung für Haushaltsfragen gibt, aber auch für das, was an Waffen beschafft beziehungsweise produziert werden muss – und das ist auch so gewollt.

Klar ist: Es ist richtig, dass Russland den Krieg immer weiter eskaliert und damit riskiert, dass unglaublich viele russische Soldaten sterben oder verwundet werden; alles nur, weil der russische Präsident irgendwie Land erobern will – das geht nicht – und eigentlich auch, weil er seit dem Beginn des Krieges immer das Ziel verfolgt hat, die Ukraine abhängig zu machen, ihr zu diktieren, wie sie zu sein hat. Das ist das, was die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine ablehnen – und wir auch –; deshalb unterstützen wir die Ukraine. Ich kann dazu nur sagen: Wir werden in dieser Unterstützung immer so stark bleiben, wie wir das bisher gemacht haben. Darauf können sich alle verlassen. In einzelnen Fragen überlegen wir uns genau, was wir tun. Aber es bleibt dabei: Wir unterstützen die Ukraine umfassend und auch wirksam.

Präsident Selenskyj:

Vor Kurzem habe ich den Plan der Standhaftigkeit in unserem Land vorgestellt, und die Stärke unseres Heeres ist eine Voraussetzung für die Umsetzung dieses Plans. Dazu gibt es konkrete Reformen. Das ist nicht der letzte Wechsel; es muss noch weitergemacht werden. Das erwarten wir also noch.

Frage:

Herr Bundeskanzler, Sie haben gerade noch einmal aufgezählt, was Deutschland alles für die Ukraine tut und dass Deutschland der größte Unterstützer der Ukraine in Europa ist. Zwei der dringendsten Wünsche der Ukraine erfüllt Deutschland aber nicht. Das eine ist die Lieferung der Marschflugkörper Taurus, das andere ist die Einladung in die NATO. Wie erklären Sie der ukrainischen Bevölkerung, dass Sie diese Wünsche nicht erfüllen? Und wann ist für Sie der richtige Zeitpunkt, die Ukraine in die NATO--North Atlantic Treaty Organization einzuladen?

Herr Präsident, welchen Unterschied würde es militärisch für die Ukraine machen, wenn sie Taurus von Deutschland bekommen würden? Und haben Sie Verständnis für die Argumente des Bundeskanzlers, diese Marschflugkörper nicht zu liefern, nämlich die Befürchtung, dass es zu einer Eskalation des Krieges kommen könnte und dann die Sicherheit Deutschlands gefährdet wäre?

Bundeskanzler Scholz:

Ich will gerne damit beginnen zu wiederholen, was Sie auch in der Frage gesagt haben. Wir sind der größte Unterstützer der Ukraine in Europa und bleiben es auch. Was wir geliefert haben, ist ja nicht nur Luftverteidigung, über die jetzt hier viel gesprochen worden ist, sondern das sind auch sehr gefährliche Waffen, Mehrfachraketenwerfer, Artilleriesysteme, die sehr weit reichen, Kampfpanzer und alle anderen Formen von Panzern, die notwendig sind; und wir haben sogar, damit das in einem Krieg funktioniert, sichergestellt, dass es an vielen Stellen „repair hubs“ gibt, damit die Waffen auch dauerhaft eingesetzt werden können.

Bei einzelnen Waffensystemen haben wir eine bestimmte Einschätzung, ob es richtig ist, sie zur Verfügung zu stellen oder nicht. Das hat etwas mit der Reichweite zu tun und den Notwendigkeiten, die Zielsteuerung zu kontrollieren. Und deshalb haben wir gesagt, „da nicht“. Aber das mindert unsere Unterstützung nicht, die eben sehr umfassend ist und – das ist mir wichtig zu sagen – auch umfassend bleiben wird.

Wir haben einmal ausgerechnet: Wenn man all die Hilfe, die wir geleistet haben, zusammenrechnet, dann würde das bis Mitte 2026 bedeuten, wir hätten sechs Brigaden ausgestattet. Das ist schon eine ganze Menge.

Zusatzfrage:

Und zur NATO?

Bundeskanzler Scholz:

Die NATO hat in Vilnius und Washington Beschlüsse zu diesem Thema gefasst, die auch einen Weg beschrieben haben, und die habe ich uneingeschränkt unterstützt und halte sie auch so für richtig.

Präsident Selenskyj:

Danke schön für Ihre Frage. – Wir sind Deutschland sehr dankbar für die große Unterstützung in Höhe von 28 Milliarden Euro, und wir spüren, dass wir auch im Winter diese Unterstützung genießen. Wir erhalten Unterstützung bei der Luftverteidigung, und dies nicht nur dadurch, dass Deutschland diese Systeme produziert, sondern auch dadurch, dass es andere liefert. Es gab natürlich Verzögerungen, vor allem Verzögerungen bei der Lieferung von IRIS-T. Aber wir sind sehr dankbar für diese hochqualitativen Systeme. Es liegt oft nicht an Deutschland, sondern an vielen anderen Partnern, die Patriot-Systeme besitzen und diese zurückhalten. Ich würde jetzt öffentlich kein Beispiel anführen. Ich will nicht, dass Russland versteht, was wir damit meinen. Aber wir suchen jetzt noch nach Möglichkeiten, ca. 200 weitere Objekte zu schützen. Diese Systeme reichen also nicht aus, und das ist eine wichtige Frage.

Zu der Frage von Taurus-Lieferungen: Wir teilen mit Olaf viele gemeinsame Ansichten, aber haben auch manche unterschiedliche Meinungen, was Taurus angeht. Aber ich glaube, hinsichtlich Taurus hatten wir mehr gleiche Vorstellungen. Auch das ist eine sehr wichtige, weitreichende Waffe. Das haben Sie schon gehört. Sie kennen die Position Deutschlands. Sie kennen die Position von Großbritannien und den USA. Mehr russische militärische Ziele würden getroffen werden, wenn wir diese Waffen gehabt hätten.

Frage:

Herr Bundeskanzler, ich möchte nicht nach Taurus oder nach der NATO fragen, sondern nach den Gesprächen: Wie spricht man mit einem Menschen über den Frieden, wenn dieser Mensch keinen Frieden will? Putin hat nach einem Gespräch mit Ihnen eine ballistische Rakete eingesetzt, die über 2500 Kilometer weit fliegen kann.

Herr Präsident Selenskyj, Deutschland hat oft davon gesprochen, dass es Sache der Ukraine sei zu sagen, wozu sie bereit wäre, um Frieden herzustellen. Haben Sie in den Diskussionen mit dem Bundeskanzler besprochen, worauf die Ukraine eingehen sollte und was Russland eigentlich zugestehen soll?

Bundeskanzler Scholz:

Die Frage, wie man mit jemandem spricht, der einen Krieg angezettelt hat, ist leicht zu beantworten: mit klarer Haltung, mit unmissverständlicher Sprache und einer klaren eigenen Aussage über das, was wir tun werden.

Ich habe mit dem russischen Präsidenten vor dem Krieg sehr lange in Moskau gesprochen – das war sehr ausführlich –, und wir waren in vielen Punkten nicht einer Meinung, insbesondere was die Rahmenbedingungen betrifft, die ihn dazu bewegt haben, den Krieg zu beginnen. Aus meiner Sicht war dieser lange geplant. Das ist zwei Jahre vorher entschieden worden, bevor der Krieg losging. Das ist nicht spontan drei Wochen oder zwei Monate vorher gewesen, sondern darauf hat er zielgerichtet hingearbeitet.

So waren auch die Erfahrungen, die ich bei den Gesprächen gemacht habe, die ich 2022 mit ihm geführt habe und jetzt auch wieder. Deshalb habe ich bei diesen Gesprächen sehr deutlich gemacht: Die Ukraine hat das Recht, eine unabhängige, souveräne, demokratische Nation zu sein, die sich entscheidet, Teil der Europäischen Union sein zu wollen. Die Ukraine hat eine starke Armee und leistet auch auf diese Weise einen Beitrag zu ihrer eigenen Unabhängigkeit.

Im Übrigen ist es für mich völlig klar, dass Russland den Angriff beenden und Truppen zurückziehen muss. Auch das habe ich ihm sehr deutlich gesagt. Was er dazu sagt, kennen Sie teilweise aus öffentlichen Erklärungen. Wir sind eben unterschiedlicher Meinung. Deshalb geht es darum, dass man auch dann, wenn man so direkt miteinander spricht, nicht versäumt, eine klare und deutliche Sprache zu haben, und die habe ich.

Eine Botschaft war mir ganz wichtig zu sagen, auch beim letzten Gespräch, und ich habe sie auch hier gesagt: Wir werden in unserer Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen. Die Ukraine, die Ukrainerinnen und Ukrainer können sich auf uns verlassen. Der russische Präsident soll nicht darauf rechnen, dass er irgendwann nur noch allein die Ukraine als Gegner hat und dass die Unterstützung der Freunde und Verbündeten nachlässt. Nein, wir sind bereit – Deutschland insbesondere ist bereit –, das in dem notwendigen Umfang und so lange zu tun, wie es erforderlich ist.

Das ist aus meiner Sicht gerade jetzt, in dieser Situation, auch eine ganz, ganz wichtige Botschaft, weil man jetzt sagen muss: Es macht gar keinen Sinn, immer weiterzumachen. Es führt zu nichts. Die Ukraine wird unabhängig bleiben. Sie wird überleben, und sie wird bestehen. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, dass das gelingt.

Präsident Selenskyj:

Danke schön für diese Position, Olaf. Du hast die Frage, was wir besprochen haben, größtenteils beantwortet, und es gibt Weiteres. Es gibt viele Details, die wir mit dir teilen möchten, wenn es um die Frage geht, wie wir unsere Ukraine vor allem an der Front weiter stärken können. Die Ukraine muss aber auch von außen gestärkt werden; das ist sehr wichtig und notwendig für uns. Wir wissen und hoffen sehr, dass … (Lücke in der Dolmetschung)

Frage:

Herr Bundeskanzler, Sie kamen heute mit einem silbernen Köfferchen hierhin, und die Ukrainer spaßen schon darüber, was in dem Koffer sein könnte. Könnten Sie uns bitte mitteilen, was da drin ist?

Bundeskanzler Scholz:

Wie genau wollen Sie das jetzt wissen? Im Wesentlichen handelt es sich um Reiseutensilien, Wäsche und so etwas – was man so braucht.

Frage:

Herr Präsident Selenskyj, es wurde gerade schon angesprochen: Der Bundeskanzler hat mit dem russischen Präsidenten telefoniert. – Sie haben das in der Öffentlichkeit relativ heftig kritisiert. Sie haben davon gesprochen, es sei eine Büchse der Pandora geöffnet worden. Sehen Sie dieses Telefonat jetzt, nachdem Sie mit dem Bundeskanzler vermutlich auch darüber gesprochen haben, in einem anderen Licht, und würden Sie es begrüßen, wenn der Bundeskanzler versuchen würde, diesen Kontakt weiter aufrechtzuerhalten?

Eine Frage an Sie beide: Sie beide waren mit Präsident Biden sehr eng, Sie, Präsident Selenskyj, vor allem wegen der ausgiebigen Waffenlieferungen. Herr Bundeskanzler, Sie haben sich immer sehr eng mit Präsident Biden abgestimmt. Ermutigen Sie die ersten Signale, die Sie jetzt von der künftigen Administration und auch von dem Sonderbeauftragten bekommen, dass die neue Administration über Waffenlieferungen hinaus möglicherweise auch einen neuen diplomatischen Schwung, einen neuen diplomatischen Druck gegenüber Russland aufbauen könnte?

Präsident Selenskyj:

Ich wusste, dass der Bundeskanzler mit der russischen Seite kommunizieren wird. Das ist wahr, das haben wir angesprochen. Genauso wusste Olaf von meiner Einstellung. Ich persönlich meine, dass die sowohl diplomatische als sanktionsmäßige Isolation Putins Russland schwächt. Ich bin der Meinung, dass es in Europa und nicht nur in Europa aus unterschiedlichen Gründen dazu kommen kann, dass einem Gespräch ein zweites, ein drittes, ein viertes folgt. Das heißt, es gibt manche Persönlichkeiten, die diese Führung übernehmen wollen. Ich bin der Auffassung, dass Putin von dieser Wende der Anerkennung faktisch profitieren kann. Das kann der Ukraine nicht zugutekommen. Ich habe auch gesagt, dass wir mit Deutschland viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben. Gerade in dieser Frage können wir auch unterschiedlicher Meinung sein.

Bundeskanzler Scholz:

Zunächst einmal ist, denke ich, unsere Freundschaft und die gute Zusammenarbeit, die wir persönlich haben, so stark, dass wir einander sehr vertrauen. Dieses Vertrauen ist wichtig. Denn es geht auch darum, dass man sich aufeinander verlassen kann, wenn man weit auseinander ist. Für mich ist es jedenfalls sehr wichtig, dass völlige Klarheit über die Positionen existiert, die Deutschland in dieser Frage hat. Deshalb habe ich auch gern geantwortet, welche Worte ich verwende, dass ich den Standpunkt deutlich mache, den wir miteinander haben, und dass man sich immer darauf verlassen kann, dass Deutschland dafür steht, dass es keinerlei Regelungen über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg geben wird. Das ist für mich ganz zentral und wird die Frage sein, auf die es in der nächsten Zeit ankommt. Ich werde gegenüber allen anderen Freunden, Verbündeten und auch denjenigen, die nicht überzeugt sind, darauf bestehen, dass es keine Regelung, keinen Frieden über die Köpfe der Ukraine hinweg geben kann und dass es immer ein gerechter Friede sein muss für ein souveränes Land, eine Demokratie, die ihren Weg geht, zum Beispiel in Richtung der Europäischen Union.

Im Übrigen haben wir alle natürlich nicht nur mit der bisherigen amerikanischen Regierung gesprochen, mit der wir in dieser Frage in der Tat sehr gut zusammengearbeitet haben, sondern haben das auch schon mit dem künftigen Präsidenten getan. Ich denke schon, dass man darauf setzen kann, dass wir eine gemeinsame Politik entwickeln werden. Jedenfalls ist das das Bestreben, das wir alle haben, und das ist auch möglich und der Sache wegen natürlich auch sinnvoll.